Auf den Spuren der Maya

Yucatan/ Mexiko mexico

IMGP9101Es ist 12 Uhr am Mittag. Die Sonne steht im Zenit und brennt gnadenlos auf die Ballspielstätte von Cobá.
Ernst und entschlossen blickt der Maya Nahil zum gleißenden Himmelskörper hinauf. Die nächsten Minuten werden die wichtigsten seines noch jungen Lebens sein. Über seine Körperbemalung und den gestählten Körper rinnt der Schweiß. Doch die Hitze ist es nicht, die die Haut des jungen Mannes schon vor der ersten Ballberührung im Schein der Sonne glänzen lässt. Das Ballspiel zu Ehren der Götter ist kein Spaß. Es ist ein Spiel auf Leben und Tod.
Nahil ist die Bedeutung der kommenden Stunde ins Gesicht geschrieben. Seine Sehnen sind zum Bersten angespannt, bereit für den Kampf zu Ehren der Götter.
Hunderte Augenpaare verfolgen auf den beiden länglichen Plattformen links und rechts des Spielfeldes aufmerksam jede Regung der Duellanten. Und dann ertönt das Signal zum heiligen Spiel – der Ruf des Schamanen zerschneidet die flirrende Stille. Nahil und seine Mannschaft stürzen sich auf den mehrere Kilogramm schweren Gummiball aus Kautschuk. Sie werden alles geben um zu siegen, denn sie wissen: Es ist kein Spiel zum Spaß – es geht um ihr Leben. Die unterlegene Mannschaft wird als Menschenopfer dargebracht, um die zahlreichen Götter der Maya wohlgesonnen zu stimmen.

So oder so ähnlich muss es sich vor 1.400 Jahren zugetragen haben, wenn auf einer der Spielstätten wie der in Cobá, das Lieblingsspiel der Maya stattfand. Doch nicht überall galten die gleichen Regeln wie in Cobá. In anderen Städten wurden die Gewinner nach dem Spiel hingerichtet! Grausame Vorstellung für uns – eine Ehre für die „Auserwählten“. War doch der Tod ein Privileg bei den Maya und führte direkt ins paradiesische Reich des Sonnengottes.

Cobá ist unserer vorletzte Ruinenstätte auf unserer Tour über die Halbinsel Yucatán. Ca. 40 km von der karibischen Küste entfernt im Inland gelegen, erhebt sich die beeindruckende Stadt mit Tempeln, Pyramiden und steinernen Altären aus dem Regenwald. Einst eine Supermacht in der Neuen Welt und eine der größten Mayastädte in Yucatan, wurde die Zeremonialstätte aus bis heute unbekannten Gründen bei der Ankunft der Spanier Anfang des 16. Jahrhunderts verlassen.
Wir besuchen das 70 m² große Ruinenareal früh am Morgen. Zu dieser Zeit scheint Cobá noch wie in einen Tiefschlaf gefallen. Die mächtigen Pyramiden sind in einem wuchernden Grün versunken. Nur die Spitzen der Tempel ragen aus dem dschungelartigen Kronendach hervor. Der beste Ausblick bietet sich uns von der 42 m hohen Nohoch Mul Pyramide. Gemeinsam mit einem Hund, der uns für heute adoptiert hat, genießen wir die Stille und den Ausblick von der Plattform, die einst für Blutopfer an die Götter diente.
Im diesigen Licht des Sonnenaufgangs erstrahlen die Tempelspitzen der benachbarten Pyramiden weiß über dem endlos grünen Meer am Boden. Schnell steigen die Temperaturen. Es wird schwül-heiß. Zurück im Dickicht laufen wir durch dampfenden Urwald, klettern über dicke Lianen zu den verschiedenen Gebäudegruppen, die noch immer etwas von der Mystik der Maya ausstrahlen.

Die letzten Wochen in Mexiko sind radtechnisch noch einmal anstrengend. Zunächst sind es die saftigen Anstiege, die uns viel Muskelarbeit abverlangen, dann der kräftige Gegenwind und die „Hitzeschlacht“ im Tiefland Yucatáns. Doch wie immer werden die Mühen belohnt.

Von der verträumten Hängematten- und Hippikolonie Zipolite an der Pazifikküste geht es noch einmal in die Berge. San Cristóbal de las Casas im zentralen Hochland von Chiapas ist unsere erste Station – Hochburg der Zapatistas. Auf dem örtlichen Markt pulsiert das Leben, wird gefeilscht und gehandelt. Es duftet nach Früchten, Kräutern, frischen Backwaren und würzigem Trockenkäse. Wir sind in unserem Element, genießen das chaotische Treiben in den engen Gassen, lassen uns treiben, tauchen ein in eine andere Welt. Anschließend geht es nach Chamula – kulturelles Zentrum der Tzotzil (Nachfahren der Maya). In dem kleinen Bergdorf auf 2.300 m Höhe hat der indigene Volksstamm seine traditionelle Kultur und religiösen Bräuche stets selbstbewusst gegen äußere Einflüsse verteidigt.
Und so erleben wir in der katholischen Pfarrkirche ein eigentümliches Schauspiel:
Im Inneren des Gotteshauses gibt es keine Kirchenbänke. Der Boden ist mit Kiefernadeln bedeckt. In der Luft liegt ein würziger, schwerer Geruch. Überall flackern hunderte kleiner bunter Kerzen auf den Kacheln. Während wir in einer Ecke uns niederlassen finden mehrere Privatzeremonien statt. Schamanen beschwören durch Rülpsen Dämonen, die nach Vorstellungen der Tzotzil einen Kranken befallen haben. Mit allerlei Beschwörungen und Gesängen und jeder Menge Posch (Zuckerrohr-Schnaps) werden die Patienten von ihrem Leiden geheilt, indem am Ende der Behandlung die schädlichen Geister in ein lebendes Huhn fahren, das anschließend getötet wird. Eine magische Atmosphäre.

In den Tagen danach geht es durch dichten Regenwald und so manches Mal mit voller Regenmontur in langen Anstiegen durch den Südosten Mexikos. So üppig die Natur, so arm die Menschen hier. Trotz optimaler klimatischer Bedingungen für die Landwirtschaft ist ein großer Teil der indigenen Bevölkerung unterernährt. Kinder betteln uns an, Frauen errichten Straßensperren und wollen uns erst nach einem Kauf ihrer Waren passieren lassen. Man warnt uns vor „Bandidos“. Vor allem Mahagoni, Teak, Gummi, Kautschuk, Kakao und Bananen bilden die wirtschaftliche Grundlage der überwiegend von Indigenas bewohnten Region.
Die Nächte klingen exotisch, erinnern uns an Südostasien. Obwohl selten geworden, leben in Chiapas noch immer Affen, Tapire, Pumas und Jaguare. Wir hören vor allem den Gesang des farbenprächtigen Quetzals, sehen Schlangen, Krokodile und Leguane.
Der Anblick auf die üppige Berglandschaft ist jede Anstrengung wert. Tief hinunter ins Tal schweift unser Blick von den Anhöhen. Grüne Baumriesen überziehen die zerfurchten Bergrücken. Dazwischen versteckt im undurchdringlichen Dschungel bedeutende Maya-Stätten. Wir besuchen Palenque – die Anmutige. Vornehm thront sie auf einem Plateau an den Hügel des Hochlandes Eine elegante Anlage. Nicht wie die steinerne Wucht wie Teotihuacan. Hier wirkt alles leicht, von meisterhafter Hand geschaffen.

Unser Highlight ist aber Toniná. Das „Haus der großen Steine“ abseits der Touristenströme ist am Hang eines Berges errichtet, der zu insgesamt 7 Pyramidenstufen geformt wurde. Unvermittelt stehen wir vor der gewaltigen Palastanlage. Kaum ein Tourist hat sich heute hierher verirrt. Was für ein prächtiges Bauwerk! In unserer Phantasie versuchen wir uns vorzustellen, wie hier einst farbiger Stuck die Pyramiden und Palastbauten zierte; prächtige Monsterfratzen und gezähnte Tiermäuler Besucher einschüchternd anblickten und von der Macht der Herrscher zeugten.

Für die kaskadenartigen Wasserfälle von Agua Azul stürzen wir uns in rasender Abfahrt zum gleichnamigen Ort und am nächsten Tag in endlos-langem Anstieg wieder hinauf. Zuvor wandern wir über wuchernde Vegetation aufwärts entlang der türkisfarbenen Wasserbecken. Über 500 Kaskaden und 6 km Länge stürzen die Wasserfälle in unzählige Naturbecken.
Kreuze für Ertrunkene warnen, dass man die zum Teil starke Strömung nicht unterschätzen sollte. Das Thermometer zeigt frische 15°C. Nebel und Nieselregen liegen über den Wäldern. So überlassen wir den feucht-fröhlichen Badespaß den wohlbeleibten Mexikanern.

Unseren Badespaß erleben wir dann noch auf der Isla Mujeres – ein würdiger Abschluss unserer Reise durch Mexiko. Das nur 7 km lange Eiland ist unser kleiner karibischer Traum: Traumhafte weiße Sandstrände, schattenspendende Palmen, warmes türkis-blaues Meer. Wir lassen uns in dem klaren, weichen Wasser treiben, schauen allabendlich dem Flug der Pelikane zu und blicken ein letztes Mal sehnsuchtsvoll der glutrot im Ozean versinkenden Sonne hinterher.

Auch wenn wir am Ende etwas mexiko-müde werden, der Abschied fällt schwer. Die 5 Monate im Land waren intensiv. Hunderte Holás und ungezählte freundlich winkende Hände haben uns begrüßt, in tausende lebenslustige Augenpaare haben wir geblickt. Vieles wird uns in Erinnerung bleiben. Naturschönheiten und -zerstörung, tausende Farben und Gesichter, unfassbar viel Müll, magische Orte und mythische Stätten, menschliche Schicksale, der Geschmack tropischer Früchte, bedrückende Kinderarbeit – ein Land voller Gegensätze mit einem einzigartigen kulturellen Schatz.

Karibische Träume

Isla Mujeres/ Mexiko mexico

P1150492Die letzten Wochen auf Yucatán sind im wahrsten Sinne des Wortes dahingeschmolzen. Bei tropisch-heißen Temperaturen (bis zu 50°C in der Sonne) öffnen sich noch einmal alle unsere Poren unter Mexikos stahlblauem wolkenlosen Himmel. Eigentlich müssten wir bei diesen Temperaturen „Hitzefrei“ haben :-).

Niederschläge gibt es zu dieser Jahreszeit keine. Und wenn, dann würden sie sofort im porösen Kalkboden einsickern, der für Trockenwälder sorgt. Zwischen dem Golf von Mexiko und der karibischen Küste bietet sich uns das immergleiche steppenartige Lanschaftsbild. Nicht wirklich spannend. Und so spulen wir zügig und im bewährten „drehmomente-Kreisel“ (20 min. Ria vorne, 20 min. ich) auf meist flacher Strecke unsere Tageskilometer ab. Lediglich die kleinen verschlafenen Dörfer, Mayastätten und erfrischenden Cenotes (ganzjährig gefüllte Wasserlöcher) sind willkommene Abwechslungen vom Einerlei links und rechts der Straße.

In Tulum können wir unseren Traum von einem Hotelzimmer mit Blick auf’s Meer nicht verwirklichen. Die Preise sind astronomisch. Direkt vor der Küste liegt das karibische Riff, ein Korallenriff das Touristen aus aller Welt anlockt. Und so wachsen nicht nur die Hotelburgen in schwindelerregende Höhen sondern auch die Preise.

IMGP9888Doch auf der Isla Mujeres vor den „Toren“ Cancuns werden wir doch noch für die Schweißarbeit der letzten Wochen belohnt. Wir finden eine super Unterkunft mit 2 Zimmern und voll eingerichteter Küche in einer ruhigen Ecke der Insel – keine 2 Gehminuten vom traumhaften Strand entfernt. So können wir an den letzten Tagen in Mexiko die Seele baumeln lassen.
Das karibische Meer ist wunderbar erfrischend – azurblau bis türkisfarben, der Strand strahlend weiß und palmenbestanden. Unter Kokosnüssen blinzeln wir in die Sonne, genießen die frische Brise und graben unsere Füße in den feinen Sand.
Unser kleiner karibischer Traum ist doch noch Wirklichkeit geworden.

Zum letzten Abschnitt unserer Reise in Mexiko folgt demnächst noch ein ausführlicher Artikel.
Hasta pronto!
Oliver & Ria

MFg – 2 Jahre im Sattel

Merida/ Mexikomexico P1090096-001

12 Uhr mittags. Draußen flirrt die Luft in den engen Gassen Meridas. Jetzt, zur Mittagsstunde, ist es unerträglich tropisch-heiß in der Hauptstadt Yucatáns.
Das hier einst das Tor zur Welt der Maya war (Puerta al Mundo Maya) lässt sich nur noch erahnen. Die vorspanischen Stätten wurden nach dem Einfall der Konquistadoren für koloniale Prachtbauten verwandt.
45°C zeigt das Thermometer in der Sonne.
Wer kann sucht jetzt Schatten, das kühlere Innere der alten Gemäuer, macht „Siesta“. Auf der „Plaza de la Independencia“, dem sonst pulsierenden Herzen Meridas, liegt jetzt „der Hund begraben“.

Auch wir haben uns ins Zimmer unserer Unterkunft zurückgezogen. „Hotel San José“ prangt in kunstvoll geschwungen rot-schwarzen Lettern am Eingang. Die Schrift ist verblasst, genauso der Farbanstrich an der Außenfassade. Das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert knarzt und bröckelt unter der Last der Zeit. Die Zimmer sind typisch mexikanisch: gefliester Boden, kurze Betten mit durchgelegenen Matratzen, eine kleine Nasszelle, ein Stuhl, ein Spiegel. Viel mehr gibt es meist in der unteren Preisklasse nicht (200 – 250 Mex$).

Über mir, an der porösen Decke, surrt seit Stunden unablässig der Ventilator. Er bringt etwas „frischen Wind“ in die stehende Luft. Irgendwo von der Straße erklingt Mariachi-Musik – Sinnbild mexikanischer Volkskultur. Überall erklingt sie tagtäglich in den Straßen. Erst vor 2 Tagen haben wir in den Straßen tanzend den Palmsonntag bei mitreißender Musik in die Nacht ausklingen lassen. Auf der Fiesta tanzten groß und klein, alt und jung, arm und reich. Für ein paar Stunden lies sich so der – oft harte – Alltag vergessen. Ausgelassen, unverkrampft, wunderbar war dieser Abend.
Die Songs handeln von Freud und Leid, Träumen, Alltagssorgen. Sie erinnern an Vergangenes, Sonne, Strand, Liebe, Glück und Leid. Ich lausche eine Zeit lang dem melancholischen Klang von Trompete und Saiteninstrumenten. Vor meinem Augen verschwimmen die Rotorblätter des Ventilators und bilden ein Rad …

Auf den Tag genau sind wir nun 2 Jahre auf Weltreise. Wo sind die letzten 24 Monate geblieben? Was haben wir die ganze Zeit getan? Unzählige Augenblicke sind in unseren Tagebüchern dokumentiert. Doch was wird darüber hinaus von dieser Reise bleiben, wenn sie einmal endet?

So viele Begegnungen, Überraschungen, Herausforderungen, Unsicherheiten aber auch Triumphgefühle haben wir bisher erlebt. Das Reisen mit dem Rad, abseits des „Buchbaren“, ist eine einzige große Wundertüte. Jeder Tag ist ein neues Abenteuer mit unvorhersehbaren Begegnungen, nicht exakt planbarem Ausgang. Die einmalige Schönheit der Natur und die Freiheit selbstbestimmt zu reisen, machen noch immer große Lust und großen Spaß, sind unser Antrieb, unsere Batterie.
Das Zusammentreffen mit dem alltäglichen, dem ungeschminkten Leben, die Zerstörung der Natur ist die Kehrseite dieser Medaille. Oft beschäftigt uns die Fragen des einsetzenden Klimawandels, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich u.v.m. Wenn man dies alles hautnah sieht und erlebt, möchte man fast resignieren oder auf eine gute Fee hoffen, die alles richtet. Doch die Zeiten, in denen das Wünschen geholfen hat, sind ja vorbei, oder?

Beim Blick zurück erscheint uns das Erlebte gelegentlich fast surreal. Waren wir wirklich im Iran? Sind die Reifenspuren auf dem Pamir-Highway von uns? Haben wir den 6.088 m hohen Huayna Potosi bestiegen?

„Oliver, kneif mich mal“, sagt Ria in solchen Momenten. Wir haben uns in Situationen gebracht, vor denen wir vor Reisebeginn gedanklich noch zurückgeschreckt wären. Waren in Ländern, die wir vor 3 Jahren uns nie zu bereisen getraut hätten.

Wir sind ins Unbekannte aufgebrochen, auf Menschen – wann immer es ging – zugegangen und haben uns so die große weite Welt etwas kleiner – begreifbarer – gemacht.
Diese Weltreise ist ein wunderbares Geschenk. Man bekommt viel, wenn man sich traut, loslässt, an seine Grenzen geht und gelegentlich auch darüber hinaus.

MFg – Mit Fahrrad glücklich
Ria & Oliver

PS: Zur “Feier des Tages” ein paar Impressionen aus Mexikos zentralem Hochland

Wundertüte Mexiko

 Guadalajara/Mexiko mexico

Tropische Früchte nach Herzenslust (Markt in Guanajuato)

Mexiko ist eine wahre Wundertüte! Immer für eine Überraschungen gut und bis zum Rand gefüllt mit Tortillas, Mariachi-Musik, Azteken- und Maya-Ruinen, quirligen Märkten, bunten Kolonialstädten und Bilderbuchstränden. Ihrer Einzigartigkeit bewusst sagen die Mexikaner gerne selbst von sich „Mexico es otro mundo – Mexiko ist eine andere Welt!“

Und ganz so falsch ist das nicht. Auch nach über 3 Monaten im Land stehen wir gelegentlich noch mit Fragezeichen in den Augen auf der Straße und staunen über so manche Begebenheit …

Besonders zu Beginn unserer Reise auf der Baja California wirkt Mexiko nach der Zeit in den USA wie eine „andere Welt“. Als wir am 30.11.2014 die Grenze passieren, fühlen wir uns nicht wohl in unserer Haut. Während wir relativ zügig die martialische Sicherheitsbarrikade (schwerbewaffnete Soldaten, Stacheldraht und meterhohe Stahlstreben) passieren, staut sich auf mexikanischer Seite der Strom der Grenzgänger in die andere Richtung. Wer ins „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ will, muss diese demütigende „Grenzerfahrung“ auf sich nehmen. Die Geringschätzung in dieser „besonderen Freundschaft“ zwischen den beiden Nachbarstaaten fängt schon bei der Einreise an.

2.600 km ist die Grenze lang – die einzige direkte auf der Erde zwischen der industrialisierten und der sogenannten „Dritten Welt“. Das sehen wir auf den ersten Metern in Mexiko überdeutlich. Nie zuvor war das „Wohlstandsgefälle“ so drastisch. In den ersten Tagen für uns ein echter Kulturschock. Von der Armut an Überfluss in den Überfluss an Armut.

Unsere erste Nacht in der Grenzstadt Tichuana scheint unsere Sorge vor Kriminalität und Gewalt im Land zu bestätigen. Schüsse reißen uns aus dem Schlaf … Doch das war’s dann auch mit beängstigenden Situationen (abgesehen vom Straßenverkehr). Seitdem rummst es zwar täglich immer irgendwo „mächtig gewaltig“ (frei nach Benny von der Olsenbande) … aber das sind Feuerwerkskörper, die zu jeder sich bieten Gelegenheit von den Mexikanern abgefeuert werden … gerne auch um 5 Uhr morgens.

Schon nach wenigen Tagen im Land fühlen wir uns hier genauso sicher wie anderswo. Lediglich das omnipräsente Militär und die martialisch auftretenden Sondereinheiten machen uns bewusst, dass in Mexiko seit Jahren ein erbittert geführter Drogenkrieg tobt. Mehr als 150.000 Menschen sind bisher in diesem schmutzigen „guerra“ ums Leben gekommen. Wer in diesem Kampf die „Guten“ und die „Bösen“ sind, lässt sich nur schwer sagen. Denn die Profiteure des illegalen Drogenhandels sind nicht allein die kriminellen Drogenkartelle. Auch Politiker, Geschäftsmänner, Militärs und allerlei andere Gestalten haben ihre Finger im Spiel bzw. am Stoff.

Korruption ist weit verbreitet und so wundert es uns nicht, dass man auch die „Pappe“ – also den Führerschein – nicht in der Fahrschule sondern mit Peso-Scheinen „erwirbt“. Was das für die „Fahrkünste“ bedeutet, dazu später mehr.

Zunächst geht es auf der Baja California immer Richtung Süden. Die Landschaft ist teilweise großartig. Malerische Buchten mit schlohweißem Sandstrand und türkisfarbenem Wasser wechseln sich mit riesigen Kakteenwäldern und bizarren Felslandschaften ab. Mit dem Wildzelten ist es nicht immer so einfach. Die Baja präsentiert sich leider oftmals als eingezäuntes Naturparadies.

Die Straßen sind gut asphaltiert aber schmal. Doch der Verkehr hält sich in Grenzen. Dafür haben es die Anstiege in sich. Die bis zu 3.000 m hohe Gebirgskette Sierra de San Pedro Martir sorgt dafür, dass wir Oberschenkel und Waden kräftig spüren. Schnaubend, schnaufend und triefend vor Schweiß kämpfen wir uns in der glühenden Sonne unzählige Höhenmeter hinauf, um gleich darauf in rasanter Abfahrt an den nächsten Anstieg heranzurollen.

In der ärgsten Mittagshitze lassen wir uns im Schatten der Imbissstände die mexikanische Küche aus „T-Vitaminen“ schmecken. Tacos, tortillas, tortas und tamales sind in den ersten Wochen neu und spannend und v.a. „mucho picante“ – sehr scharf :-) Doch mit der Zeit werden uns die Maisfladen mit Fleisch in allen Bezeichnungen etwas fad. Und so freuen wir uns jedes Mal wie kleine Kinder auf die Märkte in den Dörfern und Städten. Hier gibt es alles, was unser Herz begehrt: tropische Früchte, alle erdenklichen Gemüsesorten, Nüsse, Trockenobst und Hülsenfrüchte – und alles stets frisch, schmackhaft und für wenige Pesos. Es riecht nach Erde, frischen Kräutern und Backwaren und dem süßen Duft von Mango, Papaya und Ananas.

Indigenas in bunten Röcken, Blusen und dem rebozo – einem langen, breiten Schulterschal aus Wolle – bieten ihre Waren liebevoll drapiert an. Männer stehen in Gruppen zusammen. Viele tragen die typisch karierten Hemden – gerne weit aufgeknöpft – dazu Jeans, Ledergürtel mit großer Schnalle, Cowboystiefel und den obligatorischen Hut. Der Mann verkörpert noch immer die Autorität, lässt sich nach der Arbeit gerne bedienen, trägt vom Einkauf meist die kleineren Tüten ins Auto und geht lieber cervezas oder posh trinken statt mit den Kindern spielen. Die Ehefrauen sind vollbepackt mit Einkauf und Arbeit und in feste Rollen gezwängt. Ihnen fällt der Haushalt und die Kindererziehung zu.

Dieses klischeehafte, nach außen zur Schau getragene Bild stimmt natürlich nicht immer, aber so sehen wir es doch oft im Alltag. Der Machismo ist noch sehr ausgeprägt.

Von La Paz fahren wir mit der Nachtfähre über den Golf von Kalifornien nach Mazatlan. An Deck bekommen wir keinen Schlaf im Schlafsaal – dafür aber 3 Hollywood-Filme auf Spanisch und in voller Lautstärke :-\

Die Altstadt von Mazatlan mit ihrem karibischen Flair gefällt uns gut. Die bunten Häuserwände, Palmen und Oldtimer erinnern ein wenig an Havanna. Aus den quirligen Gassen ragt im Zentrum die doppeltürmige Kathedrale in den Himmel. Auf der Plazuela Machado proben Studenten der Kunstakademie unter freiem Himmel. Im über 100 Jahre alten „Centro Mercado“ lassen wir uns bei „Claudia“ – einem ganz einfachen Lokal – fantastischen Fisch schmecken (gedünstet in Alufolie und gewürzt mit Zwiebeln, Tomaten, Kapern, Pfeffer und Käse).

Von Mazatlan geht es über das entspannt-verschlafene Fischerdorf San Blas nach Guadalajara.

Das Reisen in Mexiko ist einfach. Die Menschen sind freundlich aber distanziert und zumindest auf der Cuota lässt es sich auch ganz entspannt fahren, weil wir den Seitenstreifen für uns haben. Auf den schmalen, mit Verkehr vollgestopften Nebenstraßen (oftmals in schlechtem Zustand), wird das Radeln dagegen zum Thriller und die Einfahrt in größere Städte mit katastrophal zerfledderten Seitenrädern zum „Mega-Thriller“. Aus dem „handbreiten“ Abstand der Argentinier machen die Mexikaner „haarbreit“. Regelmäßig rutscht uns das Herz in die Hose und nur mit Mühe und unter lautstarkem Fluchen können wir es wieder hervorholen. Natürlich sind nicht alle Autofahrer hier so, aber ein „Depperter“ reicht ja für’s Unglück!

So beschließen wir nach Puebla wieder die Cuota zu nutzen – auch wenn hier Radfahren verboten ist. Auf der Mautstraße kommen wir uns teilweise vor wie die Sonntagsradler zu Zeiten der Ölkrise 1973. Kaum ein Pkw oder Bus nutzen die fein asphaltierte, aber teure Straße. Und so genießen wir die freie Fahrt für freie Radnomaden.

A propos “Freie Fahrt für Radfahrer”. Die gibt es sonntags in einigen mexikanischen Großstädten tatsächlich. Dann sind die Straßen voller Radfahrer, Skater und Läufer. So schlängeln wir uns in Mexiko-City (im Großraum leben 25 Millionen Menschen!!) mit unseren vollbepackten Rädern zwischen tausenden Freizeitsportlern relativ entspannt in die größte Metropolregion der Welt. Auf einem Tausendstel der gesamten Landesfläche! verkehren hier 60% aller Verkehrs- und Transportmittel Mexikos … aber das ist eine andere Geschichte und vielleicht Thema im nächsten Artikel.

 

„Winterwonderland“ (9)

Sequoia Nationalpark / Kalifornien usa

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Das letzte Highlight unserer 9-tägigen Reise durch den Südwesten der USA ist im wahrsten Sinne des Wortes „high“. Im Sequoia Nationalpark wachsen Riesenmammutbäume. In endlosen Kehren geht es auf einer grandios geführten Höhenstraße durch den Nationalpark bis auf 2.000 m Höhe.
Vor 24 Stunden rieselten noch Salzkristalle im heißen Death Valley durch unsere Hände, jetzt knarzen Eiskristalle unter unseren Sohlen. Verrückte Welt!
Auf dem Big Trees Trail stapfen wir entlang einer Lichtung durch tiefen Schnee vorbei an Mammutbäumen der Extraklasse. Vor wenigen Tagen sind 30 cm Schnee gefallen. Das meiste der weißen Pracht liegt noch im Park.
Die dunkelgrünen Nadeln und die orangebraune bis dunkel rotbraune Rinde bilden zusammen mit dem Weiß des Schnees ein wunderschöne Szenerie. Unvorstellbar, was diese Riesen schon alles „gesehen“ haben. Ich lehne mich an die weiche, faserige Rinde eines Sequoias und versuche mir vorzustellen, was er in seinem 2.000-jährigen Lebenszyklus wohl alles schon erlebt hat …
Zum Abschluss dieses wunderschönen letzten Rundreise-Tages geht es zum General Sherman Tree. Der Baum gilt als das größte Lebewesen der Welt. 84 m hoch ragt seine Krone in den tiefblauen Himmel. Sein jährliches zusätzliches Wachstum entspricht der Holzmenge eines „normalen“ Baumes von 20 m Höhe! Am Boden beträgt sein Durchmesser 10 m. Bis zu 3.500 Jahre alt können die Riesensequoias werden. Mit 2.000 – 2.500 Jahren ist der General Sherman Tree gerade in den „besten Jahren“.
Mit einem gemeinsamen Foto am Fuße des Mammutbaumes nehmen wir Abschied von den Urzeitriesen und einer grandiosen Reise durch einige der spektakulärsten Landschaften Nordamerikas. Es war ein unvergesslich-schöne Zeit.

Am Tiefpunkt unserer Reise (8)

Death Valley/ Kalifornien usa

Zabriskie Point

Sechseckig zeichnen sich die Strukturen der flachen Salzpfanne in den ersten Sonnenstrahlen des Tages ab. An vielen Stellen ist die dicke Salzkruste aufgebrochen. Gleißend weiße Salzkristalle kontrastieren mit der dunklen Sandschicht, die sich über den Grund des einstigen Sees gelegt hat.
Vor 3.000 Jahren schimmerte an dieser Stelle einmal die Wasseroberfläche eines bis zu 200 m tiefen Sees. Alles was nach dessen Austrocknen blieb ist diese riesige Salzfläche. Wir stehen am Badwater Point – mit 85,5 m unter Meeresniveau dem tiefsten Punkt des nordamerikanischen Festlandes und auch unserer Weltreise.
Auf der Fahrt hierher und später am Tag wieder hinaus durchqueren wir scheinbar endlose Einsamkeit. Bis zu 3.400 m hohe Gebirgszüge mit sagenhaften Formationen bilden die Grenze des Blickfeldes links und rechts der Straße. Es sind die Panamint Mountains im Westen und Amargosa Range im Osten, die die Niederschläge fern halten und das Tal des Todes zu einem der trockensten Gebiete der Erde machen. Im Sommer wird es hier glühend heiß. Uns reichen schon die 35°C in der Sonne zur Mittagszeit. Auf dem Weg durch den farbenprächtigen Golden Canyon laufen uns die Schweißperlen. Kein laues Lüftchen kühlt den nassen Film auf der Haut.
Erst auf dem Zabriskie Point gibt es kühlenden Wind. Die bizarre Erosionslandschaft ist wiederum einzigartig und völlig anders zu dem bisher gesehenen.
Auf der Fahrt aus dem Tal hat Sparky kräftig zu kämpfen. Mehrere Höhenzüge von 1.500 m und mehr „stellen“ sich ihm in den Weg. Als wir das Tal in der Mojave Wüste gen Westen verlassen steht die Sonne schon tief. Im sanften Abendlicht passieren wir die Mesquite Sand Dunes, die u.a. in Star Wars als Wüstenkulisse verwendet wurden. Dann geht es endgültig aus dem Death Valley.

Groß, größer – Grand Canyon (7)

Grand Canyon / Arizona usa

Northrim - Grand Canyon

450 km lang erstreckt sich die Schlucht des Grand Canyon im Norden des Bundesstaates Arizona. Rostrot klafft ein riesiger Riss im Colorado Plateau. Bis zu 30 km breit an manchen Stellen. 1.800 m fallen die schwindelerregenden Wände der Schlucht ab. 10 x würde der Kölner Dom übereinandergestapelt hier reinpassen bevor die oberste Spitze aus der Schlucht schaut!
Doch was sagen schon Zahlen. Überwältigt stehen wir am Mather Point. Die Dimensionen dieses weltberühmten Naturphänomens überwältigen schlichtweg Auge und Verstand. Schon wieder kommen wir aus dem Staunen und Schauen nicht heraus. Die vielfältigen Formationen und Farben, Türme und Zacken in den zahllosen Schichtenabfolgen tun ihr Übriges. Zu Recht zählt der Grand Canyon zu den Naturwundern unserer Erde.
Am liebsten würden wir uns mit der grandiosen Aussicht nicht zufrieden geben und in den Grand Canyon wandern. Doch dafür reicht heute die Zeit nicht mehr. Außerdem zieht ein Schneesturm heran. Auf dem Aussichtspunkt wird es rasch bitter kalt. Wir ziehen uns Mützen über und Handschuhe an. Bevor die weiße Wand das Gebiet mit einer „Zuckerschicht“ überzieht machen wir ein letztes Foto auf einem Felsvorsprung. Im Rücken die majestätische Schlucht des Grand Canyon und ganz, ganz tief unten der Colorado River.
Kurz war der Besuch, doch intensiv. Während sich Sparky durch den Schneesturm kämpft tauen wir im Auto langsam wieder auf. Die heutige Fahrt wird noch lang. Denn wir wollen es bis zum …. Ach, lest doch einfach selbst im nächsten Artikel, welches unser nächstes Ziel ist.

Wunderwelt der Farben und Formationen (6)

Bryce Canyon / Utah usa180 Grad Blick in den Bryce-Canyon

Am Bryce Canyon übertrifft sich „Meister Natur“ mal wieder selber. In den vergangen Tagen haben wir ja schon einige „Kunstwerke“ erlebt. Doch als wir am späten Nachmittag am Sunset Point stehen und über die spektakuläre Landschaft blicken, kommen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Las Vegas war beeindruckend, doch was in Jahrmillionen Sonne, Wind und Regen aus diesem Flecken Erde geschaffen haben ist tausend mal besser – wunderbar, berührend.

Überall ragen farbige Felspyramiden aus dem Canyon auf. Wir lassen unserer Fantasie freien Lauf und entdecken jede Menge Fabelwesen. Scheinbar endlos erstrecken sich die bizarr-skurrilen Formationen. Über die Oberfläche ziehen sich parallele Wellen aus hell-orangem Sandstein. Als ob sie auf unsere Ankunft gewartet hätte, kämpft sich die Abendsonne doch noch durch das dichte Wolkenband und taucht den Bryce Canyon kurze Zeit in ein warmes Licht.

In der Ferne erstreckt sich das Paunsaugunt Plateaus. Riesige Wolkenformationen ziehen über die weite Hochebene. Ihre Färbung verheißt nichts gutes. Auf 2.700 m Höhe ist es bereits deutlich kälter als noch im Zion Canyon (1.200 über N.N.). Außerdem frischt der Wind kräftig auf. So verschieben wir unsere Wanderung auf morgen früh.

In der Nacht kühlt es noch mal deutlich ab. Leichter Schneefall setzt ein. Am Morgen ist eine Eisschicht auf dem Außenzelt. Gut, dass wir unsere warmen Daunenschlafsäcke haben.

Nach einer wohltuenden heißen Dusche frühstücken wir mit den ersten Sonnenstrahlen des Tages. Danach geht es zu Fuß mitten hinein in das geologische Felslabyrinth. Wir haben einen Riesenspaß zwischen all’ den Kobolden, Gnomen und Pilzen. Keine Sandsteindorn gleicht der anderen. Wild und ungezügelt hat die Erosion sich hier hinein „gefräst“.

Als wir am späten Vormittag etwas außer Atem den steilen Pfad hinauf bewältigt haben, ist es schon wieder angenehm warm. Doch das Sommerwetter hält nur kurz an. Keine Stunde später kämpft sich „Sparky“ durch einen kräftigen Schneesturm. Die Sicht beträgt teilweise keine 50 m. Hier oben wechselt das Wetter schnell. Gut, dass wir jetzt nicht auf dem Rad sitzen …

Im „vergoldeten Heiligtum” (5)

Gewaltige steile Wände aus Sandstein im Zion Nationalpark

Zion Nationalpark/ Utah usa

Kilometerlang zieht sich der Zion Canyon durch eine schluchtenartige Landschaft. Seinen Namen bekam er von mormonischen Siedlern. Zion ist ein hebräisches Wort und bedeutet so viel wie „Heiligtum“ oder „Zufluchtsort“.

Tief eingeschnitten schlängelt sich das Flussbett des Virgin River durch das immer enger werdende, üppige Tal. Gewaltige Sandsteinwände in allen Rot- und Brauntönen ragen links und rechts des „Scenic Drive“ auf. Bis 600 m sind sie hoch und fallen fast senkrecht ab. Zur Zeit führt der Fluss nur wenig Wasser. Doch nach starken Regenfällen in der Umgebung verwandelt sich der Virgin River in einen reißenden Strom, der immer wieder schwere Schäden anrichtet.

Nach 40 min. erreicht der Shuttle Bus das Ende des „Scenic Drive“. Auf dem Riverside Walk laufen wir so weit bis zwischen Felsen und Virgin River kein Platz mehr bleibt. Das Herbstlauf leuchtet golden auch wenn heute mal nicht die Sonne scheint. Rot-gelbe Blätter treiben auf der Wasseroberfläche des Flusses. Die Luft riecht würzig.

Nach einem schnell eingenommen Mittagessen (es ist kühl und in der Touri-Info dürfen wir nicht essen) geht es wieder in die „schnellste Hutschachtel der Welt“ und mit Vollgas in den äußersten Südwesten Utahs.

„Truthahn satt“ und ein „Schuss Polemik“

San Diego / USA usa
27.11.2014

P1080104Jeden vierten Donnerstag im November wird Thanksgiving in den USA gefeiert. Wie Erntedankfeste in aller Welt preist auch die amerikanische Nationalfeier die Gaben der Natur. Und traditioneller Weise kommt dabei der Truthahn auf den Tisch. 45 Millionen von Ihnen landen jedes Jahr in der Bratröhre.

Und zu keiner anderen Jahreszeit sind so viele US-Bürger unterwegs wie am langen Thanksgiving-Wochende. Fast 50 Millionen rollen kreuz und quer durchs Land zur Familienfeier. Um ihr Wochenende zu verlängern, nehmen sich viele Arbeitnehmer die Tage vorher frei. Auch „unser“ vierspuriger Highway – HWY 1 – ist am Vortag mit einer schier endlosen Blechlawine brechend voll. Während sich die ps-starken Boliden im Schneckentempo vorwärts bewegen, sausen wir mit Rückenwind auf dem Seitenstreifen Richtung San Diego :-)

In der zweitgrößten Stadt Kaliforniens haben wir von Victoria und Judd eine Einladung zu Thanksgiving erhalten. Gemeinsam mit Familie und Freunden begehen wir das amerikanische Erntedankfest. Nach einem kurzen Gebet wünschen wir uns alle „Happy Thanksgiving“ und rücken mit Gabel und Messer bewaffnet dem gewaltigen Truthahn (20 Pfund) zu Leibe. Der Turkey schmeckt ausgezeichnet. Dazu gibt es mashed potatoes (Kartoffelbrei), Bohnen-Pilzgemüse mit getrockneten Zwiebeln, cranberry marmelade (Moosbeerenmarmelade), verschiedenes Gemüse, Salat, allerlei Dressing, Dips und Snacks.
Kaum ist der Hauptgang verspeist geht es auch schon ans Dessert. Es gibt Appel-(Apfel-), Rasperry- (Himbeer-) und Pumpkin pie (Kürbiskuchen), Frucht-Cremetorte und Tiramisu. Nach 2 Stunden Völlerei sind wir satt und kugelrund. Zwei weitere Tage werden wir bei unseren Gastgebern noch bleiben und wir sind sicher, auch danach ist noch jede Menge übrig vom Festtagsmahl …

Spätestens ab Anfang Dezember beginnt für die Amerikaner nun die holiday season, die Vorweihnachtszeit. Seit Oktober sind die Regale voll mit Weihnachts-Kitsch und spätestens seit Mitte November hören wir „Jingle Bells“ rauf und runter in den Supermärkten. Die „Tempel des Konsums“ findet man auch noch im kleinsten Nest. Walmart & Co. kann man nicht verfehlen. Überall stehen sie an den Ein- und Ausfallstraßen. Riesige Parkplätze garantieren, dass jeder mit seinem Wagen vorfahren kann. Und wer fußlahm oder übergewichtig ist, steigt am Eingang auf den Elektro-Shopper um. Fast so gut wie Autoscooter, nur das man nicht rammen darf ;-)

Uns kostet der Einkauf stets mehr Zeit als geplant. Mit unserem Einkaufswagen kämpfen wir uns vorbei an allerlei Aufstellern, ausbremsenden Sonderposten und mannshohen Preisschildern. Weiter führt uns der Weg vorbei an Regalkilometern voll von Junkfood, chips, crackers, donuts, cakes, cookies, dips und genetisch manipulierter Nahrung. Beim Blick auf das „Kleingedruckte“ fragen wir uns gelegentlich, ob die Verpackung gesünder als der Inhalt ist … 20 und mehr „Zutaten“ bei industriell hergestellten Lebensmitteln sind keine Seltenheit und zur Identifizierung der Inhaltsstoffe wäre ein Chemiestudium sicherlich sehr hilfreich. Trotzdem steht nicht immer drauf was drin ist. Dass konventionelle Milch neben Kalzium und Vitamin A auch Wachstumshormone und Antibiotika enthält, muss man wissen. Vielleicht sind wir deswegen so selten krank in den letzten Monaten geworden ….

Natürlich gibt es auch Organic Food, doch dafür muss man tief, sehr tief in die Tasche greifen. Einmal entdecken wir in einem Supermarkt die Aufschrift „Natural Food“ – wie bezeichnend.

Besonders gut gefüllt sind meistens die Tiefkühltruhen und -schränke. Es gibt Eiscreme ohne Ende (in abnorm großen Containern) und alle möglichen Fertigmahlzeiten. Kein Wunder, gilt doch bei Amerikanern schon das Erwärmen einer Tiefkühlpizza als Kochen …

Farbenprächtig auch die Welt der Limonaden. Das zuckersüße Sprudel- und Brausewasser füllt mindestens einen Supermarktkorridor. Bunt ist die Auswahl, schädlich der Inhalt. Letztendlich ist es immer verflüssigter Zucker oder genetisch veränderter Kornsirup.

Wohin der moderne „american way of life“ führt, können wir jeden Tag auf’s Neue sehen. Überall im Straßenbild laufen – oder besser schleppen sich – übergewichtige Menschen herum. Zu viel Zucker, zu viel Salz, zu viele Kohlenhydrate und zu viele Extras haben sie dick und krank gemacht. Das Prinzip mehr ist besser, funktioniert noch immer und überall wird zum Mehrkauf angeregt. Wer gleich 3 Tiefkühlpizzen oder die extrag-große Familienpackung Chips nimmt, kriegt mehr für sein Geld. An den Anblick der „lebenden Fleischberge“ können wir uns auch nach 4 Monaten im Land nicht gewöhnen. Es macht uns traurig und wütend.

Und die unzähligen Fast Food „Lokale“ verdienen sich an den „menschlichen Müllhalden“ dumm und dämlich. Für 100 Milliarden US-Dollar verzehren alle US-Bürger zusammen Fastfood pro Jahr. Nicht einmal für Autos oder für das Studium ihrer Kindern geben die Amerikaner so viel Geld aus wie für Doppel-Whopper und Happy Meals. Noch immer stehen Mc Doof & Co. hoch im Kurs. In dichter Reihenfolge besetzen sie die Hauptverkehrsstraßen. Auf unserer Reise entlang der Westküste können wir in den Städten kaum sagen, ob wir nun in Oxnard oder Monterey sind. Die immergleichen Stripmalls mit ihrem immergleichen Ketten-Mix gleichen wie ein Ei dem anderen.

Damit der „Kunde König“ beim Bestellen von Fritten und Hot Dogs nicht zu viele Kalorien verbrennt, bietet praktisch jeder Fast-Food Chain sogenannte Drive-Through’s an. So muss der eilige Gast für die Labber-Pappe zwischen den Kiemen nicht die Fahrgastzelle verlassen und auch die Müllentsorgung gelingt dank verlängertem Einwurf-Arm am Container ohne schweißtreibenden Ausstieg.

Na dann Prost Mahlzeit!