Über das “Dach der Welt”

Pamir-Highway / Tadschikistan tajikistan
. 183. Reisetag
5929 km, 43.160 hm
(Bericht vom 29.09.2013)

P1120240 (Mittel) Auf über dreieinhalbtausend Metern windet sich die Piste über das Hochplateau. Zur Linken und Rechten erheben sich gewaltige Gebirgsmassive. Berauschende Landschaften in einem prächtigen Farbenspiel ziehen an uns vorbei. Hier oben atmet alles Ewigkeit.

Wir sind am südlichsten Zipfel Tadschikistans angelangt, unterwegs auf dem legendären Pamir-Highway. Die zweithöchste Fernstraße der Welt, 1932 fertiggestellt, ist bis heute Lebensader der Region. Das Pamir-Gebirge, dass die Tadschiken “Bam-I-Danja”, das “Dach der Welt”, nennen, verbindet einige der größten Gebirgszüge Asiens: Karakorum (Süden), Tianshan (Norden), Kunlun Shan (Südosten) und Hindukusch (Südwesten). Im Osten des Pamir schließt das Hochland von Tibet an.

Von Chorug aus folgen wir dem Lauf des Gunt. Der Fluss und das enge Tal lassen nur wenig Platz zum Ackerbau. Hockend und in mühsamer Handarbeit bewirtschaften die Menschen auf schmalen Feldern den harten Boden. Das Blätterwerk der Bäume verfärbt sich langsam in herbstliche Farben. Zu Beginn passieren wir noch mehrere Dörfer. Es werden die letzten für längere Zeit sein. Auf den Hochplateaus des Pamir gibt es nur ganz wenige, weit entfernt liegende Orte, der Rest ist pure Einsamkeit. Die Strecke steigt von 2.000 m ü.d.M kontinuierlich an. Gut, um uns an die extreme Höhe zu gewöhnen.

Mit zunehmender Fahrtdauer werden die Berge schroffer und höher. Immer öfter sind die Bergkuppen mit Schnee bedeckt. An den Hängen entdecken wir Gletscher. Kurz vor dem ersten Pass zelten wir auf 3.850 m. Wir schlafen gut. Mit der Höhe haben wir nie ernsthafte Probleme.

Am nächsten Morgen ist es empfindlich kalt. Warm eingepackt steigen wir auf unsere Räder. Nach 5 km endet der Asphalt. Eine grobe Sand- und Schotterpiste führt uns auf den ersten 4.000er Pass. In steilen Spitzkehren geht’s mächtig zur Sache. Auf einigen Passagen müssen wir unsere Räder schieben, so steil ist die Piste in den Hang gebaut. Unser Atem geht schnell und kurz. Zum ersten Mal spüren wir den geringeren Sauerstoffgehalt. Zur dünnen Luft kommt noch der hohe Temperaturunterschied zwischen Sonne und Schatten. Sobald sich der Himmel bewölkt fällt das Thermometer um 10 °C. Quietschend und polternd hüllen uns die großen, chinesischen Sattelschlepper in dicke Staubwolken ein. Gegen 11 Uhr sind wir auf dem Koi Tezek Pass – 4.272 m Seehöhe. Die Vegetation hat deutlich abgenommen. Die Baumgrenze liegt hier bei 3.700 m. An die Stelle enger Schluchten treten weite Hochebenen. Steinadler und riesige Schneegeier kreisen am stahlblauen Himmel, elegant die Thermik nutzend. Scheue Murmeltiere nehmen pfeifend Reißaus vor uns. Gegen den schneidend kalten Wind und die stechende Sonne schützen wir uns mit Mütze und Buff. Gesicht, Hände und Lippen cremen wir mit starken Sonnenschutzmitteln ein. Nach einer ruppigen Abfahrt und etwas Asphalt geht es in den 2. Anstieg zum Tagarkak Pass (4.180 m). Erneut wird die Strecke sandig und schlecht. Die Steigungen sind jedoch moderater und besser zu fahren.

Ein paar Kilometer weiter taucht auf dem Hochplateau der Yashikul-See auf. Smaragdgrün erstreckt er sich in einer Senke, 3.700 m ü.d.M. Das Atmen fällt uns schwer, doch die majestätische Landschaft entschädigt für die Mühsal. Zum ersten Mal sehen wir die weißen Gipfel des Pamirs. Unweit des schön gelegenen Sees zelten wir in der kargen Hochgebirgswüste. Außer kleinem gelben Büschelgras wächst hier nicht viel. Wir genießen die letzten Sonnenstrahlen des Tages, die Einsamkeit und den Zauber der Berge. Gegen Abend peitschten Böen jede Menge Sand in unser Vorzelt. Die Nacht ist dann windstill und sternenklar.

In Alichur, einem kleinen Dorf aus Lehmhütten, versorgen wir uns mit Keksen, Wasser und Instantnudeln. Wie überall gibt es auch hier nur einfachste Läden. Nach dem Ort lässt uns kräftiger Rückenwind förmlich über die Hochebene fliegen.

Immer wieder bleiben wir stehen, um den Blick auf die teilweise vergletscherte Alichur-Kette (5.000 m) zu genießen. In der Ebene liegen weit verstreut Jurten der Pamiris. Yak- und riesige Schafherden ziehen entlang der Hänge und begrasen das karge Grün. Die Sedimentgesteine schimmern in allen möglichen Erdtönen – von Gelb über Ocker ins Braune. Leuchtendes Rot wechselt sich ab mit grauen, teilweise fast schwarzen Gesteinsschichten und steht in scharfem Kontrast zu den in schneeweiß endenden Berggipfeln. Dort, wo Wasser Leben spendet, mäandert ein grünes Band durch wüstenartiges Gelände . Wir nutzen die wenigen Wasserstellen, um unsere Flaschen aufzufüllen. Am Himmel vollziehen sich immer wieder Wetterwechsel von atemberaubender Geschwindigkeit. Sind wir eben noch in gleißendes Sonnenlicht getaucht, lassen kurz darauf drohende Gewitterwolken am Horizont Schlimmeres erwarten, um sich ebenso schnell im Nichts aufzulösen.

Vom Naizatash Pass (4.137 m) sausen wir in einer langen, kurvenreichen Abfahrt ins Tal des Murgab-Flusses. Direkt an der Straße finden wir eine halbwegs windgeschützte Stelle und stellen nach 103 Tageskilometern unser Zelt in einem ausgetrockneten Flußbett auf.

Kurz vor Murgab, dem wichtigsten Ort der Region, wird zum 2. Mal unser GBAO Permit geprüft. Ein sinnloses Stück “Papier”, das Präsident Rahmon ein paar zusätzliche Somoni in die Schatulle spült. Murgab selber strahlt eine eigentümliche Atmosphäre aus. Die geduckten, kleinen weißen Häuser wirken in der weiten Ebene wie ein Hafen ohne Meer. Doch das Panorama ist schön. Im Hintergrund erhebt sich auf chinesischer Seite der Mutztagata (7.509 m) – “Vater der Eisberge” und dritthöchster im Pamir-Gebirge.

Die Haut der Einwohner ist von der Höhensonne gegerbt und dunkel geworden. Kirgisen, die hier die Mehrzahl der 7.000 Einwohner bilden, laufen in ihren typischen Filzhüten durch die staubigen Gassen. Das Klima ist rau und die Stimmung triest. Immerhin gibt es einen kleinen Basar und damit etwas mehr Auswahl an Essbarem als die letzten Tage. In Frachtcontainern werden ein wenig Gemüse, viel Alkoholisches, Süßes und jede Menge Haushaltswaren “Made in China” verkauft. Die Cafés am Markt versprühen einen spröden Charme. Ein Blick in die Küchen lässt für unsere Mägen nichts Gutes erahnen. Doch wir sind zu hungrig, um “Vernunft” walten zu lassen. Mutig bestellen wir Kartoschka, Bortsch und Lagman. Und – oh Wunder – alles bleibt drin. Nur die Fettschwanzschaf-Suppe ist zu fettig und schafig und will nicht runter. Im Pamir-Hotel verbringen wir 2 Nächte und genießen warme Dusche und ordentliches Frühstück in kalten Räumen. Auch die örtlichen Militär- und Milizbonzen fühlen sich hier wohl und lassen sich abends vollaufen…

Der “freie Tag” geht fast vollständig für eine erneute Registrierung drauf. Ein Stück “Absurdistan” as it’s best. Obwohl wir ein 60-Tage Visum haben, müssen wir uns nach 30 Tagen erneut registrieren. Sicher wieder eine “großartige” Geschäftsidee von Mr. Rahmon. Das Ganze kostet 140 Somoni (ca. 24 €)/p.P. und erfolgt auf Formularen, die ausschließlich auf Tadschikisch sind… Nachdem wir diese Hürde nach 2 Std. mit Hilfe Einheimischer genommen haben. folgt der Besuch bei der Registrierungs”behörde”. Auch hier muss wieder jede Menge Papierkram ausgefüllt werden, dieses Mal von der Angestellten. Allerdings sind gerade die Bögen ausgegangen …. Also noch einmal am Nachmittag hin, viel Geduld mitbringen und auf Tiefenentspannung umschalten. Gegen 17 Uhr sind wir endlich – wo auch immer – registriert und halten erleichtert ein kleines Zettelchen in unseren Händen. Unsere Reise kann weitergehen.

Von Murghab fahren wir mit Danjela und Christian (Wien) weiter. Beide hatten wir schon in Dushanbe und Chorug getroffen. Gemeinsam beginnen wir den mühsamsten Anstieg der Hochgebirgsstraße. Es geht auf den Akbaital-Pass. Leider hat der Wind gedreht und bläst uns allen ordentlich ins Gesicht. Und es wird noch einmal kälter. Auch die Zeltplatzsuche wird nun schwieriger. Es gilt, einen halbwegs windgeschützten Platz zu finden. So schieben wir unsere Räder steinige Hänge hinab, um gute Plätze an Wasserläufen zu finden. Nachts sinken die Temperaturen über 4.000 m auf – 10°C. Im Zelt messe ich lauschige – 3°C… Am Morgen sind die Wasserflaschen komplett gefroren. Ausgerechnet in dieser Zeit delaminiert sich eine unserer Matten in der Mitte fast vollständig und bietet nur noch wenig Isolation gegen die Bodenkälte.

Der Akbaital Pass, höchster Punkt des Pamir-Highway, ist eine echte Herausforderung. Jeder Tritt scheint das dreifache an Kraft zu kosten. Alle 100 m müssen wir schwer atmend stehen bleiben, den Puls beruhigen. Reden tun wir kaum noch. Wir brauchen die gesamte Luft zum Gehen oder Pedalen. Gegen 14 Uhr haben wir den Pass endlich bezwungen und stehen auf 4.655 m. Nie waren wir den Sternen näher! Ewigkeit und blauer Himmel um uns herum. Das Gefühl – unbeschreiblich. Schnell machen wir ein Foto und wechseln die nassen Sachen. Ein Snickers und viel Wasser, dann müssen wir auch schon weiter. Im kalten Wind ist man trotz Sonnenschein nach wenigen Minuten ohne Bewegung durchgefroren.

Die anschließende Abfahrt (erst 25 km üble Wellblechpiste dann Asphalt) nach Karakul ist landschaftlich einmalig. Vor Jahrmillionen schuf hier ein Meteoriteneinschlag einen abflusslosen Endsee. Tiefblau schimmert der Karakul auf 4.000 m in der Sonne. In der Ferne glänzen die schneebedeckten Gipfel der Transalai-Kette. Ein gigantisches Panorama!

Der gleichnamige Ort wirkt fast schon surreal. Ein paar Flachbauten liegen verstreut auf einer vegetationsfreien Ebene. Neben einem kleinen Magazin gibt es hier sogenannte Homestays, einfachste Unterkünfte bei Gastfamilien. Wir verbringen 2 Nächte für 7 $ p.P. und Nacht, um uns von den Strapazen zu erholen. Im sogenannten “Simovka”, dem Winterzimmer, schlafen wir mit Matten der Gastgeber auf dem Boden. Das Zimmer ist mit einem kleinen Ofen ausgestattet. Allerdings gibt es nur wenig Heizmaterial. Nach 1 Stunde ist alles verbrannt, die wohlige Wärme verflogen und der Raum wieder 8°C kalt. Der Halbstrauch Teresken, der zum Heizen verwendet wird, ist in der Umgebung ausgerottet. Von weit her wird er aus den Bergen herangeschafft und ist entsprechend teuer. Wir fragen uns, womit die Menschen wohl in 10 Jahren gegen die -40°C im Winter anheizen werden…

Wasser holen sich die Einwohner mit Eiseneimern aus dem Dorfbrunnen. Elektrizität gibt es nicht. Wir haben am Abend immerhin 2 Stunden Licht dank eines Generators. Die Toilette, ein eingemauertes Plumpsklo mit “Himmelsdach”, ist 50 m vom Haus entfernt. Frühstück und Abendbrot nehmen wir im ungeheizten Vorraum ein. Im Schneidersitz hocken wir um eine erhöhte Tafel, löffeln dünne Suppe mit einer Kartoffel und träumen von heimischen Köstlichkeiten…

Gern hätten wir mehr über unsere Gastgeber, ihre Lebensumstände und Wünsche erfahren. Doch die Sprachbarriere lässt keine ausführlichere Kommunikation zu. Was wissen sie von der „Welt da draußen“, den „Segnungen“ unserer Zivilisation? Wie empfinden sie das Leben hier oben?

Auch der letzte Abschnitt zur tadschikisch-kirgischen Grenze hat es noch einmal in sich. Ein weiterer Pass bringt uns wieder auf 4.300 m. Staub wirbelt durch die Luft. Der Wind nimmt mitunter sturmartige Formen an und blässt uns eisig in die Gesichter. Selbst bergab müssen wir teilweise kräftig zutreten, um überhaupt vorwärts zu kommen. Konversation ist nur noch schreiend möglich. Die menschenleere Mondlandschaft wirkt im diffusen Tageslicht fast schon mystisch. Nach einem letzten heftigen Anstieg haben wir den tadschikischen Grenzposten erreicht. Der Empfang durch die Soldaten ist schroff und militärisch, die Verabschiedung dann fast schon herzlich. Mit Bitten und Betteln und viel Freundlichkeit haben wir es sogar noch fertig bekommen, unseren teuren Registrierungszettel als Souvenir zu behalten…

Das schönste “Souvenir” war aber die Fahrt über das “Dach der Welt”. Ein unvergessliches Abenteuer, dessen Bilder und Erlebnisse uns noch lange in Erinnerung bleiben werden.

Wer noch mehr über den Pamir und seine Bewohner erfahren will, sollte sich die nachfolgende Dokumentation ansehen, die Anfang des Jahres auf Phoenix ausgestrahlt wurde.

 

Feuertaufe am Panj und neues „Pass-Foto“

Khorog/ Tadjikistan tajikistan
165. Reisetag
5.142 km, 34.769 hm

IMGP9942 (Mittel) In scheinbar endlosen Windungen schlängelt sich die Piste an den Hängen der Hasr Etiši Bergkette entlang. Seitdem wir vor 3 Tagen den Fluss Obihingab verlassen haben, steigt die Piste kontinuierlich an. Immer wieder müssen wir auf der Scheitelstrecke kurze Pausen machen, um den Puls zu beruhigen. Die Luft hier oben ist schon spürbar dünner. Die Straße M 41, der wir bis kurz vor Bishkek in Kirgisistan folgen wollen, ist in einem unsagbar schlechtem Zustand. Asphalt gibt es keinen mehr, dafür jede Menge Schlaglöcher, dicke Gesteinsbrocken und Versandungen. Gelegentlich müssen wir unsere Räder durch ausgetrocknete Flussbetten schieben. Ein mühsames Unterfangen. Die marode Infrastruktur wird nur äußerst behelfsmäßig und oft mit unzulänglichen Mitteln gegen die rauen Naturgewalten der eindrucksvollen Gebirgswelt aufrecht erhalten. Allerdings ist die Verkehrserschließung Tadschikistans wegen seiner Oberflächengestalt auch sehr schwierig. 2/3 des Landes sind Hochgebirge.

12 km und 700 Höhenmeter nach unserem heutigen Start kommt die langersehnte Passhöhe in Sicht. Noch einmal kurbeln wir mit aller Kraft, das Ziel endlich vor Augen. Unser Atem geht schnell und schwer. Nach einer letzten Rechtskurve können wir endlich eine „Schutzhütte“ sehen. Auf einer der Seiten steht in großen, roten Lettern: 3.252,8 m. Wir sind auf dem Sagir-Dasht-Pass! Unserem ersten 3.000er. Ein emotionaler Höhepunkt! Erschöpft fallen wir uns in die Arme, schreien unsere Freude ins Tal. Es ist Punkt 12 Uhr.

Kaum angelangt blasen auch schon starke Windböen über die Passhöhe. Auf über 3.000 m sind es nur noch 15 °C. In aller Eile wechseln wir unsere durchgeschwitzten Klamotten und verlegen das Kochen in eine Nische der „Schutzhütte“. Während wir heiße Instantnudeln in der wärmenden Sonne genießen besuchen uns 3 Hirten, die mit ihrer Herde über die Berge nach Kulob ziehen. In den letzten Tagen sind uns immer wieder riesige Schaf- und Ziegenherden begegnet. Bis zu 5.000 Tiere auf einmal werden oft von nur einer Handvoll Männer die Straße hinunter getrieben. Schon aus der Ferne ein beeindruckendes Bild. Vorneweg laufen stets die Esel mit dem Hab und Gut der Männer. Unglaublich, was diese kleinen widerstandsfähigen Tiere alles auf ihren schmalen Rücken schleppen können. Die Begrüßungen der Hirten sind stets herzlich und respektvoll. Den wettergegerbten Gesichter sieht man an, dass ihr Leben entbehrungsreich und hart ist. Während uns ein wogendes Meer aus tierischen Körpern umschließt stehen wir minutenlang in einer riesigen Staubwolke. Die Autofahrer haben weniger Geduld. Unaufhörlich hupend drängeln sie sich durch die Herde.

Nach 1 ½ Stunden Pass-Pause ziehen wir wieder unsere Radkleidung an. Im Schritttempo geht es auf schlechter Piste hüpfend und rutschend 2.000 Höhenmeter hinunter in das Tal des Flusses Panj. Schon nach kurzer Zeit schmerzen die Hände vom vielen Bremsen. Die Felgen werden heiß und brauchen alle paar Kilometer eine Pause, um nicht zu überhitzen. Das Tal wird zunehmend enger. Immer weniger Lichtstrahlen finden den Weg hinein. Kurz vor Kalaikhum wartet noch einmal ein Hindernis auf uns. Vor 10 Tagen brach unter der Last eines Lkw’s eine Flussbrücke zusammen. Die Überreste der Stahlkonstruktion hängen noch in der Strömung. Ersatz gibt es noch nicht. Amur, ein Tadschike, bietet sofort seine Hilfe an und bringt uns samt Rädern und Equipment mit seinem russischen Jeep ans andere Ufer. Die kurze Fahrt ist eine mit Herzschlag. Bis zum Radkasten verschwindet der Jeep in den Fluten, ich stehe auf der Heckklappe und versuche die Räder vor dem Herunterfallen zu bewahren ohne selbst abgeworfen zu werden. Ria hält auf der Beifahrerseite mit aller Kraft an den Lenkern fest. Hüpfend und schnaubend bewegen wir uns durch das Flussbett. Der Motor jault mehrmals bedrohlich auf und versetzt der in die Jahre gekommen „Kiste“ einen heftigen Stoß. Doch alles geht gut und „trockenen Rades“ erreichen wir das andere Ufer. Geld für seine Hilfe möchte Amur keines annehmen. Aber die kasachischen Karamel-Bonbons schmecken ihm und seiner Familie.

In Kalaikhum, Grenzstadt zwischen Tadjikistan und Afghanistan, können wir unsere Vorräte ein wenig auffüllen und finden mit etwas Glück und Suche sogar Äpfel, Kartoffeln, Paprika, Gurke und Brot. Auf den folgenden 300 km hat kein Laden mehr eines der Dinge. Die Menschen versorgen sich weitgehend selbst. Und so ist das „Angebot“ in den Läden stets das Gleiche: Bonbons, verstaubte (offen liegende) Kekse, selbstverpackte Nudeln, Cola (nicht immer), Wasser (noch seltener), Zucker, Salz und Mehl in Säcken und ein paar Hygieneartikel. Ansonsten China-Plaste-Kram… aber der ist nicht essbar. So ist es immer eine Riesenfreude wenn uns Einheimische Äpfel, Tomaten und Gurken in die Taschen stopfen oder wir ein großes Fladenbrot geschenkt bekommen. Auch zum Tee werden wir täglich eingeladen. Nach erneuten gesundheitlichen Problemen in Dushanbe sind wir aber mehr als vorsichtig und lehnen jede Einladung dankend ab. Unsere Abfahrt aus der Hauptstadt hatte sich um einen Tag verschoben, da Ria Fieber und Durchfall bekam. Zum Glück waren wir privat bei Veronique aus Paris untergebracht. Hier konnten wir so lange bleiben wie wir wollen. Veronique arbeitet in Dushanbe für die EU.

Die internationalen (Hilfs-)Organisationen geben sich in der Hauptstadt Tadschikistans die Türklinke in die Hand. UN, UNDP, WFP, OECD, Welthungerhilfe, Internationales Rotes Kreuz u.v.m. sind hier vor Ort tätig. Die Präsens kommt nicht von ungefähr. Tadschikistan ist eines der ärmsten Länder Zentralasiens. Ein großer Teil der bereits in den 90er Jahren wenig entwickelten sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur wurde durch den Bürgerkrieg 1992 – 1997 zerstört. Rund 2/3 der Bevölkerung leben heute unterhalb der Armutsgrenze. Die Arbeitslosenquote liegt um die 40 % … Seit 1994 regiert Emonalii Rahmon das Land. Menschenrechte und Pressefreiheit werden immer wieder verletzt. Zuletzt ließ er sich 2006 wiederwählen. Gegen die Opposition geht Rahmon rigoros und mit harten Bandagen vor. Doch von den Plakaten lächelt der Präsident sanftmütig – wechselweise mal vor wogenden Korn- oder Mohnfeldern – stets vor einem strahlenden Himmel…. Die Realität sieht anders aus.

Da Veronique selber begeisterte Radfahrerin ist, bietet sie Radlern eine kostenlose Unterkunft in Haus und Innenhof an. Nach und nach füllt sich das Haus und Gabriel, ihr 7-jähriger Sohn hält alle auf trapp. Im Garten – einer Oase gleich – steht ein ganzer Fuhrpark an Rädern. Abends wird zusammen gekocht und die neuesten Infos über Visa, Grenzübergänge, Routen etc. machen die Runde. Kaum war Ria genesen erwischte es mich mit den gleichen Symptomen auf der ersten Etappe in den Pamir. Aber das war erst der Anfang ….

Von Kalaikhum führt uns die M 41 knapp 300 km auf tadschikischer Seite nach Khorog entlang der Grenze zu Afghanistan. Der reißende, grau-braune Strom „Panj“ trennt beide Länder voneinander. Oft ist das Flussbett so schmal, dass wir im wahrsten Sinne des Wortes nur einen Steinwurf von Afghanistan entfernt kurbeln. Bereits in Usbekistan waren wir nur noch 100 km von Masar-e Scharif entfernt. Die unmittelbare Nähe Afghanistans macht sich vor allem an den zahlreichen Militär-Checkpoints bemerkbar. Mit Kalaschnikow im Anschlag werden wir alle 100 km gestoppt, um uns zu registrieren. Das Tal des Panj ist anfangs etwas weiter mit einigen kleinen Siedlungen, dann verengt es sich immer mehr. Kurze Schluchtenpassagen und leichte Talweitungen mit teils idyllischen Dörfern wechseln sich ab. Bei jedem Halt versammelt sich blitzschnell eine Horde Kinder um uns. „Photo! Photo!“ wird gerufen. Jeder möchte aufs Bild. Wenn wir dann anschließend das Ergebnis zeigen, recken die Jungen den Daumen, die Mädchen lachen verschämt. Hände abklatschen ist ebenfalls sehr beliebt und selbst die Kleinsten, 3-jährigen, winken uns schon zu und rufen „Hello“. Nur gelegentlich „übertreiben“ es die Kids. Da wird dann schon mal versucht, die Hand festzuhalten oder uns mit einem gespannten Seil am Weiterfahren zu hindern…

Die Fahrt am Grenzfluss ist kaum leichter als zuvor zum Pass. Die Anstiege sind mit 10 % und mehr meist kurz und giftig, der Untergrund Offroad tauglich. Miserable Pistenabschnitte wechseln mit altersschwachem Asphalt, der aber so flickenhaft ist, dass wir meist Slalom auf den Reststücken fahren. Hinzu kommen die zahlreichen Trucks – meist in Kolonne – und mit ihnen jede Menge Staub und Abgase. Besonders auf den Singeltrails wird es für dann mehr als eng und viel Platz zwischen uns und dem Abhang zum Panj ist oft nicht mehr.

Der Blick auf die afghanische Seite ist dafür immer wieder faszinierend. Auf teils abenteuerlichen Saumpfaden laufen die Menschen zu ihren Feldern, die ebenso abenteuerlich in schwindelerregender Höhe oberhalb des Panj an den steilen Hängen „kleben“. Zum Transport schwerer Lasten wird fast überall noch der Esel eingesetzt. Abends begleitet uns deren vielstimmiges Geschrei zusammen mit dem Ruf des Muezzin in den Schlaf. Obwohl das Tal oft sehr schmal ist und außer für die M 41 nicht viel Platz, finden wir immer wieder einen Stellplatz für unser Zelt. Bereits gegen 19 Uhr ist es dunkel und jede Nacht auf’s Neue nimmt uns der Sternenhimmel gefangen.

2 Tage vor Khorog erwischt es mich erneut. Mit Fieber, Durchfall und Erbrechen quäle ich mich irgendwie über die Straße, viele Stunden liege ich im Gras, unfähig aufzustehen. Ria muss in dieser Zeit fast alles alleine machen. Zu allem Überfluss geraten wir auch noch in ein Unwetter. Ein Sturm fegt durch das Tal und in minutenschnelle ist vom aufgewirbelten Sand der Himmel nicht mehr zu sehen. Wir suchen den nächstbesten Zeltplatz. Ria baut in windeseile das Zelt auf, während ich völlig erschöpft auf dem Boden liege. Nach 1 Stunde ist der Sturm vorbei und das Innenzelt voller Sand. Am 04.09. erreichen wir endlich Khorog, die selbsternannte Hauptstadt des Pamir. Gut 30.000 Menschen leben hier. Auf den Straßen herrscht Gedränge und lebhaftes Treiben. Mein Magen-Darm-Leiden erreicht hier seinen „Höhepunkt“. Nach einer schlaflosen, grauenvollen Nacht bin ich völlig entkräftet und dehydriert. In den folgenden Tagen geht es dann langsam bergauf und die Lebensgeister kommen zurück. Währenddessen geht es mit Ria genau in die entgegengesetzte Richtung. Nun hat sie mehrere Tage Fieber und Durchfall, dazu einen hartnäckigen Husten.

Mittlerweile sind wir fast 1 Woche in der Pamir Lodge in Khorog und so langsam beide wieder radtauglich. Neben der anfänglichen „Scheißerei“ sind die Tage hier mit den Generalüberholungen unserer Räder, Vorratseinkäufen, Wäsche waschen, Recherchieren, Lesen, netten Begegnungen mit anderen Reisenden und viel Schlafen ausgefüllt.

So Gott und Montezuma wollen werden wir übermorgen unsere Reise auf dem Pamir-Highway fortsetzen.

(Bilder folgen)