Unterwegs in der Heimat

Da sind wir zu Hause - im Deep Space in Linz

Frisch ist es an diesem Sommermorgen. Nebelschwaden hängen im Tal. Tautropfen benetzen die Wiese auf der wir campiert haben. Im Wald um uns herum begrüßt den Tag ein vielstimmiges Vogelkonzert. Und auch wir beginnen unser Tageswerk. Nachdem unser Hab & Gut verstaut ist, rollen wir das Zelt zusammen und befestigen die Radtaschen an den Gepäckträgern. Jeder Griff sitzt. Vertraut ist uns das Leben aus den Taschen geworden.

Durch kniehohe Gräser und Waldboden schieben wir die Räder. Kurz darauf stehen wir wieder auf der Straße. Ein großes Wolkenband verdeckt den Blick in den Himmel, nur ab und zu drängt sich ein Sonnenstrahl durch die weißen Wattebäusche.

Ria setzt den Helm auf und streicht sich das lang und wild gewordene Haar aus dem Gesicht. Wir schauen uns an, wünschen uns „Gute und sichere Fahrt!“. Dann treten wir in die Pedalen. So beginnt jeder Radtag – unser tägliches Morgenritual.

Es rollt sich gut an. So früh am Morgen ist der Tag noch unverbraucht, die Luft würzig, die Straßen leer. Keine Schlaglöcher, Buckel oder Gullideckel bremsen uns aus. Unseren Rädern gefällt der glatte Asphalt. Wohlig surrend und spurtreu wie auf Schienen gleiten sie.

Als wir das Waldstück verlassen geht es mit „40 Sachen“ in einer langen Schussfahrt ins Tal. Wie geil! Ein Auftakt ganz nach unserem Geschmack. Jauchzend genießen wir die Leichtigkeit des Radler-Seins. Eine Stunde später kämpfen wir mit böigem Gegenwind, der Schnitt sinkt auf 12 km/h. Als Radler muss man die Dinge nehmen wie sie kommen. Alle 20 Minuten wechseln wir nun die Führung, mal Ria, mal ich. So ermüden die Beine nicht so schnell und irgendwie vergeht die Zeit im „Windkanal“ schneller.

Nach 3 Fahrstunden wird es Zeit für eine längere Pause. Wie auf Bestellung kommt die Sonne zum Vorschein. Ria strahlt „Olli, da ist sie wieder!“. Vergnügt blinzelt sie in den Himmel und kneift wegen der Sonne ein Auge zu. Ihre Nase kräuselt sich. Wie vertraut ist mir dieser Anblick geworden und noch immer habe ich Schmetterlinge im Bauch, wenn ich sie so glücklich sehe. Das Staunen und die Freude über die kleinen Geschenke des Tages sind auch nach nach 2 Jahren noch da.

Eine kleine Bank dient uns als Mittagstisch. Brot, Käse und Quark, eine große Salatbox mit Gemüse und Nüssen, Erdbeeren und Honig stehen heute auf der Speisekarte.

Genüsslich kauend genießen wir den Blick auf die dunkelblaue Donau. Die Ufer sind in sattes Grün getaucht. Auf der glitzernden Wasseroberfläche treiben kleine Schaumkronen. Gedankenversunken folgen wir Ihnen eine Weile flussabwärts. Der mächtige Strom ist Stoff zahlreicher Sagen und Legenden. Was mag sich wohl hier auf all’ den imposanten Burgen und Schlössern im Laufe der Jahrhunderte ereignet haben, die malerisch in die Landschaft eingebettet sind.

Nach 1 Stunde ist das letzte Schokoladenstück im Mund zerschmolzen. Es geht weiter. Gestärkt nehmen wir Fahrt auf, im Blick die mächtigen Alpen. Die Kombination von Fluss und Fahrrad hatten wir so bisher noch nicht und sie hat ihren ganz eigenen Reiz!
Naturnah und fast ohne Autoverkehr folgten wir in den letzten Tagen dem vielfach gewundenen Fluss. Mal ging es durch enge Täler mit schroffen Felswänden, mal durch Weinberge. Dann folgten Auenlandschaften, Waldstücke und Streuobstwiesen auf denen die Apfelblüte rosa-weiß leuchtet. Städte mit ehrwürdigen Namen wie Wien, Linz, Passau begeistern uns mit ihrer vielfältigen Architektur und Geschichten zur Geschichte.

Flussradeln ist „in“. Gastronomie und Hotelerie werben mit Schildern wie „Radlerfreundlich“ oder „Biker’s welcome“ um die zahlungskräftigen Tagesausflügler.

Entgegenkommende Radfahrer und Fußgänger schauen uns interessiert, gelegentlich irritiert hinterher. Was für viele wie eine Kunst aussieht, bei all der Masse des Gepäcks das Gleichgewicht zu halten, ist für uns vertraut. Weniger gewöhnt sind wir an Radfahrer, die im „Formel 1-Stil“ aus dem Windschatten zum Überholen ansetzen. Denn viele – zumeist graumelierte Tagesausflügler – fahren mit „eingebautem Rückwind“. E-Bikes scheinen in der Zeit unserer Abwesenheit zum Verkaufsschlager geworden zu sein. Mühelos ziehen die zumeist knallbunt gekleideten „Altmeister“ an uns vorbei. Doch den Speed durch den elektronischen Extraschwung schätzt nicht jeder richtig ein, so dass es manch unnötige, brenzlige Situation gibt.

Ansonsten scheint sich das Land, dem wir vor über 2 Jahren „Lebe wohl!“ sagten, auf den ersten Blick nicht großartig geändert zu haben. 2 Jahre? Schnell ist die Zeit vergangen. Ist es nicht gerade erst gestern gewesen, dass wir im Wohnzimmer standen, die Fahrräder und das Gepäck vor uns und wir aufgeregt Stück für Stück unseres reduzierten Lebens in die kleinen wasserdichten Packtaschen stopften?

Doch im „Logbuch“ steht es Schwarz auf Weiß. Am 31.03.2013 haben wir Deutschland, haben wir Berlin, unsere Familien und Freunde für unbestimmte Zeit hinter uns gelassen. Haben Abschied genommen vom „normalen Leben“, vom Alltag.

Mit Neugier und Herzklopfen fuhren wir in eine unbekannte Zukunft hinein. Ein neues Leben stand vor der Tür – voller Überraschungen und Herausforderungen – und wir wollten sie öffnen. Auf unbekannten Wegen in fernen Ländern fremde Kulturen kennen lernen, Menschen begegnen – das war unser Traum.

Und fast wäre er schon zum Start ausgeträumt gewesen. Gleich zu Beginn unserer Tour wurden wir durch meine Knieprobleme jäh ausgebremst. Die Reise stand vor dem Abbruch bevor sie überhaupt so richtig begonnen hatte. Schwierige Tage und Wochen.

So schmerzvoll und belastend der Auftakt war, so dankbar waren wir für alles was folgte. Sich die Freiheit zu nehmen, etwas zu versuchen, schließt nicht mit ein, dass man sicher erreicht, was man sich vorgenommen hat. Wir lernten die Kunst der kleinen Schritte – oder besser Tritte. Jede Pedalumdrehung ist wichtig. Hätten wir nur eine davon nicht gemacht, wären wir heute nicht da wo wir sind.

Dieser Weg war manchmal steinig und schwer, meist aber wundervoll. Die Reise war Einladung und Herausforderung zugleich. Zuweilen sind wir an unser physisches und psychisches Limit gegangen, doch stets wurden diese Grenzerfahrungen mit unvergesslichen Momenten belohnt.
So wie im Herbst 2013 auf unserer Fahrt über das „Dach der Welt“, den legendären Pamir-Highway in Tadjikistan. In der Woche davor lagen wir beide geschwächt durch Magen-Darmprobleme tagelang im Bett. Und dann diese entbehrungsreiche Strecke. Auf dem Weg zum Akbaital Pass (mit 4.655 m höchster Punkt unserer Radreise) kostete jeder Tritt das dreifache an Kraft in der Höhe. Alle 100 m mussten wir schwer atmend stehen bleiben, um den Puls zu beruhigen. Doch das Gefühl auf dem Pass war unbeschreiblich. Ewigkeit und blauer Himmel um uns herum! Dazu die majestätische Landschaft und gewaltigen Gebirgsmassive. Dieser Moment war alle Mühen wert.

Und nun – über 800 Tage später im Juni 2015 – rückt das Ende dieser Reise unaufhaltsam näher. Auch wenn wir noch einige Wochen mit unseren Rädern unterwegs sind, die Zeit der „letzten Male“ hat begonnen. Nicht leicht Abschied zu nehmen …

Wieder führt uns der Donauradweg mitten durch einen der pittoresken Orte mit prächtigen Fachwerkhäusern. Langsam zieht die Landschaft an uns vorbei. Sie ist mir durch Urlaubsreisen mit meinen Eltern in diese Region noch vertraut. Ich erinnere mich der Nächte, in denen ich mich im Bett aufgeregt hin- und herdrehte, weil es am nächsten Morgen auf große Reise ging. Raus aus der „Insel“ West-Berlin, über die deutsch-deutsche Grenze und Transitstrecke der DDR bis nach Bayern – in das Land der Berge und Seen und des merkwürdigen Dialekts, den ich kaum verstand. Für mich als Kind ein fernes „Land“, wo der Duft von frisch gemähtem Heu über den Wiesen hing, das Geläut von Kuhglocken auf unseren Wanderungen steter Begleiter war und ich mit meinem Bruder auf den Almhütten die leckersten Wurst- und Käsebrote der Welt verschlang – so groß und reich belegt, dass wir sie nicht in unsere kleinen Münder bekamen.

„Essen“ ist auf Reisen immer ein Thema. Wie bogen sich im September 2013 auf dem Pamir-Highway die Tische voller köstlicher Speisen in unseren Gedanken, als wir wochenlang nicht viel mehr als Nudeln und gelegentlich etwas Gemüse zu Essen hatten. Welch’ Gaumenfreuden erlebten wir in Südostasiens Straßenküchen. Wie verlockend duftete es nach tropischen Früchten auf den bunten, quirligen Märkte Süd- und Zentralamerikas …

Nach so langer Zeit in der Ferne war die Ankunft auf „vertrautem Terrain“ in Wien nicht einfach – fast ein Kulturschock. Auf unserer Reise haben wir die Langsamkeit als Gegenkraft zur immer größeren Beschleunigung entdeckt. Spätestens mit unserer Ankunft in Buenos Aires war die Zeit kein Gegner mehr, den wir wie in Zentralasien (restriktive Visapolitik) gut beherrschen mussten, sondern ein Geschenk, dessen prallen Inhalt wir erst am Ende des Tages kannten. In Wien, im westlichen Alltag, scheint es genau anders herum zu sein. Der Pulsschlag geht schneller, die Zeit drängt. Die Blicke der Menschen kommen uns flüchtiger vor. Viele laufen eiligen Schrittes durch die Straßen, die Uhr im Blick, das Smartphone in der Hand. Simultanität, Erreichbarkeit, Beschleunigung, Vorsprung gewinnen …

In den ersten Tagen sind wir mit diesem Tempo, der Hektik und Aggressivität überfordert. Immer wieder stehen wir im Weg, passiert man uns ungeduldig. Werden wir uns etwas von mexikanischen „Tranquillo“, der amerikanischen Offenheit und asiatischen Gelassenheit erhalten können?
Wir werden es probieren.

Zumindest auf dem Rad, in unserem derzeitigen Alltag, können wir das „Unscheinbare“, die leisen Töne noch genießen: wir lauschen dem Rauschen des Blätterwaldes, tauchen während der Kurzpausen mit unserem Natur- und Tierführer in die Wiesen-Welt am Wegesrand ab oder freuen uns wie Schneekönige, wenn wir Störche und Graureiher stolzieren sehen. Blütenrausch und Duft von erdigem Waldboden beflügeln unsere Sinne.

Nach über 100 km Fahrt entlang der Donau sind die Beine schwer, der Magen meldet Hunger. Direkt am Ufer der Donau bauen wir das Zelt auf. Sichtgeschützt durch Bäume und Büsche haben wir einen schönen Wildplatz gefunden. So lieben wir es: alleine, unter freiem Himmel, mitten in der Natur.

Ein prüfender Blick, ob spitze Steine oder dorniges Gestrüpp beiseite geräumt werden müssen, dann geht es los. Gekonnt sind die 3 Aluminiumstangen in die Kanäle des Zeltes gefädelt. Die Stangen werden gebogen und aus dem grünen Stück Stoff formt sich unser kleines Heim. Während Ria für Leib und Seele kocht, richte ich das Nachtlager her. Dann hocken wir über unseren beiden dampfenden Plastikbechern. Das letzte Glück des Tages liegt auf der Zunge. Genüsslich essen wir unser Abendbrot, genießen den Frieden hier draußen. Hinter den Baumkronen verschwindet der Feuerball. Langsam senkt sich Dunkelheit über das Flusstal. Feuchtigkeit und Kühle steigen auf. Wir krabbeln in unsere Schlafsäcke. Ich öffne unser Tagebuch, um das Erlebte in Worte zu fassen. Das Licht der Stirnlampe fällt auf die weißen Seiten. Viele sind es nicht mehr, die Tage dieser Reise sind gezählt.

Doch noch sind wir auf der Straße, haben Fahrtwind, freien Himmel, den Rhythmus des Radelns. Und morgen früh werden wir uns wieder in die Augen sehen und „Gute und sichere Fahrt“ wünschen. Und hoffentlich steht auch dieser Tag unter einem guten Stern und einer schützenden Hand.

Wie und wann immer unsere Räder dann die letzte Umdrehung machen werden, die Spuren, das Erlebte, führen über unseren letzten Haltepunkt hinaus und die Erinnerungen tragen diese wunderbare Reise sicherlich noch lange weiter.

Danke an alle, die uns auf unserer Reise begleitet haben und vielen Dank an jene, die den Kindern von Tipar mit Ihrer Spende ein paar unbeschwerte Tage im Ferienlager ermöglicht haben. Und ein ein ganz besonderes Dankeschön geht an unsere Familien für das Packen und Versenden von Paketen, die Betreuung unseres Spendenprojekts und unserer facebook-Seite.

Unser letzter Dank gilt all’ den wunderbaren Menschen, denen wir begegneten, die uns halfen, uns bei sich zu Hause aufnahmen. Ohne sie wäre diese Reise nicht so wunderbar bunt geworden. Mit jedem Land verbinden wir unvergessliche Momente – Gesichter – Geschichten – Menschen, die uns mit Herzlichkeit und Gastfreundschaft beschenkt und mit ihrer Lebenshaltung tief beeindruckt haben. Als Fremder willkommen geheißen zu werden, ist ein wunderbares Erlebnis.

 

Auf den Spuren der Maya

Yucatan/ Mexiko mexico

IMGP9101Es ist 12 Uhr am Mittag. Die Sonne steht im Zenit und brennt gnadenlos auf die Ballspielstätte von Cobá.
Ernst und entschlossen blickt der Maya Nahil zum gleißenden Himmelskörper hinauf. Die nächsten Minuten werden die wichtigsten seines noch jungen Lebens sein. Über seine Körperbemalung und den gestählten Körper rinnt der Schweiß. Doch die Hitze ist es nicht, die die Haut des jungen Mannes schon vor der ersten Ballberührung im Schein der Sonne glänzen lässt. Das Ballspiel zu Ehren der Götter ist kein Spaß. Es ist ein Spiel auf Leben und Tod.
Nahil ist die Bedeutung der kommenden Stunde ins Gesicht geschrieben. Seine Sehnen sind zum Bersten angespannt, bereit für den Kampf zu Ehren der Götter.
Hunderte Augenpaare verfolgen auf den beiden länglichen Plattformen links und rechts des Spielfeldes aufmerksam jede Regung der Duellanten. Und dann ertönt das Signal zum heiligen Spiel – der Ruf des Schamanen zerschneidet die flirrende Stille. Nahil und seine Mannschaft stürzen sich auf den mehrere Kilogramm schweren Gummiball aus Kautschuk. Sie werden alles geben um zu siegen, denn sie wissen: Es ist kein Spiel zum Spaß – es geht um ihr Leben. Die unterlegene Mannschaft wird als Menschenopfer dargebracht, um die zahlreichen Götter der Maya wohlgesonnen zu stimmen.

So oder so ähnlich muss es sich vor 1.400 Jahren zugetragen haben, wenn auf einer der Spielstätten wie der in Cobá, das Lieblingsspiel der Maya stattfand. Doch nicht überall galten die gleichen Regeln wie in Cobá. In anderen Städten wurden die Gewinner nach dem Spiel hingerichtet! Grausame Vorstellung für uns – eine Ehre für die „Auserwählten“. War doch der Tod ein Privileg bei den Maya und führte direkt ins paradiesische Reich des Sonnengottes.

Cobá ist unserer vorletzte Ruinenstätte auf unserer Tour über die Halbinsel Yucatán. Ca. 40 km von der karibischen Küste entfernt im Inland gelegen, erhebt sich die beeindruckende Stadt mit Tempeln, Pyramiden und steinernen Altären aus dem Regenwald. Einst eine Supermacht in der Neuen Welt und eine der größten Mayastädte in Yucatan, wurde die Zeremonialstätte aus bis heute unbekannten Gründen bei der Ankunft der Spanier Anfang des 16. Jahrhunderts verlassen.
Wir besuchen das 70 m² große Ruinenareal früh am Morgen. Zu dieser Zeit scheint Cobá noch wie in einen Tiefschlaf gefallen. Die mächtigen Pyramiden sind in einem wuchernden Grün versunken. Nur die Spitzen der Tempel ragen aus dem dschungelartigen Kronendach hervor. Der beste Ausblick bietet sich uns von der 42 m hohen Nohoch Mul Pyramide. Gemeinsam mit einem Hund, der uns für heute adoptiert hat, genießen wir die Stille und den Ausblick von der Plattform, die einst für Blutopfer an die Götter diente.
Im diesigen Licht des Sonnenaufgangs erstrahlen die Tempelspitzen der benachbarten Pyramiden weiß über dem endlos grünen Meer am Boden. Schnell steigen die Temperaturen. Es wird schwül-heiß. Zurück im Dickicht laufen wir durch dampfenden Urwald, klettern über dicke Lianen zu den verschiedenen Gebäudegruppen, die noch immer etwas von der Mystik der Maya ausstrahlen.

Die letzten Wochen in Mexiko sind radtechnisch noch einmal anstrengend. Zunächst sind es die saftigen Anstiege, die uns viel Muskelarbeit abverlangen, dann der kräftige Gegenwind und die „Hitzeschlacht“ im Tiefland Yucatáns. Doch wie immer werden die Mühen belohnt.

Von der verträumten Hängematten- und Hippikolonie Zipolite an der Pazifikküste geht es noch einmal in die Berge. San Cristóbal de las Casas im zentralen Hochland von Chiapas ist unsere erste Station – Hochburg der Zapatistas. Auf dem örtlichen Markt pulsiert das Leben, wird gefeilscht und gehandelt. Es duftet nach Früchten, Kräutern, frischen Backwaren und würzigem Trockenkäse. Wir sind in unserem Element, genießen das chaotische Treiben in den engen Gassen, lassen uns treiben, tauchen ein in eine andere Welt. Anschließend geht es nach Chamula – kulturelles Zentrum der Tzotzil (Nachfahren der Maya). In dem kleinen Bergdorf auf 2.300 m Höhe hat der indigene Volksstamm seine traditionelle Kultur und religiösen Bräuche stets selbstbewusst gegen äußere Einflüsse verteidigt.
Und so erleben wir in der katholischen Pfarrkirche ein eigentümliches Schauspiel:
Im Inneren des Gotteshauses gibt es keine Kirchenbänke. Der Boden ist mit Kiefernadeln bedeckt. In der Luft liegt ein würziger, schwerer Geruch. Überall flackern hunderte kleiner bunter Kerzen auf den Kacheln. Während wir in einer Ecke uns niederlassen finden mehrere Privatzeremonien statt. Schamanen beschwören durch Rülpsen Dämonen, die nach Vorstellungen der Tzotzil einen Kranken befallen haben. Mit allerlei Beschwörungen und Gesängen und jeder Menge Posch (Zuckerrohr-Schnaps) werden die Patienten von ihrem Leiden geheilt, indem am Ende der Behandlung die schädlichen Geister in ein lebendes Huhn fahren, das anschließend getötet wird. Eine magische Atmosphäre.

In den Tagen danach geht es durch dichten Regenwald und so manches Mal mit voller Regenmontur in langen Anstiegen durch den Südosten Mexikos. So üppig die Natur, so arm die Menschen hier. Trotz optimaler klimatischer Bedingungen für die Landwirtschaft ist ein großer Teil der indigenen Bevölkerung unterernährt. Kinder betteln uns an, Frauen errichten Straßensperren und wollen uns erst nach einem Kauf ihrer Waren passieren lassen. Man warnt uns vor „Bandidos“. Vor allem Mahagoni, Teak, Gummi, Kautschuk, Kakao und Bananen bilden die wirtschaftliche Grundlage der überwiegend von Indigenas bewohnten Region.
Die Nächte klingen exotisch, erinnern uns an Südostasien. Obwohl selten geworden, leben in Chiapas noch immer Affen, Tapire, Pumas und Jaguare. Wir hören vor allem den Gesang des farbenprächtigen Quetzals, sehen Schlangen, Krokodile und Leguane.
Der Anblick auf die üppige Berglandschaft ist jede Anstrengung wert. Tief hinunter ins Tal schweift unser Blick von den Anhöhen. Grüne Baumriesen überziehen die zerfurchten Bergrücken. Dazwischen versteckt im undurchdringlichen Dschungel bedeutende Maya-Stätten. Wir besuchen Palenque – die Anmutige. Vornehm thront sie auf einem Plateau an den Hügel des Hochlandes Eine elegante Anlage. Nicht wie die steinerne Wucht wie Teotihuacan. Hier wirkt alles leicht, von meisterhafter Hand geschaffen.

Unser Highlight ist aber Toniná. Das „Haus der großen Steine“ abseits der Touristenströme ist am Hang eines Berges errichtet, der zu insgesamt 7 Pyramidenstufen geformt wurde. Unvermittelt stehen wir vor der gewaltigen Palastanlage. Kaum ein Tourist hat sich heute hierher verirrt. Was für ein prächtiges Bauwerk! In unserer Phantasie versuchen wir uns vorzustellen, wie hier einst farbiger Stuck die Pyramiden und Palastbauten zierte; prächtige Monsterfratzen und gezähnte Tiermäuler Besucher einschüchternd anblickten und von der Macht der Herrscher zeugten.

Für die kaskadenartigen Wasserfälle von Agua Azul stürzen wir uns in rasender Abfahrt zum gleichnamigen Ort und am nächsten Tag in endlos-langem Anstieg wieder hinauf. Zuvor wandern wir über wuchernde Vegetation aufwärts entlang der türkisfarbenen Wasserbecken. Über 500 Kaskaden und 6 km Länge stürzen die Wasserfälle in unzählige Naturbecken.
Kreuze für Ertrunkene warnen, dass man die zum Teil starke Strömung nicht unterschätzen sollte. Das Thermometer zeigt frische 15°C. Nebel und Nieselregen liegen über den Wäldern. So überlassen wir den feucht-fröhlichen Badespaß den wohlbeleibten Mexikanern.

Unseren Badespaß erleben wir dann noch auf der Isla Mujeres – ein würdiger Abschluss unserer Reise durch Mexiko. Das nur 7 km lange Eiland ist unser kleiner karibischer Traum: Traumhafte weiße Sandstrände, schattenspendende Palmen, warmes türkis-blaues Meer. Wir lassen uns in dem klaren, weichen Wasser treiben, schauen allabendlich dem Flug der Pelikane zu und blicken ein letztes Mal sehnsuchtsvoll der glutrot im Ozean versinkenden Sonne hinterher.

Auch wenn wir am Ende etwas mexiko-müde werden, der Abschied fällt schwer. Die 5 Monate im Land waren intensiv. Hunderte Holás und ungezählte freundlich winkende Hände haben uns begrüßt, in tausende lebenslustige Augenpaare haben wir geblickt. Vieles wird uns in Erinnerung bleiben. Naturschönheiten und -zerstörung, tausende Farben und Gesichter, unfassbar viel Müll, magische Orte und mythische Stätten, menschliche Schicksale, der Geschmack tropischer Früchte, bedrückende Kinderarbeit – ein Land voller Gegensätze mit einem einzigartigen kulturellen Schatz.

Karibische Träume

Isla Mujeres/ Mexiko mexico

P1150492Die letzten Wochen auf Yucatán sind im wahrsten Sinne des Wortes dahingeschmolzen. Bei tropisch-heißen Temperaturen (bis zu 50°C in der Sonne) öffnen sich noch einmal alle unsere Poren unter Mexikos stahlblauem wolkenlosen Himmel. Eigentlich müssten wir bei diesen Temperaturen „Hitzefrei“ haben :-).

Niederschläge gibt es zu dieser Jahreszeit keine. Und wenn, dann würden sie sofort im porösen Kalkboden einsickern, der für Trockenwälder sorgt. Zwischen dem Golf von Mexiko und der karibischen Küste bietet sich uns das immergleiche steppenartige Lanschaftsbild. Nicht wirklich spannend. Und so spulen wir zügig und im bewährten „drehmomente-Kreisel“ (20 min. Ria vorne, 20 min. ich) auf meist flacher Strecke unsere Tageskilometer ab. Lediglich die kleinen verschlafenen Dörfer, Mayastätten und erfrischenden Cenotes (ganzjährig gefüllte Wasserlöcher) sind willkommene Abwechslungen vom Einerlei links und rechts der Straße.

In Tulum können wir unseren Traum von einem Hotelzimmer mit Blick auf’s Meer nicht verwirklichen. Die Preise sind astronomisch. Direkt vor der Küste liegt das karibische Riff, ein Korallenriff das Touristen aus aller Welt anlockt. Und so wachsen nicht nur die Hotelburgen in schwindelerregende Höhen sondern auch die Preise.

IMGP9888Doch auf der Isla Mujeres vor den „Toren“ Cancuns werden wir doch noch für die Schweißarbeit der letzten Wochen belohnt. Wir finden eine super Unterkunft mit 2 Zimmern und voll eingerichteter Küche in einer ruhigen Ecke der Insel – keine 2 Gehminuten vom traumhaften Strand entfernt. So können wir an den letzten Tagen in Mexiko die Seele baumeln lassen.
Das karibische Meer ist wunderbar erfrischend – azurblau bis türkisfarben, der Strand strahlend weiß und palmenbestanden. Unter Kokosnüssen blinzeln wir in die Sonne, genießen die frische Brise und graben unsere Füße in den feinen Sand.
Unser kleiner karibischer Traum ist doch noch Wirklichkeit geworden.

Zum letzten Abschnitt unserer Reise in Mexiko folgt demnächst noch ein ausführlicher Artikel.
Hasta pronto!
Oliver & Ria

MFg – 2 Jahre im Sattel

Merida/ Mexikomexico P1090096-001

12 Uhr mittags. Draußen flirrt die Luft in den engen Gassen Meridas. Jetzt, zur Mittagsstunde, ist es unerträglich tropisch-heiß in der Hauptstadt Yucatáns.
Das hier einst das Tor zur Welt der Maya war (Puerta al Mundo Maya) lässt sich nur noch erahnen. Die vorspanischen Stätten wurden nach dem Einfall der Konquistadoren für koloniale Prachtbauten verwandt.
45°C zeigt das Thermometer in der Sonne.
Wer kann sucht jetzt Schatten, das kühlere Innere der alten Gemäuer, macht „Siesta“. Auf der „Plaza de la Independencia“, dem sonst pulsierenden Herzen Meridas, liegt jetzt „der Hund begraben“.

Auch wir haben uns ins Zimmer unserer Unterkunft zurückgezogen. „Hotel San José“ prangt in kunstvoll geschwungen rot-schwarzen Lettern am Eingang. Die Schrift ist verblasst, genauso der Farbanstrich an der Außenfassade. Das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert knarzt und bröckelt unter der Last der Zeit. Die Zimmer sind typisch mexikanisch: gefliester Boden, kurze Betten mit durchgelegenen Matratzen, eine kleine Nasszelle, ein Stuhl, ein Spiegel. Viel mehr gibt es meist in der unteren Preisklasse nicht (200 – 250 Mex$).

Über mir, an der porösen Decke, surrt seit Stunden unablässig der Ventilator. Er bringt etwas „frischen Wind“ in die stehende Luft. Irgendwo von der Straße erklingt Mariachi-Musik – Sinnbild mexikanischer Volkskultur. Überall erklingt sie tagtäglich in den Straßen. Erst vor 2 Tagen haben wir in den Straßen tanzend den Palmsonntag bei mitreißender Musik in die Nacht ausklingen lassen. Auf der Fiesta tanzten groß und klein, alt und jung, arm und reich. Für ein paar Stunden lies sich so der – oft harte – Alltag vergessen. Ausgelassen, unverkrampft, wunderbar war dieser Abend.
Die Songs handeln von Freud und Leid, Träumen, Alltagssorgen. Sie erinnern an Vergangenes, Sonne, Strand, Liebe, Glück und Leid. Ich lausche eine Zeit lang dem melancholischen Klang von Trompete und Saiteninstrumenten. Vor meinem Augen verschwimmen die Rotorblätter des Ventilators und bilden ein Rad …

Auf den Tag genau sind wir nun 2 Jahre auf Weltreise. Wo sind die letzten 24 Monate geblieben? Was haben wir die ganze Zeit getan? Unzählige Augenblicke sind in unseren Tagebüchern dokumentiert. Doch was wird darüber hinaus von dieser Reise bleiben, wenn sie einmal endet?

So viele Begegnungen, Überraschungen, Herausforderungen, Unsicherheiten aber auch Triumphgefühle haben wir bisher erlebt. Das Reisen mit dem Rad, abseits des „Buchbaren“, ist eine einzige große Wundertüte. Jeder Tag ist ein neues Abenteuer mit unvorhersehbaren Begegnungen, nicht exakt planbarem Ausgang. Die einmalige Schönheit der Natur und die Freiheit selbstbestimmt zu reisen, machen noch immer große Lust und großen Spaß, sind unser Antrieb, unsere Batterie.
Das Zusammentreffen mit dem alltäglichen, dem ungeschminkten Leben, die Zerstörung der Natur ist die Kehrseite dieser Medaille. Oft beschäftigt uns die Fragen des einsetzenden Klimawandels, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich u.v.m. Wenn man dies alles hautnah sieht und erlebt, möchte man fast resignieren oder auf eine gute Fee hoffen, die alles richtet. Doch die Zeiten, in denen das Wünschen geholfen hat, sind ja vorbei, oder?

Beim Blick zurück erscheint uns das Erlebte gelegentlich fast surreal. Waren wir wirklich im Iran? Sind die Reifenspuren auf dem Pamir-Highway von uns? Haben wir den 6.088 m hohen Huayna Potosi bestiegen?

„Oliver, kneif mich mal“, sagt Ria in solchen Momenten. Wir haben uns in Situationen gebracht, vor denen wir vor Reisebeginn gedanklich noch zurückgeschreckt wären. Waren in Ländern, die wir vor 3 Jahren uns nie zu bereisen getraut hätten.

Wir sind ins Unbekannte aufgebrochen, auf Menschen – wann immer es ging – zugegangen und haben uns so die große weite Welt etwas kleiner – begreifbarer – gemacht.
Diese Weltreise ist ein wunderbares Geschenk. Man bekommt viel, wenn man sich traut, loslässt, an seine Grenzen geht und gelegentlich auch darüber hinaus.

MFg – Mit Fahrrad glücklich
Ria & Oliver

PS: Zur “Feier des Tages” ein paar Impressionen aus Mexikos zentralem Hochland

Wundertüte Mexiko

 Guadalajara/Mexiko mexico

Tropische Früchte nach Herzenslust (Markt in Guanajuato)

Mexiko ist eine wahre Wundertüte! Immer für eine Überraschungen gut und bis zum Rand gefüllt mit Tortillas, Mariachi-Musik, Azteken- und Maya-Ruinen, quirligen Märkten, bunten Kolonialstädten und Bilderbuchstränden. Ihrer Einzigartigkeit bewusst sagen die Mexikaner gerne selbst von sich „Mexico es otro mundo – Mexiko ist eine andere Welt!“

Und ganz so falsch ist das nicht. Auch nach über 3 Monaten im Land stehen wir gelegentlich noch mit Fragezeichen in den Augen auf der Straße und staunen über so manche Begebenheit …

Besonders zu Beginn unserer Reise auf der Baja California wirkt Mexiko nach der Zeit in den USA wie eine „andere Welt“. Als wir am 30.11.2014 die Grenze passieren, fühlen wir uns nicht wohl in unserer Haut. Während wir relativ zügig die martialische Sicherheitsbarrikade (schwerbewaffnete Soldaten, Stacheldraht und meterhohe Stahlstreben) passieren, staut sich auf mexikanischer Seite der Strom der Grenzgänger in die andere Richtung. Wer ins „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ will, muss diese demütigende „Grenzerfahrung“ auf sich nehmen. Die Geringschätzung in dieser „besonderen Freundschaft“ zwischen den beiden Nachbarstaaten fängt schon bei der Einreise an.

2.600 km ist die Grenze lang – die einzige direkte auf der Erde zwischen der industrialisierten und der sogenannten „Dritten Welt“. Das sehen wir auf den ersten Metern in Mexiko überdeutlich. Nie zuvor war das „Wohlstandsgefälle“ so drastisch. In den ersten Tagen für uns ein echter Kulturschock. Von der Armut an Überfluss in den Überfluss an Armut.

Unsere erste Nacht in der Grenzstadt Tichuana scheint unsere Sorge vor Kriminalität und Gewalt im Land zu bestätigen. Schüsse reißen uns aus dem Schlaf … Doch das war’s dann auch mit beängstigenden Situationen (abgesehen vom Straßenverkehr). Seitdem rummst es zwar täglich immer irgendwo „mächtig gewaltig“ (frei nach Benny von der Olsenbande) … aber das sind Feuerwerkskörper, die zu jeder sich bieten Gelegenheit von den Mexikanern abgefeuert werden … gerne auch um 5 Uhr morgens.

Schon nach wenigen Tagen im Land fühlen wir uns hier genauso sicher wie anderswo. Lediglich das omnipräsente Militär und die martialisch auftretenden Sondereinheiten machen uns bewusst, dass in Mexiko seit Jahren ein erbittert geführter Drogenkrieg tobt. Mehr als 150.000 Menschen sind bisher in diesem schmutzigen „guerra“ ums Leben gekommen. Wer in diesem Kampf die „Guten“ und die „Bösen“ sind, lässt sich nur schwer sagen. Denn die Profiteure des illegalen Drogenhandels sind nicht allein die kriminellen Drogenkartelle. Auch Politiker, Geschäftsmänner, Militärs und allerlei andere Gestalten haben ihre Finger im Spiel bzw. am Stoff.

Korruption ist weit verbreitet und so wundert es uns nicht, dass man auch die „Pappe“ – also den Führerschein – nicht in der Fahrschule sondern mit Peso-Scheinen „erwirbt“. Was das für die „Fahrkünste“ bedeutet, dazu später mehr.

Zunächst geht es auf der Baja California immer Richtung Süden. Die Landschaft ist teilweise großartig. Malerische Buchten mit schlohweißem Sandstrand und türkisfarbenem Wasser wechseln sich mit riesigen Kakteenwäldern und bizarren Felslandschaften ab. Mit dem Wildzelten ist es nicht immer so einfach. Die Baja präsentiert sich leider oftmals als eingezäuntes Naturparadies.

Die Straßen sind gut asphaltiert aber schmal. Doch der Verkehr hält sich in Grenzen. Dafür haben es die Anstiege in sich. Die bis zu 3.000 m hohe Gebirgskette Sierra de San Pedro Martir sorgt dafür, dass wir Oberschenkel und Waden kräftig spüren. Schnaubend, schnaufend und triefend vor Schweiß kämpfen wir uns in der glühenden Sonne unzählige Höhenmeter hinauf, um gleich darauf in rasanter Abfahrt an den nächsten Anstieg heranzurollen.

In der ärgsten Mittagshitze lassen wir uns im Schatten der Imbissstände die mexikanische Küche aus „T-Vitaminen“ schmecken. Tacos, tortillas, tortas und tamales sind in den ersten Wochen neu und spannend und v.a. „mucho picante“ – sehr scharf :-) Doch mit der Zeit werden uns die Maisfladen mit Fleisch in allen Bezeichnungen etwas fad. Und so freuen wir uns jedes Mal wie kleine Kinder auf die Märkte in den Dörfern und Städten. Hier gibt es alles, was unser Herz begehrt: tropische Früchte, alle erdenklichen Gemüsesorten, Nüsse, Trockenobst und Hülsenfrüchte – und alles stets frisch, schmackhaft und für wenige Pesos. Es riecht nach Erde, frischen Kräutern und Backwaren und dem süßen Duft von Mango, Papaya und Ananas.

Indigenas in bunten Röcken, Blusen und dem rebozo – einem langen, breiten Schulterschal aus Wolle – bieten ihre Waren liebevoll drapiert an. Männer stehen in Gruppen zusammen. Viele tragen die typisch karierten Hemden – gerne weit aufgeknöpft – dazu Jeans, Ledergürtel mit großer Schnalle, Cowboystiefel und den obligatorischen Hut. Der Mann verkörpert noch immer die Autorität, lässt sich nach der Arbeit gerne bedienen, trägt vom Einkauf meist die kleineren Tüten ins Auto und geht lieber cervezas oder posh trinken statt mit den Kindern spielen. Die Ehefrauen sind vollbepackt mit Einkauf und Arbeit und in feste Rollen gezwängt. Ihnen fällt der Haushalt und die Kindererziehung zu.

Dieses klischeehafte, nach außen zur Schau getragene Bild stimmt natürlich nicht immer, aber so sehen wir es doch oft im Alltag. Der Machismo ist noch sehr ausgeprägt.

Von La Paz fahren wir mit der Nachtfähre über den Golf von Kalifornien nach Mazatlan. An Deck bekommen wir keinen Schlaf im Schlafsaal – dafür aber 3 Hollywood-Filme auf Spanisch und in voller Lautstärke :-\

Die Altstadt von Mazatlan mit ihrem karibischen Flair gefällt uns gut. Die bunten Häuserwände, Palmen und Oldtimer erinnern ein wenig an Havanna. Aus den quirligen Gassen ragt im Zentrum die doppeltürmige Kathedrale in den Himmel. Auf der Plazuela Machado proben Studenten der Kunstakademie unter freiem Himmel. Im über 100 Jahre alten „Centro Mercado“ lassen wir uns bei „Claudia“ – einem ganz einfachen Lokal – fantastischen Fisch schmecken (gedünstet in Alufolie und gewürzt mit Zwiebeln, Tomaten, Kapern, Pfeffer und Käse).

Von Mazatlan geht es über das entspannt-verschlafene Fischerdorf San Blas nach Guadalajara.

Das Reisen in Mexiko ist einfach. Die Menschen sind freundlich aber distanziert und zumindest auf der Cuota lässt es sich auch ganz entspannt fahren, weil wir den Seitenstreifen für uns haben. Auf den schmalen, mit Verkehr vollgestopften Nebenstraßen (oftmals in schlechtem Zustand), wird das Radeln dagegen zum Thriller und die Einfahrt in größere Städte mit katastrophal zerfledderten Seitenrädern zum „Mega-Thriller“. Aus dem „handbreiten“ Abstand der Argentinier machen die Mexikaner „haarbreit“. Regelmäßig rutscht uns das Herz in die Hose und nur mit Mühe und unter lautstarkem Fluchen können wir es wieder hervorholen. Natürlich sind nicht alle Autofahrer hier so, aber ein „Depperter“ reicht ja für’s Unglück!

So beschließen wir nach Puebla wieder die Cuota zu nutzen – auch wenn hier Radfahren verboten ist. Auf der Mautstraße kommen wir uns teilweise vor wie die Sonntagsradler zu Zeiten der Ölkrise 1973. Kaum ein Pkw oder Bus nutzen die fein asphaltierte, aber teure Straße. Und so genießen wir die freie Fahrt für freie Radnomaden.

A propos “Freie Fahrt für Radfahrer”. Die gibt es sonntags in einigen mexikanischen Großstädten tatsächlich. Dann sind die Straßen voller Radfahrer, Skater und Läufer. So schlängeln wir uns in Mexiko-City (im Großraum leben 25 Millionen Menschen!!) mit unseren vollbepackten Rädern zwischen tausenden Freizeitsportlern relativ entspannt in die größte Metropolregion der Welt. Auf einem Tausendstel der gesamten Landesfläche! verkehren hier 60% aller Verkehrs- und Transportmittel Mexikos … aber das ist eine andere Geschichte und vielleicht Thema im nächsten Artikel.

 

„Winterwonderland“ (9)

Sequoia Nationalpark / Kalifornien usa

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Das letzte Highlight unserer 9-tägigen Reise durch den Südwesten der USA ist im wahrsten Sinne des Wortes „high“. Im Sequoia Nationalpark wachsen Riesenmammutbäume. In endlosen Kehren geht es auf einer grandios geführten Höhenstraße durch den Nationalpark bis auf 2.000 m Höhe.
Vor 24 Stunden rieselten noch Salzkristalle im heißen Death Valley durch unsere Hände, jetzt knarzen Eiskristalle unter unseren Sohlen. Verrückte Welt!
Auf dem Big Trees Trail stapfen wir entlang einer Lichtung durch tiefen Schnee vorbei an Mammutbäumen der Extraklasse. Vor wenigen Tagen sind 30 cm Schnee gefallen. Das meiste der weißen Pracht liegt noch im Park.
Die dunkelgrünen Nadeln und die orangebraune bis dunkel rotbraune Rinde bilden zusammen mit dem Weiß des Schnees ein wunderschöne Szenerie. Unvorstellbar, was diese Riesen schon alles „gesehen“ haben. Ich lehne mich an die weiche, faserige Rinde eines Sequoias und versuche mir vorzustellen, was er in seinem 2.000-jährigen Lebenszyklus wohl alles schon erlebt hat …
Zum Abschluss dieses wunderschönen letzten Rundreise-Tages geht es zum General Sherman Tree. Der Baum gilt als das größte Lebewesen der Welt. 84 m hoch ragt seine Krone in den tiefblauen Himmel. Sein jährliches zusätzliches Wachstum entspricht der Holzmenge eines „normalen“ Baumes von 20 m Höhe! Am Boden beträgt sein Durchmesser 10 m. Bis zu 3.500 Jahre alt können die Riesensequoias werden. Mit 2.000 – 2.500 Jahren ist der General Sherman Tree gerade in den „besten Jahren“.
Mit einem gemeinsamen Foto am Fuße des Mammutbaumes nehmen wir Abschied von den Urzeitriesen und einer grandiosen Reise durch einige der spektakulärsten Landschaften Nordamerikas. Es war ein unvergesslich-schöne Zeit.

Am Tiefpunkt unserer Reise (8)

Death Valley/ Kalifornien usa

Zabriskie Point

Sechseckig zeichnen sich die Strukturen der flachen Salzpfanne in den ersten Sonnenstrahlen des Tages ab. An vielen Stellen ist die dicke Salzkruste aufgebrochen. Gleißend weiße Salzkristalle kontrastieren mit der dunklen Sandschicht, die sich über den Grund des einstigen Sees gelegt hat.
Vor 3.000 Jahren schimmerte an dieser Stelle einmal die Wasseroberfläche eines bis zu 200 m tiefen Sees. Alles was nach dessen Austrocknen blieb ist diese riesige Salzfläche. Wir stehen am Badwater Point – mit 85,5 m unter Meeresniveau dem tiefsten Punkt des nordamerikanischen Festlandes und auch unserer Weltreise.
Auf der Fahrt hierher und später am Tag wieder hinaus durchqueren wir scheinbar endlose Einsamkeit. Bis zu 3.400 m hohe Gebirgszüge mit sagenhaften Formationen bilden die Grenze des Blickfeldes links und rechts der Straße. Es sind die Panamint Mountains im Westen und Amargosa Range im Osten, die die Niederschläge fern halten und das Tal des Todes zu einem der trockensten Gebiete der Erde machen. Im Sommer wird es hier glühend heiß. Uns reichen schon die 35°C in der Sonne zur Mittagszeit. Auf dem Weg durch den farbenprächtigen Golden Canyon laufen uns die Schweißperlen. Kein laues Lüftchen kühlt den nassen Film auf der Haut.
Erst auf dem Zabriskie Point gibt es kühlenden Wind. Die bizarre Erosionslandschaft ist wiederum einzigartig und völlig anders zu dem bisher gesehenen.
Auf der Fahrt aus dem Tal hat Sparky kräftig zu kämpfen. Mehrere Höhenzüge von 1.500 m und mehr „stellen“ sich ihm in den Weg. Als wir das Tal in der Mojave Wüste gen Westen verlassen steht die Sonne schon tief. Im sanften Abendlicht passieren wir die Mesquite Sand Dunes, die u.a. in Star Wars als Wüstenkulisse verwendet wurden. Dann geht es endgültig aus dem Death Valley.

Groß, größer – Grand Canyon (7)

Grand Canyon / Arizona usa

Northrim - Grand Canyon

450 km lang erstreckt sich die Schlucht des Grand Canyon im Norden des Bundesstaates Arizona. Rostrot klafft ein riesiger Riss im Colorado Plateau. Bis zu 30 km breit an manchen Stellen. 1.800 m fallen die schwindelerregenden Wände der Schlucht ab. 10 x würde der Kölner Dom übereinandergestapelt hier reinpassen bevor die oberste Spitze aus der Schlucht schaut!
Doch was sagen schon Zahlen. Überwältigt stehen wir am Mather Point. Die Dimensionen dieses weltberühmten Naturphänomens überwältigen schlichtweg Auge und Verstand. Schon wieder kommen wir aus dem Staunen und Schauen nicht heraus. Die vielfältigen Formationen und Farben, Türme und Zacken in den zahllosen Schichtenabfolgen tun ihr Übriges. Zu Recht zählt der Grand Canyon zu den Naturwundern unserer Erde.
Am liebsten würden wir uns mit der grandiosen Aussicht nicht zufrieden geben und in den Grand Canyon wandern. Doch dafür reicht heute die Zeit nicht mehr. Außerdem zieht ein Schneesturm heran. Auf dem Aussichtspunkt wird es rasch bitter kalt. Wir ziehen uns Mützen über und Handschuhe an. Bevor die weiße Wand das Gebiet mit einer „Zuckerschicht“ überzieht machen wir ein letztes Foto auf einem Felsvorsprung. Im Rücken die majestätische Schlucht des Grand Canyon und ganz, ganz tief unten der Colorado River.
Kurz war der Besuch, doch intensiv. Während sich Sparky durch den Schneesturm kämpft tauen wir im Auto langsam wieder auf. Die heutige Fahrt wird noch lang. Denn wir wollen es bis zum …. Ach, lest doch einfach selbst im nächsten Artikel, welches unser nächstes Ziel ist.

Wunderwelt der Farben und Formationen (6)

Bryce Canyon / Utah usa180 Grad Blick in den Bryce-Canyon

Am Bryce Canyon übertrifft sich „Meister Natur“ mal wieder selber. In den vergangen Tagen haben wir ja schon einige „Kunstwerke“ erlebt. Doch als wir am späten Nachmittag am Sunset Point stehen und über die spektakuläre Landschaft blicken, kommen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Las Vegas war beeindruckend, doch was in Jahrmillionen Sonne, Wind und Regen aus diesem Flecken Erde geschaffen haben ist tausend mal besser – wunderbar, berührend.

Überall ragen farbige Felspyramiden aus dem Canyon auf. Wir lassen unserer Fantasie freien Lauf und entdecken jede Menge Fabelwesen. Scheinbar endlos erstrecken sich die bizarr-skurrilen Formationen. Über die Oberfläche ziehen sich parallele Wellen aus hell-orangem Sandstein. Als ob sie auf unsere Ankunft gewartet hätte, kämpft sich die Abendsonne doch noch durch das dichte Wolkenband und taucht den Bryce Canyon kurze Zeit in ein warmes Licht.

In der Ferne erstreckt sich das Paunsaugunt Plateaus. Riesige Wolkenformationen ziehen über die weite Hochebene. Ihre Färbung verheißt nichts gutes. Auf 2.700 m Höhe ist es bereits deutlich kälter als noch im Zion Canyon (1.200 über N.N.). Außerdem frischt der Wind kräftig auf. So verschieben wir unsere Wanderung auf morgen früh.

In der Nacht kühlt es noch mal deutlich ab. Leichter Schneefall setzt ein. Am Morgen ist eine Eisschicht auf dem Außenzelt. Gut, dass wir unsere warmen Daunenschlafsäcke haben.

Nach einer wohltuenden heißen Dusche frühstücken wir mit den ersten Sonnenstrahlen des Tages. Danach geht es zu Fuß mitten hinein in das geologische Felslabyrinth. Wir haben einen Riesenspaß zwischen all’ den Kobolden, Gnomen und Pilzen. Keine Sandsteindorn gleicht der anderen. Wild und ungezügelt hat die Erosion sich hier hinein „gefräst“.

Als wir am späten Vormittag etwas außer Atem den steilen Pfad hinauf bewältigt haben, ist es schon wieder angenehm warm. Doch das Sommerwetter hält nur kurz an. Keine Stunde später kämpft sich „Sparky“ durch einen kräftigen Schneesturm. Die Sicht beträgt teilweise keine 50 m. Hier oben wechselt das Wetter schnell. Gut, dass wir jetzt nicht auf dem Rad sitzen …

Im „vergoldeten Heiligtum” (5)

Gewaltige steile Wände aus Sandstein im Zion Nationalpark

Zion Nationalpark/ Utah usa

Kilometerlang zieht sich der Zion Canyon durch eine schluchtenartige Landschaft. Seinen Namen bekam er von mormonischen Siedlern. Zion ist ein hebräisches Wort und bedeutet so viel wie „Heiligtum“ oder „Zufluchtsort“.

Tief eingeschnitten schlängelt sich das Flussbett des Virgin River durch das immer enger werdende, üppige Tal. Gewaltige Sandsteinwände in allen Rot- und Brauntönen ragen links und rechts des „Scenic Drive“ auf. Bis 600 m sind sie hoch und fallen fast senkrecht ab. Zur Zeit führt der Fluss nur wenig Wasser. Doch nach starken Regenfällen in der Umgebung verwandelt sich der Virgin River in einen reißenden Strom, der immer wieder schwere Schäden anrichtet.

Nach 40 min. erreicht der Shuttle Bus das Ende des „Scenic Drive“. Auf dem Riverside Walk laufen wir so weit bis zwischen Felsen und Virgin River kein Platz mehr bleibt. Das Herbstlauf leuchtet golden auch wenn heute mal nicht die Sonne scheint. Rot-gelbe Blätter treiben auf der Wasseroberfläche des Flusses. Die Luft riecht würzig.

Nach einem schnell eingenommen Mittagessen (es ist kühl und in der Touri-Info dürfen wir nicht essen) geht es wieder in die „schnellste Hutschachtel der Welt“ und mit Vollgas in den äußersten Südwesten Utahs.