Heiße Tage in Westanatolien

Aksaray (900 m.ü.M.) / Türkei turkey
83
. Reisetag
2.000 km / 12.741 hm

P1080603 Schweißperlen laufen über unsere Stirn, wir schwitzen aus allen Poren. Die Sonne scheint unaufhörlich, keine Wolke trübt den Himmel. In den letzten Tagen ist das Profil anspruchsvoller geworden und auch die Temperaturen sind noch einmal deutlich gestiegen. Wir sind in Westanatolien unterwegs. Gegen 09:00 Uhr sind es bereits 34 °C, um die Mittagszeit zeigt das Thermometer 41 °C in der Sonne an. Unser Wasserverbrauch ist auf 7 – 8 Liter pro Tag gestiegen.

Istanbul haben wir vor 8 Tagen verlassen. Mit der Fähre ging es nach Yalova ans Ostufer des Marmarameeres. Eine gute Stunde Zeit, um auf die Stadt am Bosporus zurückzublicken und uns auf die Fortsetzung unserer Reise zu freuen. Der Kontrast auf den ersten Radkilometern könnte kaum größer sein. Eben noch mitten im geschäftigen Leben der Metropole fahren wir nun durch eine landwirtschaftlich geprägte Region. Grüne, kultivierte Täler wechseln sich mit graubraunen Hochlandsteppen und türkisfarbenen Seen ab. Vielfach säumen Olivenhaine unseren Weg. In der fruchtbaren Region gedeihen außerdem Pfirsiche, Tabak, Wein und Zucchinis. Bereits in den frühen Morgenstunden fahren die Bauern mit ihren Traktoren zu den Feldern. In gebückter Haltung und mit Kopftüchern gegen die sengende Sonne geschützt, bearbeiten die Frauen die Äcker.

Am Ostufer des Iznik-Sees bewundern wir im gleichnamigen Ort die fast 5 km lange Wehrmauer, die einst von den Römern errichtet wurde. Berühmt ist Iznik jedoch für seine Fayencen. Die bunten Kacheln zieren zahlreiche osmanische Prachtbauten (z.B. die Blaue Moschee in Istanbul). Im Berlin-Hotel verbringen wir eine ruhige Nacht. Der Name hat uns gelockt. Außerdem spricht die Inhaberin Deutsch, da sie viele Jahre in Berlin-Charlottenburg gelebt hat. Als wir sie auf die Demonstrationen im Land ansprechen macht sie ihrer Wut Luft: Tayyip Erdogan und seine Bande sind Verbrecher, die davon gejagt gehören! Und mit Ihrer Meinung ist sie nicht allein. Jeden Abend ziehen die Einwohner Izniks mit Löffeln und Kochtöpfen „bewaffnet“ durch die Straßen und demonstrieren lautstark gegen die Politik der autoritären Regierung, die das Land durch immer neue Gesetze Stück für Stück islamisiert. Darüber hinaus betreibt die seit 2002 regierende AKP eine radikal neoliberale Wirtschaftspolitik und privatisiert ungebremst Staatseigentum. Junge Türken, mit denen wir offen über die Situation im Land sprechen können, beklagen den Ausverkauf des Landes und die fortwährende Gängelung durch die Regierung. Individuelle Freiheiten werden zunehmend beschnitten. Deshalb gehen sie Abend für Abend auf die Straßen, unerschrocken und unüberhörbar. Die Stimmung ist kämpferisch, alle wollen weitermachen, aber keiner glaubt, dass es schon bald eine Wende geben wird.

So spannungsgeladen derzeit die Auseinandersetzungen auf der Straße sind, das alltägliche Leben scheint seinen gewohnten Gang zu gehen – und das wesentlich entspannter als in Deutschland. Immer wieder mal werden wir „von der Straße weg“ spontan zum Tee oder sogar zum Essen eingeladen. Interessiert fragt man uns nach dem Woher und Wohin und wie uns die Türkei gefällt. Die Verabschiedung ist ebenso herzlich wie die Begrüßung. Mit traditionellen türkischen Küssen auf die Wange oder einem langen Händedruck wünscht man uns eine gute Reise. Obwohl die Verständigung sich mit älteren Türken meist nur auf wenige Worte oder Sätze beschränkt (da kaum jemand Englisch spricht), ist der Umgang mit uns Fremden unverkrampfter und zwangloser als in unserer stärker durchorganisierten Gesellschaft. Die Zuneigung und Gastfreundschaft der Türken machen uns immer wieder sprachlos und erzeugen einen Wärmestrom, der noch schöner ist, als das hochsommerliche Wetter. Stellvertretend für viele Erlebnisse wollen wir von 2 berichten:

So fragen wir z.B. am Iznik-See einen alten Bauern, ob wir eine Nacht auf seinem Feld zelten können. Mit einer einladenden Geste deutet er uns, ihm auf seinem Traktor zu folgen. Nicht weit vom See wohnt er in einfachsten Verhältnissen. Seine Frau ist vor 7 Jahren gestorben, die 3 Kinder sind längst ausgezogen. Nur 2 kleine Hunde leisten ihm noch Gesellschaft. Am Tisch vor seinem Haus trinken wir gemeinsam Çay. Anschließend zeigt er uns einen Zeltplatz direkt am See. Während wir unser Nachtlager aufbauen fährt er noch einmal ins Dorf und holt Ekmek (Brot). Anschließend bekommen wir sein Abendbrot – 2 frisch gefangene Fische in einer leckeren Panade knusprig braun gebraten. Der beste Fisch seit langem. Dazu gibt es Gemüse und Käse. Er selber begnügt sich mit einer Brotscheibe. Wir wollen den Fisch mit ihm teilen, vergebens. Wichtig ist, dass wir satt werden.

Einige Tage später lädt uns in Bözüyük Ender zu sich und seinen Eltern ein. Herzlich werden wir von allen empfangen. Das Wohnzimmer ist für heute unser „Reich“. Natürlich gibt es zunächst wieder reichlich Çay, dieses Mal mit Zitronenstücken – sehr lecker und erfrischend. Wir fühlen uns vom ersten Augenblick an wohl. Nach einer Dusche geht es mit Ender und seinem Freund Onur in ein Gartenlokal außerhalb der Stadt. An einem Fluss sitzen wir in einer parkähnlichen Anlage, essen lecker und verbringen einen ausgelassenen Abend. Bezahlen tut Ender – wir sind schließlich seine Gäste. Uns erstaunt diese uneingeschränkte Großzügigkeit auch nach 2 Wochen Türkei immer noch. Als wir weit nach Mitternacht wieder nach Hause kommen, sind für uns die Betten gemacht, auf dem Tisch stehen Kirschen und Aprikosen zum Naschen. Unsere dreckige Wäsche wurde auch gewaschen. Am nächsten Morgen frühstücken wir alle gemeinsam und schauen uns Bilder der Familien an. Bewegt von soviel Herzlichkeit fällt uns die Weiterfahrt nach Eskişehir schwer. Den Abschied versüßt uns Enders Mutter mit getrockneten Pflaumen und Aprikosen und leckeren Kirschen.

Um dem Knie nicht zuviel zuzumuten, nutzen wir wieder einmal Fern- und Schnellstraße. Die Fahrt auf den „Highways“ ist zwar landschaftlich nicht die schönste, aber die Steigungen sind moderater und auf der Standspur rollt es sich ganz gut.

In Eskişehir legen wir einen Ruhetag ein und kommen bei in einer entspannten 4er WG unter. Wie immer wohnen unsere Gastgeber im obersten Stockwerk – dieses Mal im 5. Aber die Schlepperei lohnt sich. Auch hier haben wir ein riesiges Zimmer ganz für uns. Die Jungs sind aufgeschlossen und bei einem gemeinsamen Efes und netten Gesprächen vergehen die abendlichen Stunden wieder mal viel zu schnell.

Eskişehir, die „alte Stadt“ ist in Wirklichkeit jung und stylisch. Die boomende Universitäts- und Industriestadt hat viele junge Gesichter, große Einkaufscenter und unzählige Läden. An der hübschen Uferpromenade des Porsuk-Flusses schauen wir dem Treiben eine Weile zu und lassen uns anschließend eine große Portion Çig Börek schmecken, knusprig frittierte Teigtaschen, die ein Spezialität Eskişehirs sind. Im Busbahnhof besorgen wir uns in „Nullkommanix“ für 6,50 €/Person ein Ticket nach Ankara. Der Transfer am nächsten Tag verläuft reibungslos. Wir bekommen (wie üblich in türkischen Bussen) Tee, Wasser, Saft und Kekse serviert. Ria darf neben dem Fahrer Platz nehmen und filmen. Die Fahrt führt vorbei an goldgelben Weizenfeldern und kargen Hochebenen, die man aufzuforsten versucht. Ankara selber sehen wir nur vom Bus aus, denn wir wollen noch weiter nach Aksaray. Die Hauptstadt der Türkei macht auf uns den Eindruck einer wild wuchernden Stadt ohne Ausstrahlung. Lange, sechsspurige Straßen führen ins Zentrum, sterile Neubauten prägen das Bild. Jährlich wächst die Stadt um 100.000 Zuwanderer, für die allerorten Wohnblöcke mit 20 und mehr Stockwerken hochgezogen werden.

Der Busbahnhof Ankaras ist riesig. Auf 3 Stockwerken verteilen sich Terminals, größer als die in Tegel. Wir kämpfen uns mit unseren Rädern durch die Menschenmassen auf der Suche nach dem richtigen Ticketschalter. Zwischen all’ den eilenden Reisenden und lautstark ihre Zielankünfte ausrufenden Busfahrern ein ganz anderes Bild: Auf dem Boden sitzen hunderte Männer, die Köpfe nach Mekka geneigt, versunken im Gebet.

Keine halbe Stunde nach unserer Ankunft in Ankara sitzen wir im nächsten Bus. Die Fahrt ins zentralanatolische Hochland führt überwiegend durch weite Eintönigkeit. Nahezu baumlose Steppe trocknet in der Sonne braungebrannt vor sich hin. Auf den goldgelben Feldern gedeiht anspruchsloser Weizen. Die Höhenzüge im Norden und Süden Inneranatoliens sorgen dafür, dass das Herzland der Türkei nur wenig Regen abbekommt. Trotzdem fasziniert uns die Landschaft durch ihre Weite – eine gigantische Ebene auf 800 – 1.200 m, die gelegentlich durch Gebirgsrücken unterbrochen wird. Das Highlight des Tages ist jedoch der Tuz Gölü, mit über 2.000 km² einst der zweitgrößte See der Türkei. In der Sonne schimmert der am Boden mit einer dicken Salzschicht bedeckte, nur 2 m tiefe See in verschiedenen Farbschattierungen. Doch das Farbenspiel täuscht über seinen erbärmlichen Zustand hinweg. Der Tuz Gölu steht durch extensiven Wasserraub für die Landwirtschaft kurz vor dem Exodus und hat heute nur noch ca. 15 % seiner einstigen Ausdehnung.

Am Ortseingang von Aksaray springen wir kurz entschlossen aus dem Bus, um die erste Campingplatz-Nacht auf der Reise zu verbringen. Leider eine „beschissene Idee“, was den Zustand der Sanitäranlagen und die Qualität des Platzes angeht. Zum Glück verbringen wir hier nur eine Nacht.

Morgen steigen wir dann wieder auf unsere Räder, um in die wundersame Welt Kappadokiens zu fahren.