„Up and down“ auf der „One-o-one“ – Entlang Amerikas Westküstenstraße

Crescent City/  USA usa
560. Reisetag
18.295  km / 115.752 hm

 

Twin Rocks bei Rockaway Beach Unter unseren Reifen schnalzt die nasse Fahrbahn. Der Dreck des Randstreifens „ziert“ Rahmen und Taschen. Mit jedem Truck und Off-Road Ungetüm, das uns ohrenbetäubend laut überholt, kommt eine neue Öl-Sand-Wasser Schicht dazu. Vom Blätterdach klatschen dicke Regentropfen auf unsere Helme. Seit Tagen schon fahren wir in voller Regenmontur. Dass die Küstenroute zu dieser Jahreszeit nicht unproblematisch ist, wussten wir. Abrupte Wetterwechsel sind keine Seltenheit. Und so manch verheißungsvoller Herbsttag endet in den ersten beiden Wochen in strömendem Regen.

Doch gevierteltes Leid ist viertel Leid :-) Mit Sabrina & Robert, mit denen wir seit Mitte September gemeinsamen Richtung Süden radeln, trotzen wir Wind und Wetter(kapriolen).

„Keep dry!“ rufen uns die Autofahrer zu. Humor haben sie, die Amis. Und immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Unser Zelt packen wir in dieser Zeit morgens meist klitschenass ein. Die Schlafsäcke riechen nach nasser Katze.

Vielleicht ist das der Grund warum uns Kater Jack auf’s Zelt springt. Unser Staika gleicht danach mehr einem Schweizer Käse denn einer Trutzburg gegen Wind und Wetter… Vom Besitzer bekommen wir 20 $. Ein schwacher Trost für das Katzen-Piercing. Mit SilNet machen wir die Außenhaut unserer Wohnung wieder regendicht.

Dass es im äußersten Nordwesten der USA häufig nass ist, sieht man der Natur an. Mächtige Sitka-Fichten sind von Moosen überwuchert. Riesige Farne bedeckten den Waldboden. Die dichten Feuchtwälder Washingtons und Oregons sind eine eigene Welt, in denen man sich in J.R.R. Tolkiens mythologische Erzählungen versetzt fühlt.

In Port Townsend, einem hübschen Küstenstädtchen mit Klinkerbauten, lesen uns Sheila und Stuart auf der Straße auf. Der örtliche Campground hat nur Plätze für Motorhomes, nicht für Zelter … 2 Nächte können wir bei ihnen bleiben. Sie sorgen sich reizend um uns. Bei Sonnenschein und frisch gebrühtem Kaffee sitzen wir in ihrem Garten und genießen den Blick auf das Admiralty Inlet. Abends gibt es Dinner und Eis satt. „Radlerherz was willste mehr!“

In den Tagen danach hat uns zunächst der Regen wieder. Mal „dissel“ mal „heavy rain“. Nun folgen wir weitgehend der 101. Die Westküstenstraße ist die pazifische Nord-Süd-Achse und wird uns nach Los Angeles bringen. Bis Raymond hat die „One-o-one“ noch nicht viel zu bieten. Überwiegend verläuft sie abseits des Pazifiks. Doch südlich davon zeigt sie sich ab der Willapa Bay von ihrer schönen Seite. Bei Seaview erreichen wir wieder das offene Meer und rollen direkt auf den Strand. Gedankenversunken schauen wir auf den Pazifik und genießen die frisch-feuchte Seeluft. Unablässig stranden beeindruckende Wellen in einer Schaumkrone am Long Beach. Möwen und Kormorane setzen zum Tiefflug über die Wasseroberfläche auf der Suche nach Fischen an. Surfer hinterlassen weiße „Spuren“ beim Ritt auf den Wellenkämmen.

Nun ist auch das Wetter meistens beach-tauglich. In Cape Lookout wagen wir den „Sprung“ in den Pazifik. Danach sind die Lippen tiefblau. Aber die Haut prickelt herrlich. Immer wieder passieren wir traumhafte Strände und zahlreiche Badebuchten mit vorgelagerten Felsinseln. Pittoreske Leuchttürme thronen auf den Kaps.

Das Profil verlangt uns täglich einiges ab. Hügel und Berge sind zwar nicht beeindruckend hoch, dafür aber die Rampen mit 8 – 14 %. Und es geht stets Auf und Ab. Manchmal so schnell, dass wir von „60 Sachen“ bergab auf 5 km/h bergauf in 10 Sekunden ausgebremst werden. Am Ende des Tages stehen dann zwischen 600 und 1.100 Höhenmetern auf dem Tachometer und beim Dehnen wissen wir, was wir getan haben.

Doch die Plackerei wird mit traumhaften Panoramen belohnt. Raue Steilküste wechselt sich mit dichtem Regenwald und langgezogenen Dünenlandschaften munter ab. Schroffe, stark verwitterte Felsen ragen aus der schäumenden See.

Einen Steinwurf von uns entfernt ziehen Grauwale Richtung Norden. Das Schauspiel dieser Giganten der Meere ist etwas ganz Besonderes. Andächtig schauen wir ihrem Spiel zu bis sie sich mit einer Fontäne verabschieden.

Nie zuvor haben wir innerhalb so kurzer Zeit so viele Wildtiere gesehen. Fischotter tummeln sich in Flüssen, Rotwild kreuzt die Straßen, aufdringliche Waschbären versuchen uns allabendlich unsere Vorräte zu klauen, hysterische Eichhörnchen rasen die Bäume rauf und runter und in Newport’s Hafen geben Seelöwen ein vielstimmiges Konzert.

Wir fahren durch manch attraktives Seebad und hübsche Ferienorte mit eleganten Inns, Boutiquen und Kunstgalerien. Gepflegte Rhododendren- und Rosengärten zieren hier die weißgetünchten Holzhäuser im viktorianischen Stil. Für uns sind diese „Sylts“ der USA aber nur „Durchfahrstation“. Das Preisniveau ist enorm. In Cannon Beach will der örtliche RV Campingplatz satte 38 $ pro Zelt! Unverschämt! So fahren wir weiter … in die Nacht und stellen irgendwann unser Zelt nahe der 101 auf. Der State Park ist leider geschlossen. Ansonsten sind die staatlichen Campingplätze aber eine gute Möglichkeit zum Übernachten. Für 10-16 $/Nacht können wir unser Zelt in der Natur aufbauen und am Lagerfeuer den kühlen Abendtemperaturen trotzen.

Das Lichtspiel über dem kalten und bewegten Ozean am Ende des Tages ist immer wieder ein magischer Moment bis das „Goldene Auge“ im Meer versinkt und sich die Nacht über die Küste legt.

 

 

One comment on “„Up and down“ auf der „One-o-one“ – Entlang Amerikas Westküstenstraße

  1. Ulrike Wezel on said:

    Neid, Neid und nochmals Neid. Ihr seid immer noch unterwegs. Frei wie ein Vogel. Ich bin leider nach sechs Monaten Deutschlandtour wieder im Taubertal gelandet. Es war eine fantastische Tour. Tolle Bilder habt Ihr und sicherlich ganz viele nette und hilfreich Begegnungen. Weiterhin viel Spaß und viel Luft in den Reifen.
    Liebe Grüsse von Ulrike aus Weikersheim

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>