Marand / Iran
105. Reisetag
2.990 km / hm
Als wir am Donnerstag die türkisch-iranische Grenze erreichen, schlägt unser Puls doch deutlich schneller als bei den bisherigen Grenzübertritten. Vor einem mächtigen Eisentor, umgeben von hohen Zäunen mit Stacheldraht warten wir auf unseren Eintritt in die Islamische Republik. Übergroß blicken die „Revolutionsführer“ des Landes, Ayatollah Khomeini und Ayatollah Khamenei, von einem Plakat auf uns herab. Der Iran ist das einzige Land der Welt, in dem der schiitische Islam laut Verfassung Staatsreligion ist.
Nach wenigen Minuten öffnet sich das Tor und ein „aufmerksamer“ Guide begleitet uns durch die Grenzformalitäten. Nachdem unsere Pässe kontrolliert und abgestempelt sind, will man zunächst unser Gepäck sehen, verzichtet dann jedoch darauf. Ohne größere Probleme passieren wir nach weniger als 1 Stunde die letzte Schleuse. Vor wenigen Tagen kaum denkbar , fahren wir nun unsere ersten Kilometer auf iranischem Asphalt.
In der Stadt Maku wollen wir übernachten. Uns spricht ein freundlicher Deutsch-Dolmetscher aus Teheran an. Wieder einmal kommt unverhofft Hilfe, wenn wir sie benötigen. Gerade hatten wir vergeblich nach einer Wechselstube und einem Hotel Ausschau gehalten. Mit Pouryas Hilfe geht alles im Handumdrehen.
In den folgenden 2 Tagen fahren wir auf glattem Asphalt durch die Provinzen West- und Ost-Azerbeijan. Die wirtschaftliche Grundlage ist hier noch weitgehend die Land- und Viehwirtschaft. In ausgedehnte Becken und Tälern werden vor allem Sonnenblumen gepflanzt. Zahlreiche Schaf- und Kuhherden grasen die ausgetrockenen Weiden ab. Die Hochebenen sind steppenartig. Sandhosen wirbeln die staubtrockene Erde auf. Alle Flüsse sind ausgetrocknet, die Erdkruste ist in der Hitze aufgebrochen.
Der Lkw-Verkehr hat gegenüber den letzten Kilometern in der Türkei wieder deutlich zugenommen. Meist haben wir jedoch ein gut befahrbaren Seitenstreifen. Lediglich die waghalsigen Überholmanöver und das lautstarke, enthusiastische Hupen der Iraner lassen uns gelegentlich zusammenzucken. Nahezu jeder zweite Fahrer grüßt uns mit Licht- oder Signalhupe oder einem langgezogenen „Hellou!“. Wir fühlen uns von Anfang an im Land willkommen. Das in den Medien oft gezeichnete Bild eines sich abschottenden radikal-islamischen, „mittelalterlichen“ Staates können wir in den ersten Tagen nicht sehen. Freundlich winkend rufen uns die Menschen „Salam!“ (Hallo!) zu, immer wieder werden wir aufgefordert doch kurz anzuhalten.
Dennoch ist das Reisen im Iran für uns nicht so unbeschwert wie noch in der Türkei. Zwar erwartet der iranische Staat nicht (und erst recht nicht die Iraner), dass wir (Touristen) uns komplett dem koranischen Moralkodex unterwerfen. Einige „Benimmregeln“ müssen wir dennoch einhalten. Ab sofort hat Ria in der Öffentlichkeit ihr Haar mit einem Kopftuch zu bedecken und Oberbekleidung zu tragen, die die Körperformen nicht betont. Diese Regel ist nicht nur gewöhnungsbedürftig, bei 45°C in der Sonne ist sie auch lästig. Für mich (Oliver) ist die Kleiderordnung weniger restriktiv. Ärmellose Hemden oder T-Shirts werden nicht so gerne gesehen, aber ich kann sie tragen. Kurze Hosen sind tabu. Bei der intensiven Sonne sowieso keine gute Idee.
Hinzu kommt, dass wir mitten im Ramadan das Land bereisen. Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang ist den Muslimen jegliche Nahrungsaufnahme und Trinken verboten. Für Touristen und Reisende gilt diese Vorschrift nicht. Um die religiösen Gefühle der Iraner nicht zu verletzen, nehmen wir „Festes“ jedoch nur noch abseits der Hauptstraße und sichtgeschützt ein. Die Flüssigkeitszufuhr regeln wir diskret am Straßenrand.
Auch sprachlich müssen wir uns „umstellen“. Die offizielle Staats- und Verwaltungssprache Irans ist Persisch (Farsi). Bis auf die Zahlen sind die Zeichen für uns ein „Buch mit 7 Siegeln“. Glücklicherweise stehen alle Ortsangaben auch in Englisch auf den Straßenschildern. Und auch unsere Türkisch-Kenntnisse können wir noch anwenden. Im Nordwesten Irans (Azerbeijan), wird Azeri-Türkisch gesprochen, das dem Türkischen ähnlich ist.
Kurz vor Marand treffen wir Akbar, Sportsmann durch und durch und immerzu lächelnd. In seiner Freizeit wartet er am Straßenrand auf Reiseradler, schenkt ihnen Erfrischungsgetränke und macht zur Erinnerung Fotos, die er in sein Album klebt. Gemeinsam fahren wir durch den chaotischen Stadtverkehr Marands zu Akbars Freund Eslam. Im Haus seiner Eltern verbringen wir 2 wunderbare Tage und Abende.
Was uns als erstes auffällt: das große Interesse, die Unbefangenheit und die überwältigende Freundlichkeit, die uns von allen Familienmitgliedern entgegengebracht wird. Wie schon in der Türkei beschenkt man uns mit Herzlichkeit, die uns tief berührt und nur schwer in Worte zu fassen ist.
Am ersten Abend sitzen wir gemeinsam mit Delara und Ghorban, Eslams Eltern, auf Perserteppichen im Wohnzimmer und machen es uns zwischen zahlreichen Kissen gemütlich. In der Mitte stehen bereits Essen und Trinken. Wie bei uns an Silvester blicken wir gespannt auf die eingeblendete Uhr im iranischen Fernsehen, die die letzten Minuten bis Sonnenuntergang anzeigt. Kurz nach 21 Uhr ist es endlich soweit. Das Fasten darf gebrochen werden. Über 16 Stunden haben Delara und Ghorban keinen Schluck getrunken und nichts gegessen. Nach einem kurzen Gebet beginnt das gemeinsame Abendmahl. Als es bereits nach Mitternacht ist machen wir uns alle auf den Weg in einen Art Vergnügungspark. Wie viele andere Familien breiten wir unsere Decke auf dem Rasen aus und essen zum Abschluss des Tages eine große Wassermelone.
Nach einer Mütze Schlaf fahren wir am nächsten Tag mit Eslam nach Jolfa nördlich von Marand. Extra für uns hat er sich einen Tag frei genommen. Die Grenzstadt zwischen Iran und Aserbaidschan ist eine Sonderwirtschaftszone in der Armenier, Aserbaidschaner, Russen und Iraner günstig einkaufen können. Wir schlendern ein wenig über den Markt und kaufen Süßigkeiten für die Kinder und Obst für uns. Von Jolfa aus fahren wir entlang des Flusses Aras, der hier die aserbaidschanisch-iranische Grenze bildet. Durch ein beeindruckendes Tal geht es zum Kloster des heiligen Stephanos. Die Straße windet sich entlang schroffer rötlicher Felsen, vorbei an Überresten einer alten Karawanserei und einer Kirche. In der malerischen Umgebung, an einem Berghang gelegen, beeindruckt die Klosteranlage schon von weitem. Eingefasst von einer mächtigen Wehrmauer aus Bruchsteinen verbirgt sich im Innenhof ein armenische Kirche mit schönen Reiterbildern und Ornamenten an der Außenfassade. Wir streifen zu Dritt durch die Anlage und ruhen uns anschließend im Schatten alter Bäume aus.
Am Abend sind wir zu Gast bei Sarah, Sinar, Hamide und Mohammed. Der Kontakt hatte sich spontan am Abend zuvor ergeben. Kaum schließt sich die Tür des Hauses fliegen die Kopftücher von den Köpfen. Das ist das zweite was uns auffällt: der deutliche Unterschied zwischen öffentlicher und private Sphäre. In der Öffentlichkeit – und das meint im Iran außerhalb der eigenen 4 Wände – gilt die Kopftuchpflicht. Innerhalb der eigenen Wohnung ist man jedoch frei. Ausgelassen und ungezwungen sprechen wir über alles, was uns interessiert und bewegt und essen gemeinsam im Innenhof Abendbrot. Als Vorspeise gibt es orientalisch schmeckende Suppe mit Graupen und getrockneten süßen Beeren. Anschließend essen wir gekochten Reis (polo) mit Bohnen und zartem Schaffleisch in einer Fleischsoße (khoresht). Dazu gibt es eine minzeartige Limonade und selbstgemachten Kirschsaft, jede Menge frisches Obst und Tee. Die wenigen Stunden vergehen wie im Flug. Zu gerne würde uns die Familie über Nacht bei sich behalten. Da wir jedoch unseren Ausflug nach Teheran vorbereiten wollen müssen wir leider ablehnen. Herzlich verabschieden wir uns voneinander.
Den heutigen Tag haben wir mit Vorbereitungen, Ticket kaufen und Ruhen verbracht. In gut 2 Stunden besteigen wir den Nachtbus nach Teheran. Knapp 800 km sind es in die Hauptstadt Irans. Dort bekommen wir hoffentlich problemlos unser Visum für Turkmenistan. Unsere Räder und unser Gepäck lassen wir solange bei Eslam in Marand. Nach unserer Rückkehr geht es weiter Richtung Kaspisches Meer.