La Quiaca/Argentinien
423. Reisetag
13.725 km / 83.864 hm
Die letzten 400 km in den abgeschiedensten Provinzen Salta und Jujuy sind zwar die härtesten in ganz Argentinien aber auch landschaftlich und kulturell die schönsten während unserer 8 Wochen im Land. Die Andenkette und ihre Vorgebirge im Blick fahren wir durch bunte, fruchtbare Täler mit herbstlich gefärbtem Blattwerk; genießen das Radlerglück auf vielen einsamen Abschnitten der Ruta 9; stehen atemlos vor bizarren Felsformationen, die in allen erdenklichen Erdtönen leuchten; besuchen alte, bunte getupfte Inka- und Kolonialstädtchen, in denen die Indio-Traditionen noch spürbar sind und „hören“ in sternklaren Nächten die absolute Stille, während unser Zelt zwischen 10 m hohen Kandelaber-Kakteen steht.
Zwischen Salta und San Salvador de Jujuy geht es zunächst – völlig unerwartet – durch dichten subtropischen Regenwald. Wir fühlen uns fast nach Südostasien zurückgebeamt. Fast 2 Tage lang begleitet uns ein Korridor aus üppiger Vegetation. Die Ruta 9 ist hier kaum befahren (es gibt einen neueren Abschnitt weiter östlich), so dass wir die malerische, kurvenreiche Strecke entlang der grünen Berghänge fast für uns allein haben. In der Nacht zelten wir wild an der Grenze der beiden Provinzen und lauschen den Klängen des Regenwaldes. Über 300 Vogelarten leben hier. Am Morgen leistet uns ein Kolibri Gesellschaft. Im Baum neben unserem Zelt sucht er nach Blütennektar, während wir unser Honigbrötchen mit heißem Tee genießen.
In San Salvador de Jujuy, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, holen uns dann der Verkehr und das schlechte Wetter wieder ein. Als wir am Morgen des 21.05.14 aufbrechen herrscht zunächst Nebel, der mit jeder Stunde dichter wird und schließlich in heftigen Regen übergeht. Zusätzlich fegt uns aus Norden eine steife Briese die „Gischt“ ins Gesicht. Wir fahren in voller Regenmontur stetig bergauf und sind bei den schlechten Sichtverhältnissen wieder mehr mit dem Verkehr als mit der Landschaft beschäftigt. Die ist hinter der weißen Wand aber eh kaum wahrzunehmen. Ein argentinisches Radlerpaar kommt uns entgegen. Beide sind pitschenass und ziemlich verfroren. Keine guten Aussichten für die nächsten Tage, denken wir.
In der Nacht haben wir zum ersten Mal seit langem wieder leichte Minusgrade und der Regen geht in Schnee über. Am Morgen ist eine feine weiße Schicht auf unserem Zelt. Doch das ist erst der Anfang. In den darauffolgenden Nächten sinkt die Temperatur bis auf – 14°C (im Innenzelt -7°C). Beim Einpacken am Morgen sind unsere Finger und Füße schon nach wenigen Minuten nicht mehr spürbar und erst nachdem die Sonne eine ganze Weile auf uns niederscheint, tauen unsere Extremitäten langsam wieder auf …
Die Quebrada de Humahuaca, das Tal, in dem wir seit S.S. d. Jujuy unterwegs sind, zieht sich 130 km Richtung Norden. Dabei steigt sie langsam an und ist für uns der ideale Einstieg auf das Altiplano. Von San Salvador de Jujuy auf 1.552 m geht es bis auf 3.780 m hoch. Das langgezogene schluchtartige Tal ist einer der wenigen Einschnitte in die Puna, die Hochwüste Nordargentiniens. Über Jahrtausende diente es den Urvölkern der Region als eine Art Korridor zwischen dem Altiplano im Norden und den tiefer gelegenen Gebieten im Süden.
Als wir am nächsten Tag Purmamarca erreichen scheint zwar noch nicht die Sonne, aber immerhin regnet es nicht mehr. Der Ort auf 2.190 m ist eine alte Inkasiedlung. Überragt wird der Ort vom Cerro del los Siete Colores, dem „Berg der 7 Farben“. Rund um die zentrale Plaza verkaufen Kunsthandwerkshändler indianische Waren und wunderschöne Stoffe, Kleidung und allerlei Mitbringsel in traditionellen Mustern. Wir erstehen einen kleinen Wandteppich und für Ria eine Handtasche. Das vielfarbige Angebot an den Ständen und in den Läden steht in kräftigem Kontrast zum staubigen Ort. Zu Recht heißt das nette Städtchen Purmamarca übersetzt auch „Wüstenort“.
Kurz vor Humahuaca (2.939 m), Endort der Quebrada, erleben wir dann einen wahren „Wüstensturm“. Uns weht es fast von der Straße. Eine riesige Sandwolke verdunkelt den Himmel über uns. Es knirscht zwischen unseren Zähnen, die Augen brennen. Wir „flüchten“ uns in die Stadt und legen unsere Siesta im sehenswerten Ortskern ein. Auch hier wird in den engen, mit Kopfsteinpflastern versehen Gassen, Kunsthandwerk verkauft. Hinter den Mauern der alten Dorfkirche suchen wir Schutz vor dem heftigen Wind, der eiskalt über die Plaza fegt und uns fast den Käse vom Weißbrot weht.
Die frostige Nacht verbringen wir zwischen hochaufragenden Kandelaber-Kakteen, die hier zu abertausenden wachsen und wie Arme ihre Äste in die Lüfte strecken. Kurz nach Mitternacht ist es mit der Stille vorbei. Ein heftiger Sturm zieht auf und klingt erst Stunden später ab. Am Morgen haben wir in unserem Innenzelt und auf den Schlafsäcken eine feine Sandschicht. Die Reisverschlüsse des Zeltes haken. Welch’ Freude. Bei -10°C „entstauben“ wir unser Equipment und „vereisen“ … bis der Anstieg wieder unser Blut in den Adern pulsieren lässt.
Hinter Humahuarca ändert sich das Landschaftsbild rasant. Waren wir eben noch von Kakteenwäldern, Strauchwerk und Feldern umgeben so wird das Flusstal nun von vielfarbigen Hügeln dominiert. Ein faszinierendes Farbenspiel bietet sich uns und alle vorangegangen Regentage und Eisnächte sind mit einem Mal vergessen. Die Felsformationen leuchten rot und schwarz, grün, türkis, violett … je nach Sonneneinstrahlung und mineralischer Zusammensetzung des Gesteins. Der Fluss hat sich teilweise tief ins Tal geschnitten und einen breiten, henna-roten Canyon geschaffen, in dem zu dieser Jahreszeit aber nur ein kleines Rinnsal fließt.
Aber nicht nur die Landschaft ändert sich. Auch das Wetter dreht sich nun zu unseren Gunsten. Zwar sind die Nächte schweinekalt, tagsüber scheint aber die Sonne und macht das Radfahren in der Höhe zu einem unvergesslichen Erlebnis … für das wir aber auch ordentlich strampeln müssen. Die Ruta 9 steigt schnell an. Teilweise in Serpentinen führt uns die Straße auf die Puna, den argentinischen Ausläufer des bolivianischen Altiplano. Am Ende des Tages haben wir 1.000 Höhenmeter absolviert und stehen am Pass auf 3.780 m Höhe – denken wir. Das Passbild, was wir „schießen“, kommt zu früh. Erst nach weiteren 2 km erreichen wir den Pass. Von da ab rollt es sich wieder merklich schneller.
In Abra Pampa, einem verstaubten und verschlafenen Altiplano-Ort aus Lehmziegelhäusern, essen wir am nächsten Tag zu Ria’s Geburtstag 2 Portionen Saltenas. Gut gestärkt fahren wir bei schönstem Sonnenschein anschließend über die weitläufige gelb-braun gefärbte Puna, die im Westen und Osten von 2 bis zu 5.000 m hohen Gebirgsketten begrenzt wird – der Sierra Cavalonga und der Sierra Santa Victoria.
Hier oben ist die Luft merklich dünner. Schnelleres Pedalieren oder eine kleine „Wanderung“ in die Steppe zur Zeltplatzsuche werden sofort mit Kurzatmigkeit „belohnt“. Am 27.05.14 erreichen wir La Quiaca, den letzten Ort in Argentinien. Die Grenzstadt zu Bolivien auf 3.442 m ist noch einmal ein nettes, lebhaftes Örtchen, in dem wir einen vollen Tag verbringen, um uns zu sortieren und unser in Mitleidenschaft gezogenes Equipment zu reparieren. Morgen geht es dann über den Grenzfluss nach Villazon in Bolivien und damit in unser 17. Reiseland.
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