„Eisheilige“ im Anatolischen Hochland

Malatya (1.080 m.ü.M.) / Türkei turkey
94
. Reisetag
2.592 km / 19.221 hm

Daglari GebirgeMühsam quälen wir uns den x-ten Pass des Tages hinauf. Unter den Reifen schmatzt der flüssig-klebrige Teer. Der Asphalt ist grob und bremst zusätzlich unser Vorankommen. Es ist unglaublich heiß. Kein Baum am Straßenrand, der für einen Moment Schatten spendet. Ziemlich erschöpft und mit trockenen Kehlen erreichen wir nach einer gefühlten Ewigkeit wieder eine Trinkwasserquelle. Für Ria ein schwacher Trost, hatte sie sich doch schon seit Stunden ein kühles Eis gewünscht. Da es weit und breit keine Tankstelle oder ein Dorf gibt, ein unerfüllbarer Wunsch…

Während wir unsere Wasserflaschen auffüllen kommt ein Pkw die Straße entlang, auf dem Dach dröhnen Lautsprecher. Wir denken: Vielleicht Wahlwerbung oder die Bekanntgabe örtlicher Nachrichten? Nicht weit von uns hält der Wagen an. Hakan, der Fahrer, winkt uns zu sich. Fröhlich gestikulierend und plaudernd versucht er uns etwas mitzuteilen. Während wir noch zu enträtseln versuchen, worum es geht, hantiert sein Beifahrer hinten am Wagen und …. Unglaublich aber wahr: Bringt uns zwei Maras Eis (türkisches Eis)! Wir sind baff! Diese beiden „Eisheiligen“ hat uns der Himmel geschickt. Ehe wir so recht begreifen, was gerade passiert ist, brausen Hakan und sein Beifahrer schon wieder davon, um Ihr Eis im nächsten Dorf anzupreisen. Und wir genießen mitten in der einsamen Hochebene Zentralanatoliens ein erfrischendes Eis.

Diese Geschichte ist nur eine von zahlreichen wunderbaren Begegnungen, Einladungen und Hilfsangeboten, die wir in den letzten Tagen erlebt haben. Unmöglich alle hier zu beschreiben. Halten wir an einer Tankstelle, werden wir zum Tee eingeladen. Kaufen wir ein paar Kleinigkeiten im Mini Markt werden uns draußen Stühle zum Erholen angeboten. Fragen wir nach einem Schlafplatz, können wir 5 min. später unser Zelt aufstellen und bekommen Wasser und Tee gereicht. Man schenkt uns Brot, Obst, Gemüse, Wasser ein Lächeln, drückt lange unsere Hand und verabschiedet uns mit Küssen auf die Wange. Es ist unglaublich mit welcher Herzlichkeit uns die Menschen hier begegnen. Die Einladungen zum Cay haben wir mittlerweile aufgehört zu zählen. Würden wir alle annehmen, kämen wir keine 20 km am Tag voran. Als wir in Gürün eine Lokal suchen spricht uns Koca an. Er hat 17 Jahre in Deutschland gearbeitet und gelebt. Koca gibt uns einen Tip, wo man gut essen kann und leistet uns beim Essen Gesellschaft. Als wir uns bei ihm für seine Hilfe bedanken sagt er, „Wenn ich jemanden etwas Gutes tun kann, dann geht es auch mir gut.“ Vielleicht ist das eine Erklärung für die wunderbare Gastfreundschaft der Türken.

Nach solchen Erlebnissen sind die Anstrengungen des Tages schnell vergessen. In den letzten 5 Tagen haben wir über 4.000 Höhenmeter bewältigt, zahlreiche Pässe erklommen, drei davon über 1.800 m und einen mit 1.900 m. Freude und Erschöpfung liegen nah beieinander. Ob angekommen genießen wir die fantastischen Ausblicke, den kühlenden Wind und das Gefühl es „gepackt“ zu haben. Die Abfahrten sind dann leider genauso steil wie die Anstiege. So können wir es auch bergab nicht rollen lassen. Stattdessen bremsen wir permanent. Die Felgen quietschen ohrenbetäubend, unsere Hände schmerzen. Dazu kommt oft ein unerwartet starker Gegen- oder Seitenwind.

Seit Kappadokien bewegen wir uns auf der D300, eine der beiden transanatolischen Fernstraßen, die sich über 1.800 km von Izmir an der Ägäisküste über Konya, Kayseri und Malatya zum Van-See im äußersten Südosten der Türkei zieht. Meist ist die D300 ein 3- oder 4-spuriger Highway, abschnittsweise jedoch auch staubtrockene Baustelle oder einspuriges Nadelöhr. Weite, karge Ebenen, die in der Sonne glühen, schneebedeckte Gipfel und grüne Bänder entlang mäandernder Flüsse prägen die Region. Die Menschen, die hier leben, ringen dem Boden in harter Arbeit das Wenige ab, was er hergibt. Je weiter wir nach Osten fahren, desto größer sind die Entfernungen zwischen den Ortschaften. Auch der Verkehr nimmt spürbar ab. Nur um die größeren Orte sind die Straßen wieder voll. Wenn uns Fahrzeuge begegnen, wird fast immer freundlich gehupt oder man winkt uns zu. Auch in den Orten werden wir stets willkommen geheißen. Kinder, Händler, Bauern, Erntehelfer; stets heißt es „Merhaba“ oder „Hello“ und fast immer bedeutet man uns mit einer Handbewegung doch auf einen Çay anzuhalten.

In Malatya, das wir heute erreicht haben, bleiben wir nun einen Tag. Die gleichnamige Provinz wird im Volksmund „Aprikosengarten der Türkei“ genannt. In der fruchtbaren Ebene, die die Stadt umgibt werden bis zu 300.000 t Aprikosen geerntet und als Dörrfrüchte in die ganze Welt exportiert. Wir bekommen die leckeren Früchte am Straßenrand frisch gepflückt immer wieder in die Hosentaschen gestopft und haben so stets etwas zum Naschen.