Zauberhaftes Kappadokien

Göreme (1100 m.ü.M.) / Türkei turkey
88
. Reisetag
2.171 km / 14.703 hm

Göreme - wie Tausend und eine NachtDie letzten Tage waren landschaftlich die bisher schönsten unserer Reise. Von Aksaray aus fuhren wir vorbei an erloschenen Vulkanen, nackten Felslandschaften und in Schluchten gepressten ländlich-verschlafenen Bilderbuchdörfern. Das einfache Leben hier ist noch ganz dem Rhythmus der Natur angepasst. Noch vor Sonnenaufgang ziehen die Bauern mit ihrem Vieh auf die Weiden, Familien bearbeiten mit Haken das trockene Ackerland. In den Mittagsstunden suchen alle ein schattiges Plätzchen. In den engen Gassen der Dörfer spielen alte Herren in den Lokantas stundenlang Tavla, dunkel gekleidete Bäuerinnen sitzen vor ihren Häusern und halten ein Schwätzchen.

In Ihlara lassen wir 1 Tag die Räder stehen und erkunden die Umgebung zu Fuß. Besonders die Wanderung durch die bis zu 150 m hohe Ihlara-Schlucht, vorbei an mittelalterlichen Höhlenkirchen, ist wunderschön. Bereits um 8 Uhr sind wir am Eingang und so früh am Morgen noch die einzigen Besucher. Begleitet vom Quaken der Frösche und Vogelgezwitscher laufen wir durch das Tal entlang des Melendiz-Flusses, der dafür sorgt, dass hier eine üppige Vegetation wächst. Die Schlucht mit ihren schroff aufsteigenden Felswänden war während der Christenverfolgung Rückzugsgebiet byzantinischer Mönche. Der Platz war sicher gut gewählt. Selbst wir konnten am Tag zuvor bei unserer Ankunft nicht erkennen, dass sich hier zwischen Getreidefeldern und Wildwiesen urplötzlich eine solch imposante 15 km lange Schlucht auftut. Die Kapellen und Kirchen links und rechts des Flusses sind mit Fresken im Inneren geschmückt, viele davon haben durch Vandalismus jedoch arg gelitten. Sehr viel ist über die Lebens- und Überlebensweise der Christen Kappadokiens leider nicht bekannt. Auch die Namen der Kirchen entstammen aus späteren Zeiten, als die hier ansässigen türkischen Bauern den Gotteshäusern simple Namen zur Unterscheidung gaben. So besichtigen wir u.a. die „Kirche unter dem Baum“, die „Hyazinthenkirche“ und die „Schlangenkirche“, in der 4 nackte Sünderinnen zu sehen sind, die von Schlangen umzingelt werden.

Die weitere Strecke nach Göreme hat es in sich. Steigungen von 10 % und mehr verlangen uns einiges ab. Ab 13 % geht es schließlich nur noch schiebend voran. Auf der Kuppe angekommen geht es ebenso steil wieder runter. Permanent haben wir die Hände an den Bremshebeln, die Felgen quietschen ohrenbetäubend. Doch die Mühen lohnen. Über malerische Hochebenen auf 1.600 m und vorbei an Relikten der einst reichen Kirchen- und Klosterkultur erreichen wir schließlich Göreme, das im Herzen der surrealen Tuffsteinlandschaft Kappadokiens liegt. Der Ort selber ist ein großes Touristendorf. Das Kirchental (UNESCO-Weltkulturerbe) lockt jährlich 2 Millionen Besucher und ist nur einen Steinwurf entfernt. Fast jeder Bewohner Göremes partizipiert in irgend einer Weise von den Besuchern aus aller Welt, ob als Teppichverkäufer, Restaurantbetreiber oder „Touri-Guide“. Wir sind abseits des Trubels in einer netten Pension oberhalb Göremes untergekommen und genießen am Abend den fabelhaften Blick über die Dächer Stadt und die Feenkamine.

Vor über 10 Millionen Jahren schleuderten die bis zu 4.000 m hohen Vulkane Tuffasche in die Umgebung und legten so den Grundstein für diese einzigartige Landschaft. Im Laufe der Zeiten wurde durch Witterungseinflüsse das verschiedenartige Tuffmaterial aufgespalten und durch Regen Stück für Stück ausgewaschen. In jahrtausendelangen Prozessen bildeten sich so die heute sichtbaren Feenkamine heraus.

Gestern besuchen wir schließlich das Open-Air-Museum von Göreme und streifen anschließend abseits der Touristenströme durch das Wunderland aus Tuff mit bizarren Gebilden. Die von den Gezeiten erschaffene Felsenarchitektur zieht uns in ihren Bann. Immer wieder „finden“ wir neue Formationen, bestaunen Burgfelsen, steigen in verlassene Höhlenräume und lassen unsere Fantasie spielen. Wie mag hier wohl das Leben der Menschen zwischen dem 8. und 13. Jahrhundert ausgesehen haben? Nach 5 Stunden haben wir uns satt gesehen und „fliehen“ vor der erbarmungslosen Mittagssonne in unser kühles Pensionszimmer.

Zum Abend laufen wir auf die Tuffsteinfelsen im Westen Göremes und genießen zum Abschluss dieses unvergesslichen Tages den fantastischen Ausblick auf die Stadt und den Sonnenuntergang über der märchenhaften Landschaft Kappadokiens.

Heiße Tage in Westanatolien

Aksaray (900 m.ü.M.) / Türkei turkey
83
. Reisetag
2.000 km / 12.741 hm

P1080603 Schweißperlen laufen über unsere Stirn, wir schwitzen aus allen Poren. Die Sonne scheint unaufhörlich, keine Wolke trübt den Himmel. In den letzten Tagen ist das Profil anspruchsvoller geworden und auch die Temperaturen sind noch einmal deutlich gestiegen. Wir sind in Westanatolien unterwegs. Gegen 09:00 Uhr sind es bereits 34 °C, um die Mittagszeit zeigt das Thermometer 41 °C in der Sonne an. Unser Wasserverbrauch ist auf 7 – 8 Liter pro Tag gestiegen.

Istanbul haben wir vor 8 Tagen verlassen. Mit der Fähre ging es nach Yalova ans Ostufer des Marmarameeres. Eine gute Stunde Zeit, um auf die Stadt am Bosporus zurückzublicken und uns auf die Fortsetzung unserer Reise zu freuen. Der Kontrast auf den ersten Radkilometern könnte kaum größer sein. Eben noch mitten im geschäftigen Leben der Metropole fahren wir nun durch eine landwirtschaftlich geprägte Region. Grüne, kultivierte Täler wechseln sich mit graubraunen Hochlandsteppen und türkisfarbenen Seen ab. Vielfach säumen Olivenhaine unseren Weg. In der fruchtbaren Region gedeihen außerdem Pfirsiche, Tabak, Wein und Zucchinis. Bereits in den frühen Morgenstunden fahren die Bauern mit ihren Traktoren zu den Feldern. In gebückter Haltung und mit Kopftüchern gegen die sengende Sonne geschützt, bearbeiten die Frauen die Äcker.

Am Ostufer des Iznik-Sees bewundern wir im gleichnamigen Ort die fast 5 km lange Wehrmauer, die einst von den Römern errichtet wurde. Berühmt ist Iznik jedoch für seine Fayencen. Die bunten Kacheln zieren zahlreiche osmanische Prachtbauten (z.B. die Blaue Moschee in Istanbul). Im Berlin-Hotel verbringen wir eine ruhige Nacht. Der Name hat uns gelockt. Außerdem spricht die Inhaberin Deutsch, da sie viele Jahre in Berlin-Charlottenburg gelebt hat. Als wir sie auf die Demonstrationen im Land ansprechen macht sie ihrer Wut Luft: Tayyip Erdogan und seine Bande sind Verbrecher, die davon gejagt gehören! Und mit Ihrer Meinung ist sie nicht allein. Jeden Abend ziehen die Einwohner Izniks mit Löffeln und Kochtöpfen „bewaffnet“ durch die Straßen und demonstrieren lautstark gegen die Politik der autoritären Regierung, die das Land durch immer neue Gesetze Stück für Stück islamisiert. Darüber hinaus betreibt die seit 2002 regierende AKP eine radikal neoliberale Wirtschaftspolitik und privatisiert ungebremst Staatseigentum. Junge Türken, mit denen wir offen über die Situation im Land sprechen können, beklagen den Ausverkauf des Landes und die fortwährende Gängelung durch die Regierung. Individuelle Freiheiten werden zunehmend beschnitten. Deshalb gehen sie Abend für Abend auf die Straßen, unerschrocken und unüberhörbar. Die Stimmung ist kämpferisch, alle wollen weitermachen, aber keiner glaubt, dass es schon bald eine Wende geben wird.

So spannungsgeladen derzeit die Auseinandersetzungen auf der Straße sind, das alltägliche Leben scheint seinen gewohnten Gang zu gehen – und das wesentlich entspannter als in Deutschland. Immer wieder mal werden wir „von der Straße weg“ spontan zum Tee oder sogar zum Essen eingeladen. Interessiert fragt man uns nach dem Woher und Wohin und wie uns die Türkei gefällt. Die Verabschiedung ist ebenso herzlich wie die Begrüßung. Mit traditionellen türkischen Küssen auf die Wange oder einem langen Händedruck wünscht man uns eine gute Reise. Obwohl die Verständigung sich mit älteren Türken meist nur auf wenige Worte oder Sätze beschränkt (da kaum jemand Englisch spricht), ist der Umgang mit uns Fremden unverkrampfter und zwangloser als in unserer stärker durchorganisierten Gesellschaft. Die Zuneigung und Gastfreundschaft der Türken machen uns immer wieder sprachlos und erzeugen einen Wärmestrom, der noch schöner ist, als das hochsommerliche Wetter. Stellvertretend für viele Erlebnisse wollen wir von 2 berichten:

So fragen wir z.B. am Iznik-See einen alten Bauern, ob wir eine Nacht auf seinem Feld zelten können. Mit einer einladenden Geste deutet er uns, ihm auf seinem Traktor zu folgen. Nicht weit vom See wohnt er in einfachsten Verhältnissen. Seine Frau ist vor 7 Jahren gestorben, die 3 Kinder sind längst ausgezogen. Nur 2 kleine Hunde leisten ihm noch Gesellschaft. Am Tisch vor seinem Haus trinken wir gemeinsam Çay. Anschließend zeigt er uns einen Zeltplatz direkt am See. Während wir unser Nachtlager aufbauen fährt er noch einmal ins Dorf und holt Ekmek (Brot). Anschließend bekommen wir sein Abendbrot – 2 frisch gefangene Fische in einer leckeren Panade knusprig braun gebraten. Der beste Fisch seit langem. Dazu gibt es Gemüse und Käse. Er selber begnügt sich mit einer Brotscheibe. Wir wollen den Fisch mit ihm teilen, vergebens. Wichtig ist, dass wir satt werden.

Einige Tage später lädt uns in Bözüyük Ender zu sich und seinen Eltern ein. Herzlich werden wir von allen empfangen. Das Wohnzimmer ist für heute unser „Reich“. Natürlich gibt es zunächst wieder reichlich Çay, dieses Mal mit Zitronenstücken – sehr lecker und erfrischend. Wir fühlen uns vom ersten Augenblick an wohl. Nach einer Dusche geht es mit Ender und seinem Freund Onur in ein Gartenlokal außerhalb der Stadt. An einem Fluss sitzen wir in einer parkähnlichen Anlage, essen lecker und verbringen einen ausgelassenen Abend. Bezahlen tut Ender – wir sind schließlich seine Gäste. Uns erstaunt diese uneingeschränkte Großzügigkeit auch nach 2 Wochen Türkei immer noch. Als wir weit nach Mitternacht wieder nach Hause kommen, sind für uns die Betten gemacht, auf dem Tisch stehen Kirschen und Aprikosen zum Naschen. Unsere dreckige Wäsche wurde auch gewaschen. Am nächsten Morgen frühstücken wir alle gemeinsam und schauen uns Bilder der Familien an. Bewegt von soviel Herzlichkeit fällt uns die Weiterfahrt nach Eskişehir schwer. Den Abschied versüßt uns Enders Mutter mit getrockneten Pflaumen und Aprikosen und leckeren Kirschen.

Um dem Knie nicht zuviel zuzumuten, nutzen wir wieder einmal Fern- und Schnellstraße. Die Fahrt auf den „Highways“ ist zwar landschaftlich nicht die schönste, aber die Steigungen sind moderater und auf der Standspur rollt es sich ganz gut.

In Eskişehir legen wir einen Ruhetag ein und kommen bei in einer entspannten 4er WG unter. Wie immer wohnen unsere Gastgeber im obersten Stockwerk – dieses Mal im 5. Aber die Schlepperei lohnt sich. Auch hier haben wir ein riesiges Zimmer ganz für uns. Die Jungs sind aufgeschlossen und bei einem gemeinsamen Efes und netten Gesprächen vergehen die abendlichen Stunden wieder mal viel zu schnell.

Eskişehir, die „alte Stadt“ ist in Wirklichkeit jung und stylisch. Die boomende Universitäts- und Industriestadt hat viele junge Gesichter, große Einkaufscenter und unzählige Läden. An der hübschen Uferpromenade des Porsuk-Flusses schauen wir dem Treiben eine Weile zu und lassen uns anschließend eine große Portion Çig Börek schmecken, knusprig frittierte Teigtaschen, die ein Spezialität Eskişehirs sind. Im Busbahnhof besorgen wir uns in „Nullkommanix“ für 6,50 €/Person ein Ticket nach Ankara. Der Transfer am nächsten Tag verläuft reibungslos. Wir bekommen (wie üblich in türkischen Bussen) Tee, Wasser, Saft und Kekse serviert. Ria darf neben dem Fahrer Platz nehmen und filmen. Die Fahrt führt vorbei an goldgelben Weizenfeldern und kargen Hochebenen, die man aufzuforsten versucht. Ankara selber sehen wir nur vom Bus aus, denn wir wollen noch weiter nach Aksaray. Die Hauptstadt der Türkei macht auf uns den Eindruck einer wild wuchernden Stadt ohne Ausstrahlung. Lange, sechsspurige Straßen führen ins Zentrum, sterile Neubauten prägen das Bild. Jährlich wächst die Stadt um 100.000 Zuwanderer, für die allerorten Wohnblöcke mit 20 und mehr Stockwerken hochgezogen werden.

Der Busbahnhof Ankaras ist riesig. Auf 3 Stockwerken verteilen sich Terminals, größer als die in Tegel. Wir kämpfen uns mit unseren Rädern durch die Menschenmassen auf der Suche nach dem richtigen Ticketschalter. Zwischen all’ den eilenden Reisenden und lautstark ihre Zielankünfte ausrufenden Busfahrern ein ganz anderes Bild: Auf dem Boden sitzen hunderte Männer, die Köpfe nach Mekka geneigt, versunken im Gebet.

Keine halbe Stunde nach unserer Ankunft in Ankara sitzen wir im nächsten Bus. Die Fahrt ins zentralanatolische Hochland führt überwiegend durch weite Eintönigkeit. Nahezu baumlose Steppe trocknet in der Sonne braungebrannt vor sich hin. Auf den goldgelben Feldern gedeiht anspruchsloser Weizen. Die Höhenzüge im Norden und Süden Inneranatoliens sorgen dafür, dass das Herzland der Türkei nur wenig Regen abbekommt. Trotzdem fasziniert uns die Landschaft durch ihre Weite – eine gigantische Ebene auf 800 – 1.200 m, die gelegentlich durch Gebirgsrücken unterbrochen wird. Das Highlight des Tages ist jedoch der Tuz Gölü, mit über 2.000 km² einst der zweitgrößte See der Türkei. In der Sonne schimmert der am Boden mit einer dicken Salzschicht bedeckte, nur 2 m tiefe See in verschiedenen Farbschattierungen. Doch das Farbenspiel täuscht über seinen erbärmlichen Zustand hinweg. Der Tuz Gölu steht durch extensiven Wasserraub für die Landwirtschaft kurz vor dem Exodus und hat heute nur noch ca. 15 % seiner einstigen Ausdehnung.

Am Ortseingang von Aksaray springen wir kurz entschlossen aus dem Bus, um die erste Campingplatz-Nacht auf der Reise zu verbringen. Leider eine „beschissene Idee“, was den Zustand der Sanitäranlagen und die Qualität des Platzes angeht. Zum Glück verbringen wir hier nur eine Nacht.

Morgen steigen wir dann wieder auf unsere Räder, um in die wundersame Welt Kappadokiens zu fahren.

Istanbuler Impressionen – 2. Teil

Eine unvergessliche Woche in Istanbul geht zu Ende. Vieles haben wir gesehen, aber längst nicht alles. Da ein Bild mehr sagt als tausend Worte, hier noch ein paar Eindrücke aus der Stadt zwischen Orient und Okzident.

Außerdem gibt es “bewegte Bilder” von unserer Einfahrt ins Zentrum Istanbuls. Die Stadt ist nicht wirklich “fahrradtauglich” oder gar “-freundlich”. Oberstes Gebot auf Istanbuls Straßen: Immer in Bewegung bleiben und ,In schā’a llāh’ (,So Gott will’) kommt man unversehrt an sein Ziel …

 

 

Einfahrt in die Millionenmetropole Istanbul

Vielen Dank für Eure Kommentare, über die wir uns immer freuen. Allen Mitlesern und Besuchern ein schönes Wochende und Saygilar!

Ria & Oliver

Türkiye’ye Hoşgeldiniz – Herzlich Willkommen in der Türkei!

Istanbul / Türkei turkey
74. Reisetag
1.745 km / 10.478 hm

Hagia SofiaMit diesen Worten und einem Stempel in unserem Pass ist unsere Einreise in die Türkei offiziell besiegelt. Herzlich Willkommen zu sein – dieses Gefühl haben wir vom ersten Tag an. Doch der Reihe nach:

Die letzten 100 km in Bulgarien sind ziemlich schweißtreibend. Auf einer schmalen, mit Schlaglöchern übersäten Straße geht es vom Schwarzen Meer auf 700 m Höhe durch das dicht bewaldete Strandza-Gebirge. Durch die Regenfälle der letzten Tage ist es schwül-warm. Ziemlich verschwitzt erreichen wir die Grenze. 3 Mal müssen wir unsere Pässe vorzeigen. Nachdem das obligatorische Grenzfoto geschossen ist, geht es auf feinstem türkischen Asphalt und breiter Straße durch Ostthrakien. Als wir am Abend unser Zelt auf einem Feld aufstellen, hören wir zum ersten Mal den Ruf des Muezzin (ezan), der alle Gläubigen zum gemeinsamen Gebet versammelt.

Thrakien, das einstige Kernland des Osmanischen Reiches ist heute türkische Peripherie. Die hügelige Landschaft ist geprägt von Getreidefeldern. Beständig geht es auf und ab. Auf einem der zahlreichen Anstiege überholt uns Paul aus Kanada, der auf Europa-Tour ist. Am Straßenrand plaudern wir über „Gott und die Welt“ und bemerken gar nicht, dass sich der Himmel bedrohlich verdunkelt. Als wir uns schließlich eine gute Weiterreise wünschen, ist das Unwetter nicht mehr fern. Kurz vor Kirklareli ist es soweit: sinnflutartiger Regen ergießt sich über uns, dazu Sturm, Hagel und Blitzeinschläge in unmittelbarer Nähe. Wir suchen unter dem Vordach eines Ladens Schutz. Prompt lädt uns der Besitzer zu sich ein und bringt Çay. Ein Fernfahrer kauft uns spontan Schokoriegel. Nachdem sich 2 Stunden später das Wetter beruhigt hat, lotst uns der Ladenbesitzer mit seinem Auto ins Zentrum von Kirklareli zu Burak, unserem Gastgeber. 2 Tage verbringen wir in der Stadt, genießen Buraks Gastfreundschaft, bekommen einen ersten Einblick in den türkischen Alltag und kosten uns durch einige Köstlichkeiten des Landes. Besonders gegrillte köfte (frikadellenähnliche Hackfleischbällchen), merçi-mek çorbasi (herzhafte Linsensuppe) und die Kalorienbomben baklava und türkischer Brownie haben es uns angetan.

Auf der E 80 geht es von Kirklareli weiter nach Istanbul. Der Transitverkehr rauscht vierspurig in die Metropole am Bosporus. Landschaftlich gibt es keine großen Highlights. Die Fahrt in die pulsierende Millionenmetropole zwischen Orient und Okzident ist aber auf andere Weise ein „Erlebnis der besonderen Art“. Scheinbar endlos erstrecken sich die Vororte. Gigantische Wohnkomplexe ragen links und rechts der Autobahn in den Himmel. Stoßstange an Stoßstange quält sich der Verkehr über den Asphalt. Rund 15 Millionen Menschen leben hier und wahrscheinlich gibt es fast ebenso viele Autos. Wer über den Verkehr in Berlin klagt, sollte einmal in Istanbul Auto fahren. Danach dürften einem Deutschlands Straßen wie eine Oase vorkommen. Zwischen all’ den Fahrzeugen schlängeln wir uns mit unseren Rädern, zunächst noch auf einem Seitenstreifen, schließlich mitten in der Blechlawine. Voll konzentriert, mit Herzklopfen und jeder Menge Adrenalin im Blut müssen wir mehrmals die Spur wechseln, um in den Stadtteil Sirkeci zu gelangen. Als wir gegen Abend schließlich unser Hotel in der Altstadt erreichen machen wir innerlich 3 Kreuze.

Istanbul ist eine faszinierende Stadt, anstrengend und anziehend zugleich. Das Leben findet bis spät in den Abend auf der Straße statt. Unzählige Geschäfte säumen die schmalen Gassen. Lautstark werden auf der Straße die Produkte angepriesen. Jeder macht irgendwie „Business“, sprichwörtlich vom Wasserträger bis zum Geschäftsmann im Seidensakko. Genauso kontrastreich wie das Leben ist die Architektur Istanbuls. Osmanische Prachtbauten prägen ebenso die Skyline wie moderne (hässliche) Glastempel. Die Mega-City am Bosporus ist ein Schmelztiegel, in dem Kommerz und Koran scheinbar problemlos nebeneinander existieren. Von Kopf bis Fuß verschleierte Frauen stehen neben Highheels tragenden Schönheiten. Istanbul hat viele Gesichter.

Unser Hotel liegt am Goldenen Horn (auf europäischer Seite) im Herzen der historischen Altstadt, nicht weit entfernt von der Galatabrücke. Über 2.000 Jahre Geschichte trifft hier auf jede Menge Tourismus. Um den Menschenmassen zu entgehen, besuchen wir kurz nach Sonnenaufgang die „Hot Spots“. Die gewaltigen Silhouetten von Hagia Sophia und Blauer Moschee erstrahlen im ersten Licht des Tages. Im Inneren der Blauen Moschee herrscht zu dieser Stunde fast noch andächtige Stille. Nur einige Gläubige beten bereits. Die Wände des Sakralbaus sind mit blau-grünen Fayencen verkleidet. Der Blick hinauf zur mächtigen Hauptkuppel mit ihren Kalligraphien und Arabesken ist faszinierend. Die Hagia Sophia („Heilige Weisheit“) ist nicht weniger beeindruckend nur leider viel voller. Erst Kirche, dann Moschee ist sie heute ein Museum, dass einen schon mit seiner schieren Größe überwältigt. Allein das Hauptschiff hat gewaltige Ausmaße: 80 m lang und 56 m hoch, die Kuppel mit einem Durchmesser von 33 m.

Anschließend streifen wir durch den Großen Basar (Kapalı Çarşı) – eine kleine Stadt für sich. Über 25.000 Menschen arbeiten hier in mehr als 3.600 Geschäften. In dem Labyrinth aus Gassen wird so ziemlich alles angeboten – von Edel bis Nippes: Teppiche, Keramik, Schmuck, Antikes aber auch imitierte Label-Marken und jede Menge Touristenkram. Dennoch vermittelt uns der Spaziergang durch die überdachten, farbenprächtigen Gassen einen Hauch von Orient.

Bei einer Fahrt auf dem Bosporus lassen wir das laute Treiben schließlich für ein paar Stunden hinter uns, genießen entspannt den Blick auf Istanbuls Sehenswürdigkeiten vom Wasser aus und fahren mit dem Dampfer bis zur Mündung am Schwarzen Meer.

Als wir am Montag im Stadtteil Taksim den gleichnamigen Platz besuchen ist die Stimmung friedlich, fast eine Mischung aus Protest und Party. Überall hängen Plakate mit Parolen und Wünschen. Auf einem ist zu lesen: “Die Bevölkerung der Türkei hat gesprochen, wir werden uns nicht unterdrücken lassen”. Der Gezi-Park gleicht einer riesigen Zeltstadt. Jung und Alt diskutieren in kleinen Gruppen, es wird gesungen, Essen an die Demonstranten verteilt. Die Spuren der heftigen Straßenkämpfe sind unübersehbar. Barrikaden versperren die Zufahrt zum Taksim-Platz, ausgebrannte Polizeiautos wirken wie Trophäen, bunt bemalt und mit Regenbogenfahnen geschmückt. Überlebensgroße Bilder der getöteten Protestierer schmücken den Taksim-Platz. Wir sind beeindruckt und berührt vom Mut der Menschen, die Schlagstock und Tränengas mit Kreativität und Entschlossenheit begegnen. Keine 24 Stunden später bestätigen sich die Gerüchte einer bevorstehenden Polizeioffensive. Man kann den Menschen nur wünschen, dass die autoritäre Regierung am Ende keinen Erfolg hat und nicht nur das umstrittene Bauprojekt gestoppt wird …