Chilenisches Seenland und Santiago de Chile

Santiago/ Chilechile
377. Reisetag
11.770 km, 73.675 hm

Blick vom Parkhügel Santa LuciaEltern setzen stolz ihre herausgeputzten Kinder für ein Erinnerungsfoto auf Plüschpferde, Rentnerinnen verkaufen Rosen und Palmenzweige, daneben lassen Geschäftsleute im edlen Zwirn noch schnell ihre Schuhe auf Hochglanz bringen, Verkäufer preisen lautstark Süßigkeiten an, staunende Kinder stehen vor bunten Trauben gasgefüllter Luftballons, Schachspieler sitzen – umringt von fachmännisch die Züge analysierenden Zuschauern – mit ernster Miene vor ihren Figuren. Trommler, Sänger, Tänzer, „Straßen-Comedians“ und andere Kleinkünstler unterhalten ihr Publikum. Die späte Nachmittagssonne taucht das Straßenbild in ein warmes Licht.

Wir sitzen auf einer Bank in der Paseo Huérfanos, einer Fußgängerzone im Zentrum von Santiago de Chile und lassen das Treiben auf uns wirken. Die Hauptstadt des Landes gefällt uns. In den engen Straßen ist das Leben bunt, zuweilen hektisch, in jedem Fall aber geschäftig. Trotzdem ist die Atmosphäre entspannt, man nimmt sich Zeit für einen Plausch. Den Plaza de Armas, das Herz der Stadt, können wir leider nicht sehen. Ein großer Bauzaun umgibt den Platz. Santiago putzt sich an vielen Stellen heraus. Das Wirtschaftszentrum des Landes boomt. Rund um den Regierungspalast „La Moneda“ ist das Banken- und Geschäftsviertel. Banker in feinem Zwirn und Handy am Ohr eilen über die Plaza de la Ciudadania, den Bürgerplatz. Die Stadt scheint wie ein Magnet zu wirken. Jährlich wächst Santiago um 100.000 Einwohner. Mittlerweile leben fast 40 % der Chilenen hier. Dennoch ist die City überschaubar. Kein Vergleich mit den quirligen Metropolen Südostasiens. Alle Straßen verlaufen rechtwinklig zueinander. Vom Nullpunkt im Zentrum beginnen in alle Himmelsrichtungen die Hausnummern mit 100. Zwischen 2 Querstraßen liegen meist 100 Hausnummern (auch wenn es meistens nie 100 Häuser sind) die ungefähr auch einer Entfernung von 100 m entsprechen. So können wir uns auf dem Stadtplan immer ganz gut ausrechnen, wie weit es bis zur nächsten Sehenswürdigkeit ist.

Doch abseits des Geschäftszentrums und der Flaniermeilen sehen wir auch ein anderes Gesicht der Stadt. In den Straßen nördlich der Plaza de Armas ist der Glanz vorbei. Hier leben die sozial Schwächeren. Die Schere zwischen Arm und Reich geht auch in Chile weiter auseinander. Nur eine kleine Klasse profitiert vom Wirtschaftswachstum. In den Parks und Grünanlagen liegen Obdachlose. Mittellose verkaufen ihr Hab und Gut. Hier ist auch das „Reich“ der kleinen Straßenhändler. „A mil, a mil!“, „Für tausend, für tausend“ tönt es durch Straßen. Vom Schokoriegel, bis zum Geschirrtuch wird alles mögliche verkauft.

Im Mercado Central, einer riesigen Markthalle, die 1872 eigentlich für Ausstellungen chilenischer Künstler errichtet worden war, wird schon größeres „Business“ gemacht. Hier türmen sich frisches Obst und Gemüse, werden Fische filetiert, Meeresfrüchte gewaschen, Käse und Fleisch über die Theken gereicht. Das Leben und Treiben auf den Märkten hat für uns immer eine ganz besondere Anziehungskraft und wir lieben es durch die Gassen zu streifen und Neues zu entdecken. Der Markt in Santiago ist einer der größten, die wir bisher gesehen haben. Und außerdem sind die Produkte wesentlich günstiger und von besserer Qualität als in den Supermärkten. Am Ende unseres Besuchs schleppen wir mehrere Kilo Obst und Gemüse durch die Stadt. Die nächsten Tage gibt es Fruchtsalat satt und große Gemüsepfannen. Ein anderes „Vergnügen“ gönnen wir uns dann auch noch: 1 x Chilenische Fast-Food-“Kultur“. Für 800 Pesos (gut 1 €) bestellen wir einen Completto. Ein bizarrer Hot-Dog aus einem kleinen Wiener Würstchen im süßen Luftbrötchen überschüttet und zugeschmiert mit Mayonnaise, Ketchup, Senf und Avocadocreme. Optisch bunt, kulinarisch und ernährungstechnisch aber ne Nullnummer. Hoffentlich sind unsere Geschmacksknospen nicht eingegangen …

Am letzten Abend sehen wir Santiago noch einmal aus der „Vogelperspektive“. Vom höchsten Punkt des hügelartigen Parks Cerro Santa Lucia genießen wir den wunderbaren Blick auf das Häusermeer und die Bergkette. Der Verkehrslärm in den Straßen der 5 Millionen-Metropole, die Sirenen der Ambulanz und Polizei, hier oben scheint alles fern. Der Gesang der Vögel übertönt die Geräusche der Stadt. Die Anden sind nur einen Steinwurf entfernt. Wie ein feiner Zuckerguss bedeckt der Schnee die 6.000er Gipfel. Davor das Häusermeer aus unzähligen Wohn- und Bürotürmen – das ist schon ein ganz besonderer Anblick.

Gerne hätten wir noch mehr in Santiago entdeckt. Doch es bleibt nur wenig Zeit, bevor es über die Berge erneut nach Argentinien geht. In den nächsten 3 Monaten wollen wir bis Lima fahren. Ein paar tausend Kilometer und viele Höhenmeter auf teilweise schlechter Piste warten auf uns. Schon die letzten 3 Wochen waren kein Zuckerschlecken. Gerade auf dem Abschnitt Esquel (Argentinien) – Chaiten (Chile) ächzten Mensch und Material unter üblen Schotterpisten. Anstiege jenseits der 14 % und Gegenwind ließen nur noch Schritttempo zu oder zwangen uns gar ganz vom Rad. Dennoch waren die Tage in Patagonien unvergesslich und landschaftlich wunderschön. So rau und ungezähmt wie die Landschaft ist eben auch das Wetter dort. 3 Tage saßen wir in der Hafenstadt Puerto Montt fest als eine Schlechtwetterfront über die Region zog. Unaufhörlich prasselte der sintflutartige Regen auf die Blechdächer der bunt gestrichenen Holzhäuser. Doch danach riss der Himmel für einige Tage auf und bei strahlendem Sonnenschein konnten wir die nächsten Tage das Radfahren im Chilenischen Seenland genießen. Wann immer es ging verließen wir auf der Fahrt gen Norden den breiten Seitenstreifen der berühmten Panamericana, die im Süden Chiles komplett als Autobahn ausgebaut ist. Auf meist schönen Asphaltstraßen umfuhren wir glitzernde Badeseen am Fuße eisgekrönter Vulkane, die aus dichten Wäldern aufragen. Dazwischen feuchtkühle, sattgrüne Blumenwiesen auf denen Rinder und Schafe weiden. Immer wieder boten sich uns prächtige Ausblicke auf die faszinierende Gebirgslandschaft. Die Umrundung des gewaltigen Llanquihue-Sees mit Blick auf den Vulkan Osorno war der absolute Höhepunkt dieses Abschnitts. Am Fuße des schneebedeckten Kegels bauten wir unser Zelt mit Blick auf den glasklaren dunklen See auf und genossen das einmalige Panorama.

Seitdem wir in Santiago sind haben wir wieder herrliches Spätsommerwetter. Hoffentlich bleibt das auch so auf der östlichen Seite der Anden, wenn wir in Argentinien weiter gen Norden radeln.

Auf der Homepage ist dieser Eintrag vorläufig erst einmal der letzte. Wir nehmen uns für unbestimmte Zeit eine Auszeit – nicht vom Reisen, aber vom Schreiben. So bleibt uns vorerst nur allen zu danken, die uns im letzten Jahr begleitet haben. Danke fürs Lesen und Mitreisen, für die Unterstützung des Kinderprojektes in Rumänien, für das Interesse. Wir wünschen allen einen wunderbaren Frühlingsanfang, wo immer Ihr gerade in der Welt seid.

Galerie Santiago de Chile

Galerie chilenisches Seenland und Esquel (Argentinien)