„Truthahn satt“ und ein „Schuss Polemik“

San Diego / USA usa
27.11.2014

P1080104Jeden vierten Donnerstag im November wird Thanksgiving in den USA gefeiert. Wie Erntedankfeste in aller Welt preist auch die amerikanische Nationalfeier die Gaben der Natur. Und traditioneller Weise kommt dabei der Truthahn auf den Tisch. 45 Millionen von Ihnen landen jedes Jahr in der Bratröhre.

Und zu keiner anderen Jahreszeit sind so viele US-Bürger unterwegs wie am langen Thanksgiving-Wochende. Fast 50 Millionen rollen kreuz und quer durchs Land zur Familienfeier. Um ihr Wochenende zu verlängern, nehmen sich viele Arbeitnehmer die Tage vorher frei. Auch „unser“ vierspuriger Highway – HWY 1 – ist am Vortag mit einer schier endlosen Blechlawine brechend voll. Während sich die ps-starken Boliden im Schneckentempo vorwärts bewegen, sausen wir mit Rückenwind auf dem Seitenstreifen Richtung San Diego :-)

In der zweitgrößten Stadt Kaliforniens haben wir von Victoria und Judd eine Einladung zu Thanksgiving erhalten. Gemeinsam mit Familie und Freunden begehen wir das amerikanische Erntedankfest. Nach einem kurzen Gebet wünschen wir uns alle „Happy Thanksgiving“ und rücken mit Gabel und Messer bewaffnet dem gewaltigen Truthahn (20 Pfund) zu Leibe. Der Turkey schmeckt ausgezeichnet. Dazu gibt es mashed potatoes (Kartoffelbrei), Bohnen-Pilzgemüse mit getrockneten Zwiebeln, cranberry marmelade (Moosbeerenmarmelade), verschiedenes Gemüse, Salat, allerlei Dressing, Dips und Snacks.
Kaum ist der Hauptgang verspeist geht es auch schon ans Dessert. Es gibt Appel-(Apfel-), Rasperry- (Himbeer-) und Pumpkin pie (Kürbiskuchen), Frucht-Cremetorte und Tiramisu. Nach 2 Stunden Völlerei sind wir satt und kugelrund. Zwei weitere Tage werden wir bei unseren Gastgebern noch bleiben und wir sind sicher, auch danach ist noch jede Menge übrig vom Festtagsmahl …

Spätestens ab Anfang Dezember beginnt für die Amerikaner nun die holiday season, die Vorweihnachtszeit. Seit Oktober sind die Regale voll mit Weihnachts-Kitsch und spätestens seit Mitte November hören wir „Jingle Bells“ rauf und runter in den Supermärkten. Die „Tempel des Konsums“ findet man auch noch im kleinsten Nest. Walmart & Co. kann man nicht verfehlen. Überall stehen sie an den Ein- und Ausfallstraßen. Riesige Parkplätze garantieren, dass jeder mit seinem Wagen vorfahren kann. Und wer fußlahm oder übergewichtig ist, steigt am Eingang auf den Elektro-Shopper um. Fast so gut wie Autoscooter, nur das man nicht rammen darf ;-)

Uns kostet der Einkauf stets mehr Zeit als geplant. Mit unserem Einkaufswagen kämpfen wir uns vorbei an allerlei Aufstellern, ausbremsenden Sonderposten und mannshohen Preisschildern. Weiter führt uns der Weg vorbei an Regalkilometern voll von Junkfood, chips, crackers, donuts, cakes, cookies, dips und genetisch manipulierter Nahrung. Beim Blick auf das „Kleingedruckte“ fragen wir uns gelegentlich, ob die Verpackung gesünder als der Inhalt ist … 20 und mehr „Zutaten“ bei industriell hergestellten Lebensmitteln sind keine Seltenheit und zur Identifizierung der Inhaltsstoffe wäre ein Chemiestudium sicherlich sehr hilfreich. Trotzdem steht nicht immer drauf was drin ist. Dass konventionelle Milch neben Kalzium und Vitamin A auch Wachstumshormone und Antibiotika enthält, muss man wissen. Vielleicht sind wir deswegen so selten krank in den letzten Monaten geworden ….

Natürlich gibt es auch Organic Food, doch dafür muss man tief, sehr tief in die Tasche greifen. Einmal entdecken wir in einem Supermarkt die Aufschrift „Natural Food“ – wie bezeichnend.

Besonders gut gefüllt sind meistens die Tiefkühltruhen und -schränke. Es gibt Eiscreme ohne Ende (in abnorm großen Containern) und alle möglichen Fertigmahlzeiten. Kein Wunder, gilt doch bei Amerikanern schon das Erwärmen einer Tiefkühlpizza als Kochen …

Farbenprächtig auch die Welt der Limonaden. Das zuckersüße Sprudel- und Brausewasser füllt mindestens einen Supermarktkorridor. Bunt ist die Auswahl, schädlich der Inhalt. Letztendlich ist es immer verflüssigter Zucker oder genetisch veränderter Kornsirup.

Wohin der moderne „american way of life“ führt, können wir jeden Tag auf’s Neue sehen. Überall im Straßenbild laufen – oder besser schleppen sich – übergewichtige Menschen herum. Zu viel Zucker, zu viel Salz, zu viele Kohlenhydrate und zu viele Extras haben sie dick und krank gemacht. Das Prinzip mehr ist besser, funktioniert noch immer und überall wird zum Mehrkauf angeregt. Wer gleich 3 Tiefkühlpizzen oder die extrag-große Familienpackung Chips nimmt, kriegt mehr für sein Geld. An den Anblick der „lebenden Fleischberge“ können wir uns auch nach 4 Monaten im Land nicht gewöhnen. Es macht uns traurig und wütend.

Und die unzähligen Fast Food „Lokale“ verdienen sich an den „menschlichen Müllhalden“ dumm und dämlich. Für 100 Milliarden US-Dollar verzehren alle US-Bürger zusammen Fastfood pro Jahr. Nicht einmal für Autos oder für das Studium ihrer Kindern geben die Amerikaner so viel Geld aus wie für Doppel-Whopper und Happy Meals. Noch immer stehen Mc Doof & Co. hoch im Kurs. In dichter Reihenfolge besetzen sie die Hauptverkehrsstraßen. Auf unserer Reise entlang der Westküste können wir in den Städten kaum sagen, ob wir nun in Oxnard oder Monterey sind. Die immergleichen Stripmalls mit ihrem immergleichen Ketten-Mix gleichen wie ein Ei dem anderen.

Damit der „Kunde König“ beim Bestellen von Fritten und Hot Dogs nicht zu viele Kalorien verbrennt, bietet praktisch jeder Fast-Food Chain sogenannte Drive-Through’s an. So muss der eilige Gast für die Labber-Pappe zwischen den Kiemen nicht die Fahrgastzelle verlassen und auch die Müllentsorgung gelingt dank verlängertem Einwurf-Arm am Container ohne schweißtreibenden Ausstieg.

Na dann Prost Mahlzeit!