Auf der windumtosten Ruta 40

Esquel / Argentinien argentina
354. Reisetag
11.210 km, 69.662 hm

P1010858Unter mehreren Schichten Klamotten geschützt aber klammen Fingern und eiskalten Füßen erreichen wir auf gut 1.000 m den bisher höchsten Punkt unseres ersten Streckenabschnitts auf dem südamerikanischen Kontinent. Zwischen den dichten Wolkenformationen blitzt nur ganz selten die Sonne auf. Die Lufttemperatur beträgt 8 °C, gefühlt haben wir aber schon Frost. Was für ein Unterschied zu den letzten Tagen in Malaysia als das Thermometer noch 40°C und mehr anzeigte!

Wir sind in Nordpatagonien unterwegs, auf einer der längsten Fernstraßen der Welt – der Ruta Nacional 40 und fahren mitten hinein in den südamerikanischen Herbst. 5.224 km ist die Piste lang und verbindet den gesamten Westen Argentiniens von Süden nach Norden.

Laut GPS folgt nach dem letzten Anstieg des Tages eine 10 km lange Abfahrt – theoretisch wenigstens. Aber natürlich gibt es wieder Gegenwind. Alles andere hätte uns auch verwundert. Und so treten wir kräftig in unsere Pedalen, um mal wieder mit 20 km/h durch die Landschaft zu rollen. Jeder Kilometer hier will erarbeitet werden. Der charakteristische immerwährende Wind Patagoniens macht das Vorwärtskommen nicht gerade leicht. Viele Bäume sind stumme Zeugen seiner unglaublichen Kraft. Dazwischen weite, endlose grau-gelbe Steppenlandschaft mit niedrigem Buschwerk dazu viel Wind und immer wieder mal Regen.

Ganz anders noch das Wetter 3 Tage zuvor in San Carlos de Bariloche. Die Stadt am Fuße der Anden empfängt uns mit Sonne. Da in den Überlandbussen kein Stauraum für unsere Räder war, mussten wir noch einmal tiefer in die Tasche greifen und uns erneut in den Flieger setzen, um hierher zu gelangen.

Der Tourismus tobt sich im Städtchen Sommer’s wie Winter’s so richtig aus. Seit einigen Jahren haben Touristen die immense Schönheit der Umgebung rund um den See Nahuel Huapi für sich entdeckt und so klettern die Übernachtungspreise für argentinische Verhältnisse in astronomische Höhen. Für 43 € pro Nacht bekommen wir ein schlichtes, kleines Zimmer (inkl. Frühstück) in einer freundlichen Hosteria. Wer mehr will muss weitaus tiefer in die Tasche greifen – und es ist Nebensaison …. Trotz der gepfefferten Übernachtungskosten bleiben wir einen Tag länger als geplant, um uns ein Stück des reizvolles Fleckchens anzusehen. Wir wandern auf den Gipfel des Cerro Campanario (1.022 m). Laut National Geographic “One of the best 10 viewpoint on earth.” Ob das stimmt? Egal. In jedem Fall ist die Aussicht von oben beeindruckend und wir haben dazu noch fantastisches Wetter. Bei klarer Sicht und 25 °C in der Sonne genießen wir die Bilderbuchlandschaft und das 360°-Bergpanorama. Auf der Wasseroberfläche des Nahuel Huapi spiegeln sich die schneebedeckten Andengipfel der Umgebung. Die Arme des dunkelblauen Sees erstrecken sich wie Fjorde in das grüne Bergland.

Die Fahrt aus Bariloche heraus am nächsten Tag ist dagegen kein Vergnügen und ein echter Kraftakt. Es hat sich merklich abgekühlt. „Mörder“-Rampen von bis zu 18 % in der Stadt zwingen uns dazu unsere Räder auf den ersten 2 Radkilometern in Südamerika zu schieben. Kaum haben wir die Stadt hinter uns gelassen empfängt uns der frische Südwestwind und wird zu unserem stetigen Begleiter in den nächsten Tagen. Wir folgen dem asphaltierten und gut ausgebauten Streckenabschnitt der Ruta 40 nach Süden. Entlang mehrerer Seen schlängelt sich die Straße zunächst durch satte grüne Landschaft mit dichtem Nadelwald. Immer wieder bieten sich uns schöne Blicke auf das Piltriquitron-Massiv und die schneebedeckte Bergkette der Anden. Der stetige Wind zaubert beeindruckende Wolkenformationen an den patagonischen Himmel. Greifvögel nutzen die Thermik und spielen scheinbar mühelos mit den Kräften.

Über mehrere langgezogene Anstiege mit kurzen Abfahrten gelangen wir schließlich auf eine 60 km lange, 700 – 900 m hohe, Hochebene. Die ersten Anstiege nach 3 Wochen Radpause sind mit vollem Gepäck und einigen Kilogramm Lebensmitteln ein harter Brocken. Im kleinsten Gang arbeiten wir uns bei Gegenwind und in Regenkleidung Stück für Stück hinauf. Entlang der Ruta 40 wächst jetzt fast nur noch gelb-grünes, trockenes, steppenartiges Buschwerk. Obwohl der graue, steinige Boden nicht viel hergibt und keine Menschenseele zu sehen ist, scheint das Land bewirtschaftet zu werden. Kilometerlang ist die Fläche links und rechts der Fernstraße mit Stacheldraht eingezäunt. So müssen wir direkt an der Straße und einmal unter einer Brücke zelten. Zum Glück ist der Verkehr in dieser abgelegenen Region Argentiniens in der Nacht recht gering, so dass wir gut schlafen können. Außerdem gibt es direkten „Wasseranschluss“ dank eines kleinen Flusses. Bei 10°C und Wind kostet das eiskalte Bad zwar einige Überwindung, aber frischgeduscht ist’s halt doch schöner in den Schlafsäcken. Wieder auf der Piste strecken uns viele entgegenkommende Fahrer den Daumen hoch oder grüßen uns mit der Lichthupe. Das tut gut.

Immer wieder kommen wir auf der Ruta 40 an Schreinen zu Ehren der Difunta Correa vorbei. Sie Correa ist eine berühmte Schutzheilige in Argentinien. Der Legende nach bekam die Difunta Corea ihren “Heiligenstatus”, weil sie auf der Suche nach ihrem verschleppten Mann in der Wüste verdurstete während ihr Säugling wie durch ein Wunder dank der Muttermilch überlebte. Vor allem LKW-Fahrer verehren sie, da sie die Schutzheilige der Reisenden darstellt.

Nach anstrengenden, eindrucksvollen 5 Tagen erreichen wir Esquel. Das 30.000 Einwohner-Städtchen im gleichnamigen Tal liegt am Fuße des Berges La Hoya. Gleich am Ortseingang finden wir eine bezahlbare und sehr schöne Cabana aus Naturmaterialien mit eigener Küche und separatem Schlafzimmer. Hier erholen wir uns noch 1 Tag bevor es über den ersten Pass auf die chilenische Seite der Anden geht.

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