Siem Reap / Kambodscha
270. Reisetag
8.822 km, 57.650 hm
Einem roten Feuerball gleich versinkt die Sonne hinter den Palmenkronen am Westufer des Mekong und taucht den größten Fluss Südostasiens in zauberhaftes Licht. Fischer holen ein letztes Mal ihre Netze ein, dann ist das Tagwerk vollbracht. Mit Einsetzen der Dämmerung stimmen Grillen tausendfach ihren Gesang an während die ersten Sterne am Firmament den Strom in silbriges Licht tauchen. Fasziniert schauen wir dem Naturschauspiel von der Uferpromenade in Kratie zu, genießen die entspannte Atmosphäre der Provinzhauptstadt. Morgens und Abends pulsiert das Leben in Straßen der Stadt. Straßenhändler verkaufen die Erzeugnisse der Region. Obst und Früchte türmen sich am Straßenrand. In den kleinen Garküchen gibt es Reissuppen und auf den Rosten brutzelt allerlei Gegrilltes. An der Promenade und in den Seitenstraßen Straßen spielen Männer ausgelassen und gekonnt mit ihren Füßen das beliebte „Federballspiel“.
Angesichts dieser friedlichen heiteren Stimmung mag man kaum glauben, welch unvorstellbaren Grausamkeiten und unmenschlichem Leid die Bevölkerung vor gut 30 Jahren ausgesetzt war. 1975, im letzten Jahr des Vietnamkrieges ergriffen die kommunistischen Roten Khmer die Macht in Kambodscha und zerschlugen brutal die bestehenden Gesellschaftsstrukturen, um eine uniforme und egalitäre Gesellschaft nach maoistischem Vorbild zu schaffen.
Die Hauptstadt Phnom Penh (2. Millionen Einwohner) wurden in 2 Tagen entvölkert. Aus der „Schweiz“ Südostasiens sollte ein Arbeiter- und Bauernstaat werden. In den ersten Monaten der Roten Khmer-Herrschaft verwandelte sich das Land in ein gigantisches Arbeits- und Gefangenenlager. Fast jeder musste um sein Leben fürchten. Viele Menschen starben an Hunger und Krankheiten. Wer der „Bourgeoisie“ (z.B. Lehrer und Ärzte) angehörte, eine Fremdsprache sprach, Mönch war oder einfach nur eine Brille trug …. galt als Feind des „Agrarkommunismus“, wurde gefoltert und hingerichtet oder auf den Feldern erschlagen … Noch heute spült der Regen auf den berüchtigten Killing Fields Knochen und Schädel frei …
Innerhalb von 4 Jahren wurden über 2 Millionen Kambodschaner umgebracht oder kamen bei der Zwangsarbeit auf den Reisfeldern ums Leben (Gesamtbevölkerung damals 7 Millionen). Der Altersdurchschnitt liegt heute bei knapp 22 Jahren (!), nur 5 % der Bevölkerung sind älter als 65 Jahre. Ein junges Land, dessen Jugend einen blutigen Grund hat.
Eine anderes „ explosives Erbe“ dieser dunklen Zeit sind die millionenfach vergrabenen Minen. Noch immer sterben jedes Jahr zahlreiche Menschen durch Landminen oder werden schwer verletzt. Im Straßenbild sind die verstümmelten Menschen unübersehbar …
Die Probleme der Gegenwart sind nicht weniger bedrückend. Illegale, gewaltsame Landnahme mit Hilfe staatlicher Stellen, alltägliche Korruption, knapp 700.000 Waisenkinder… Kambodscha ist nach jahrelangem Bürgerkrieg als sog. „Least Developed Country“ heute eines der ärmsten Länder der Welt. Fast 80 % der Bevölkerung müssen mit weniger als 2 $ pro Tag auskommen. Ein Großteil der Kambodschaner sind mit dem täglichen Überlebenskampf beschäftigt. Und dennoch wirken viele Menschen glücklich. Jung und Alt grüßen uns herzlich lächelnd. „Hello“, Bye, bye“, „Where are you going?“ hören wir jeden Tag und stets gibt es kurze aber einprägsame Begegnungen. Das tropische Land mag ökonomisch arm sein, seine natürlichen, zauberhaften Menschen machen es reich.
Das Radeln auf Kambodschas Straßen ist für uns nicht immer leicht. Der Asphalt häufig von schlechter Qualität. Die ohnehin schon schmalen Nationalstraßen werden durch Wegbröseln der Seitenränder oft noch schmaler. Zwischen Stung Treng und Kratie gibt es fast genauso viel knallharte rote Rüttelpiste wie Asphaltabschnitte. Nach 100 km schmerzen Hände und Arme und wo wir auf dem Sattel noch schmerzfrei sitzen sollen wissen wir auch nicht mehr. Auch wenn der Individualverkehr hier noch weniger als in Laos ist, die wenigen motorisierten Vierräder stressen genug. Völlig überladene Sammeltaxis und Pick-Ups überholen uns haarscharf und mit Vollgas als gäb’s kein Morgen. Gebremst wird grundsätzlich nicht, dafür heftig gehupt, dass Federvieh am Straßenrand auseinanderstobt. Für Minuten fahren wir danach in einer Staubwolke. Bei bis zu 36 °C in der Sonne (nachts sind es angenehme 18 – 22 °C) vermischt sich der feine Sand mit Schweiß und Sonnencreme zu einem unangenehmen Hautpeeling. Am Ende des Tages überziehen Kleidung und Räder eine feine, rote Patina.
Während wir täglich ziemlich verstaubt in die Pedalen treten, feiern die Kambodschaner ausgelassen Hochzeiten. Im Dezember ist Hochsaison. Kein Ort in dem nicht ein Festzelt am Straßenrand steht und ohrenbetäubende Musik das ganze Dorf beschallt. Von der Straße weg werden wir zum Mittagessen eingeladen und können einen Teil der traditionellen Zeremonie verfolgen. Bis zu 1.000 Gäste sind aus dem In- und Ausland angereist. Die Familie ist sichtbar besser gestellt. 2 ½ Tage dauern die Feierlichkeiten und enden oft erst in der Nacht. So lange können wir leider nicht bleiben. In 2 Tagen wollen wir Siem Reap erreichen und uns die beeindruckenden Tempelanlagen von Angkor Wat ansehen.
Schon Kilometer vor dem Zentrum beginnt das heillose Durcheinander von tausenden Rollern, Tuk-Tuks, Kleinbussen und Pkw’s. Verkehrsregeln gibt es keine, doch wir haben unsere Lektion auf dem Weg hierher bereits gelernt. Am Straßenrand sind „Geisterfahrer“ unterwegs, abgebogen wird ohne Blinken, angefahren ebenso. Am spannendsten sind jedoch die per Ampel regulierten Kreuzungen. Sobald Grün erscheint setzen sowohl der Geradeaus- als auch der Abbiegeverkehr ungebremst seine Fahrt fort. In Deutschland würde es unweigerlich krachen! Nicht jedoch in Kambodscha. Ein merkwürdiges „Reisverschluss-System“ entsteht und wie von Geisterhand bleibt alles im Fluss. Geschmeidig, wenn auch ziemlich chaotisch bewegt sich der dichte Verkehr durch Siem Reaps Straßen. Nach 2 Stunden Sucherei finden wir ein einfaches Hotel für 9 $ die Nacht und spülen uns mit einer erfrischenden Dusche den roten Staub von der Haut.