Eingetaucht im Orient

Esfahan / Iran iran
112. Reisetag
(Bericht vom 18.07.2013)

IMGP8368 Gleißend scheint die Mittagssonne. Majestätisch erheben sich die blau-türkisfarbenen Moscheekuppeln über dem endlos wirkenden Dächermeer. Wir sind auf 1.500 m über N.N. Dennoch ist es drückend heiß. Bei 45 °C in der Sonne bläßt uns der Wind in den Straßen wie ein heißer Fön ins Gesicht. Isfahan liegt in Zentraliran in wüstenhafter Landschaft. Die 6-stündige Busfahrt von Teheran führte durch ausgetrocknetes, staubiges Hochland. Seit jeher ist der Fluss Zayandeh Rud Lebensader der 2 Millionen Einwohner zählenden Stadt, die wie eine Oase wirkt.

Uns haben die Geschichte Isfahans und seine zahlreichen Prachtbauten angelockt.

Die Stadt ist seit Jahrhunderten wichtiges Handelszentrum, in dem Religiosität und Handel die tragenden Säulen sind.

Gemeinsam mit Veronique und Julien aus Paris, die wir an der turkmenischen Botschaft in Teheran kennengelernt haben, streifen wir durch das Gassengewirr. Alle Bauwerke der Stadt überragt die Freitags-Moschee. Im 11. Jahrhundert erbaut besitzt sie die größte Moschee-Anlage Irans. In die gewaltige Südkuppel können wir leider nicht, doch auch die andere Teile des riesigen Areals sind faszinierend.

Der Königsplatz „Meydan-e Emam“ im Zentrum beeindruckt allein schon durch seine schiere Größe. Mit über 500 m Länge ist er der größte der Welt. Den Platz umsäumen doppelstöckige Arkaden. In den Untergeschossen befinden sich Arbeitsstätten und Geschäfte der Kunsthandwerker. Jede der 4 Seiten des „Großen Platzes“ beherrscht ein herausragendes Bauwerk.

Als erstes besuchen wir den Palast „Ali Quapu“. Von dessen offener Vorhalle, getragen von 18 Holzsäulen, haben wir einen imposanten Blick auf den Platz. Das Klacken der Pferdehufe, die fußlahme Besucher in Kutschen ziehen, hallt über den Platz. Leider trübt ein Baugerüst die Sicht etwas.

In der Imam-Moschee erhalten wir eine private Führung. 20 Jahre dauerte ihr Bau. Das hoch aufstrebende Eingangsportal mit Doppelminarett wirkt erhaben. Die Moschee gilt als eine der schönsten aus der Safaviden-Zeit. Im Inneren sehen wir warum. Wunderschöne Fliesen in tiefblauem Grundton und mit feinen Musterelementen schmücken den riesigen Innenhof. Die 54 m hohe Kuppel überstrahlt jedoch alles. Der Blick hinauf zum Strahlenkranz-Medaillon macht uns sprachlos, so meisterhaft und vollendet wirken die Ornamente.

Die 2. Moschee am Platz, die Lotfollah-Moschee von 1616, wirkt in ihren Ausmaßen dagegen bescheiden. Im Inneren ist sie jedoch nicht weniger faszinierend. Der Kuppelsaal ist der bisher schönste, den wir gesehen haben. Alles wirkt elegant, leicht – fast schwerelos. Die blau-gelben Fayencen erzeugen im gebrochenen Tageslicht eine warme, harmonische Stimmung. Lange sitzen wir am Boden auf den Perser-Teppichen und lassen die Atmosphäre auf uns wirken.

Anschließend streifen wir durch den Bazar Isfahans. Ein dichtes, schier unüberschaubares Netz aus Gassen, Kuppeln und kleinen Innenhöfen bildet das geschäftige Herz der Stadt. Wir genießen die angenehme Kühle in den alten Gemäuern und lassen uns vom Menschenstrom treiben. Alles mögliche wird feilgeboten: Teppiche, Kunsthandwerk, Antiquitäten, Stoffdrucke, Wolle, Obst und Gemüse, Farben, Kleider, Schuhe … es riecht nach orientalischen Gewürzen und Rosenblättern. Lastenträger verrichten ihre schwere Arbeit. Überall wird gehandelt. Obwohl es voll ist, können wir ungestört durch die Gassen streifen. Niemand preist lauthals seine Waren an. Auf der Brücke Pol-e-Khadjou lassen wir das Erlebte auf uns wirken und ruhen im Schatten ein wenig aus. Die Brücke wurde 1630 erbaut. 23 Bögen aus Steinen und Ziegeln überspannen den Zayandeh-Rud an dieser Stelle. Auf beiden Seiten der Brücke befinden sich überwölbte Galerien. Die Brückenköpfe und den Mittelteil zieren kleine Pavillons. Nach einer Stunden sausen wir mit dem Taxi zurück zum Platz „Meydan-e Emam“. Taxen gibt es in jeder iranischen Stadt wie Sand am Meer. Sie sind günstig, fahren schnell von A nach B und ersparen einem lange Suchereien nach der richtigen Buslinie. So oft wie in Teheran und Isfahan haben wir in unserem gesamten bisherigen Leben noch nicht Taxen gesessen.

Als es zu dämmern beginnt, versammeln sich die Isfahaner auf dem Großen Platz und warten auf das Fastenende. Kurz nach 21 Uhr picknicken schließlich überall Familien vor sich hin. Wir genießen die entspannte Atmosphäre und den Blick auf die erleuchteten Prachtbauten. Unsern Hunger stillen wir mit einem Kebab und gebackenen Tomaten. Zum Abschluss gönnen wir uns mit Veronique und Julien unsere erste Wasserpfeife. Versteckt in den dunklen Gassen der Stadt finden wir eine düster anmutende Kaschemme, gefüllt mit rauchenden jungen Männern. In einer Ecke lassen wir uns nieder. Verschwörerisch geht die Pfeife in unserer kleinen Reisegruppe reihum. Langsam füllen dichte Nebelschwaden den Raum. Etwas benebelt und nach Apfelduft riechend taumeln wir gegen 2 Uhr in unser Hotel.

Die knapp 30 Stunden in Isfahan waren prall gefüllt und unvergesslich. Ein Spruch sagt, „Hast Du Isfahan gesehen, hast Du die halbe Welt gesehen.“ Das ist sicherlich etwas übertrieben, aber eine Reise wert ist diese orientalische Stadt allemal. Die 28 Stunden Busfahrt (hin- und zurück) waren es wert. Gerne wären wir länger geblieben. Doch die Zeit rennt. Morgen geht es zurück zu Eslam und seiner Familie. Von Marand aus geht es nun mit dem Rad ans Kaspische Meer. Sicherlich wird auch dieser Abschnitt unserer Reise im Iran wieder jede Menge Überraschungen und Begegnungen bereithalten.

Auch zu diesem Bericht müssen die Bilder leider noch auf sich warten lassen. Alle Versuche eine Galerie hochzuladen wurden bisher geblockt. Immerhin ist ein Titelbild möglich und wir kommen noch auf unsere Homepage. Seiten anderer Reiseradler sind komplett blockiert…

Andere Länder andere Regeln und ein Blick hinter die Kulissen des Gottesstaates

Marand / Iran iran
105. Reisetag
2.990 km / hm

Schatten ist rar gesät Als wir am Donnerstag die türkisch-iranische Grenze erreichen, schlägt unser Puls doch deutlich schneller als bei den bisherigen Grenzübertritten. Vor einem mächtigen Eisentor, umgeben von hohen Zäunen mit Stacheldraht warten wir auf unseren Eintritt in die Islamische Republik. Übergroß blicken die „Revolutionsführer“ des Landes, Ayatollah Khomeini und Ayatollah Khamenei, von einem Plakat auf uns herab. Der Iran ist das einzige Land der Welt, in dem der schiitische Islam laut Verfassung Staatsreligion ist.

Nach wenigen Minuten öffnet sich das Tor und ein „aufmerksamer“ Guide begleitet uns durch die Grenzformalitäten. Nachdem unsere Pässe kontrolliert und abgestempelt sind, will man zunächst unser Gepäck sehen, verzichtet dann jedoch darauf. Ohne größere Probleme passieren wir nach weniger als 1 Stunde die letzte Schleuse. Vor wenigen Tagen kaum denkbar , fahren wir nun unsere ersten Kilometer auf iranischem Asphalt.

In der Stadt Maku wollen wir übernachten. Uns spricht ein freundlicher Deutsch-Dolmetscher aus Teheran an. Wieder einmal kommt unverhofft Hilfe, wenn wir sie benötigen. Gerade hatten wir vergeblich nach einer Wechselstube und einem Hotel Ausschau gehalten. Mit Pouryas Hilfe geht alles im Handumdrehen.

In den folgenden 2 Tagen fahren wir auf glattem Asphalt durch die Provinzen West- und Ost-Azerbeijan. Die wirtschaftliche Grundlage ist hier noch weitgehend die Land- und Viehwirtschaft. In ausgedehnte Becken und Tälern werden vor allem Sonnenblumen gepflanzt. Zahlreiche Schaf- und Kuhherden grasen die ausgetrockenen Weiden ab. Die Hochebenen sind steppenartig. Sandhosen wirbeln die staubtrockene Erde auf. Alle Flüsse sind ausgetrocknet, die Erdkruste ist in der Hitze aufgebrochen.

Der Lkw-Verkehr hat gegenüber den letzten Kilometern in der Türkei wieder deutlich zugenommen. Meist haben wir jedoch ein gut befahrbaren Seitenstreifen. Lediglich die waghalsigen Überholmanöver und das lautstarke, enthusiastische Hupen der Iraner lassen uns gelegentlich zusammenzucken. Nahezu jeder zweite Fahrer grüßt uns mit Licht- oder Signalhupe oder einem langgezogenen „Hellou!“. Wir fühlen uns von Anfang an im Land willkommen. Das in den Medien oft gezeichnete Bild eines sich abschottenden radikal-islamischen, „mittelalterlichen“ Staates können wir in den ersten Tagen nicht sehen. Freundlich winkend rufen uns die Menschen „Salam!“ (Hallo!) zu, immer wieder werden wir aufgefordert doch kurz anzuhalten.

Dennoch ist das Reisen im Iran für uns nicht so unbeschwert wie noch in der Türkei. Zwar erwartet der iranische Staat nicht (und erst recht nicht die Iraner), dass wir (Touristen) uns komplett dem koranischen Moralkodex unterwerfen. Einige „Benimmregeln“ müssen wir dennoch einhalten. Ab sofort hat Ria in der Öffentlichkeit ihr Haar mit einem Kopftuch zu bedecken und Oberbekleidung zu tragen, die die Körperformen nicht betont. Diese Regel ist nicht nur gewöhnungsbedürftig, bei 45°C in der Sonne ist sie auch lästig. Für mich (Oliver) ist die Kleiderordnung weniger restriktiv. Ärmellose Hemden oder T-Shirts werden nicht so gerne gesehen, aber ich kann sie tragen. Kurze Hosen sind tabu. Bei der intensiven Sonne sowieso keine gute Idee.

Hinzu kommt, dass wir mitten im Ramadan das Land bereisen. Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang ist den Muslimen jegliche Nahrungsaufnahme und Trinken verboten. Für Touristen und Reisende gilt diese Vorschrift nicht. Um die religiösen Gefühle der Iraner nicht zu verletzen, nehmen wir „Festes“ jedoch nur noch abseits der Hauptstraße und sichtgeschützt ein. Die Flüssigkeitszufuhr regeln wir diskret am Straßenrand.

Auch sprachlich müssen wir uns „umstellen“. Die offizielle Staats- und Verwaltungssprache Irans ist Persisch (Farsi). Bis auf die Zahlen sind die Zeichen für uns ein „Buch mit 7 Siegeln“. Glücklicherweise stehen alle Ortsangaben auch in Englisch auf den Straßenschildern. Und auch unsere Türkisch-Kenntnisse können wir noch anwenden. Im Nordwesten Irans (Azerbeijan), wird Azeri-Türkisch gesprochen, das dem Türkischen ähnlich ist.

Kurz vor Marand treffen wir Akbar, Sportsmann durch und durch und immerzu lächelnd. In seiner Freizeit wartet er am Straßenrand auf Reiseradler, schenkt ihnen Erfrischungsgetränke und macht zur Erinnerung Fotos, die er in sein Album klebt. Gemeinsam fahren wir durch den chaotischen Stadtverkehr Marands zu Akbars Freund Eslam. Im Haus seiner Eltern verbringen wir 2 wunderbare Tage und Abende.

Was uns als erstes auffällt: das große Interesse, die Unbefangenheit und die überwältigende Freundlichkeit, die uns von allen Familienmitgliedern entgegengebracht wird. Wie schon in der Türkei beschenkt man uns mit Herzlichkeit, die uns tief berührt und nur schwer in Worte zu fassen ist.

Am ersten Abend sitzen wir gemeinsam mit Delara und Ghorban, Eslams Eltern, auf Perserteppichen im Wohnzimmer und machen es uns zwischen zahlreichen Kissen gemütlich. In der Mitte stehen bereits Essen und Trinken. Wie bei uns an Silvester blicken wir gespannt auf die eingeblendete Uhr im iranischen Fernsehen, die die letzten Minuten bis Sonnenuntergang anzeigt. Kurz nach 21 Uhr ist es endlich soweit. Das Fasten darf gebrochen werden. Über 16 Stunden haben Delara und Ghorban keinen Schluck getrunken und nichts gegessen. Nach einem kurzen Gebet beginnt das gemeinsame Abendmahl. Als es bereits nach Mitternacht ist machen wir uns alle auf den Weg in einen Art Vergnügungspark. Wie viele andere Familien breiten wir unsere Decke auf dem Rasen aus und essen zum Abschluss des Tages eine große Wassermelone.

Nach einer Mütze Schlaf fahren wir am nächsten Tag mit Eslam nach Jolfa nördlich von Marand. Extra für uns hat er sich einen Tag frei genommen. Die Grenzstadt zwischen Iran und Aserbaidschan ist eine Sonderwirtschaftszone in der Armenier, Aserbaidschaner, Russen und Iraner günstig einkaufen können. Wir schlendern ein wenig über den Markt und kaufen Süßigkeiten für die Kinder und Obst für uns. Von Jolfa aus fahren wir entlang des Flusses Aras, der hier die aserbaidschanisch-iranische Grenze bildet. Durch ein beeindruckendes Tal geht es zum Kloster des heiligen Stephanos. Die Straße windet sich entlang schroffer rötlicher Felsen, vorbei an Überresten einer alten Karawanserei und einer Kirche. In der malerischen Umgebung, an einem Berghang gelegen, beeindruckt die Klosteranlage schon von weitem. Eingefasst von einer mächtigen Wehrmauer aus Bruchsteinen verbirgt sich im Innenhof ein armenische Kirche mit schönen Reiterbildern und Ornamenten an der Außenfassade. Wir streifen zu Dritt durch die Anlage und ruhen uns anschließend im Schatten alter Bäume aus.

Am Abend sind wir zu Gast bei Sarah, Sinar, Hamide und Mohammed. Der Kontakt hatte sich spontan am Abend zuvor ergeben. Kaum schließt sich die Tür des Hauses fliegen die Kopftücher von den Köpfen. Das ist das zweite was uns auffällt: der deutliche Unterschied zwischen öffentlicher und private Sphäre. In der Öffentlichkeit – und das meint im Iran außerhalb der eigenen 4 Wände – gilt die Kopftuchpflicht. Innerhalb der eigenen Wohnung ist man jedoch frei. Ausgelassen und ungezwungen sprechen wir über alles, was uns interessiert und bewegt und essen gemeinsam im Innenhof Abendbrot. Als Vorspeise gibt es orientalisch schmeckende Suppe mit Graupen und getrockneten süßen Beeren. Anschließend essen wir gekochten Reis (polo) mit Bohnen und zartem Schaffleisch in einer Fleischsoße (khoresht). Dazu gibt es eine minzeartige Limonade und selbstgemachten Kirschsaft, jede Menge frisches Obst und Tee. Die wenigen Stunden vergehen wie im Flug. Zu gerne würde uns die Familie über Nacht bei sich behalten. Da wir jedoch unseren Ausflug nach Teheran vorbereiten wollen müssen wir leider ablehnen. Herzlich verabschieden wir uns voneinander.

Den heutigen Tag haben wir mit Vorbereitungen, Ticket kaufen und Ruhen verbracht. In gut 2 Stunden besteigen wir den Nachtbus nach Teheran. Knapp 800 km sind es in die Hauptstadt Irans. Dort bekommen wir hoffentlich problemlos unser Visum für Turkmenistan. Unsere Räder und unser Gepäck lassen wir solange bei Eslam in Marand. Nach unserer Rückkehr geht es weiter Richtung Kaspisches Meer.

 

100 Tage auf Tour

Türkei

Erzurum (1.950 m)

 

Vor 100 Tagen haben wir Berlin bei Eis und Schnee für 2 Jahre „lebe wohl“ gesagt und unsere Räder gesattelt. Mittlerweile ist es Juli, in der Türkei sind es locker 30 – 40 °C mehr als bei unserem Start und wir sind 2.600 km gen Osten gefahren.

Nicht so viel wie geplant … aber wie heißt es schon auf unserer Homepage „Ja, mach nur einen Plan sei nur ein großes Licht und mach dann noch ‘nen zweiten Plan gehn tun sie beide nich“ (Dreigroschenoper, Bertolt Brecht). Manchmal laufen die Dinge anders als gewünscht. Und so mussten wir mehr Pausen einlegen als gewollt. Bedingt durch die längeren Unterbrechungen ist das Reisen per Rad noch nicht wirklich Alltag geworden. Dennoch hat sich schon ein wenig Routine eingestellt: das Zelt steht abends in wenigen Minuten, in den Taschen suchen wir nicht mehr so lange wie zu Anfang. Die Aufgabenteilung klappt immer besser.

100 Tage auf Tour, 5 Länder, viele Begegnungen – manche nur für einen Augenblick andere intensiver, fast alle nur positiv und bereichernd. Besonders in der Türkei beschenken uns die Menschen mit einer Gastfreundschaft, Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft, die uns sprachlos macht.

Und wieder einmal liegen in diesen Tag Freude und Enttäuschung eng beieinander. Von Malatya hatten wir uns kurz entschlossen per Nachtbus (8 Stunden Fahrt) nach Erzurum bringen lassen. Der Grund: hier sollen Iran-Visa wieder ausgestellt werden. In der Stadt angekommen machen wir uns zunächst auf die Suche nach dem deutschen Honorarkonsul. Unsere Pässe haben wir (mit den Visa für Usbekistan und Tadschikistan) aus Berlin hierher schicken lassen. Da das Büro nicht zu finden ist, spricht Ria einen Herrn an. Er kennt den Konsul. Dieser ist jedoch nicht in der Stadt. Doch “problem yok!” Kein Problem! Während er uns zum Frühstück einlädt macht sich der Bruder des Konsuls mit den Pässen auf den Weg zu uns. Eine halbe Stunde später halten wir unsere Pässe in den Händen.

Auf der Suche nach dem Iranischen Konsulat treffen wir zufällig auf eine französisch-schweizerische Radgruppe. Alle haben gerade ihr Iran-Visum nach 5 Tagen Wartezeit bekommen. Übermüdet machen wir uns direkt auf den Weg ins Konsulat, um keine Zeit zu verlieren. Ria legt schnell ihr Kopftuch um. Wir überreichen unsere eigentlich abgelaufene Referenznummer vom März und Ria’s Passfotos mit Kopfbedeckung (haben wir glücklicherweise noch in Malatya machen lassen) und …. bereits am Nachmittag haben wir ein 30-Tage Visum für den Iran. Wir können es kaum fassen, freuen uns wie Schneekönige. 3 Monate hatten wir vergeblich auf eine Einreise gehofft. Gedanklich waren wir schon auf dem Weg durch den Kaukasus und dann dieses kleine Wunder. Wir können in den Iran und unsere Reise so fortsetzen wie geplant!

Am nächsten Tag bereiten wir unsere Räder für die Weiterfahrt vor und überprüfen alle Teile. Schon die letzten Tage hatte ich (Oliver) beim Lenken ein Rauheit und leichte Schwergängigkeit gespürt. Um der Sache auf den Grund zu gehen, ziehen wir den Vorbau vom Schaft ab und sehen uns die beiden Steuersatzlagerschalen an. Dann der Schock, die obere ist defekt. Der Wälzkörper ist nicht mehr richtig abgedichtet und verschlossen. Auf über 50 % der Lagerschale ist der “Dichtungsring” angehoben. Das Ding hat keine 3.000 km runter. So eine Sch****!

In Erzurum laufen wir von „Pontius zu Pilatus“. Kein Radladen weit und breit der uns weiterhelfen kann. Mit Hilfe des Radforums können wir das obere Steuerlager wieder halbwegs hinbekommen. Dennoch sind wir unsicher, mit diesem Defekt die Fahrt durch den Iran fortzusetzen. Zum Glück ist ein Münchner Paar auf dem Weg nach Erzurum. Hamida und Sebastian haben in Istanbul einen Steuersatz für uns gekauft. Morgen werden sie mit dem Bus da sein. Welch Glück im Unglück!

Dann können wir uns endlich wieder auf unsere Räder schwingen und weiter Richtung Osten fahren.

Bilder zum Artikel folgen morgen, sofern wir noch Zeit finden.

Zum Abschluss ein wenig Statstik:

1. Defekte

Ria:

  • Platte Reifen: noch keinen!
  • Objektiv der DSLR defekt (in Istanbul reparieren lassen)
  • Klapphaarbürste in der Türkei gebrochen (mit Alleskleber leidlich „repariert“)
  • Loch am Knie (geflickt) und diverse Teerklekse (Fahrt auf heißem Asphalt, auch mit Gallseife nicht rauszubekommen) auf langer Hose

Oliver

  • Platte Reifen: 1 x hinten
  • Sportsocken haben ein großes Loch (von Ria genäht)
  • Helm im Bus vergessen (in Istanbul neuen gekauft)
  • Steuerlager defekt (wir warten gerade auf Ersatz)

Darüber hinaus gibt es einige Löcher und Laufmaschen in unseren Merinoklamotten.

2. Erkrankungen/Verletzungen

Ria:

  • Schnupfen in Ungarn
  • Magenverstimmung in Istanbul (der Fisch war wohl schlecht)
  • Schürfwunde am Knie durch Sturz in Rumänien

Oliver:

  • Knieschmerzen in Ungarn, Bulgarien und der Türkei (viel Geduld, Stabi-Übungen [Danke Eva und Nadine] und vorsichtiger Neubeginn haben geholfen)
  • Magenverstimmung in Istanbul (der Fisch war wohl schlecht)

3. Was wir immer wieder mitnehmen würden (Liste wird sicherlich noch ergänzt):

  • Sprach- und Reiseführer (das zusätzliche Gewicht lohnt)
  • Rack-Packs (sind handlicher und schneller aufzumachen als unsere bisherigen Packsäcke)
  • jede Menge verschiedenfarbige Beutel um Ordnung in die Taschen zu bringen
  • Klickboxen für Lebensmittel und empfindliche Elektronik
  • selbstgebastelter „Blasebalg“ aus einer blauen Mülltüte, der aus unseren Leichtluftmatratzen in „Null komma Nix“ Himmelbetten macht
  • Rückspiegel am Lenker, der uns vor rücksichtslosen Truckern warnt
  • Warnwesten, um besser gesehen zu werden (auch bei Tunneldurchfahrten sehr nützlich)
  • Helme auf dem Kopf (man spürt sie kaum; als ich [Oliver] in Istanbul ohne fahren musste war mir nicht wohl)
  • T-Shirts aus Wolle, die auch am 3. Tag fast noch müffelfrei sind

4. Was uns fehlt:

Ria:

  • Gummibärchen und eine knusprige Pizza
  • frischer Salat und Obstsalat am Morgen
  • mein Lümmelsofa
  • der Tatort

Oliver:

  • Nutella und Krustenbrot
  • auch frischer Salat und Obstsalat am Morgen
  • bei einer Tasse Kaffee Inforadio hören
  • Tagespresse, vor allem „Die Zeit“

Am Thron der Götter

Malatya / Türkei turkey

IMGP8072

Staunend stehen wir am Gipfel des Nemrut Dağı (2.150 m) und bewundern die riesigen Köpfe aus Stein. Sie bewachen den gigantischen Grabhügel (Tumulus) des kommagenischen Königs Antiochus I., der 50 m x 150 m misst.

An der Südflanke des Taurusgebirges, nicht weit vom Euphrat entfernt, ließ der sagenumwobene Herrscher über das Reich Kommagene sich hier aus Götterverehrung und wohl auch Selbstvergötterung 34 v. Chr. eine gigantische Grabstätte errichten, die einzigartig in der Welt ist. Um das Plateau zu schaffen, auf dem das Heiligtum steht, mussten über 200.000 m³ Geröll und Felsgestein von Hand abgetragen werden.

Um den größten Grabhügel der Welt zu besichtigen, sind wir um 12 Uhr von Malatya aus zusammen mit 2 Südkoreanern und einem australischen Paar zu einer abenteuerlichen Fahrt durch das Taurus-Gebirge aufgebrochen. Unsere kleine Reisegruppe versteht sich auf Anhieb blendend und die nächsten 22 Stunden haben wir eine Menge Spaß zusammen und unvergessliche Momente auf dem Nemrut Dağı. In einem atemberaubenden Tempo fährt der Dolmus die endlos erscheinende, abschnittsweise extrem steile Serpentinenstraße zum Motel unterhalb des Gipfels hinauf. Teilweise ist die Straße so schmal, dass man beim Blick aus dem Fenster meint, man säße im Flugzeug. Nichts für schwache Nerven und sensible Mägen. Nach 3 Stunden erreichen wir – ordentlich durchgerüttelt – das Motel Gunes (türk. = Sonne).

Am Abend geht es zur Westterrasse, dem heiligsten Platz am Gipfel. Von dort oben haben wir einen fantastischen Blick auf das Taurusgebirge und den Atatürk-Stausee. Während langsam die Sonne über Südostanatolien untergeht, werden die 5 Götter in ein zauberhaftes Farbenspiel getaucht. Die menschengroßen Köpfe wirken im Licht der Abendsonne noch plastischer und eindrucksvoller. Begeistert von diesem Erlebnis sitzt unsere kleine Reisegruppe nach dem Abendessen noch lange zusammen, redet über Götter und die Welt, gutes Essen und unsere kulturellen Eigenheiten.

Die Nacht ist dafür umso kürzer. Bereits um 04:00 Uhr werden wir vom Fahrer geweckt. Müde und etwas benommen steigen wir 15 min. später alle in den Bus. Durch die Nacht geht es erneut zum Gipfel, dieses Mal zur Ostterrasse. Draußen ist es kalt und windig. Zum Glück haben wir unsere Fleece- und Regenjacken dabei. Auf dem Feueraltar – einer großen Plattform gegenüber den Figuren – sitzen schon einige Dutzend „Sonnenhungrige“. Gemeinsam warten wir alle auf das erste Licht des Tages. Was sich dann abspielt ist wohl das faszinierende und bewegendste Erlebnis, dass wir erlebt haben.

Gegen 05:30 beginnt das Naturschauspiel hoch oben auf dem windumtosten Berg Nemrut. Langsam breitet sich das erste Licht der Sonne über die faszinierende Gebirgslandschaft aus. Immer plastischer zeichnen sich die umliegenden Berge ab, während die Täler noch im Dunkel der Nacht liegen. Schließlich fallen die ersten Sonnenstrahlen auch auf die über 2000 Jahre alten steinernen Skulpturen. Der Sitz der Götter taucht aus seinem „Schattenreich“ auf.

Das rot-braune Leuchten der ursprünglich 8 – 9 m hohen Kalkstein-Statuen wird immer intensiver, als die Sonne ganz am Himmel steht und ihre Kraft zu entfalten beginnt. Die Steinhäupter, die einst auf den dahinter sitzenden Figuren thronten, blicken in die umliegende Gebirgslandschaft. Ihr Antlitz gibt einem das Gefühl, dass sie noch immer Anspruch auf den Berg als Sitz der Götter erheben. Dieser Ort hat etwas Magisches.

„Eisheilige“ im Anatolischen Hochland

Malatya (1.080 m.ü.M.) / Türkei turkey
94
. Reisetag
2.592 km / 19.221 hm

Daglari GebirgeMühsam quälen wir uns den x-ten Pass des Tages hinauf. Unter den Reifen schmatzt der flüssig-klebrige Teer. Der Asphalt ist grob und bremst zusätzlich unser Vorankommen. Es ist unglaublich heiß. Kein Baum am Straßenrand, der für einen Moment Schatten spendet. Ziemlich erschöpft und mit trockenen Kehlen erreichen wir nach einer gefühlten Ewigkeit wieder eine Trinkwasserquelle. Für Ria ein schwacher Trost, hatte sie sich doch schon seit Stunden ein kühles Eis gewünscht. Da es weit und breit keine Tankstelle oder ein Dorf gibt, ein unerfüllbarer Wunsch…

Während wir unsere Wasserflaschen auffüllen kommt ein Pkw die Straße entlang, auf dem Dach dröhnen Lautsprecher. Wir denken: Vielleicht Wahlwerbung oder die Bekanntgabe örtlicher Nachrichten? Nicht weit von uns hält der Wagen an. Hakan, der Fahrer, winkt uns zu sich. Fröhlich gestikulierend und plaudernd versucht er uns etwas mitzuteilen. Während wir noch zu enträtseln versuchen, worum es geht, hantiert sein Beifahrer hinten am Wagen und …. Unglaublich aber wahr: Bringt uns zwei Maras Eis (türkisches Eis)! Wir sind baff! Diese beiden „Eisheiligen“ hat uns der Himmel geschickt. Ehe wir so recht begreifen, was gerade passiert ist, brausen Hakan und sein Beifahrer schon wieder davon, um Ihr Eis im nächsten Dorf anzupreisen. Und wir genießen mitten in der einsamen Hochebene Zentralanatoliens ein erfrischendes Eis.

Diese Geschichte ist nur eine von zahlreichen wunderbaren Begegnungen, Einladungen und Hilfsangeboten, die wir in den letzten Tagen erlebt haben. Unmöglich alle hier zu beschreiben. Halten wir an einer Tankstelle, werden wir zum Tee eingeladen. Kaufen wir ein paar Kleinigkeiten im Mini Markt werden uns draußen Stühle zum Erholen angeboten. Fragen wir nach einem Schlafplatz, können wir 5 min. später unser Zelt aufstellen und bekommen Wasser und Tee gereicht. Man schenkt uns Brot, Obst, Gemüse, Wasser ein Lächeln, drückt lange unsere Hand und verabschiedet uns mit Küssen auf die Wange. Es ist unglaublich mit welcher Herzlichkeit uns die Menschen hier begegnen. Die Einladungen zum Cay haben wir mittlerweile aufgehört zu zählen. Würden wir alle annehmen, kämen wir keine 20 km am Tag voran. Als wir in Gürün eine Lokal suchen spricht uns Koca an. Er hat 17 Jahre in Deutschland gearbeitet und gelebt. Koca gibt uns einen Tip, wo man gut essen kann und leistet uns beim Essen Gesellschaft. Als wir uns bei ihm für seine Hilfe bedanken sagt er, „Wenn ich jemanden etwas Gutes tun kann, dann geht es auch mir gut.“ Vielleicht ist das eine Erklärung für die wunderbare Gastfreundschaft der Türken.

Nach solchen Erlebnissen sind die Anstrengungen des Tages schnell vergessen. In den letzten 5 Tagen haben wir über 4.000 Höhenmeter bewältigt, zahlreiche Pässe erklommen, drei davon über 1.800 m und einen mit 1.900 m. Freude und Erschöpfung liegen nah beieinander. Ob angekommen genießen wir die fantastischen Ausblicke, den kühlenden Wind und das Gefühl es „gepackt“ zu haben. Die Abfahrten sind dann leider genauso steil wie die Anstiege. So können wir es auch bergab nicht rollen lassen. Stattdessen bremsen wir permanent. Die Felgen quietschen ohrenbetäubend, unsere Hände schmerzen. Dazu kommt oft ein unerwartet starker Gegen- oder Seitenwind.

Seit Kappadokien bewegen wir uns auf der D300, eine der beiden transanatolischen Fernstraßen, die sich über 1.800 km von Izmir an der Ägäisküste über Konya, Kayseri und Malatya zum Van-See im äußersten Südosten der Türkei zieht. Meist ist die D300 ein 3- oder 4-spuriger Highway, abschnittsweise jedoch auch staubtrockene Baustelle oder einspuriges Nadelöhr. Weite, karge Ebenen, die in der Sonne glühen, schneebedeckte Gipfel und grüne Bänder entlang mäandernder Flüsse prägen die Region. Die Menschen, die hier leben, ringen dem Boden in harter Arbeit das Wenige ab, was er hergibt. Je weiter wir nach Osten fahren, desto größer sind die Entfernungen zwischen den Ortschaften. Auch der Verkehr nimmt spürbar ab. Nur um die größeren Orte sind die Straßen wieder voll. Wenn uns Fahrzeuge begegnen, wird fast immer freundlich gehupt oder man winkt uns zu. Auch in den Orten werden wir stets willkommen geheißen. Kinder, Händler, Bauern, Erntehelfer; stets heißt es „Merhaba“ oder „Hello“ und fast immer bedeutet man uns mit einer Handbewegung doch auf einen Çay anzuhalten.

In Malatya, das wir heute erreicht haben, bleiben wir nun einen Tag. Die gleichnamige Provinz wird im Volksmund „Aprikosengarten der Türkei“ genannt. In der fruchtbaren Ebene, die die Stadt umgibt werden bis zu 300.000 t Aprikosen geerntet und als Dörrfrüchte in die ganze Welt exportiert. Wir bekommen die leckeren Früchte am Straßenrand frisch gepflückt immer wieder in die Hosentaschen gestopft und haben so stets etwas zum Naschen.