Auf den Spuren der Maya

Yucatan/ Mexiko mexico

IMGP9101Es ist 12 Uhr am Mittag. Die Sonne steht im Zenit und brennt gnadenlos auf die Ballspielstätte von Cobá.
Ernst und entschlossen blickt der Maya Nahil zum gleißenden Himmelskörper hinauf. Die nächsten Minuten werden die wichtigsten seines noch jungen Lebens sein. Über seine Körperbemalung und den gestählten Körper rinnt der Schweiß. Doch die Hitze ist es nicht, die die Haut des jungen Mannes schon vor der ersten Ballberührung im Schein der Sonne glänzen lässt. Das Ballspiel zu Ehren der Götter ist kein Spaß. Es ist ein Spiel auf Leben und Tod.
Nahil ist die Bedeutung der kommenden Stunde ins Gesicht geschrieben. Seine Sehnen sind zum Bersten angespannt, bereit für den Kampf zu Ehren der Götter.
Hunderte Augenpaare verfolgen auf den beiden länglichen Plattformen links und rechts des Spielfeldes aufmerksam jede Regung der Duellanten. Und dann ertönt das Signal zum heiligen Spiel – der Ruf des Schamanen zerschneidet die flirrende Stille. Nahil und seine Mannschaft stürzen sich auf den mehrere Kilogramm schweren Gummiball aus Kautschuk. Sie werden alles geben um zu siegen, denn sie wissen: Es ist kein Spiel zum Spaß – es geht um ihr Leben. Die unterlegene Mannschaft wird als Menschenopfer dargebracht, um die zahlreichen Götter der Maya wohlgesonnen zu stimmen.

So oder so ähnlich muss es sich vor 1.400 Jahren zugetragen haben, wenn auf einer der Spielstätten wie der in Cobá, das Lieblingsspiel der Maya stattfand. Doch nicht überall galten die gleichen Regeln wie in Cobá. In anderen Städten wurden die Gewinner nach dem Spiel hingerichtet! Grausame Vorstellung für uns – eine Ehre für die „Auserwählten“. War doch der Tod ein Privileg bei den Maya und führte direkt ins paradiesische Reich des Sonnengottes.

Cobá ist unserer vorletzte Ruinenstätte auf unserer Tour über die Halbinsel Yucatán. Ca. 40 km von der karibischen Küste entfernt im Inland gelegen, erhebt sich die beeindruckende Stadt mit Tempeln, Pyramiden und steinernen Altären aus dem Regenwald. Einst eine Supermacht in der Neuen Welt und eine der größten Mayastädte in Yucatan, wurde die Zeremonialstätte aus bis heute unbekannten Gründen bei der Ankunft der Spanier Anfang des 16. Jahrhunderts verlassen.
Wir besuchen das 70 m² große Ruinenareal früh am Morgen. Zu dieser Zeit scheint Cobá noch wie in einen Tiefschlaf gefallen. Die mächtigen Pyramiden sind in einem wuchernden Grün versunken. Nur die Spitzen der Tempel ragen aus dem dschungelartigen Kronendach hervor. Der beste Ausblick bietet sich uns von der 42 m hohen Nohoch Mul Pyramide. Gemeinsam mit einem Hund, der uns für heute adoptiert hat, genießen wir die Stille und den Ausblick von der Plattform, die einst für Blutopfer an die Götter diente.
Im diesigen Licht des Sonnenaufgangs erstrahlen die Tempelspitzen der benachbarten Pyramiden weiß über dem endlos grünen Meer am Boden. Schnell steigen die Temperaturen. Es wird schwül-heiß. Zurück im Dickicht laufen wir durch dampfenden Urwald, klettern über dicke Lianen zu den verschiedenen Gebäudegruppen, die noch immer etwas von der Mystik der Maya ausstrahlen.

Die letzten Wochen in Mexiko sind radtechnisch noch einmal anstrengend. Zunächst sind es die saftigen Anstiege, die uns viel Muskelarbeit abverlangen, dann der kräftige Gegenwind und die „Hitzeschlacht“ im Tiefland Yucatáns. Doch wie immer werden die Mühen belohnt.

Von der verträumten Hängematten- und Hippikolonie Zipolite an der Pazifikküste geht es noch einmal in die Berge. San Cristóbal de las Casas im zentralen Hochland von Chiapas ist unsere erste Station – Hochburg der Zapatistas. Auf dem örtlichen Markt pulsiert das Leben, wird gefeilscht und gehandelt. Es duftet nach Früchten, Kräutern, frischen Backwaren und würzigem Trockenkäse. Wir sind in unserem Element, genießen das chaotische Treiben in den engen Gassen, lassen uns treiben, tauchen ein in eine andere Welt. Anschließend geht es nach Chamula – kulturelles Zentrum der Tzotzil (Nachfahren der Maya). In dem kleinen Bergdorf auf 2.300 m Höhe hat der indigene Volksstamm seine traditionelle Kultur und religiösen Bräuche stets selbstbewusst gegen äußere Einflüsse verteidigt.
Und so erleben wir in der katholischen Pfarrkirche ein eigentümliches Schauspiel:
Im Inneren des Gotteshauses gibt es keine Kirchenbänke. Der Boden ist mit Kiefernadeln bedeckt. In der Luft liegt ein würziger, schwerer Geruch. Überall flackern hunderte kleiner bunter Kerzen auf den Kacheln. Während wir in einer Ecke uns niederlassen finden mehrere Privatzeremonien statt. Schamanen beschwören durch Rülpsen Dämonen, die nach Vorstellungen der Tzotzil einen Kranken befallen haben. Mit allerlei Beschwörungen und Gesängen und jeder Menge Posch (Zuckerrohr-Schnaps) werden die Patienten von ihrem Leiden geheilt, indem am Ende der Behandlung die schädlichen Geister in ein lebendes Huhn fahren, das anschließend getötet wird. Eine magische Atmosphäre.

In den Tagen danach geht es durch dichten Regenwald und so manches Mal mit voller Regenmontur in langen Anstiegen durch den Südosten Mexikos. So üppig die Natur, so arm die Menschen hier. Trotz optimaler klimatischer Bedingungen für die Landwirtschaft ist ein großer Teil der indigenen Bevölkerung unterernährt. Kinder betteln uns an, Frauen errichten Straßensperren und wollen uns erst nach einem Kauf ihrer Waren passieren lassen. Man warnt uns vor „Bandidos“. Vor allem Mahagoni, Teak, Gummi, Kautschuk, Kakao und Bananen bilden die wirtschaftliche Grundlage der überwiegend von Indigenas bewohnten Region.
Die Nächte klingen exotisch, erinnern uns an Südostasien. Obwohl selten geworden, leben in Chiapas noch immer Affen, Tapire, Pumas und Jaguare. Wir hören vor allem den Gesang des farbenprächtigen Quetzals, sehen Schlangen, Krokodile und Leguane.
Der Anblick auf die üppige Berglandschaft ist jede Anstrengung wert. Tief hinunter ins Tal schweift unser Blick von den Anhöhen. Grüne Baumriesen überziehen die zerfurchten Bergrücken. Dazwischen versteckt im undurchdringlichen Dschungel bedeutende Maya-Stätten. Wir besuchen Palenque – die Anmutige. Vornehm thront sie auf einem Plateau an den Hügel des Hochlandes Eine elegante Anlage. Nicht wie die steinerne Wucht wie Teotihuacan. Hier wirkt alles leicht, von meisterhafter Hand geschaffen.

Unser Highlight ist aber Toniná. Das „Haus der großen Steine“ abseits der Touristenströme ist am Hang eines Berges errichtet, der zu insgesamt 7 Pyramidenstufen geformt wurde. Unvermittelt stehen wir vor der gewaltigen Palastanlage. Kaum ein Tourist hat sich heute hierher verirrt. Was für ein prächtiges Bauwerk! In unserer Phantasie versuchen wir uns vorzustellen, wie hier einst farbiger Stuck die Pyramiden und Palastbauten zierte; prächtige Monsterfratzen und gezähnte Tiermäuler Besucher einschüchternd anblickten und von der Macht der Herrscher zeugten.

Für die kaskadenartigen Wasserfälle von Agua Azul stürzen wir uns in rasender Abfahrt zum gleichnamigen Ort und am nächsten Tag in endlos-langem Anstieg wieder hinauf. Zuvor wandern wir über wuchernde Vegetation aufwärts entlang der türkisfarbenen Wasserbecken. Über 500 Kaskaden und 6 km Länge stürzen die Wasserfälle in unzählige Naturbecken.
Kreuze für Ertrunkene warnen, dass man die zum Teil starke Strömung nicht unterschätzen sollte. Das Thermometer zeigt frische 15°C. Nebel und Nieselregen liegen über den Wäldern. So überlassen wir den feucht-fröhlichen Badespaß den wohlbeleibten Mexikanern.

Unseren Badespaß erleben wir dann noch auf der Isla Mujeres – ein würdiger Abschluss unserer Reise durch Mexiko. Das nur 7 km lange Eiland ist unser kleiner karibischer Traum: Traumhafte weiße Sandstrände, schattenspendende Palmen, warmes türkis-blaues Meer. Wir lassen uns in dem klaren, weichen Wasser treiben, schauen allabendlich dem Flug der Pelikane zu und blicken ein letztes Mal sehnsuchtsvoll der glutrot im Ozean versinkenden Sonne hinterher.

Auch wenn wir am Ende etwas mexiko-müde werden, der Abschied fällt schwer. Die 5 Monate im Land waren intensiv. Hunderte Holás und ungezählte freundlich winkende Hände haben uns begrüßt, in tausende lebenslustige Augenpaare haben wir geblickt. Vieles wird uns in Erinnerung bleiben. Naturschönheiten und -zerstörung, tausende Farben und Gesichter, unfassbar viel Müll, magische Orte und mythische Stätten, menschliche Schicksale, der Geschmack tropischer Früchte, bedrückende Kinderarbeit – ein Land voller Gegensätze mit einem einzigartigen kulturellen Schatz.

MFg – 2 Jahre im Sattel

Merida/ Mexikomexico P1090096-001

12 Uhr mittags. Draußen flirrt die Luft in den engen Gassen Meridas. Jetzt, zur Mittagsstunde, ist es unerträglich tropisch-heiß in der Hauptstadt Yucatáns.
Das hier einst das Tor zur Welt der Maya war (Puerta al Mundo Maya) lässt sich nur noch erahnen. Die vorspanischen Stätten wurden nach dem Einfall der Konquistadoren für koloniale Prachtbauten verwandt.
45°C zeigt das Thermometer in der Sonne.
Wer kann sucht jetzt Schatten, das kühlere Innere der alten Gemäuer, macht „Siesta“. Auf der „Plaza de la Independencia“, dem sonst pulsierenden Herzen Meridas, liegt jetzt „der Hund begraben“.

Auch wir haben uns ins Zimmer unserer Unterkunft zurückgezogen. „Hotel San José“ prangt in kunstvoll geschwungen rot-schwarzen Lettern am Eingang. Die Schrift ist verblasst, genauso der Farbanstrich an der Außenfassade. Das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert knarzt und bröckelt unter der Last der Zeit. Die Zimmer sind typisch mexikanisch: gefliester Boden, kurze Betten mit durchgelegenen Matratzen, eine kleine Nasszelle, ein Stuhl, ein Spiegel. Viel mehr gibt es meist in der unteren Preisklasse nicht (200 – 250 Mex$).

Über mir, an der porösen Decke, surrt seit Stunden unablässig der Ventilator. Er bringt etwas „frischen Wind“ in die stehende Luft. Irgendwo von der Straße erklingt Mariachi-Musik – Sinnbild mexikanischer Volkskultur. Überall erklingt sie tagtäglich in den Straßen. Erst vor 2 Tagen haben wir in den Straßen tanzend den Palmsonntag bei mitreißender Musik in die Nacht ausklingen lassen. Auf der Fiesta tanzten groß und klein, alt und jung, arm und reich. Für ein paar Stunden lies sich so der – oft harte – Alltag vergessen. Ausgelassen, unverkrampft, wunderbar war dieser Abend.
Die Songs handeln von Freud und Leid, Träumen, Alltagssorgen. Sie erinnern an Vergangenes, Sonne, Strand, Liebe, Glück und Leid. Ich lausche eine Zeit lang dem melancholischen Klang von Trompete und Saiteninstrumenten. Vor meinem Augen verschwimmen die Rotorblätter des Ventilators und bilden ein Rad …

Auf den Tag genau sind wir nun 2 Jahre auf Weltreise. Wo sind die letzten 24 Monate geblieben? Was haben wir die ganze Zeit getan? Unzählige Augenblicke sind in unseren Tagebüchern dokumentiert. Doch was wird darüber hinaus von dieser Reise bleiben, wenn sie einmal endet?

So viele Begegnungen, Überraschungen, Herausforderungen, Unsicherheiten aber auch Triumphgefühle haben wir bisher erlebt. Das Reisen mit dem Rad, abseits des „Buchbaren“, ist eine einzige große Wundertüte. Jeder Tag ist ein neues Abenteuer mit unvorhersehbaren Begegnungen, nicht exakt planbarem Ausgang. Die einmalige Schönheit der Natur und die Freiheit selbstbestimmt zu reisen, machen noch immer große Lust und großen Spaß, sind unser Antrieb, unsere Batterie.
Das Zusammentreffen mit dem alltäglichen, dem ungeschminkten Leben, die Zerstörung der Natur ist die Kehrseite dieser Medaille. Oft beschäftigt uns die Fragen des einsetzenden Klimawandels, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich u.v.m. Wenn man dies alles hautnah sieht und erlebt, möchte man fast resignieren oder auf eine gute Fee hoffen, die alles richtet. Doch die Zeiten, in denen das Wünschen geholfen hat, sind ja vorbei, oder?

Beim Blick zurück erscheint uns das Erlebte gelegentlich fast surreal. Waren wir wirklich im Iran? Sind die Reifenspuren auf dem Pamir-Highway von uns? Haben wir den 6.088 m hohen Huayna Potosi bestiegen?

„Oliver, kneif mich mal“, sagt Ria in solchen Momenten. Wir haben uns in Situationen gebracht, vor denen wir vor Reisebeginn gedanklich noch zurückgeschreckt wären. Waren in Ländern, die wir vor 3 Jahren uns nie zu bereisen getraut hätten.

Wir sind ins Unbekannte aufgebrochen, auf Menschen – wann immer es ging – zugegangen und haben uns so die große weite Welt etwas kleiner – begreifbarer – gemacht.
Diese Weltreise ist ein wunderbares Geschenk. Man bekommt viel, wenn man sich traut, loslässt, an seine Grenzen geht und gelegentlich auch darüber hinaus.

MFg – Mit Fahrrad glücklich
Ria & Oliver

PS: Zur “Feier des Tages” ein paar Impressionen aus Mexikos zentralem Hochland