Salta / Argentinien
414. Reisetag
13.320 km, 79.706 hm
Über 2.000 km sind wir nun schon in Argentinien gefahren und haben doch nur einen Bruchteil des Landes gesehen. Das Land ist das achtgrößte der Erde. Die Nord- Südausdehnungen beträgt 3.700 km, etwa so viel als würde man von Kopenhagen bis nach Ägypten fahren.
Entlang der Anden, die sich wie ein Rückgrat durch das gesamte Land ziehen fahren wir von Mendoza im Nordwesten immer gen Norden. Zunächst auf der legendären Ruta 40 später auf anderen Nationalstraßen geht es durch 8 Provinzen. Wettertechnisch ist in dieser Zeit alles dabei: Sonne, Wind und Regen. Da es keine Gebirgszüge gibt, die in Ost-West-Richtung verlaufen, haben wir besonders in der ersten Woche mit starkem Wind zu kämpfen der ungebremst über die Ebenen fegt und beständig gegen Nachmittag zunimmt. In den Provinzen Tucumán und Salta wird’s dann nass-kalt. Doch dazu später mehr.
Besonders in Tucumán, Catmarca und La Rioja ist die Armut sicht- und spürbar. Die Provinzen gehören zu den ärmsten des Landes. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, Saisonarbeit häufig. Die Provinzen leben vor allem von der Agrarwirtschaft. Zuckerrohr, Wein, Oliven, Nüsse, Obst- und Gemüse werden angebaut. Die Infrastruktur ist marode, viele Autos echte Oldimer.
Es herrscht eine merkwürdige Lethargie im Land, die sich nur schwer in Worte fassen lässt.
Argentinien wurden von seinen Präsidenten in den letzten 20 Jahren verhökert (Wasserwerke, Telefon-, Flug- und Ölgesellschaften). Die erhofften Arbeitsplätze entstanden nicht. Heute hat Argentinien offiziell 10 % Arbeitslosigkeit. Dann kam die Währungskrise 2001, die das Land rasant verarmen ließ. Der Peso verlor innerhalb weniger Monate 70 % seiner Kaufkraft. Seitdem scheint das Land nur schwer wieder auf die Beine zu kommen. Heute ist Argentinien eines der am hoch verschuldetsten Länder der Welt. 20 % leben unterhalb der Armutsgrenze. Und jetzt erneut Inflation (30 %/Jahr!), sprunghafte Preise bei den Grundnahrungsmitteln. Wer kann flüchtet in den Dollar. Wir bekommen ihn in keiner Bank.
Vor allem in den Siedlungen am Rande der Provinzhauptstädte wird die Armut offensichtlich. Lehmhütten, die aussehen als würde sie der nächste Regen wegspülen, Behausungen aus Wellblech und Planen. Kinder die keine Schuhe tragen. Menschen, die auf Parkbänken leben. Im Regen wirkt die Szenerie noch trister und trostloser.
Viele Menschen versuchen sich mit kleinen „Jobs“ über Wasser zu halten, als Autowäscher, Schuhputzer, mit selbstgemachten Empanadas, Cremes, Souvenirs, als Fahnen- oder Zuckerwatteverkäufer.
Auch nach 8 Wochen im Land sind wir immer noch dabei Argentinien zu verstehen, bleibt uns vieles ein Rätsel. Irgendwo zwischen Melancholie und Leidenschaft trifft es wohl ganz gut. Fahren wir durch die immer gleich verschlafenen, staubigen Orte mit den gleichen Plätzen und Straßennamen erscheinen uns die Argentinier eher reserviert. Sicher, es wird gegrüßt, geschaut. Aber alles eher verhalten, keinesfalls „südamerikanisch“. Irgendwie liegt etwas Schwermütiges in der Luft, scheint die Zeit still zu stehen. Gleichzeitig wird diese Schwermut regelmäßig durchbrochen. Wer einen fahrbaren Untersatz hat lässt es „krachen“. Die bemitleidenswerten Motoren der meist betagten Fahrzeuge werden auf höchste Drehzahlen getrieben. In den Gassen bellen Hunde sich heiser und die knarzende Musikanlage mit Latinorythmen beglückt die ganze Straße. Über all dem Lärm blättert an vielen Fassaden der Glanz aus besseren Zeiten ab. Das Land steckt – wieder mal – in einer Finanz- und Wirtschaftskrise. Das ermüdet die Menschen. Kommt man aber mal ins Gespräch hellen sich die Mienen auf. Und dann kann der Argentinier durchaus lebendig werden und wie ein Wasserfall erzählen. Neugierig werden unsere Gefährte begutachtet. Der Daumen geht nach oben. Erzählen wir dann noch, was wir so treiben, werden wir mit Lob, Schulterklopfen und dem Ausruf „Que Lindo!“ überhäuft. Gefragt oder auch ungefragt postiert man sich um uns herum, bis jeder auf dem Bild mit den Deutschen einmal drauf ist. Herzlich ist die Verabschiedung und man wünscht uns “Suerte” und “Buen viaje” und wir schließen die Argentinier immer fester in unsere Herzen.
Kulinarisch bleiben dagegen so einige „Verdauungsschwierigkeiten“. Jeden Tag Weißbrot, das macht bei uns „viel heiße Luft um/mit nichts“ … und viele Argentinier dick. Neben trockenen Baguettes sind Fleisch und Coca vielfach die „Grundnahrungsmittel“. Für die meisten Argentinier ist es undenkbar täglich nicht Fleisch zu essen. Überall und zu jeder Tageszeit wird Asado zubereitet. Und hier ist der „Mann“ noch „Mann“. Grillen ist Männersache. Claro Macho! Und ohne seinen Mate-Tee kommt der Argentinier auch nur schwer über den Tag. Er wird überall getrunken: im Bus, auf der Tankstelle, beim Zuschauen auf dem Sportplatz, in der Warteschlange oder einfach vor dem Haus. Mate ist der Alltags- und Zaubertrank. Und auch wir lieben es, abends im Zelt den heißen würzig-bitteren Sud durch unsere Bombilla (silbernes Saugröhrchen) zu ziehen und dabei den Tag Revue passieren zu lassen.
Kulinarisch ist die Reise durch Argentinien kein Offenbarungseid. Südostasien hat uns verwöhnt. Doch ein paar Dinge haben unsere Gaumen dennoch lieb gewonnen: Dulce de Leche und Media Luna am Morgen, Empanadas oder eine gut gegrillte, deftig gewürzte Chorizo zwischendurch und Alfajores oder Galettas am Abend. Und das – erste! – Steak heute Mittag war sensationell!
Ein echtes Ärgernis ist für uns die Siesta, die in Argentinien stets strickt und überpünktlich eingehalten wird. Zwischen 13:00 und 16:00, manchmal 17:00 Uhr sind die Läden zu. Das ohnehin schon ruhige Leben wird noch ruhiger oder erlahmt ganz. So wird die Fahrt in den nächsten Ort und zum nächsten Supermarkt oft ein Kampf gegen die Uhr. Mit präziser Teamarbeit – 20 min. Ria vorne, 20 min. ich – schaffen wir es meist noch vor der Siesta … doch eben nicht immer.
Ein viel größeres Ärgernis sind aber die automovilista. Die argentinischen Fahrer bekommen von uns die „Rote Laterne“ was Rücksichtnahme und Fairniss angeht. Allzu viele vertrauen mehr auf die zahlreichen Schutzheiligen statt auf den eigenen Verstand. Die Busfahrer sind dabei am aggressivsten. Immer wieder werden wir haarscharf und mit hoher Geschwindigkeit überholt. Manchmal können wir uns nur mit einem Satz in den Randstreifen in Sicherheit bringen. Aber auch mancher Brummi drängt uns ab. Angepasstes Fahrverhalten bei Nebel und Regen erleben wir so gut wie nie. Viele Pkw-Fahrer überschätzen ihr Können. Unzählige Kreuze und Sterne an den Straßen zeugen davon. Rund 10.000 Argentinier sterben jährlich im Verkehr. Da sind uns die rostigen Oldtimer geradezu sympathisch. Auch wenn manche Karosse so löchrig wie ein Schweizer Käse ist – rasen können die altersschwachen Mühlen nicht mehr.
So kommt zwischen Tucuman und Salta nur selten Fahrspaß auf. Die Route National 9 ist ein Nadelöhr für den gesamten Schwerelastverkehr gen Norden. Der Asphalt ist oft altersschwach und löchrig, die 9 zeitweise nicht breiter als eine Landstraße in Deutschland. Dazu kommt auch noch eine Schlechtwetter-Front. Die vom Flachland aufsteigenden Wolken regnen sich an den Gebirgsschwellen ab. 7 Tage fahren wir in dichtem Nebel und Regen und sehen … fast nichts.
Einen Tag müssen wir komplett im Zelt verbringen. Das Wetter ist zu schlecht, die Sicht praktisch null. Nach einer Woche Wildcampen und Katzenwäsche steigt der olfaktorische Wert gegen 9 von 10 möglichen Punkten. Und so leisten wir uns in Salta endlich wieder eine Unterkunft, genießen die heiße Dusche und den Duft frischer Wäsche. Die Stadt trägt zu Recht den Beinamen „La Linda“ – Die Schöne. Bei strahlendem Sonnenschein streifen wir durch die Altstadt mit vielen prächtigen Kolonialbauten und lassen uns treiben und die Seele baumeln.
Bisheriger Höhepunkt unserer Reise im Nordwesten waren ohne Zweifel die beiden Nationalparks
Ischigualasto und Talampaya, die im Jahr 2000 von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt wurden. Was hier auf einer ca. 1.300 m hohen Hochebene in wüstenhafter Landschaft von der Erosion an skulpturartigen, kuriosen Gesteinsformationen in Jahrmillionen geschaffen wurde ist atemberaubend schön. In den Formationen wurden u.a auch einige der ältesten bekannten Dinosaurierfunde gemacht. Bis zu 230 Millionen Jahre alt sind die Fossilien. Doch faszinierender als jeder Urzeitriese ist für uns die Erhabenheit dieser Orte, das Farben- und Formenspiel der Natur.