Wer „A“ sagt muss auch „B“ sagen

Skagway/ Alaska, USA usa
526. Reisetag
16.770 km / 103.892 hm

Matanuska Gletscher „You are in Bear Country!“ Diesen Satz hören wir immer wieder, wenn wir mit Einheimischen ins Gespräch kommen und vom Zelten erzählen. Aber dazu später mehr ….

Wir stehen auf den Eureka Summit, dem mit 1.013 m höchsten Punkt des Glenn Highway und genießen den großartigen Ausblick über die Unendlichkeit des menschenleeren Landes.
Im Süden schimmert in den schneebedeckten Chugach-Mountains kaltblau der Nelchina Glacier, im Norden erhebt sich das Talkeetna Massiv. Für ein paar Stunden kommt an diesem Tag einmal die Sonne zum Vorschein und taucht die Laubwälder in ein außergewöhnliches Farbenspiel. Die intensiven Rottöne der Ahornbäume und das strahlende Gelb der Eichen, Birken und Espen leuchten wie überdimensionale Farbklekse zwischen dem dunklen Nadelwald Alaskas.

In diesem Moment sind all’ die anstrengenden Stunden und verregneten Tage zuvor, die nasse Kälte und schmerzenden Körper, das ewige Auf und Ab der Topografie, der ständige Gegenwind, vergessen. Jetzt zählt nur der Augenblick. Die unberührte Natur, die Einsamkeit, die schneebedeckten Gebirge aus denen mächtige Gletscher gespeist werden, haben die weite Reise hierher gelohnt. Die Nacht zuvor haben wir am gewaltigen Matanuska Glacier übernachtet und zum ersten Mal seit langem unser Zelt am Morgen wieder trocken einpacken können.
Seit den 50er Jahren hat es nicht mehr so viel geregnet wie in diesem Sommer und Herbst, erzählen uns ältere Alaskans. Toll! Und der Kälteeinbruch kommt auch 3 Wochen früher als normal. Supertoll! Fluchend und fröstelnd fahren wir oft stundenlang durch Strippen-, Sprüh-, Stark-, Tröpfel- oder Pladder-Regen und wenn uns die riesigen Motorhomes oder ps-starken Trucks passieren gibt’s noch ne ordentliche Gischt ins Gesicht.

Um so schöner, wenn wir dann von der Straße weg zu Coffee und Cakes eingeladen werden und in warmen Stuben Füße und Seele wieder auftauen. Die Alaskans sind rau wie die Natur aber ebenso herzlich und hilfsbereit. Das Leben hier ist nicht einfach und die Hilfsbereitschaft groß. In einer alten, aus mächtigen Holzstämmen errichteten, Lodge von 1929 (eine der wenige erhaltenen Rastanlagen aus den „alten“ Zeiten) verwöhnt uns …. mit heißem Kaffee und selbstgemachtem – unglaublich leckerem – Zimtkuchen.
Seine Tochter lebt seit 1 Jahr hier und hat letzten Sommer das Haus gekauft. Wie so viele Alaskans kommt sie aus den „Lower 48“ und versucht hier ihr Glück.

So wie einst die Goldsucher Ende des 19. Jh., deren Relikte wir auf dem Klondike Highway sehen.
Der begann 1897 nachdem die ersten erfolgreichen Goldsucher mit ihrem frisch geschürftem Vermögen in Seattle und San Francisco Furore machten. Über 100.000 Menschen machten sich in den kommenden Jahren in der Hoffnung auf schnellen Reichtum auf den Weg nach Norden. Am Chilkoot Pass kontrollierten kanadische Grenzer, ob jeder den geforderten Einjahres-Vorrat mitbrachte. Die legendäre Ton of Goods bestand aus 700 kg Lebensmitteln und Ausrüstung. Jeder musste sein Zeug selbst über den steilen Pfad mitnehmen. Packtiere kamen wegen der steilen Pfade nicht in Frage …

Für uns sind schon die 40-45 kg Gepäck genug Plackerei. Nie zuvor hatten wir so viele Lebensmittel dabei. Die menschenleeren Gegenden und die gepfefferten Preise in den kleinen Food-Stores machen Hamstereinkäufe notwendig. Außerdem gibt es Großpackungen im Kilogramm-Bereich oft zu günstigeren Preisen als die kleineren. Verrückt! Und fast hätten wir einen Teil unseres kostbaren Gutes verloren …

Zwei Tage bevor wir Skagway erreichen campen wir am Windy Arm in einer kleinen Bucht. Der Platz mit Feuerstelle ist ca. 1 km unterhalb des Highway an einem malerischen See. Während es wieder mal regnet wärmen wir uns am Lagerfeuer auf und lassen den Tag Revue passieren. Schließlich lässt uns der leichte Nieselregen auf dem Zeltdach in den Schlaf hinübergleiten.
Kurz nach 1 Uhr weckt mich ein dumpfes Geräusch. Es regnet stärker, so dass wir angestrengt in die Nacht lauschen. Auf meiner Seite kann ich nichts Ungewöhnliches sehen. Ria leuchtet auf ihrer Seite mit der Stirnlampe in die Dunkelheit … Mit entsezter Stimme raunt sie mir zu „Ein Bär!“
Scheiße!

Keine 30 m von unserem Zelt hat sich ein Bär unsere Vorderradtasche gekrallt. Das Tier ist noch nicht voll ausgewachsen aber mit ca. 100 cm in der Schulterhöhe schon recht stattlich. Die weit auseinander stehenden Augen glänzen weiß im Strahl der Kopfleuchte. Einen Augenblick langt stockt uns der Atem.Dann haben wir uns gefangen. In Windeseile habe ich das Bärenspray in der Hand und wir beide unsere Trillerpfeifen im Mund. Beim ersten „Anpfiff“ macht der Bär keine Anstalten zur Flucht. Erst beim zweiten Mal sucht er das Weite. Mit rasendem Herzen hören wir angestrengt in die Finsternis. Ist er noch da? Kommt er womöglich zurück? Oder ist vielleicht noch ein anderer Bär in der Nähe? Doch außer dem Regen ist nichts zu hören.

Schließlich wagen wir uns lärmend und mit Bärenspray bewaffnet aus dem Zelt. Angestrengt leuchten wir im Regen die Umgebung ab. Doch kein Bär zu sehen. Meine rechte Vorderradtasche ist an der Stirnseite wie mit dem Messer feinsäuberlich aufgeschlitzt. Durch die Nalgenedose hat sich einer der Zähne gebohrt. Ansonsten ist alles unversehrt. Wir haben ihn wohl schnell gestört. Den Rest der Nacht schlafen wir nicht mehr gut und bis es so weit ist vergeht gefühlt eine Ewigkeit ….

Wer “A” wie Alaska sagt, muss wohl auch “B” wie Bär sagen.

Wer sachdienliche Hinweise zu unserem „Problembär“ hat möge sich bitte an die nächstgelegene kanadische Polizeidienststelle oder hilfsweise an uns wenden.
Hier noch mal die Kurzbeschreibung des Täters: Schultergröße ca. 100 cm, kleine Augen, abstehende Ohren und hervorstehende Schnauze. Der Dieb trug dunkelbraunes Fell und war mit 42 Zähnen sowie Krallen bewaffnet.
Zur Belohnung im Falle einer Ergreifung sind 500 g Honig ausgesetzt :-)

Am nächsten Tag haben wir dann unsere 2. Begegnung mit „Meister Petz“ und die ist wesentlich ungefährlicher. Unterwegs auf dem Klondike Highway sehen wir 200 m oberhalb von uns einen ausgewachsenen Black Bear. Das Tier durchstreift auf der Suche nach Beeren die baumlosen Hänge. Tiere im Zoo oder ihrem angestammten Lebensraum zu sehen ist etwas ganz anderes. Fasziniert schauen wir dem Schwarzbären beim Pflücken der Beeren zu. Kurz darauf entdecken wir auch noch eine Schneeziege. Das über 100 kg schwere Männchen mit kräftigem Körper und muskulösen Beinen wärmt sich auf einem Felsvorsprung in den ersten Sonnenstrahlen des Tages auf. Sein weißer Kinnbart weht im Wind. Was für ein Anblick.

Wir stehen ein Stück weiter unten auf dem Rastplatz und genießen den Blick in das tief eingeschnittene Tal kurz hinter dem White Pass (873 m). Der letzte Tag in Alaska bzw. Yukon und British Columbia ist noch einmal ein echtes Glanzlicht in all dem Regen. Vorbei an glasklaren Bächen und Seen geht es auf einer der schönsten Strecken im kanadischen Norden. In Glanz der Sonne leuchtet das Wasser türkisfarben. Die Anfahrt auf Skagway ist dann nur noch Vergnügen pur. Schneller als der Wind sausen wir auf kurvenreicher Strecke durch hochaufragende Berge zum Taiya Inlet und in die Stadt, die während des kurzen Goldrausches einst 20.000 Menschen beherbergte. Heute sind es lediglich noch 700. Doch fast ebensoviele Touristen wie einst Goldsucher lassen das hübsche Örtchen aus allen Nähten platzen.

Im Hafen liegen gigantische Kreuzfahrtschiffe, die die teilweise 100 Jahre alten Häuser um ein Vielfaches überragen. Gegen 20 Uhr heißt es für uns „Leinen los“. Mit der Columbia fahren wir 4 Tage durch die Inside Passage und der Kaltwetter-Front davon. Auch wenn der Service und Komfort nicht überragend sind verleben wir eine einmalig schöne Zeit. Die Fahrt entlang der unberührten Küsten Alaskas und Kanadas wird uns unvergesslich in Erinnerung bleiben. Bei ruhiger See und fantastischem Sommerwetter gleitet die Fähre vorbei an dem unzugänglichen Gebirgsmassiv der Coast Mountains und unzähligen Inseln. Delfine spielen in den Wellen der Columbia. Wale schießen scheinbar in Zeitlupe aus dem Wasser um ebenso majestätisch wieder in den Pazifik einzutauchen.

Die Nächte verbringen wir an Deck (man darf an Bord zelten) und einen Teil davon mit Sabrina & Robert und Gunda & Mattes. Die 4 sind Radkollegen und haben ihre 1mjährigen Touren in Anchorage gestartet. Auf der “Columbia” führen unsere Wege und der einsetzende Winter uns nun zusammen. Wir sind uns auf Anhieb sympathisch und haben als kleine „German Reise-Group“ viel Spaß und fantastische – gemeinsam erkochte – 3-Gänge-Outodoormenüs.

Am 12.09. sind wir wieder an Land und im „Sixpack“ geht es über die amerikanisch-kanadische Grenze Richtung Vancouver. Doch das ist eine andere Geschichte ….

Am grünen Rand der Welt

Anchorage / Alaska/ USA usa
512. Reisetag
16.155 km / 99.412 hm

IMGP2177 „Hey there! What’s up man?“ – „Hallo! Wie geht’s man?“

Völlig unvermittelt spricht mich Bob im Supermarkt an.

„I’m fine, thanks.“ – „Danke, gut.“ antworte ich erstaunt.

Dann plaudern wir locker über Alaska, seine Zeit bei der US Air Force, und unsere Weltreise.

„Wow! That’s cool.“ – „Wow! Ist das cool.“

Bob umarmt mich spontan und herzhaft und dann gibt’s ein laaanges „shake hands“ … und noch ne’ Umarmung. “Safe trip. Man.”

An diese spontane, direkte Art musste ich mich erst ein paar Tage gewöhnen. In Südamerika ist mir das in dieser Form nie passiert. Hier in Anchorage sind wir ständig im Smalltalk. Selbst an der Kasse im Supermarkt wird stets gefragt „How are you?“. Auch wenn die Antwort immer „Fine“ ist – ob das nun stimmt oder nicht – diese lockere, unverfängliche Art tut gut. Mit Schmeicheleien gehen “die” Amerikaner nicht sparsam um. Auch wenn es oft reine Höflichkeit ist und etwas oberflächlich wirkt, so ist dies doch Ausdruck der freundlichen Grundeinstellung. Und das ist angenehm. „Think positive! laut das Motto. Und das ist bei dem “Shit-Wetter” auch dringend nötig. So viel Regen wie in den Tagen hier hatten wir in 5 Monaten Südamerika nicht.

Nun sind wir also in den USA, dem drittgrößten Staat der Erde – sowohl gemessen an der Fläche als auch an der Bevölkerung mit ca. 314 Millionen Einwohnern. Ganze 700.000 (allein 300.000 in Anchorage) davon leben in Alaska, fünfmal so groß wie Deutschland. Es wird also einsam in den kommenden Wochen werden. Von der staubtrockenen Nazca Wüste in die weite, saftig-grüne Wildnis Alaskas. Was für ein Kontrast!

„The last Frontier“ prangt stolz auf jedem Nummernschild der ps- und lautstarken Boliden von nie gekannter Größe und den überdimensionierten Wohnwagenbunkern, die eher rollenden Einfamilienhäusern gleichen. Den Lokalpatriotismus spürt man fast in jedem Gespräch. Auch hier ist man natürlich zuerst US-Amerikaner aber eben auch stolzer Alaskan. Der Rest der USA (ohne Hawaii) wird etwas despektierlich als „the lower 48“ („die unteren 48“) oder sogar „Outside“ („da draußen“) betitelt. An Selbstbewusstsein mangelt es den Alaskans nicht :-)

So manches hat uns schon in den ersten Tagen begeistert, anderes für Kopfschütteln gesorgt. Und eines ist schon jetzt sicher, „kalt lassen“ wird uns das 18. Reiseland mit Sicherheit nicht. Zunächst erleben wir das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ allerdings als „Land der begrenzten Möglichkeiten“ – was die Liefergeschwindigkeit unseres Pakets aus Deutschland angeht.

Schon mit reichlich Verspätung durch DHL erreicht es am 06.08. New York, 3 Tage später Seattle …. und dann dauert es noch einmal 10 Tage bis es per Schiff endlich im Hafen von Anchorage eintrudelt.

Um bei dem regnerischen Wetter nicht völlig einzurosten, fahren wir nach Seward an den Golf von Alaska. Und was wir auf der kleinen Runde sehen macht Lust auf mehr. Die Natur hier hat Wunderbares zu bieten: grandiose Landschaft, wilde Tiere, frische würzige Luft, tolle Lichtspiele. Hoffentlich können wir davon noch vieles sehen. Durch die Verzögerung sind uns 2 Wochen „verloren“ gegangen.

Zur Zeit herrschen in Anchorage zwar noch 15°C. In 3 Wochen können es hier nachts aber schon -10°C werden und eine dicke Schneedecke liegen. In der Regel liegt bis Mitte/Ende September die durchschnittliche Temperatur im positiven Bereich. Durchschnitt heißt aber Statistik. Und Statistik heißt „wahrscheinlich“. Es ist also ebenfalls „wahrscheinlich“ – nur eben weniger – dass es im September auch schon ziemlich kalt werden kann. Wir werden es nehmen (müssen) wie es kommt und uns notfalls Schier unter die Reifen schnallen :-)