Gestrandet

Lozenec / Bulgarien
60. Reisetag
1.554 km / 7.703 hm

Gerne hätten wir an dieser Stelle aus Istanbul, der Stadt am Goldenen Horn, berichtet … aber das Knie hat die Belastungen nicht vertragen. Und so sind wir noch immer am Schwarzen Meer.

In dem 500-Seelenörtchen Lozenec im äußersten Südosten Bulgariens haben wir für 15 € pro Nacht ein günstiges Hotel gefunden. Im „Old House“ „residieren“ wir in der obersten Etage und sind an den meisten Tagen die einzigen Gäste. Wir genießen Sonne, Sand und Meer und vom Balkon aus den Blick auf’s Wasser und die morgendlichen Sonnenaufgänge. Auf den umliegenden Dächern ziehen Möwen und Stare gerade ihren Nachwuchs auf. Durch die Straßen streifen allerlei Katzen und jeder Morgen wird von 2 heiseren Hähnen im Gesangs-Wettstreit und einer Schar aufgeregter Hühner begrüßt. In diese fast ländliche Atmosphäre mischen sich die letzten Tage ganz andere Töne. Die Einwohner Lozenecs rüsten sich für die bevorstehende Sommersaison. Überall wird eifrig gestrichen, gebohrt, gehämmert, neu verputzt und aufgehübscht. Zahlreiche Bars, Lounges und Hotels prägen das Bild in den Straßen. Nicht von ungefähr wurde Lozenec der Beiname „Die Nachbarstadt von Sofija“ verliehen. Wie Pilze schießen Verkaufsstände mit allem Nötigen und Unnötigen für das Strandleben aus dem Boden. Bald wird es hier trubelig und sich die „Einwohnerzahl“ verdreifachen. Dann aalt sich am schönen Stadtstrand die Jeunesse dorée Bulgariens und schaut den Surfern zu, die in der Bucht wegen des beständigen Windes hervorragende Bedingungen vorfinden. Noch sind aber nur sehr wenige Touristen im Ort, so dass wir bei 36 °C in der Sonne den Strand für uns haben. Bei diesen hochsommerlichen Temperaturen ist ein Bad im kühlen Meer eine wahre Wohltat. So schön die unfreiwillige Auszeit vom Rad auch ist, in Gedanken sind wir schon in der Türkei und brennen darauf Neues zu sehen.

Um die Knie langsam wieder an die kommenden Belastungen zu gewöhnen, fahren wir mit den Rädern die Küstenstraße nach Norden und Süden ab und erkunden die Umgebung. Die Straße ist recht schmal aber in gutem Zustand. Leider sind einige Pkw-Fahrer alles andere als rücksichtsvoll und überholen an den unmöglichsten Stellen, so dass die Ausflüge nur bedingten Fahrspaß bringen. Zahlreiche Kreuze am Straßenrand bezeugen, dass viele ihr Können überschätzen.

Die Schwarzmeerküste im Südosten Bulgariens ist oft recht felsig, ständig geht es Auf und Ab. Zwischen den steilen Küstenabschnitten finden sich immer wieder wunderbare Sandbuchten. Das ist natürlich auch der Tourismusindustrie nicht entgangen. Und so ist an vielen Stellen ein Konvolut aus Campingplätzen, Bungalows, Hotelburgen und Ressorts in allen nur erdenklichen Stadien des Fertigstellungs- oder Erhaltungszustands zu „bewundern“. Nicht selten scheint den Bauherren das Geld ausgegangen zu sein. Vielfach „zieren“ halbfertige Betongerippe die Landschaft. Trotz des Baubooms gibt es aber noch einige ursprüngliche Küstenstreifen und menschenleere Buchten.

Im Gegensatz zur Küste ist ein Großteil des Hinterlandes Naturschutzgebiet und noch weitgehend unberührt. Wir machen einen Ausflug zum Reservat Ropotamo, das nach dem gleichnamigen Fluss benannt ist. Insgesamt umfasst das Schutzgebiet über 1000 ha. Zu kommunistischen Zeiten war Ropotamo das Jagdgebiet der politischen Klasse. Und auch heute noch geht man hier auf die Pirsch. Wir wollen lieber mit unseren Augen Erinnerungen „schießen“. Direkt an der Schnellstraße von Sozopol nach Carevo nehmen Ausflugsboote Touristen zu einer Tour auf dem Fluss mit. Da die Saison erst Anfang Juni beginnt sind wir die einzigen Bootsgäste und genießen die Fahrt durch einen Korridor smaragdgrüner, lianenumrankter Bäume. Vom Wasser aus können wir Schildkröten, Libellen und Rotwild beobachten und dem vielstimmigen Gesang der Vögel lauschen. Über 200 Arten nisten in der Marsch im Hinterland.

Außerdem fahren wir nach Athopol, dass 430 v. Chr. als Agatopolis – „Stadt des Glücks“ – von den Griechen gegründet wurde. Ein Besuch kann nicht schaden, denn Glück können wir auf dieser Reise gut gebrauchen. Am Hafen schauen wir den Fischern zu, wie sie ihre kleinen Boote flott machen. Athopol wirkt zu dieser Jahreszeit noch etwas verschlafener als die nördlicheren Küstenorte. Kein Wunder, der Ort ist der letzte größere vor der Grenze, die hier jedoch „dicht“ ist.

5 km südlich von Lozenec liegt Tsarevo – mit 5.000 Einwohnern schon vergleichsweise groß. Die Stadt liegt auf einem Hochufer. Vom Stadtpark oberhalb der felsigen Bucht hat man einen schönen Blick auf’s Meer. Rund um die Stadt sind 16 Buchten mit feinem Sand zu finden. Der Hafen ist ganz hübsch anzusehen und soll der größte südlich von Burgas sein. Das war’s dann aber an Attraktionen … bzw. noch nicht ganz: Tsarevo verfügt auch über einen kleinen Friseurladen. 12 Wochen nach dem letzten Besuch in Berlin kommt uns der sehr gelegen. Für insgesamt 10 € bekommen wir beide einen neuen Haarschnitt und passen gleichzeitig noch den ersten Regenschauer seit Wochen im Trockenen ab. Mit neuen Look und wie immer bei Sonnenschein feiern wir tags darauf Ria’s Geburtstag. Vielen Dank für die Glückwünsche. Zur Feier des Tages gehen wir bulgarisch Essen. Als typische Vorspeise gibt es Šopska-Salat aus Tomaten, Paprika, Gurken, Zwiebeln und Petersilie und obendrauf Sirene – geriebener Weißkäse aus Schafsmilch. Sehr lecker! Die Hauptgerichte der Bulgaren sind sehr fleischlastig. Wir entscheiden uns für Huhn in Sahnesauce und gegrilltes Schwein mit Speck und Zwiebeln und je eine große Portion selbstgemachte Pommes frites. Am Ende sind wir satt und zufrieden.

Um die vielen Kalorien wieder loszuwerden fahren wir gestern auf der nur notdürftig unterhaltenen Hauptstraße ins Landesinnere Richtung Malko Tărnovo. Gleich hinter Tsarevo geht es stetig bergauf. Das dichte Blattwerk im Strandża-Gebirge schützt uns gut vor der Mittagssonne. Die Dörfer sind hier noch weitgehend unentdeckt vom Tourismus. Im Dorf Bălgari machen wir an der Dorfkirche eine Pause. Der Ort ist eines der Zentren des Feuertanzes. Auf Tafeln wird über diesen Brauch informiert. Am 3. Juni, dem Tag der Heiligen Elena und Konstantin, werden bei Anbruch der Dunkelheit auf dem Dorfplatz Feuertänze auf glühenden Kohlen aufgeführt, ein althergebrachter heidnisch-christlicher Ritus. Bis dahin hoffen wir jedoch, dass unsere Füße vom eifrigen Tritt in die Pedalen glühen und wir samt Reisegepäck wieder auf unseren Rädern sitzen….