Khorog/ Tadjikistan
165. Reisetag
5.142 km, 34.769 hm
In scheinbar endlosen Windungen schlängelt sich die Piste an den Hängen der Hasr Etiši Bergkette entlang. Seitdem wir vor 3 Tagen den Fluss Obihingab verlassen haben, steigt die Piste kontinuierlich an. Immer wieder müssen wir auf der Scheitelstrecke kurze Pausen machen, um den Puls zu beruhigen. Die Luft hier oben ist schon spürbar dünner. Die Straße M 41, der wir bis kurz vor Bishkek in Kirgisistan folgen wollen, ist in einem unsagbar schlechtem Zustand. Asphalt gibt es keinen mehr, dafür jede Menge Schlaglöcher, dicke Gesteinsbrocken und Versandungen. Gelegentlich müssen wir unsere Räder durch ausgetrocknete Flussbetten schieben. Ein mühsames Unterfangen. Die marode Infrastruktur wird nur äußerst behelfsmäßig und oft mit unzulänglichen Mitteln gegen die rauen Naturgewalten der eindrucksvollen Gebirgswelt aufrecht erhalten. Allerdings ist die Verkehrserschließung Tadschikistans wegen seiner Oberflächengestalt auch sehr schwierig. 2/3 des Landes sind Hochgebirge.
12 km und 700 Höhenmeter nach unserem heutigen Start kommt die langersehnte Passhöhe in Sicht. Noch einmal kurbeln wir mit aller Kraft, das Ziel endlich vor Augen. Unser Atem geht schnell und schwer. Nach einer letzten Rechtskurve können wir endlich eine „Schutzhütte“ sehen. Auf einer der Seiten steht in großen, roten Lettern: 3.252,8 m. Wir sind auf dem Sagir-Dasht-Pass! Unserem ersten 3.000er. Ein emotionaler Höhepunkt! Erschöpft fallen wir uns in die Arme, schreien unsere Freude ins Tal. Es ist Punkt 12 Uhr.
Kaum angelangt blasen auch schon starke Windböen über die Passhöhe. Auf über 3.000 m sind es nur noch 15 °C. In aller Eile wechseln wir unsere durchgeschwitzten Klamotten und verlegen das Kochen in eine Nische der „Schutzhütte“. Während wir heiße Instantnudeln in der wärmenden Sonne genießen besuchen uns 3 Hirten, die mit ihrer Herde über die Berge nach Kulob ziehen. In den letzten Tagen sind uns immer wieder riesige Schaf- und Ziegenherden begegnet. Bis zu 5.000 Tiere auf einmal werden oft von nur einer Handvoll Männer die Straße hinunter getrieben. Schon aus der Ferne ein beeindruckendes Bild. Vorneweg laufen stets die Esel mit dem Hab und Gut der Männer. Unglaublich, was diese kleinen widerstandsfähigen Tiere alles auf ihren schmalen Rücken schleppen können. Die Begrüßungen der Hirten sind stets herzlich und respektvoll. Den wettergegerbten Gesichter sieht man an, dass ihr Leben entbehrungsreich und hart ist. Während uns ein wogendes Meer aus tierischen Körpern umschließt stehen wir minutenlang in einer riesigen Staubwolke. Die Autofahrer haben weniger Geduld. Unaufhörlich hupend drängeln sie sich durch die Herde.
Nach 1 ½ Stunden Pass-Pause ziehen wir wieder unsere Radkleidung an. Im Schritttempo geht es auf schlechter Piste hüpfend und rutschend 2.000 Höhenmeter hinunter in das Tal des Flusses Panj. Schon nach kurzer Zeit schmerzen die Hände vom vielen Bremsen. Die Felgen werden heiß und brauchen alle paar Kilometer eine Pause, um nicht zu überhitzen. Das Tal wird zunehmend enger. Immer weniger Lichtstrahlen finden den Weg hinein. Kurz vor Kalaikhum wartet noch einmal ein Hindernis auf uns. Vor 10 Tagen brach unter der Last eines Lkw’s eine Flussbrücke zusammen. Die Überreste der Stahlkonstruktion hängen noch in der Strömung. Ersatz gibt es noch nicht. Amur, ein Tadschike, bietet sofort seine Hilfe an und bringt uns samt Rädern und Equipment mit seinem russischen Jeep ans andere Ufer. Die kurze Fahrt ist eine mit Herzschlag. Bis zum Radkasten verschwindet der Jeep in den Fluten, ich stehe auf der Heckklappe und versuche die Räder vor dem Herunterfallen zu bewahren ohne selbst abgeworfen zu werden. Ria hält auf der Beifahrerseite mit aller Kraft an den Lenkern fest. Hüpfend und schnaubend bewegen wir uns durch das Flussbett. Der Motor jault mehrmals bedrohlich auf und versetzt der in die Jahre gekommen „Kiste“ einen heftigen Stoß. Doch alles geht gut und „trockenen Rades“ erreichen wir das andere Ufer. Geld für seine Hilfe möchte Amur keines annehmen. Aber die kasachischen Karamel-Bonbons schmecken ihm und seiner Familie.
In Kalaikhum, Grenzstadt zwischen Tadjikistan und Afghanistan, können wir unsere Vorräte ein wenig auffüllen und finden mit etwas Glück und Suche sogar Äpfel, Kartoffeln, Paprika, Gurke und Brot. Auf den folgenden 300 km hat kein Laden mehr eines der Dinge. Die Menschen versorgen sich weitgehend selbst. Und so ist das „Angebot“ in den Läden stets das Gleiche: Bonbons, verstaubte (offen liegende) Kekse, selbstverpackte Nudeln, Cola (nicht immer), Wasser (noch seltener), Zucker, Salz und Mehl in Säcken und ein paar Hygieneartikel. Ansonsten China-Plaste-Kram… aber der ist nicht essbar. So ist es immer eine Riesenfreude wenn uns Einheimische Äpfel, Tomaten und Gurken in die Taschen stopfen oder wir ein großes Fladenbrot geschenkt bekommen. Auch zum Tee werden wir täglich eingeladen. Nach erneuten gesundheitlichen Problemen in Dushanbe sind wir aber mehr als vorsichtig und lehnen jede Einladung dankend ab. Unsere Abfahrt aus der Hauptstadt hatte sich um einen Tag verschoben, da Ria Fieber und Durchfall bekam. Zum Glück waren wir privat bei Veronique aus Paris untergebracht. Hier konnten wir so lange bleiben wie wir wollen. Veronique arbeitet in Dushanbe für die EU.
Die internationalen (Hilfs-)Organisationen geben sich in der Hauptstadt Tadschikistans die Türklinke in die Hand. UN, UNDP, WFP, OECD, Welthungerhilfe, Internationales Rotes Kreuz u.v.m. sind hier vor Ort tätig. Die Präsens kommt nicht von ungefähr. Tadschikistan ist eines der ärmsten Länder Zentralasiens. Ein großer Teil der bereits in den 90er Jahren wenig entwickelten sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur wurde durch den Bürgerkrieg 1992 – 1997 zerstört. Rund 2/3 der Bevölkerung leben heute unterhalb der Armutsgrenze. Die Arbeitslosenquote liegt um die 40 % … Seit 1994 regiert Emonalii Rahmon das Land. Menschenrechte und Pressefreiheit werden immer wieder verletzt. Zuletzt ließ er sich 2006 wiederwählen. Gegen die Opposition geht Rahmon rigoros und mit harten Bandagen vor. Doch von den Plakaten lächelt der Präsident sanftmütig – wechselweise mal vor wogenden Korn- oder Mohnfeldern – stets vor einem strahlenden Himmel…. Die Realität sieht anders aus.
Da Veronique selber begeisterte Radfahrerin ist, bietet sie Radlern eine kostenlose Unterkunft in Haus und Innenhof an. Nach und nach füllt sich das Haus und Gabriel, ihr 7-jähriger Sohn hält alle auf trapp. Im Garten – einer Oase gleich – steht ein ganzer Fuhrpark an Rädern. Abends wird zusammen gekocht und die neuesten Infos über Visa, Grenzübergänge, Routen etc. machen die Runde. Kaum war Ria genesen erwischte es mich mit den gleichen Symptomen auf der ersten Etappe in den Pamir. Aber das war erst der Anfang ….
Von Kalaikhum führt uns die M 41 knapp 300 km auf tadschikischer Seite nach Khorog entlang der Grenze zu Afghanistan. Der reißende, grau-braune Strom „Panj“ trennt beide Länder voneinander. Oft ist das Flussbett so schmal, dass wir im wahrsten Sinne des Wortes nur einen Steinwurf von Afghanistan entfernt kurbeln. Bereits in Usbekistan waren wir nur noch 100 km von Masar-e Scharif entfernt. Die unmittelbare Nähe Afghanistans macht sich vor allem an den zahlreichen Militär-Checkpoints bemerkbar. Mit Kalaschnikow im Anschlag werden wir alle 100 km gestoppt, um uns zu registrieren. Das Tal des Panj ist anfangs etwas weiter mit einigen kleinen Siedlungen, dann verengt es sich immer mehr. Kurze Schluchtenpassagen und leichte Talweitungen mit teils idyllischen Dörfern wechseln sich ab. Bei jedem Halt versammelt sich blitzschnell eine Horde Kinder um uns. „Photo! Photo!“ wird gerufen. Jeder möchte aufs Bild. Wenn wir dann anschließend das Ergebnis zeigen, recken die Jungen den Daumen, die Mädchen lachen verschämt. Hände abklatschen ist ebenfalls sehr beliebt und selbst die Kleinsten, 3-jährigen, winken uns schon zu und rufen „Hello“. Nur gelegentlich „übertreiben“ es die Kids. Da wird dann schon mal versucht, die Hand festzuhalten oder uns mit einem gespannten Seil am Weiterfahren zu hindern…
Die Fahrt am Grenzfluss ist kaum leichter als zuvor zum Pass. Die Anstiege sind mit 10 % und mehr meist kurz und giftig, der Untergrund Offroad tauglich. Miserable Pistenabschnitte wechseln mit altersschwachem Asphalt, der aber so flickenhaft ist, dass wir meist Slalom auf den Reststücken fahren. Hinzu kommen die zahlreichen Trucks – meist in Kolonne – und mit ihnen jede Menge Staub und Abgase. Besonders auf den Singeltrails wird es für dann mehr als eng und viel Platz zwischen uns und dem Abhang zum Panj ist oft nicht mehr.
Der Blick auf die afghanische Seite ist dafür immer wieder faszinierend. Auf teils abenteuerlichen Saumpfaden laufen die Menschen zu ihren Feldern, die ebenso abenteuerlich in schwindelerregender Höhe oberhalb des Panj an den steilen Hängen „kleben“. Zum Transport schwerer Lasten wird fast überall noch der Esel eingesetzt. Abends begleitet uns deren vielstimmiges Geschrei zusammen mit dem Ruf des Muezzin in den Schlaf. Obwohl das Tal oft sehr schmal ist und außer für die M 41 nicht viel Platz, finden wir immer wieder einen Stellplatz für unser Zelt. Bereits gegen 19 Uhr ist es dunkel und jede Nacht auf’s Neue nimmt uns der Sternenhimmel gefangen.
2 Tage vor Khorog erwischt es mich erneut. Mit Fieber, Durchfall und Erbrechen quäle ich mich irgendwie über die Straße, viele Stunden liege ich im Gras, unfähig aufzustehen. Ria muss in dieser Zeit fast alles alleine machen. Zu allem Überfluss geraten wir auch noch in ein Unwetter. Ein Sturm fegt durch das Tal und in minutenschnelle ist vom aufgewirbelten Sand der Himmel nicht mehr zu sehen. Wir suchen den nächstbesten Zeltplatz. Ria baut in windeseile das Zelt auf, während ich völlig erschöpft auf dem Boden liege. Nach 1 Stunde ist der Sturm vorbei und das Innenzelt voller Sand. Am 04.09. erreichen wir endlich Khorog, die selbsternannte Hauptstadt des Pamir. Gut 30.000 Menschen leben hier. Auf den Straßen herrscht Gedränge und lebhaftes Treiben. Mein Magen-Darm-Leiden erreicht hier seinen „Höhepunkt“. Nach einer schlaflosen, grauenvollen Nacht bin ich völlig entkräftet und dehydriert. In den folgenden Tagen geht es dann langsam bergauf und die Lebensgeister kommen zurück. Währenddessen geht es mit Ria genau in die entgegengesetzte Richtung. Nun hat sie mehrere Tage Fieber und Durchfall, dazu einen hartnäckigen Husten.
Mittlerweile sind wir fast 1 Woche in der Pamir Lodge in Khorog und so langsam beide wieder radtauglich. Neben der anfänglichen „Scheißerei“ sind die Tage hier mit den Generalüberholungen unserer Räder, Vorratseinkäufen, Wäsche waschen, Recherchieren, Lesen, netten Begegnungen mit anderen Reisenden und viel Schlafen ausgefüllt.
So Gott und Montezuma wollen werden wir übermorgen unsere Reise auf dem Pamir-Highway fortsetzen.
(Bilder folgen)