Letzte Ausfahrt Lima

Lima / Peru peru
490. Reisetag
15.577 km / 96.212 hm
(Bericht vom 03.08.2014)

Letzte Zeltnacht in der Wüste bei Nasca

Auf dem letzten Abschnitt unserer Reise durch Peru ist noch einmal alles dabei was unsere Radzeit in Südamerika ausgemacht hat: Hitze, Kälte, Sonne, Eis, Schnee, Regen und Gewitter; zerklüftete Täler, hohe Gebirgspässe und knochentrockene Wüste.

Aus Cusco geht es steil hinaus und noch einmal hoch hinauf. Ein letztes Mal fahren wir durch die faszinierende Welt der südamerikanischen Anden. Dabei queren wir die Cordillera Vilcabamba und Occidental – zwei bis zu 6.300 m hohe Gebirgsketten. Für uns bedeutet das jede Menge Schweiß und Treten „bis die Klickis glühen“. In 10 Tagen bewältigen wir 8.500 Höhenmeter. Immer wieder windet sich die in felsige Steilabhänge getriebene Straße in endlosen Serpentinen rauf und wieder runter … und wieder rauf und … Mit dem Hullique (3.715 m), Sorlacca (3.740 m), Rocruzca (4.005 m), Puquio (4.160 m), Huashuccasa (4.550 m) und dem Condorcenca (4.540 m) haben wir 6 beachtliche Pässe. Dazwischen geht es z.T. bis auf 1.800 m talabwärts.

Doch die Anstrengungen werden belohnt.

Aus dem tief eingeschnittenen Tal des Rio Ortesheim geht es in die Sierra – Perus Andenhochland. Je mehr wir an Höhe gewinnen desto karger wird die Vegetation, desto einsamer die Strecke und ärmer die wenigen Ortschaften. Zahllose Vicunaherden zupfen im eisigen, andinen Wind an trockenen Grasbüscheln. Die grazilen, scheuen Kleinkamele faszinieren uns mit ihren wunderschönen, glasperlenartigen Augen. Außer Ichu-Gras und Yareta-Moos wächst nicht mehr viel oberhalb von 3.500 m. Über unseren Köpfen kreisen Anden-Kondore. Der erhabene „König der Anden“ schraubt sich vom Aufwind getragen in schwindelerregende Höhe bis er nur noch ein schwarzer, kleiner Fleck für uns ist.

Nur zu gerne hätten wir auch Flügel an den langen, ermüdenden Anstiegen. Oder zumindest mal Rückenwind. Doch der bleibt aus. Stattdessen bläst er uns kalt ins Gesicht und pfeifend über die karge Hochebene.

Das Leben der andinen Bevölkerung ist hart und entbehrungsreich. Die kleinen Hochlanddörfer sind oft noch aus getrockneten Lehmziegeln errichtet, die Dächer werden mit hartem Ichu-Büschelgras gedeckt. Bis heute haben nur wenige Einwohner Anschluss an Strom- und Wasserversorgung. Nur wenig lässt sich dem Boden abtrotzen. Jedes der zahlreich verstreut liegenden Felder ist gegen die Erosion mit einer Mauer aus den noch zahlreicher herumliegenden Gesteinsbrocken geschützt. Fast sieht es aus als hätten Giganten vor langer Zeit mit Ihnen wie mit Murmeln gespielt.

Ganz anders das Bild in den Tälern. Auch hier ist die Landschaft wild und rau. Doch die Häuser sind bunter, Strom und Wasser fließt fast in jedes Haus. Den Menschen geht es (etwas) besser. Viel Grün wächst links und rechts des Flusses. Es zirpt, quakt und singt. Schmetterlinge tanzen um uns, Kolibris saugen Blütensaft. Auf den fruchtbaren Böden bauen die Menschen Obst und Gemüse an. Bananenplantagen, riesige Kakteen und Aloe Vera säumen die Straße. Fast lotrecht ragen die Felswände empor. Hier ist es schwieriger wild zu zelten. Doch hinter einem Kornfeld finden wir auf einer Art Sandbank eine sichtgeschützte Stelle. Während wir nach einem langen Radtag unsere Nudeln vertilgen, taucht der aufgehende Mond den rauschend vorbeiziehenden Fluss in silbernes Licht.

Tags darauf ist der Abend ungemütlicher. Kurz vor der Ortschaft Abancay verfinstert sich der Himmel bedrohlich. Über dem Tal türmen sich gewaltige Wolkengebirge auf. Ein apokalyptisches Bild. Wir sind auf über 4.000 m und müssen noch 1.700 m bergab. So schnell es geht „stürzen“ wir uns in die kurvenreiche, rasante Abfahrt. Heftiger Wind kommt auf, es beginnt zu regnen. So schnell wie wir könnten lässt es sich gar nicht rollen. Immer wieder attackieren uns Hunde. Als das Zentrum des Gewitters direkt über uns ist flüchten wir in ein offen stehendes Duschhäuschen an einem Gehöft. Äste brechen von den Bäumen, Müll wirbelt durch die Gegend. Nach 40 min. ist der „Spuk“ vorbei.

Am nächsten Tag geht es die gesamten 1.700 m wieder bergauf. Und dieses Mal gibt es keinen Regen, dafür Schneeschauer. Wir sitzen die weiße Wand in einem „Café“ bei 2 Kamillentees aus. Warm wird uns dennoch nicht. Erst nach 1 Stunde im Sattel kehrt in Füße und Hände die Wärme zurück. In den Nächten ist es sternenklar und noch einmal bitterkalt. Oberhalb der 4.000er Marke müssen wir bei -7°C unseren Schlafsack wieder fester zuziehen.

Dann verlassen wir endgültig die Hochebene. In einer letzten Abfahrt geht es Richtung Küste. Und in was für einer! Es ist die geilste unserer ganzen Reise. Ein unvergessliches Erlebnis. 100 km geht es nur bergab. Von 4.500 m auf 600 m, vom kalten Andenhochland in die heiße Wüste. Von +5°C auf +40°C. In einer endlosen Abfolge von Kehren, Kurven und Schleifen rauschen wir Nazca entgegen.

Immer wieder stoppen wir, um die Umgebung auf uns wirken zu lassen. Vor uns ein wüstenhafter Küstenstreifen. Mal eine steinige, mit Geröll bedeckte Einöde, mal eine in allen Farbnuancen von grau über rot bis braun schimmernde Schönheit. Dazwischen riesige Sanddünen, die der Sahara alle Ehre machen. Zum Greifen nah der Pazifische Ozean. Im Dunst sind die weißen Schaumkronen auf den grünblauen Wellen auszumachen, die sich hier an der mächtigen Steilküste brechen.

Gegen Abend erreichen wir auf der Panamericana schließlich die Ebene von Nazca und mit einem Mal gibt es sattes Grün im Wüstensand. Durch künstliche Bewässerung sind riesige Oasen entstanden. Baumwolle, Zuckerrohr, Reis und Mais wächst.

Doch schon am nächsten Tag umgibt uns wieder die Einöde. Die Wüste von Nazca ist eine der trockensten der Welt. Steinige, trockene Ebene, so weit das Auge reicht. Nicht ein Baum, nicht ein Strauch, nicht ein Grashalm. Heiß flimmert die Luft über dem Asphalt der Panamericana. Staubwirbel tanzen und manche Sandwehe macht die Straße eng. Mittags sind es 45°C in der Sonne. Schatten gibt es hier nicht, außer dem eigenen. Doch der ist schlecht zu erreichen… Schnurgerade zieht sich die Fernstraße durch die Wüste und verliert sich irgendwo am Horizont. Der Fernverkehr brettert mit voller Kraft an uns vorbei. Doch wir haben den Seitenstreifen für uns. Allerdings ist der mies asphaltiert und wann immer es geht fahren wir mehr in der Mitte, stets mit Blick in den Rückspiegel. Die vielen Kreuze mahnen zur Vorsicht.

Mehrmals passieren wir „Geisterdörfer“. Namenlose Viertel, ja ganze Ortschaften aus verlassenen Schilfhütten säumen die Panamericana. Hier müssen tausende noch vor kurzem gelebt haben. Überall liegt Müll herum. Strom und Wasser gibt es nicht. Trotzig weht an fast jeder Behausung die Nationalflagge.

Mitten im „Nichts“ dann noch einmal ein Höhepunkt, der nur wenige Zentimeter tief ist. In der Pampa Colorada sehen wir einen Teil der beeindruckenden Linien und geometrische Muster, die das Volk der Nazca hier 800 – 600 v. Chr. schuf. Die wenige Zentimeter tiefen Scharrbilder (Geoglyphen) und Linien sind von immenser Größe. Manche Figur ist 300 m groß, die Linien bis zu 20 km lang. Affen, Spinnen, Walfische, Vögel und Menschenfiguren bedecken auf einer Fläche von 700 qm die Wüstenoberfläche. Auch wenn wir vom wohl größten Zeichenbuch der Welt nur weniges sehen können (ein Flug ist zu teuer) sind wir beeindruckt von den rätselhaften Erdzeichnungen.

Die letzten 300 km zwischen Ica und Lima nehmen wir den Bus. Zum einen ist dieser Abschnitt landschaftlich wenig reizvoll zum anderen liegt die Küste im peruanischen Winter unter einer tiefen Wolkendecke. Außerdem sind die Vororte von Lima nicht ganz ungefährlich für Ausländer. Schon 100 km vor dem Zentrum ziehen sich die Armutssiedlungen entlang der Panamericana weit in die Wüste hinein. In den Pueblo Jóvenes, den „jungen Orten“ wie man beschönigend in Peru sagt, leben über 2 Millionen Menschen. Viele wollten der Arbeitslosigkeit und Armut im Hochland entkommen und sind hier im wahrsten Sinne des Wortes „gestrandet“. Die Hoffnung auf ein besseres Leben erfüllt sich nur für wenige. Der Anblick der Elendsquartiere zwischen all den Müllbergen ist bedrückend. In den Straßen Perus verdingen sich viele als Karrenschieber, Hilskräfte, fliegende Händler, Lastenträger, auf dem Bau oder als Altmüllsammler. Die Landflucht ist eines von Perus dringendsten Problemen. Zählte die Hauptstadt 1940 ca. 600.000 Einwohner sind es heute 11 Millionen! Lima platzt aus allen Nähten. Die Stadt droht an Auspuffgasen, Müll und dem mörderischen Verkehr zu ersticken.

Von alledem bekommen wir nur wenig mit. Unser Hostal liegt im modernen Stadtteil Miraflores. Hier ist die Luft durch das nahe Meer besser. Parks, Shopping-Center, Hotels, Restaurants und Villen prägen diesen Teil Limas. Wieder einmal wird uns bewusst, dass wir auf der „Sonnenseite des Lebens“ stehen.

Viel Zeit bleibt uns nicht, um diese Stadt voller Widersprüche zu erkunden. Den Großteil der 3 Tage hier brauchen wir zur Vorbereitung des Flugs nach Nordamerika. Und sicher werden wir noch viel länger brauchen, um all’ die Eindrücke auf dem südlichen Teil des amerikanischen Doppelkontinents zu verarbeiten.

Unterwegs im Norden Irans

Sarakhs / Iran iran
121. Reisetag
3.350 km, 21.130 hm
Bericht vom 31.07.2013

Mihad schenkte uns eine Flasche kühles Wasser und Nektrarinen

 „Hello! Hello! Welcome to Iran!“ Strahlend springt Mihad aus seinem Pkw und kommt über die Straße gerannt. In der einen Hand eine Tüte voll Nektarinen in der anderen kaltes Wasser. „You must be thirsty. Here drink an eat!“ Wir sind auf dem letzten Abschnitt unserer Iranroute, auf der Fernstraße von Mashad zur turkmenischen Grenze. Die Provinz Khorassan (übersetzt „Land der aufgehenden Sonne“) im Nordosten des Landes bildet den Übergang zu den Steppen Turkmenistans. Als uns Mihad stoppt zeigt unser Thermometer 42 °C in der Sonne. Unsere Kehlen sind staubtrocken, Salz und Sand brennen in den Augen. Durstig leeren wir ein Glas nach dem anderen. Mihad füllt eifrig unsere Gläser auf und lacht dabei vor Freude. Wieder einmal werden wir spontan beschenkt – wie so oft in den letzten Wochen im Land.

Die Iraner sind äußerst interessiert an uns. Stets fallen wir auf. Zum einen wegen unserer ,komischen’ Gefährte, zum anderen sind nur wenige Touristen im Land unterwegs. In den Gesprächen und Begegnungen spüren wir, wie groß die Sehnsucht vieler Menschen nach Austausch ist. Neugierig werden wir nach dem Woher, Wohin befragt und ob uns der Iran gefällt. Wenn wir bei Familien zu Gast sind kommen Nachbarn und Verwandte vorbei, um kurz die Deutschen zu sehen und ein paar Worte zu wechseln.

Zur „Feier des Tages“ werden leckere Köstlichkeiten „aufgetischt“ (gegessen wird jedoch auf dem Boden. Uns gefällt diese Art zu speisen, ist es doch irgendwie unverkrampfter und man kann sich anschließend mit der Familie gleich in die bereitliegenden Kissen lümmeln). Abgusht (Eintopf aus Schaffleisch, Kartoffeln, Tomaten und Kichererbsen), frisches samgak (Fladenbrot), gefülltes Hähnchen, selbstgemachte Torschi und Sabzi Chordan (rohe Kräuter zum Essen). Cay, Götterspeise, Obst und Gebäck runden das Mal ab.

Unser „tägliches Brot“ ist bescheidener. Meist essen wir Brot mit Honig, Tomaten, Gurken und Melone, im Lokal „Chicken-Kebap“ mit halb verkohlten Tomaten, sehr säuerlich schmeckende Gurken und Reis.

Um an frisches Brot aus dem Steinbackofen zu kommen fahren wir oft kleine Seitenstraßen ab. Wenn in den Gassen sich Warteschlangen ohne ersichtlichen Grund vor Hauswänden gebildet haben ist das für uns immer ein untrügliches Zeichen, dass hier frische lavash, samgak oder barbari verkauft werden, traditionelle iranische Fladenbrotsorten. Als Ausländer bekommen wir die dampfenden Laibe nicht selten geschenkt.

So freundlich und zuvorkommend die Iraner sind, an manchen Tagen sind wir mit der ständigen Aufmerksamkeit jedoch überfordert. Alle paar Kilometer werden wir auf der Straße gestoppt: hier ein Smaltalk mit der Familie, da ein paar Fotos mit den Kindern… kaum sind wir wieder richtig „im Tritt“ stoppt schon das nächste Auto vor uns…

Trotzdem versuchen wir allen „gerecht“ zu werden und auch beim 30. Mal die Fragen nach dem Woher und Wohin geduldig zu beantworten.

Erstaunlich offen sprechen die Menschen uns gegenüber die teilweise schlechten Lebensbedingungen, die eingeschränkten sozialen Entfaltungsmöglichkeiten und die Repression unter Präsident Ahmadineschad an.

Viele, vor allem junge, gut ausgebildete, wollen ins Ausland gehen und träumen von einem besseren Leben in Amerika, Großbritannien oder Deutschland. Wir treffen kaum jemand, der seine berufliche Zukunft im Iran sieht. Auch die Wahl Rouhanis zum neuen Präsidenten macht nur wenigen Hoffnung. Bayram, den wir Esfahan treffen, ist jedoch überzeugt, dass es einen Wandel geben wird. Dass er seine Hoffnung trotzdem nur halblaut und nach mehrmaligen Um-sich-Blicken tut, macht auch ohne viele Worte klar, dass man ständig aufpassen muss. Angst vor Repressalien und die strengen Moralgesetze lassen nur wenig Raum für persönliche Entwicklung.

Anhand des Kopftuchzwanges erlebt Ria am eigenen Leib, was es bedeutet, wenn die persönliche Autonomie beschnitten wird. Gegen ihren Willen muss sie im Iran das Kopftuch und in Mashad gezwungenermaßen freiwillig den Tschador tragen. Das äußerst konservative Mashad („Märtyrerstätte“) ist mit 2,5 Millionen Einwohnern das Zentrum des Nordostens und jedes Jahr Pilgerstätte für Millionen Muslime. Hier liegt das Grab des Imam Reza, dem 8. Imam der Schiiten. Ohne Tschador auf der Straße wird Ria unentwegt und unverhohlen angestarrt, fast so als wäre sie nackt. Ein unangenehmes Gefühl. Mit Tschador werden die Blicke weniger intensiv. Die Hitze unter der Ganzkörperverhüllung ist aber nicht weniger anstrengend.

Die Einschränkung persönlicher Freiheiten scheinen die Iraner im Straßenverkehr zu kompensieren. Auf dem Asphalt herrscht die blanke Anarchie. Die Städte sind übervoll mit Individualverkehr. Jegliche Regeln werden ignoriert: Rechts vor Links gibt es nicht. Halten bei Rot? Wozu? Statt eines Schulterblicks wird „Gas“ gegeben. Und Geisterfahrer sind hier keine Meldung wert, denn Gegenverkehr auf unserer Spur ist ganz „normal“. Auch die Anwesenheit von Verkehrspolizisten ändert nichts an diesen Gepflogenheiten. Doch wir haben uns schnell an das Chaos gewöhnt und machen es wie die Iraner: sobald sich eine Lücke auftut einfach reinfahren. Irgendwie geht es immer ein Stück voran und jeder traktiert seine Hupe so gut und so oft er kann.

Leider habe ich (Oliver) im Iran aber auch ein unangenehmes Erlebnis auf der Straße. Zum ersten Mal in 12 Jahren Radreisen werde ich körperlich attackiert. In Talesh überholt uns ein Zweirad mit 2 jungen Männern. Beim Passieren schlägt mir der Beifahrer mit der Hand in den Nacken. Glücklicherweise behalte ich die Kontrolle über mein Rad. Dennoch ist der Fahrspaß in den nächsten Tagen getrübt. Dieser Vorfall ist jedoch der einzige negative. In positiver Erinnerung bleiben uns vor allem die vielen wunderbaren Abende bei unseren Gastfamilien, die Großzügigkeit und Herzlichkeit der Iraner und ein vielschichtiges Land, dass wir in 3 Wochen nur ansatzweise begreifen konnten.