Seidenstraßenzauber und staubige Rüttelpisten

Denov/ Usbekistan uzbekistan
141. Reisetag
4.500 km, 26.730 hm
(Bericht vom 18.08.2013)

P1110146 In Usbekistan folgen wir zwischen Buchara und Samarkand der Seidenstraße. Der Mythos dieser geschichtsträchtigen, sich vielfach verzweigenden alten Handelsroute zwischen Okzident und Orient hatte uns schon bei der Planung unserer Reise in den Bann gezogen. Über das weitverzweigte Netz von Karawanenstraßen wurden einst allerlei Waren transportiert. Gleichzeitig fanden Religionen, Kulturen und Wissenschaft auf diese Weise ihre Verbreitung.

Der landschaftliche Kontrast nach dem Grenzübergang bei Farap ist schon extrem. Nach Wüstenstaub und kargem Steppengras im Nordiran und Turkmenistan erstrecken sich nun großflächig künstlich bewässerte Baumwollplantagen links und rechts der Straße. Usbekistan ist einer der weltgrößten Baumwollexporteure.

Die alte Seidenstraßen-Stadt Buchara fasziniert uns mit ihrem Prunkbauten und Monumenten aus einer hart umkämpften Vergangenheit. Nicht zu Unrecht trägt sie den Namen „Die Edle“. Die Altstadt ist nahezu vollständig erhalten und wirkt wie ein Freilichtmuseum. Trotz der Sowjetherrschaft ist sie eine orientalische Stadt geblieben, die vom Islam geprägt ist. Auch Jahrhunderte nach ihrer Fertigstellung schimmern zahlreiche Kuppeln blau und glänzen die Fassaden der Medresen und Moscheen als ob sie gerade fertigstellt worden wären. Das Blau der Kacheln hat in Buchara eine besondere Bedeutung. Es ist das Blau des Himmels, die Farbe des Lichts und des Lebens. Am 50 m hohen Kalon Minarett (12. Jh.) im Herzen der Altstadt ruhen wir im Schatten aus und lassen die Atmosphäre auf uns wirken. Das Leben in den engen Gassen zwischen den Lehmhäusern nimmt während der Tageshitze eher einen gemächlichen Gang. Erst gegen Abend wird es lebhafter. Am Labi Xauz, einem der beliebtesten Plätze Bucharas, genießen Einheimische wie Touristen Abendstimmung und mildere Temperaturen. Der Platz und das Wasserbecken in der Mitte sind in buntes Licht getaucht. Fast wirkt das Treiben wie auf einem kleinen Jahrmarkt. Es gibt Eis, Zuckerwatte, Popcorn. Wie mag es wohl zu Zeiten Marco Polos, dem wohl berühmtesten Reisenden auf der Seidenstraße, hier ausgesehen haben, wenn die Karawanen nach den trockenen Wüsten- und Steppenlandschaften in der Oasenstadt ankamen?

Wie schon in Mashhad (Iran) treffen sich im Hotspot Buchara die Radreisenden von West und Ost kommend. Und so sitzen wir am Abend mit Marica (Holland), Norbert (Bonn), Heidi/Markus (Österreich) und Gergana/Michael (Magdeburg) vor der Ko‘kaldosh-Medrese und tauschen Erlebnisse und Geschichten aus. Nach 2 Tagen brechen wir mit Marica, der „fliegenden Holländerin“, nach Samarkand auf. Der Asphalt ist zunächst gut und so schaffen wir am ersten Tag 130 km mit einem Schnitt von 23 km/h. Beides neuer Rekord. An den darauffolgenden Tagen ist der Bodenbelag deutlich schlechter. Immer wieder fluchen wir über die vielen Schlaglöcher und hohe Bodenwellen. Obwohl auf der Hauptschlagader des Landes unterwegs, ist der Individualverkehr nicht übermäßig. Dennoch gibt es einige brenzlige Situationen. Die Usbeken fahren teilweise wie die Irren. Nicht nur einmal rutscht uns das „Herz in die Hose“… Neben alten Ladas und russischen Kamaz-Lkw’s tummeln sich vor allem lauter vollbesetzte Kleinwagen der Marke Daewoo auf den Straßen. Bei Bauern können wir abends unsere Zelte und werden am Abend noch mit Brot, Tee und Wassermelonen versorgt. Im Morgengrauen weckt uns das markerschütternde Geschrei der Esel, die hier immer noch vielfach als Lastentiere genutzt werden.

Kulinarisch ist die Reise durch die Stan-Länder kein leichtes Unterfangen. Das Hauptnahrungsmittel in Zentralasien ist seit ewigen Zeiten Brot. Frisch gebacken schmeckt es lecker. Nach einem Tag beginnt es sich jedoch in Zwieback zu verwandeln. Am leckersten sind noch die Lepjoschki – runde aufgebackene Brotfladen, die überall am Straßenrand verkauft werden. Mit Sonnenblumenöl „glasiert“ glänzen sie in der Sonne. Ansonsten ist die zentralasiatische Küche sehr fettlastig. „Das“ Markenzeichen schlechthin ist Plow. Dieses traditionell orientalische Reisgericht aus Hammelfleisch, Zwiebel, Karotten und Reis wird an allen Ecken in großen Pfannen angeboten. Restaurants nach westeuropäischen Vorstellungen gibt es praktisch nicht. Da Brot allein nicht satt macht essen auch wir Plow. Die mangelhafte Sauberkeit beim Kochen und Spülen des Geschirrs setzt unseren Verdauungstrakten jedoch zu. In Samarkand erwischt uns schließlich „Montezumas Rache“. Zunächst liege ich mit Fieber, Erbrechen und Durchfall flach, kurz darauf hat auch Ria Magenprobleme. Alle anderen Radler und Reisenden die wir treffen, klagen über ähnliche Leiden und Ausfallzeiten. Mittlerweile kochen wir nur noch selbst. Bei dem dünnen Warenangebot der Miniläden nicht immer leicht was „Gescheites“ hinzubekommen. Neben den immer gleichen Bonbons, offenen Keksen und Limonaden gibt es meist nur Nudeln und Dosenware. Aus Tomaten, Zwiebeln, Knoblauch und Öl lässt sich jedoch eine leckere Sauce kochen.

Auch sprachlich ist es nicht mehr so leicht sich zu verständigen. Russisch als Verwaltungs- und Verkehrssprache wird von vielen Usbeken zwar noch gesprochen, die Englischkenntnisse sind aber eher zufällig und reichen über ein „Hello“ oft nicht hinaus. Das schallt uns von Männern aber stets freundlich entgegen und wird meist mit einem lauten Kreischen oder Pfeifen begleitet. Usbekische Frauen sind da deutlich zurückhaltender. Besonders Ria schenken sie aber immer wieder ein herzliches Lächeln, das ihre goldenen Zähne zeigt. Auch die Hilfsbereitschaft erschließt sich oft erst auf den zweiten Blick, ist aber stets vorhanden. Dabei sind die Usbeken angenehm unaufdringlich und unkompliziert. Fragen wir nach einem Zeltplatz, werden wir nie abgewiesen. Was uns auch positiv auffällt: es ist viel sauberer als noch im Iran und Turkmenistan. Erstaunlich, gibt es doch praktisch keinen einzigen öffentlich Mülleimer. Unsere Wasserflaschen aus Turkmenistan können wir z.B. erst in Buchara nach 120 km entsorgen.

Auf Märkten und Basaren am Straßenrand herrscht stets ein buntes Treiben. Mindestens genauso faszinierend wie die Geschichte und Bauwerke Usbekistans ist hier die Vielfalt usbekischer Gesichter. Aus allen Himmelsrichtungen kommend scheinen die Menschen in Usbekistan heimisch geworden zu sein. Neben typisch russischen sehen wir viele Formen asiatischer Gesichtszüge. In ihrer Kleidung bevorzugen usbekische Männer dunkle Farben. Manch einer trägt auch im Sommer einen langen Steppmantel, der von einer bunten Schärpe zusammengehalten wird. Fest jeder hat eine schwarze, viereckige Kappe auf dem Kopf, die mit weißen Stickereien verziert ist. Frauen bevorzugen knielange Kleider in bunten Farben. Ein oder zwei geflochtene Zöpfe signalisieren, dass eine Frau verheiratet ist, ein kleine Krone dass sie gerade das “Ja-Wort” gegeben hat.

Der Weg von Samarkand nach Dushanbe ist für uns 4 Pedalisten kein leichter. Die Straßen sind oft im schlechtem Zustand, im Zerafson Gebirge müssen wir den Tahtaqaracha Pass (1.788 m) und einen weiteren Pass von 1.500 m Höhe überqueren. Beides keine „Riesen“ aber manche Passagen sind bis zu 12 % steil. Nach 6 Tagen in glühender Hitze (bis zu 46 °C in der Sonne), jeder Menge Staub und Katzenwäsche am Abend freuen wir uns nun auf eine Dusche und ein klimatisiertes Zimmer in Dushanbe.

In wenigen Tagen starten wir dann zu einem der Höhepunkte unserer Reise. Es geht auf den legendären Pamir-Highway. Eine grandiose Straße über das ‘Dach der Welt’ (Bam-i-Duna), wie der Pamir von den Einheimischen genannt wird. Tiefe Schluchten, weite Hochebenen, faszinierendes Hochgebirge mit Pässen jenseits der 4.000 m – eine der spektakulärsten und härtesten Hochgebirgsstraßen, die man mit dem Rad befahren kann.

Turkmenistan-Ralley


Turkmenabad/ Turkmenistan turkmenistan
124. Reisetag
3.590 km, 21.430 hm
(Bericht vom 03
.08.2013)

Tiefe Spurrillen im Asphalt

Ein Gauner, ein „6er im Lotto“, unerträgliche Hitze, Gegenwind und ein paranoider Staat – das ist in Kurzform unsere Reise durch Turkmenistan.

Wer von Iran weiter Richtung Zentralasien will, muss durch Turkmenistan. Die restriktive Visa-Politik ließ bei uns schon im Vorfeld wenig Begeisterung aufkommen. Ganze 5 Tage Transitvisum gewährt der einst südlichste Staat der Sowjetunion Reisenden. 5 Tage für 550 km bei über 50 °C in der Sonne! Kein Zuckerschlecken. Doch es kommt noch schlimmer. Lausige 3 Tage gewährt uns Ashgabad, um von Sarakhs nach Fahab durch die turkmenische Wüste zu kommen. Damit ist unser Plan, nur per Rad zu reisen, passé. Warum so kurz? Das wissen wohl nur die Pappnasen in Turkmenistan. De facto sind es dann gerade einmal 48 Stunden, die wir im Land sein können. Dafür knöpft uns der Staat 110 $ Visagebühr und 24 $ für die Registrierung ab. Wahrscheinlich fließen unsere Devisen in einen weiteren sinnlosen Prunkbau des Herrn Präsidenten. In die Straßen kann es jedenfalls nicht investiert werden, denn die sind oft miserabel.

Nachdem die Ausreise aus dem Iran recht problemlos und zügig verläuft stehen wir mit unserem gültigen 3-Tages-Visum an der turkmenischen Grenzkontrolle. Wie in einer Zeitmaschine fühlen wir uns 100 Jahre zurückversetzt. Den kahlen Raum bestimmen ein Schalter, ein riesiger Scanner und dahinter ein langer Tisch, an dem ordentlich aufgereiht 1 Grenzbeamtin und 3 Kollegen mit strengem Blick auf uns warten. Die überdimensionierten Mützen scheinen noch aus der Sowjet-Ära zu stammen. Während wir auf das „was da kommt“ warten, betreten unzählige Mitarbeiter den Raum …. und verlassen ihn wieder. Heidi und Markus aus Österreich (2 Langstreckenradler, die wir in Mashhad trafen) sind auch da. Ihren Gesichtern ist anzusehen, dass sie hier schon eine kleine Ewigkeit warten. Unser Glück scheint die anstehende Mittagspause des Beamtenstabes zu sein. Gleich nach Markus und Heidi werden auch wir „zolltechnisch bearbeitet“. Wir schieben unser gesamtes Gepäck durch den Scanner. Keine Ahnung, ob das Ding noch funktioniert. Da die Grenzbeamten der eigenen Technik wohl auch nicht vertrauen müssen wir anschließend noch alle Taschen öffnen. Nach einer guten Stunde haben wir den turkmenischen Einreisestempel im Pass. In Sarakhs fragen wir Bayram, einen Turkmenen auf einem russischem Kleintransporter, ob er nach Mary (ca. 170 km) fährt. Ja fährt er! Welch ein Glück, denken wir. Gemeinsam hieven wir die 65 kg schweren Räder auf den Transporter. 24 Liter Wasser lagern in und auf unseren Taschen. Doch anders als gedacht geht es nicht direkt nach Mary. Bayram bringt uns zu seiner Mutter, die gerade mit ihren Töchtern das Mittagessen auftischt. Es gibt Plov und Samsam (fettige, aber leckere mit Fleisch und Zwiebeln gefüllte Teigtaschen). Nach einer halben Stunde geht es los… aber nur bis zu seinem Haus. Na klar, denken wir, Bayram möchte uns auch noch seine Kinder vorstellen. Doch der Grund ist ein anderer: „Money!“ Es geht ums Geld. Bayram will 100 $ für die Fahrt haben. Eine Wahnsinnssumme! Wir bieten 6 $ bis Hauz Han (110 km). Nach vielem Hin und Her und weil uns schon zu viel Zeit verloren gegangen ist, „einigen“ wir uns auf 16 $. Wie ein Wilder rast Bayram über den brüchigen und löchrigen Straßenbelag. Wir hocken hinten und fliegen samt Rädern dutzende Male durch den Laderaum. Alle 7-10 km gibt es eine Zwangspause, damit der total überhitzte Motor nicht völlig den Geist aufgibt. Nach 3 endlosen Stunden ist die Höllenfahrt beendet. Doch vom Ort Hauz Han ist weit und breit nichts zu sehen. Angeblich, so Bayram, würden auf den letzten 5 km Polizeiposten sein. Das gäbe Probleme mit uns an Bord. Wir ziehen 1 $ von der vereinbarten Summe ab und nach einigem Gemotze saust Bayram davon. Wie sich später herausstellt, hat uns der Gauner angeschwindelt. Ganze 20 km fahren wir noch bis Hauz Han. Mittlerweile ist es kurz vor Sonnenuntergang. Da wir nicht wissen, wann (und ob) ein Zug morgen von Mary Richtung turkmenisch-usbekische Grenze fährt, radeln wir in die Nacht hinein. Die kleinen Lichtkegel unserer Radlampen reichen gerade aus, um uns vor den größten Schlaglöchern und Bodenwellen zu warnen. Der Fernverkehr ist zu dieser Zeit noch stärker als am Tag. Nachts gibt es keine Radarkontrollen und die Motoren der Trucks überhitzen nicht so schnell. Nach 4 Stunden Schlaf geht es kurz nach 6 Uhr am nächsten Morgen weiter. Zum Glück ist der Wind in den ersten beiden Stunden nicht so stark, so dass wir zunächst gut vorankommen. Ab 8 Uhr wird es dann zunehmend schwieriger. Der Wind bläst aus nordöstlicher Richtung zunehmend stärker und trotz kräftigem Treten fahren wir nicht mehr schneller als 12 km/h. Die Straße schneidet sich durch mit Büschen bewachsene Sanddünen. Rund um die kleinen Ortschaften fahren wir an bewirtschafteten Feldern vorbei. Die Turkmenen am Straßenrand sind durchweg freundlich. Besonders die schönen turkmenischen Frauen in ihren bunten Kleidern gefallen uns. Im Iran hatten wir zuletzt nur „schwarze Zwerge“ gesehen.

Um 10 Uhr erreichen wir Mary und „ziehen den Hauptgewinn“. Marat begleitet uns mit seinem BMW zum Bahnhof und hilft uns auch am Schalter. Ohne seine Hilfe wäre der Ticketkauf wahrscheinlich zu einem stundenlangen Alptraum geworden. Als sich die kleine Glasscheibe in der überdimensionierten Bahnhofshalle das erste Mal öffnet, steht eine riesige Menschentraube davor. Ria und Marat mittendrin. Zuvor musste sich jeder in eine Namensliste eintragen. Warum bleibt das Geheimnis der staatlichen Bahngesellschaft. Nachdem einige wenige Tickets glückliche Besitzer finden, schließt die Beamtin erst mal wieder den Schalter. Draußen ist es in der Sonne mittlerweile irre heiß (über 50 °C). 2 Stunden später öffnet sich das Türchen erneut. Die Menschentraube ist mittlerweile ziemlich träge. Marat reagiert jedoch blitzschnell und kauft die beiden angebotenen Tickets für ein Schlafabteil. Der Preis ist für uns spottbillig. Ganze 26 Manat (keine 10 €) inklusive Gepäck kostet die Fahrt. Anschließend geht es zur Gepäckaufgabe. Auch hier schlägt die Bürokratie voll zu. Wir müssen unsere Räder wiegen lassen, anschließend werden eifrig jede Menge Formulare ausgefüllt. Da uns bis zur Abfahrt um 2 Uhr nachts noch einige Stunden bleiben, fährt Marat durch das nächtliche Mary und lädt uns zum Essen ein. Zum Abschluss wollen auf einer Bank ein wenig ausruhen. Wir sitzen keine 2 Minuten da taucht auch schon die Polizei auf. Über Lautsprecher werden wir zum Verlassen aufgefordert. Nachts soll sich niemand draußen „rumtreiben“. Wie paranoid, denken wir. Mit 1 Stunde Verspätung setzt sich gegen 3 Uhr der Zug endlich Richtung Turkmenabad in Bewegung. Völlig übermüdet schlafen wir in einem 4er-Abteil schnell ein. Nach 3 Stunden weckt uns der diensthabende Schaffner bereits wieder. Obwohl unser Zug erst um 8 Uhr sein Ziel erreicht, müssen wir Betten und Kopfkissen abziehen und abgeben… Zur Erinnerung will ich (Oliver) ein Foto vom Abteil machen. Das bekommt einer der zahlreichen Schaffner mit. Umgehend habe ich das Foto zu löschen. Doch einmal in Fahrt, reicht ihm das nicht. Er will nunmehr alle Fotos aus Turkmenistan sehen und fast alle gelöscht haben. Das sehe ich nicht ein. Nach ein paar Löschungen schalte ich die Kamera einfach aus. Kurz darauf erscheint das Zugpersonal in Mannschaftsstärke. Ich bin gerade auf der Toilette. Ria muss unsere Pässe vorzeigen. Als ich zurückkomme verlangt der Chef der Truppe mein Handy und die Kamera. Ich insistiere, mache ihm klar, dass wir inzwischen alle Bilder gelöscht haben. Geistesgegenwärtig hat Ria kurz zuvor noch eine leere Speicherkarte eingesetzt. Dennoch sind uns eindrucksvolle Bilder von Menschen Turkmenistans durch diesen Vorfall abhanden gekommen.

Von Turkmenabad nehmen wir noch einen Regionalzug nach Farab und fahren die letzten 20 km zur Grenze. Die Bürokratie schlägt auch hier wieder voll zu. Je 5 x werden unsere Pässe auf turkmenischer und usbekischer Seite kontrolliert. Wir schalten auf Alpha-Zustand und lächeln milde. Nach 3 Stunden (dieses Mal ohne Gepäckkontrolle) haben wir endlich usbekischen Asphalt unter den Reifen.

 

 

Unterwegs im Norden Irans

Sarakhs / Iran iran
121. Reisetag
3.350 km, 21.130 hm
Bericht vom 31.07.2013

Mihad schenkte uns eine Flasche kühles Wasser und Nektrarinen

 „Hello! Hello! Welcome to Iran!“ Strahlend springt Mihad aus seinem Pkw und kommt über die Straße gerannt. In der einen Hand eine Tüte voll Nektarinen in der anderen kaltes Wasser. „You must be thirsty. Here drink an eat!“ Wir sind auf dem letzten Abschnitt unserer Iranroute, auf der Fernstraße von Mashad zur turkmenischen Grenze. Die Provinz Khorassan (übersetzt „Land der aufgehenden Sonne“) im Nordosten des Landes bildet den Übergang zu den Steppen Turkmenistans. Als uns Mihad stoppt zeigt unser Thermometer 42 °C in der Sonne. Unsere Kehlen sind staubtrocken, Salz und Sand brennen in den Augen. Durstig leeren wir ein Glas nach dem anderen. Mihad füllt eifrig unsere Gläser auf und lacht dabei vor Freude. Wieder einmal werden wir spontan beschenkt – wie so oft in den letzten Wochen im Land.

Die Iraner sind äußerst interessiert an uns. Stets fallen wir auf. Zum einen wegen unserer ,komischen’ Gefährte, zum anderen sind nur wenige Touristen im Land unterwegs. In den Gesprächen und Begegnungen spüren wir, wie groß die Sehnsucht vieler Menschen nach Austausch ist. Neugierig werden wir nach dem Woher, Wohin befragt und ob uns der Iran gefällt. Wenn wir bei Familien zu Gast sind kommen Nachbarn und Verwandte vorbei, um kurz die Deutschen zu sehen und ein paar Worte zu wechseln.

Zur „Feier des Tages“ werden leckere Köstlichkeiten „aufgetischt“ (gegessen wird jedoch auf dem Boden. Uns gefällt diese Art zu speisen, ist es doch irgendwie unverkrampfter und man kann sich anschließend mit der Familie gleich in die bereitliegenden Kissen lümmeln). Abgusht (Eintopf aus Schaffleisch, Kartoffeln, Tomaten und Kichererbsen), frisches samgak (Fladenbrot), gefülltes Hähnchen, selbstgemachte Torschi und Sabzi Chordan (rohe Kräuter zum Essen). Cay, Götterspeise, Obst und Gebäck runden das Mal ab.

Unser „tägliches Brot“ ist bescheidener. Meist essen wir Brot mit Honig, Tomaten, Gurken und Melone, im Lokal „Chicken-Kebap“ mit halb verkohlten Tomaten, sehr säuerlich schmeckende Gurken und Reis.

Um an frisches Brot aus dem Steinbackofen zu kommen fahren wir oft kleine Seitenstraßen ab. Wenn in den Gassen sich Warteschlangen ohne ersichtlichen Grund vor Hauswänden gebildet haben ist das für uns immer ein untrügliches Zeichen, dass hier frische lavash, samgak oder barbari verkauft werden, traditionelle iranische Fladenbrotsorten. Als Ausländer bekommen wir die dampfenden Laibe nicht selten geschenkt.

So freundlich und zuvorkommend die Iraner sind, an manchen Tagen sind wir mit der ständigen Aufmerksamkeit jedoch überfordert. Alle paar Kilometer werden wir auf der Straße gestoppt: hier ein Smaltalk mit der Familie, da ein paar Fotos mit den Kindern… kaum sind wir wieder richtig „im Tritt“ stoppt schon das nächste Auto vor uns…

Trotzdem versuchen wir allen „gerecht“ zu werden und auch beim 30. Mal die Fragen nach dem Woher und Wohin geduldig zu beantworten.

Erstaunlich offen sprechen die Menschen uns gegenüber die teilweise schlechten Lebensbedingungen, die eingeschränkten sozialen Entfaltungsmöglichkeiten und die Repression unter Präsident Ahmadineschad an.

Viele, vor allem junge, gut ausgebildete, wollen ins Ausland gehen und träumen von einem besseren Leben in Amerika, Großbritannien oder Deutschland. Wir treffen kaum jemand, der seine berufliche Zukunft im Iran sieht. Auch die Wahl Rouhanis zum neuen Präsidenten macht nur wenigen Hoffnung. Bayram, den wir Esfahan treffen, ist jedoch überzeugt, dass es einen Wandel geben wird. Dass er seine Hoffnung trotzdem nur halblaut und nach mehrmaligen Um-sich-Blicken tut, macht auch ohne viele Worte klar, dass man ständig aufpassen muss. Angst vor Repressalien und die strengen Moralgesetze lassen nur wenig Raum für persönliche Entwicklung.

Anhand des Kopftuchzwanges erlebt Ria am eigenen Leib, was es bedeutet, wenn die persönliche Autonomie beschnitten wird. Gegen ihren Willen muss sie im Iran das Kopftuch und in Mashad gezwungenermaßen freiwillig den Tschador tragen. Das äußerst konservative Mashad („Märtyrerstätte“) ist mit 2,5 Millionen Einwohnern das Zentrum des Nordostens und jedes Jahr Pilgerstätte für Millionen Muslime. Hier liegt das Grab des Imam Reza, dem 8. Imam der Schiiten. Ohne Tschador auf der Straße wird Ria unentwegt und unverhohlen angestarrt, fast so als wäre sie nackt. Ein unangenehmes Gefühl. Mit Tschador werden die Blicke weniger intensiv. Die Hitze unter der Ganzkörperverhüllung ist aber nicht weniger anstrengend.

Die Einschränkung persönlicher Freiheiten scheinen die Iraner im Straßenverkehr zu kompensieren. Auf dem Asphalt herrscht die blanke Anarchie. Die Städte sind übervoll mit Individualverkehr. Jegliche Regeln werden ignoriert: Rechts vor Links gibt es nicht. Halten bei Rot? Wozu? Statt eines Schulterblicks wird „Gas“ gegeben. Und Geisterfahrer sind hier keine Meldung wert, denn Gegenverkehr auf unserer Spur ist ganz „normal“. Auch die Anwesenheit von Verkehrspolizisten ändert nichts an diesen Gepflogenheiten. Doch wir haben uns schnell an das Chaos gewöhnt und machen es wie die Iraner: sobald sich eine Lücke auftut einfach reinfahren. Irgendwie geht es immer ein Stück voran und jeder traktiert seine Hupe so gut und so oft er kann.

Leider habe ich (Oliver) im Iran aber auch ein unangenehmes Erlebnis auf der Straße. Zum ersten Mal in 12 Jahren Radreisen werde ich körperlich attackiert. In Talesh überholt uns ein Zweirad mit 2 jungen Männern. Beim Passieren schlägt mir der Beifahrer mit der Hand in den Nacken. Glücklicherweise behalte ich die Kontrolle über mein Rad. Dennoch ist der Fahrspaß in den nächsten Tagen getrübt. Dieser Vorfall ist jedoch der einzige negative. In positiver Erinnerung bleiben uns vor allem die vielen wunderbaren Abende bei unseren Gastfamilien, die Großzügigkeit und Herzlichkeit der Iraner und ein vielschichtiges Land, dass wir in 3 Wochen nur ansatzweise begreifen konnten.

 

Eingetaucht im Orient

Esfahan / Iran iran
112. Reisetag
(Bericht vom 18.07.2013)

IMGP8368 Gleißend scheint die Mittagssonne. Majestätisch erheben sich die blau-türkisfarbenen Moscheekuppeln über dem endlos wirkenden Dächermeer. Wir sind auf 1.500 m über N.N. Dennoch ist es drückend heiß. Bei 45 °C in der Sonne bläßt uns der Wind in den Straßen wie ein heißer Fön ins Gesicht. Isfahan liegt in Zentraliran in wüstenhafter Landschaft. Die 6-stündige Busfahrt von Teheran führte durch ausgetrocknetes, staubiges Hochland. Seit jeher ist der Fluss Zayandeh Rud Lebensader der 2 Millionen Einwohner zählenden Stadt, die wie eine Oase wirkt.

Uns haben die Geschichte Isfahans und seine zahlreichen Prachtbauten angelockt.

Die Stadt ist seit Jahrhunderten wichtiges Handelszentrum, in dem Religiosität und Handel die tragenden Säulen sind.

Gemeinsam mit Veronique und Julien aus Paris, die wir an der turkmenischen Botschaft in Teheran kennengelernt haben, streifen wir durch das Gassengewirr. Alle Bauwerke der Stadt überragt die Freitags-Moschee. Im 11. Jahrhundert erbaut besitzt sie die größte Moschee-Anlage Irans. In die gewaltige Südkuppel können wir leider nicht, doch auch die andere Teile des riesigen Areals sind faszinierend.

Der Königsplatz „Meydan-e Emam“ im Zentrum beeindruckt allein schon durch seine schiere Größe. Mit über 500 m Länge ist er der größte der Welt. Den Platz umsäumen doppelstöckige Arkaden. In den Untergeschossen befinden sich Arbeitsstätten und Geschäfte der Kunsthandwerker. Jede der 4 Seiten des „Großen Platzes“ beherrscht ein herausragendes Bauwerk.

Als erstes besuchen wir den Palast „Ali Quapu“. Von dessen offener Vorhalle, getragen von 18 Holzsäulen, haben wir einen imposanten Blick auf den Platz. Das Klacken der Pferdehufe, die fußlahme Besucher in Kutschen ziehen, hallt über den Platz. Leider trübt ein Baugerüst die Sicht etwas.

In der Imam-Moschee erhalten wir eine private Führung. 20 Jahre dauerte ihr Bau. Das hoch aufstrebende Eingangsportal mit Doppelminarett wirkt erhaben. Die Moschee gilt als eine der schönsten aus der Safaviden-Zeit. Im Inneren sehen wir warum. Wunderschöne Fliesen in tiefblauem Grundton und mit feinen Musterelementen schmücken den riesigen Innenhof. Die 54 m hohe Kuppel überstrahlt jedoch alles. Der Blick hinauf zum Strahlenkranz-Medaillon macht uns sprachlos, so meisterhaft und vollendet wirken die Ornamente.

Die 2. Moschee am Platz, die Lotfollah-Moschee von 1616, wirkt in ihren Ausmaßen dagegen bescheiden. Im Inneren ist sie jedoch nicht weniger faszinierend. Der Kuppelsaal ist der bisher schönste, den wir gesehen haben. Alles wirkt elegant, leicht – fast schwerelos. Die blau-gelben Fayencen erzeugen im gebrochenen Tageslicht eine warme, harmonische Stimmung. Lange sitzen wir am Boden auf den Perser-Teppichen und lassen die Atmosphäre auf uns wirken.

Anschließend streifen wir durch den Bazar Isfahans. Ein dichtes, schier unüberschaubares Netz aus Gassen, Kuppeln und kleinen Innenhöfen bildet das geschäftige Herz der Stadt. Wir genießen die angenehme Kühle in den alten Gemäuern und lassen uns vom Menschenstrom treiben. Alles mögliche wird feilgeboten: Teppiche, Kunsthandwerk, Antiquitäten, Stoffdrucke, Wolle, Obst und Gemüse, Farben, Kleider, Schuhe … es riecht nach orientalischen Gewürzen und Rosenblättern. Lastenträger verrichten ihre schwere Arbeit. Überall wird gehandelt. Obwohl es voll ist, können wir ungestört durch die Gassen streifen. Niemand preist lauthals seine Waren an. Auf der Brücke Pol-e-Khadjou lassen wir das Erlebte auf uns wirken und ruhen im Schatten ein wenig aus. Die Brücke wurde 1630 erbaut. 23 Bögen aus Steinen und Ziegeln überspannen den Zayandeh-Rud an dieser Stelle. Auf beiden Seiten der Brücke befinden sich überwölbte Galerien. Die Brückenköpfe und den Mittelteil zieren kleine Pavillons. Nach einer Stunden sausen wir mit dem Taxi zurück zum Platz „Meydan-e Emam“. Taxen gibt es in jeder iranischen Stadt wie Sand am Meer. Sie sind günstig, fahren schnell von A nach B und ersparen einem lange Suchereien nach der richtigen Buslinie. So oft wie in Teheran und Isfahan haben wir in unserem gesamten bisherigen Leben noch nicht Taxen gesessen.

Als es zu dämmern beginnt, versammeln sich die Isfahaner auf dem Großen Platz und warten auf das Fastenende. Kurz nach 21 Uhr picknicken schließlich überall Familien vor sich hin. Wir genießen die entspannte Atmosphäre und den Blick auf die erleuchteten Prachtbauten. Unsern Hunger stillen wir mit einem Kebab und gebackenen Tomaten. Zum Abschluss gönnen wir uns mit Veronique und Julien unsere erste Wasserpfeife. Versteckt in den dunklen Gassen der Stadt finden wir eine düster anmutende Kaschemme, gefüllt mit rauchenden jungen Männern. In einer Ecke lassen wir uns nieder. Verschwörerisch geht die Pfeife in unserer kleinen Reisegruppe reihum. Langsam füllen dichte Nebelschwaden den Raum. Etwas benebelt und nach Apfelduft riechend taumeln wir gegen 2 Uhr in unser Hotel.

Die knapp 30 Stunden in Isfahan waren prall gefüllt und unvergesslich. Ein Spruch sagt, „Hast Du Isfahan gesehen, hast Du die halbe Welt gesehen.“ Das ist sicherlich etwas übertrieben, aber eine Reise wert ist diese orientalische Stadt allemal. Die 28 Stunden Busfahrt (hin- und zurück) waren es wert. Gerne wären wir länger geblieben. Doch die Zeit rennt. Morgen geht es zurück zu Eslam und seiner Familie. Von Marand aus geht es nun mit dem Rad ans Kaspische Meer. Sicherlich wird auch dieser Abschnitt unserer Reise im Iran wieder jede Menge Überraschungen und Begegnungen bereithalten.

Auch zu diesem Bericht müssen die Bilder leider noch auf sich warten lassen. Alle Versuche eine Galerie hochzuladen wurden bisher geblockt. Immerhin ist ein Titelbild möglich und wir kommen noch auf unsere Homepage. Seiten anderer Reiseradler sind komplett blockiert…

Andere Länder andere Regeln und ein Blick hinter die Kulissen des Gottesstaates

Marand / Iran iran
105. Reisetag
2.990 km / hm

Schatten ist rar gesät Als wir am Donnerstag die türkisch-iranische Grenze erreichen, schlägt unser Puls doch deutlich schneller als bei den bisherigen Grenzübertritten. Vor einem mächtigen Eisentor, umgeben von hohen Zäunen mit Stacheldraht warten wir auf unseren Eintritt in die Islamische Republik. Übergroß blicken die „Revolutionsführer“ des Landes, Ayatollah Khomeini und Ayatollah Khamenei, von einem Plakat auf uns herab. Der Iran ist das einzige Land der Welt, in dem der schiitische Islam laut Verfassung Staatsreligion ist.

Nach wenigen Minuten öffnet sich das Tor und ein „aufmerksamer“ Guide begleitet uns durch die Grenzformalitäten. Nachdem unsere Pässe kontrolliert und abgestempelt sind, will man zunächst unser Gepäck sehen, verzichtet dann jedoch darauf. Ohne größere Probleme passieren wir nach weniger als 1 Stunde die letzte Schleuse. Vor wenigen Tagen kaum denkbar , fahren wir nun unsere ersten Kilometer auf iranischem Asphalt.

In der Stadt Maku wollen wir übernachten. Uns spricht ein freundlicher Deutsch-Dolmetscher aus Teheran an. Wieder einmal kommt unverhofft Hilfe, wenn wir sie benötigen. Gerade hatten wir vergeblich nach einer Wechselstube und einem Hotel Ausschau gehalten. Mit Pouryas Hilfe geht alles im Handumdrehen.

In den folgenden 2 Tagen fahren wir auf glattem Asphalt durch die Provinzen West- und Ost-Azerbeijan. Die wirtschaftliche Grundlage ist hier noch weitgehend die Land- und Viehwirtschaft. In ausgedehnte Becken und Tälern werden vor allem Sonnenblumen gepflanzt. Zahlreiche Schaf- und Kuhherden grasen die ausgetrockenen Weiden ab. Die Hochebenen sind steppenartig. Sandhosen wirbeln die staubtrockene Erde auf. Alle Flüsse sind ausgetrocknet, die Erdkruste ist in der Hitze aufgebrochen.

Der Lkw-Verkehr hat gegenüber den letzten Kilometern in der Türkei wieder deutlich zugenommen. Meist haben wir jedoch ein gut befahrbaren Seitenstreifen. Lediglich die waghalsigen Überholmanöver und das lautstarke, enthusiastische Hupen der Iraner lassen uns gelegentlich zusammenzucken. Nahezu jeder zweite Fahrer grüßt uns mit Licht- oder Signalhupe oder einem langgezogenen „Hellou!“. Wir fühlen uns von Anfang an im Land willkommen. Das in den Medien oft gezeichnete Bild eines sich abschottenden radikal-islamischen, „mittelalterlichen“ Staates können wir in den ersten Tagen nicht sehen. Freundlich winkend rufen uns die Menschen „Salam!“ (Hallo!) zu, immer wieder werden wir aufgefordert doch kurz anzuhalten.

Dennoch ist das Reisen im Iran für uns nicht so unbeschwert wie noch in der Türkei. Zwar erwartet der iranische Staat nicht (und erst recht nicht die Iraner), dass wir (Touristen) uns komplett dem koranischen Moralkodex unterwerfen. Einige „Benimmregeln“ müssen wir dennoch einhalten. Ab sofort hat Ria in der Öffentlichkeit ihr Haar mit einem Kopftuch zu bedecken und Oberbekleidung zu tragen, die die Körperformen nicht betont. Diese Regel ist nicht nur gewöhnungsbedürftig, bei 45°C in der Sonne ist sie auch lästig. Für mich (Oliver) ist die Kleiderordnung weniger restriktiv. Ärmellose Hemden oder T-Shirts werden nicht so gerne gesehen, aber ich kann sie tragen. Kurze Hosen sind tabu. Bei der intensiven Sonne sowieso keine gute Idee.

Hinzu kommt, dass wir mitten im Ramadan das Land bereisen. Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang ist den Muslimen jegliche Nahrungsaufnahme und Trinken verboten. Für Touristen und Reisende gilt diese Vorschrift nicht. Um die religiösen Gefühle der Iraner nicht zu verletzen, nehmen wir „Festes“ jedoch nur noch abseits der Hauptstraße und sichtgeschützt ein. Die Flüssigkeitszufuhr regeln wir diskret am Straßenrand.

Auch sprachlich müssen wir uns „umstellen“. Die offizielle Staats- und Verwaltungssprache Irans ist Persisch (Farsi). Bis auf die Zahlen sind die Zeichen für uns ein „Buch mit 7 Siegeln“. Glücklicherweise stehen alle Ortsangaben auch in Englisch auf den Straßenschildern. Und auch unsere Türkisch-Kenntnisse können wir noch anwenden. Im Nordwesten Irans (Azerbeijan), wird Azeri-Türkisch gesprochen, das dem Türkischen ähnlich ist.

Kurz vor Marand treffen wir Akbar, Sportsmann durch und durch und immerzu lächelnd. In seiner Freizeit wartet er am Straßenrand auf Reiseradler, schenkt ihnen Erfrischungsgetränke und macht zur Erinnerung Fotos, die er in sein Album klebt. Gemeinsam fahren wir durch den chaotischen Stadtverkehr Marands zu Akbars Freund Eslam. Im Haus seiner Eltern verbringen wir 2 wunderbare Tage und Abende.

Was uns als erstes auffällt: das große Interesse, die Unbefangenheit und die überwältigende Freundlichkeit, die uns von allen Familienmitgliedern entgegengebracht wird. Wie schon in der Türkei beschenkt man uns mit Herzlichkeit, die uns tief berührt und nur schwer in Worte zu fassen ist.

Am ersten Abend sitzen wir gemeinsam mit Delara und Ghorban, Eslams Eltern, auf Perserteppichen im Wohnzimmer und machen es uns zwischen zahlreichen Kissen gemütlich. In der Mitte stehen bereits Essen und Trinken. Wie bei uns an Silvester blicken wir gespannt auf die eingeblendete Uhr im iranischen Fernsehen, die die letzten Minuten bis Sonnenuntergang anzeigt. Kurz nach 21 Uhr ist es endlich soweit. Das Fasten darf gebrochen werden. Über 16 Stunden haben Delara und Ghorban keinen Schluck getrunken und nichts gegessen. Nach einem kurzen Gebet beginnt das gemeinsame Abendmahl. Als es bereits nach Mitternacht ist machen wir uns alle auf den Weg in einen Art Vergnügungspark. Wie viele andere Familien breiten wir unsere Decke auf dem Rasen aus und essen zum Abschluss des Tages eine große Wassermelone.

Nach einer Mütze Schlaf fahren wir am nächsten Tag mit Eslam nach Jolfa nördlich von Marand. Extra für uns hat er sich einen Tag frei genommen. Die Grenzstadt zwischen Iran und Aserbaidschan ist eine Sonderwirtschaftszone in der Armenier, Aserbaidschaner, Russen und Iraner günstig einkaufen können. Wir schlendern ein wenig über den Markt und kaufen Süßigkeiten für die Kinder und Obst für uns. Von Jolfa aus fahren wir entlang des Flusses Aras, der hier die aserbaidschanisch-iranische Grenze bildet. Durch ein beeindruckendes Tal geht es zum Kloster des heiligen Stephanos. Die Straße windet sich entlang schroffer rötlicher Felsen, vorbei an Überresten einer alten Karawanserei und einer Kirche. In der malerischen Umgebung, an einem Berghang gelegen, beeindruckt die Klosteranlage schon von weitem. Eingefasst von einer mächtigen Wehrmauer aus Bruchsteinen verbirgt sich im Innenhof ein armenische Kirche mit schönen Reiterbildern und Ornamenten an der Außenfassade. Wir streifen zu Dritt durch die Anlage und ruhen uns anschließend im Schatten alter Bäume aus.

Am Abend sind wir zu Gast bei Sarah, Sinar, Hamide und Mohammed. Der Kontakt hatte sich spontan am Abend zuvor ergeben. Kaum schließt sich die Tür des Hauses fliegen die Kopftücher von den Köpfen. Das ist das zweite was uns auffällt: der deutliche Unterschied zwischen öffentlicher und private Sphäre. In der Öffentlichkeit – und das meint im Iran außerhalb der eigenen 4 Wände – gilt die Kopftuchpflicht. Innerhalb der eigenen Wohnung ist man jedoch frei. Ausgelassen und ungezwungen sprechen wir über alles, was uns interessiert und bewegt und essen gemeinsam im Innenhof Abendbrot. Als Vorspeise gibt es orientalisch schmeckende Suppe mit Graupen und getrockneten süßen Beeren. Anschließend essen wir gekochten Reis (polo) mit Bohnen und zartem Schaffleisch in einer Fleischsoße (khoresht). Dazu gibt es eine minzeartige Limonade und selbstgemachten Kirschsaft, jede Menge frisches Obst und Tee. Die wenigen Stunden vergehen wie im Flug. Zu gerne würde uns die Familie über Nacht bei sich behalten. Da wir jedoch unseren Ausflug nach Teheran vorbereiten wollen müssen wir leider ablehnen. Herzlich verabschieden wir uns voneinander.

Den heutigen Tag haben wir mit Vorbereitungen, Ticket kaufen und Ruhen verbracht. In gut 2 Stunden besteigen wir den Nachtbus nach Teheran. Knapp 800 km sind es in die Hauptstadt Irans. Dort bekommen wir hoffentlich problemlos unser Visum für Turkmenistan. Unsere Räder und unser Gepäck lassen wir solange bei Eslam in Marand. Nach unserer Rückkehr geht es weiter Richtung Kaspisches Meer.

 

Am Thron der Götter

Malatya / Türkei turkey

IMGP8072

Staunend stehen wir am Gipfel des Nemrut Dağı (2.150 m) und bewundern die riesigen Köpfe aus Stein. Sie bewachen den gigantischen Grabhügel (Tumulus) des kommagenischen Königs Antiochus I., der 50 m x 150 m misst.

An der Südflanke des Taurusgebirges, nicht weit vom Euphrat entfernt, ließ der sagenumwobene Herrscher über das Reich Kommagene sich hier aus Götterverehrung und wohl auch Selbstvergötterung 34 v. Chr. eine gigantische Grabstätte errichten, die einzigartig in der Welt ist. Um das Plateau zu schaffen, auf dem das Heiligtum steht, mussten über 200.000 m³ Geröll und Felsgestein von Hand abgetragen werden.

Um den größten Grabhügel der Welt zu besichtigen, sind wir um 12 Uhr von Malatya aus zusammen mit 2 Südkoreanern und einem australischen Paar zu einer abenteuerlichen Fahrt durch das Taurus-Gebirge aufgebrochen. Unsere kleine Reisegruppe versteht sich auf Anhieb blendend und die nächsten 22 Stunden haben wir eine Menge Spaß zusammen und unvergessliche Momente auf dem Nemrut Dağı. In einem atemberaubenden Tempo fährt der Dolmus die endlos erscheinende, abschnittsweise extrem steile Serpentinenstraße zum Motel unterhalb des Gipfels hinauf. Teilweise ist die Straße so schmal, dass man beim Blick aus dem Fenster meint, man säße im Flugzeug. Nichts für schwache Nerven und sensible Mägen. Nach 3 Stunden erreichen wir – ordentlich durchgerüttelt – das Motel Gunes (türk. = Sonne).

Am Abend geht es zur Westterrasse, dem heiligsten Platz am Gipfel. Von dort oben haben wir einen fantastischen Blick auf das Taurusgebirge und den Atatürk-Stausee. Während langsam die Sonne über Südostanatolien untergeht, werden die 5 Götter in ein zauberhaftes Farbenspiel getaucht. Die menschengroßen Köpfe wirken im Licht der Abendsonne noch plastischer und eindrucksvoller. Begeistert von diesem Erlebnis sitzt unsere kleine Reisegruppe nach dem Abendessen noch lange zusammen, redet über Götter und die Welt, gutes Essen und unsere kulturellen Eigenheiten.

Die Nacht ist dafür umso kürzer. Bereits um 04:00 Uhr werden wir vom Fahrer geweckt. Müde und etwas benommen steigen wir 15 min. später alle in den Bus. Durch die Nacht geht es erneut zum Gipfel, dieses Mal zur Ostterrasse. Draußen ist es kalt und windig. Zum Glück haben wir unsere Fleece- und Regenjacken dabei. Auf dem Feueraltar – einer großen Plattform gegenüber den Figuren – sitzen schon einige Dutzend „Sonnenhungrige“. Gemeinsam warten wir alle auf das erste Licht des Tages. Was sich dann abspielt ist wohl das faszinierende und bewegendste Erlebnis, dass wir erlebt haben.

Gegen 05:30 beginnt das Naturschauspiel hoch oben auf dem windumtosten Berg Nemrut. Langsam breitet sich das erste Licht der Sonne über die faszinierende Gebirgslandschaft aus. Immer plastischer zeichnen sich die umliegenden Berge ab, während die Täler noch im Dunkel der Nacht liegen. Schließlich fallen die ersten Sonnenstrahlen auch auf die über 2000 Jahre alten steinernen Skulpturen. Der Sitz der Götter taucht aus seinem „Schattenreich“ auf.

Das rot-braune Leuchten der ursprünglich 8 – 9 m hohen Kalkstein-Statuen wird immer intensiver, als die Sonne ganz am Himmel steht und ihre Kraft zu entfalten beginnt. Die Steinhäupter, die einst auf den dahinter sitzenden Figuren thronten, blicken in die umliegende Gebirgslandschaft. Ihr Antlitz gibt einem das Gefühl, dass sie noch immer Anspruch auf den Berg als Sitz der Götter erheben. Dieser Ort hat etwas Magisches.

„Eisheilige“ im Anatolischen Hochland

Malatya (1.080 m.ü.M.) / Türkei turkey
94
. Reisetag
2.592 km / 19.221 hm

Daglari GebirgeMühsam quälen wir uns den x-ten Pass des Tages hinauf. Unter den Reifen schmatzt der flüssig-klebrige Teer. Der Asphalt ist grob und bremst zusätzlich unser Vorankommen. Es ist unglaublich heiß. Kein Baum am Straßenrand, der für einen Moment Schatten spendet. Ziemlich erschöpft und mit trockenen Kehlen erreichen wir nach einer gefühlten Ewigkeit wieder eine Trinkwasserquelle. Für Ria ein schwacher Trost, hatte sie sich doch schon seit Stunden ein kühles Eis gewünscht. Da es weit und breit keine Tankstelle oder ein Dorf gibt, ein unerfüllbarer Wunsch…

Während wir unsere Wasserflaschen auffüllen kommt ein Pkw die Straße entlang, auf dem Dach dröhnen Lautsprecher. Wir denken: Vielleicht Wahlwerbung oder die Bekanntgabe örtlicher Nachrichten? Nicht weit von uns hält der Wagen an. Hakan, der Fahrer, winkt uns zu sich. Fröhlich gestikulierend und plaudernd versucht er uns etwas mitzuteilen. Während wir noch zu enträtseln versuchen, worum es geht, hantiert sein Beifahrer hinten am Wagen und …. Unglaublich aber wahr: Bringt uns zwei Maras Eis (türkisches Eis)! Wir sind baff! Diese beiden „Eisheiligen“ hat uns der Himmel geschickt. Ehe wir so recht begreifen, was gerade passiert ist, brausen Hakan und sein Beifahrer schon wieder davon, um Ihr Eis im nächsten Dorf anzupreisen. Und wir genießen mitten in der einsamen Hochebene Zentralanatoliens ein erfrischendes Eis.

Diese Geschichte ist nur eine von zahlreichen wunderbaren Begegnungen, Einladungen und Hilfsangeboten, die wir in den letzten Tagen erlebt haben. Unmöglich alle hier zu beschreiben. Halten wir an einer Tankstelle, werden wir zum Tee eingeladen. Kaufen wir ein paar Kleinigkeiten im Mini Markt werden uns draußen Stühle zum Erholen angeboten. Fragen wir nach einem Schlafplatz, können wir 5 min. später unser Zelt aufstellen und bekommen Wasser und Tee gereicht. Man schenkt uns Brot, Obst, Gemüse, Wasser ein Lächeln, drückt lange unsere Hand und verabschiedet uns mit Küssen auf die Wange. Es ist unglaublich mit welcher Herzlichkeit uns die Menschen hier begegnen. Die Einladungen zum Cay haben wir mittlerweile aufgehört zu zählen. Würden wir alle annehmen, kämen wir keine 20 km am Tag voran. Als wir in Gürün eine Lokal suchen spricht uns Koca an. Er hat 17 Jahre in Deutschland gearbeitet und gelebt. Koca gibt uns einen Tip, wo man gut essen kann und leistet uns beim Essen Gesellschaft. Als wir uns bei ihm für seine Hilfe bedanken sagt er, „Wenn ich jemanden etwas Gutes tun kann, dann geht es auch mir gut.“ Vielleicht ist das eine Erklärung für die wunderbare Gastfreundschaft der Türken.

Nach solchen Erlebnissen sind die Anstrengungen des Tages schnell vergessen. In den letzten 5 Tagen haben wir über 4.000 Höhenmeter bewältigt, zahlreiche Pässe erklommen, drei davon über 1.800 m und einen mit 1.900 m. Freude und Erschöpfung liegen nah beieinander. Ob angekommen genießen wir die fantastischen Ausblicke, den kühlenden Wind und das Gefühl es „gepackt“ zu haben. Die Abfahrten sind dann leider genauso steil wie die Anstiege. So können wir es auch bergab nicht rollen lassen. Stattdessen bremsen wir permanent. Die Felgen quietschen ohrenbetäubend, unsere Hände schmerzen. Dazu kommt oft ein unerwartet starker Gegen- oder Seitenwind.

Seit Kappadokien bewegen wir uns auf der D300, eine der beiden transanatolischen Fernstraßen, die sich über 1.800 km von Izmir an der Ägäisküste über Konya, Kayseri und Malatya zum Van-See im äußersten Südosten der Türkei zieht. Meist ist die D300 ein 3- oder 4-spuriger Highway, abschnittsweise jedoch auch staubtrockene Baustelle oder einspuriges Nadelöhr. Weite, karge Ebenen, die in der Sonne glühen, schneebedeckte Gipfel und grüne Bänder entlang mäandernder Flüsse prägen die Region. Die Menschen, die hier leben, ringen dem Boden in harter Arbeit das Wenige ab, was er hergibt. Je weiter wir nach Osten fahren, desto größer sind die Entfernungen zwischen den Ortschaften. Auch der Verkehr nimmt spürbar ab. Nur um die größeren Orte sind die Straßen wieder voll. Wenn uns Fahrzeuge begegnen, wird fast immer freundlich gehupt oder man winkt uns zu. Auch in den Orten werden wir stets willkommen geheißen. Kinder, Händler, Bauern, Erntehelfer; stets heißt es „Merhaba“ oder „Hello“ und fast immer bedeutet man uns mit einer Handbewegung doch auf einen Çay anzuhalten.

In Malatya, das wir heute erreicht haben, bleiben wir nun einen Tag. Die gleichnamige Provinz wird im Volksmund „Aprikosengarten der Türkei“ genannt. In der fruchtbaren Ebene, die die Stadt umgibt werden bis zu 300.000 t Aprikosen geerntet und als Dörrfrüchte in die ganze Welt exportiert. Wir bekommen die leckeren Früchte am Straßenrand frisch gepflückt immer wieder in die Hosentaschen gestopft und haben so stets etwas zum Naschen.

Zauberhaftes Kappadokien

Göreme (1100 m.ü.M.) / Türkei turkey
88
. Reisetag
2.171 km / 14.703 hm

Göreme - wie Tausend und eine NachtDie letzten Tage waren landschaftlich die bisher schönsten unserer Reise. Von Aksaray aus fuhren wir vorbei an erloschenen Vulkanen, nackten Felslandschaften und in Schluchten gepressten ländlich-verschlafenen Bilderbuchdörfern. Das einfache Leben hier ist noch ganz dem Rhythmus der Natur angepasst. Noch vor Sonnenaufgang ziehen die Bauern mit ihrem Vieh auf die Weiden, Familien bearbeiten mit Haken das trockene Ackerland. In den Mittagsstunden suchen alle ein schattiges Plätzchen. In den engen Gassen der Dörfer spielen alte Herren in den Lokantas stundenlang Tavla, dunkel gekleidete Bäuerinnen sitzen vor ihren Häusern und halten ein Schwätzchen.

In Ihlara lassen wir 1 Tag die Räder stehen und erkunden die Umgebung zu Fuß. Besonders die Wanderung durch die bis zu 150 m hohe Ihlara-Schlucht, vorbei an mittelalterlichen Höhlenkirchen, ist wunderschön. Bereits um 8 Uhr sind wir am Eingang und so früh am Morgen noch die einzigen Besucher. Begleitet vom Quaken der Frösche und Vogelgezwitscher laufen wir durch das Tal entlang des Melendiz-Flusses, der dafür sorgt, dass hier eine üppige Vegetation wächst. Die Schlucht mit ihren schroff aufsteigenden Felswänden war während der Christenverfolgung Rückzugsgebiet byzantinischer Mönche. Der Platz war sicher gut gewählt. Selbst wir konnten am Tag zuvor bei unserer Ankunft nicht erkennen, dass sich hier zwischen Getreidefeldern und Wildwiesen urplötzlich eine solch imposante 15 km lange Schlucht auftut. Die Kapellen und Kirchen links und rechts des Flusses sind mit Fresken im Inneren geschmückt, viele davon haben durch Vandalismus jedoch arg gelitten. Sehr viel ist über die Lebens- und Überlebensweise der Christen Kappadokiens leider nicht bekannt. Auch die Namen der Kirchen entstammen aus späteren Zeiten, als die hier ansässigen türkischen Bauern den Gotteshäusern simple Namen zur Unterscheidung gaben. So besichtigen wir u.a. die „Kirche unter dem Baum“, die „Hyazinthenkirche“ und die „Schlangenkirche“, in der 4 nackte Sünderinnen zu sehen sind, die von Schlangen umzingelt werden.

Die weitere Strecke nach Göreme hat es in sich. Steigungen von 10 % und mehr verlangen uns einiges ab. Ab 13 % geht es schließlich nur noch schiebend voran. Auf der Kuppe angekommen geht es ebenso steil wieder runter. Permanent haben wir die Hände an den Bremshebeln, die Felgen quietschen ohrenbetäubend. Doch die Mühen lohnen. Über malerische Hochebenen auf 1.600 m und vorbei an Relikten der einst reichen Kirchen- und Klosterkultur erreichen wir schließlich Göreme, das im Herzen der surrealen Tuffsteinlandschaft Kappadokiens liegt. Der Ort selber ist ein großes Touristendorf. Das Kirchental (UNESCO-Weltkulturerbe) lockt jährlich 2 Millionen Besucher und ist nur einen Steinwurf entfernt. Fast jeder Bewohner Göremes partizipiert in irgend einer Weise von den Besuchern aus aller Welt, ob als Teppichverkäufer, Restaurantbetreiber oder „Touri-Guide“. Wir sind abseits des Trubels in einer netten Pension oberhalb Göremes untergekommen und genießen am Abend den fabelhaften Blick über die Dächer Stadt und die Feenkamine.

Vor über 10 Millionen Jahren schleuderten die bis zu 4.000 m hohen Vulkane Tuffasche in die Umgebung und legten so den Grundstein für diese einzigartige Landschaft. Im Laufe der Zeiten wurde durch Witterungseinflüsse das verschiedenartige Tuffmaterial aufgespalten und durch Regen Stück für Stück ausgewaschen. In jahrtausendelangen Prozessen bildeten sich so die heute sichtbaren Feenkamine heraus.

Gestern besuchen wir schließlich das Open-Air-Museum von Göreme und streifen anschließend abseits der Touristenströme durch das Wunderland aus Tuff mit bizarren Gebilden. Die von den Gezeiten erschaffene Felsenarchitektur zieht uns in ihren Bann. Immer wieder „finden“ wir neue Formationen, bestaunen Burgfelsen, steigen in verlassene Höhlenräume und lassen unsere Fantasie spielen. Wie mag hier wohl das Leben der Menschen zwischen dem 8. und 13. Jahrhundert ausgesehen haben? Nach 5 Stunden haben wir uns satt gesehen und „fliehen“ vor der erbarmungslosen Mittagssonne in unser kühles Pensionszimmer.

Zum Abend laufen wir auf die Tuffsteinfelsen im Westen Göremes und genießen zum Abschluss dieses unvergesslichen Tages den fantastischen Ausblick auf die Stadt und den Sonnenuntergang über der märchenhaften Landschaft Kappadokiens.

Heiße Tage in Westanatolien

Aksaray (900 m.ü.M.) / Türkei turkey
83
. Reisetag
2.000 km / 12.741 hm

P1080603 Schweißperlen laufen über unsere Stirn, wir schwitzen aus allen Poren. Die Sonne scheint unaufhörlich, keine Wolke trübt den Himmel. In den letzten Tagen ist das Profil anspruchsvoller geworden und auch die Temperaturen sind noch einmal deutlich gestiegen. Wir sind in Westanatolien unterwegs. Gegen 09:00 Uhr sind es bereits 34 °C, um die Mittagszeit zeigt das Thermometer 41 °C in der Sonne an. Unser Wasserverbrauch ist auf 7 – 8 Liter pro Tag gestiegen.

Istanbul haben wir vor 8 Tagen verlassen. Mit der Fähre ging es nach Yalova ans Ostufer des Marmarameeres. Eine gute Stunde Zeit, um auf die Stadt am Bosporus zurückzublicken und uns auf die Fortsetzung unserer Reise zu freuen. Der Kontrast auf den ersten Radkilometern könnte kaum größer sein. Eben noch mitten im geschäftigen Leben der Metropole fahren wir nun durch eine landwirtschaftlich geprägte Region. Grüne, kultivierte Täler wechseln sich mit graubraunen Hochlandsteppen und türkisfarbenen Seen ab. Vielfach säumen Olivenhaine unseren Weg. In der fruchtbaren Region gedeihen außerdem Pfirsiche, Tabak, Wein und Zucchinis. Bereits in den frühen Morgenstunden fahren die Bauern mit ihren Traktoren zu den Feldern. In gebückter Haltung und mit Kopftüchern gegen die sengende Sonne geschützt, bearbeiten die Frauen die Äcker.

Am Ostufer des Iznik-Sees bewundern wir im gleichnamigen Ort die fast 5 km lange Wehrmauer, die einst von den Römern errichtet wurde. Berühmt ist Iznik jedoch für seine Fayencen. Die bunten Kacheln zieren zahlreiche osmanische Prachtbauten (z.B. die Blaue Moschee in Istanbul). Im Berlin-Hotel verbringen wir eine ruhige Nacht. Der Name hat uns gelockt. Außerdem spricht die Inhaberin Deutsch, da sie viele Jahre in Berlin-Charlottenburg gelebt hat. Als wir sie auf die Demonstrationen im Land ansprechen macht sie ihrer Wut Luft: Tayyip Erdogan und seine Bande sind Verbrecher, die davon gejagt gehören! Und mit Ihrer Meinung ist sie nicht allein. Jeden Abend ziehen die Einwohner Izniks mit Löffeln und Kochtöpfen „bewaffnet“ durch die Straßen und demonstrieren lautstark gegen die Politik der autoritären Regierung, die das Land durch immer neue Gesetze Stück für Stück islamisiert. Darüber hinaus betreibt die seit 2002 regierende AKP eine radikal neoliberale Wirtschaftspolitik und privatisiert ungebremst Staatseigentum. Junge Türken, mit denen wir offen über die Situation im Land sprechen können, beklagen den Ausverkauf des Landes und die fortwährende Gängelung durch die Regierung. Individuelle Freiheiten werden zunehmend beschnitten. Deshalb gehen sie Abend für Abend auf die Straßen, unerschrocken und unüberhörbar. Die Stimmung ist kämpferisch, alle wollen weitermachen, aber keiner glaubt, dass es schon bald eine Wende geben wird.

So spannungsgeladen derzeit die Auseinandersetzungen auf der Straße sind, das alltägliche Leben scheint seinen gewohnten Gang zu gehen – und das wesentlich entspannter als in Deutschland. Immer wieder mal werden wir „von der Straße weg“ spontan zum Tee oder sogar zum Essen eingeladen. Interessiert fragt man uns nach dem Woher und Wohin und wie uns die Türkei gefällt. Die Verabschiedung ist ebenso herzlich wie die Begrüßung. Mit traditionellen türkischen Küssen auf die Wange oder einem langen Händedruck wünscht man uns eine gute Reise. Obwohl die Verständigung sich mit älteren Türken meist nur auf wenige Worte oder Sätze beschränkt (da kaum jemand Englisch spricht), ist der Umgang mit uns Fremden unverkrampfter und zwangloser als in unserer stärker durchorganisierten Gesellschaft. Die Zuneigung und Gastfreundschaft der Türken machen uns immer wieder sprachlos und erzeugen einen Wärmestrom, der noch schöner ist, als das hochsommerliche Wetter. Stellvertretend für viele Erlebnisse wollen wir von 2 berichten:

So fragen wir z.B. am Iznik-See einen alten Bauern, ob wir eine Nacht auf seinem Feld zelten können. Mit einer einladenden Geste deutet er uns, ihm auf seinem Traktor zu folgen. Nicht weit vom See wohnt er in einfachsten Verhältnissen. Seine Frau ist vor 7 Jahren gestorben, die 3 Kinder sind längst ausgezogen. Nur 2 kleine Hunde leisten ihm noch Gesellschaft. Am Tisch vor seinem Haus trinken wir gemeinsam Çay. Anschließend zeigt er uns einen Zeltplatz direkt am See. Während wir unser Nachtlager aufbauen fährt er noch einmal ins Dorf und holt Ekmek (Brot). Anschließend bekommen wir sein Abendbrot – 2 frisch gefangene Fische in einer leckeren Panade knusprig braun gebraten. Der beste Fisch seit langem. Dazu gibt es Gemüse und Käse. Er selber begnügt sich mit einer Brotscheibe. Wir wollen den Fisch mit ihm teilen, vergebens. Wichtig ist, dass wir satt werden.

Einige Tage später lädt uns in Bözüyük Ender zu sich und seinen Eltern ein. Herzlich werden wir von allen empfangen. Das Wohnzimmer ist für heute unser „Reich“. Natürlich gibt es zunächst wieder reichlich Çay, dieses Mal mit Zitronenstücken – sehr lecker und erfrischend. Wir fühlen uns vom ersten Augenblick an wohl. Nach einer Dusche geht es mit Ender und seinem Freund Onur in ein Gartenlokal außerhalb der Stadt. An einem Fluss sitzen wir in einer parkähnlichen Anlage, essen lecker und verbringen einen ausgelassenen Abend. Bezahlen tut Ender – wir sind schließlich seine Gäste. Uns erstaunt diese uneingeschränkte Großzügigkeit auch nach 2 Wochen Türkei immer noch. Als wir weit nach Mitternacht wieder nach Hause kommen, sind für uns die Betten gemacht, auf dem Tisch stehen Kirschen und Aprikosen zum Naschen. Unsere dreckige Wäsche wurde auch gewaschen. Am nächsten Morgen frühstücken wir alle gemeinsam und schauen uns Bilder der Familien an. Bewegt von soviel Herzlichkeit fällt uns die Weiterfahrt nach Eskişehir schwer. Den Abschied versüßt uns Enders Mutter mit getrockneten Pflaumen und Aprikosen und leckeren Kirschen.

Um dem Knie nicht zuviel zuzumuten, nutzen wir wieder einmal Fern- und Schnellstraße. Die Fahrt auf den „Highways“ ist zwar landschaftlich nicht die schönste, aber die Steigungen sind moderater und auf der Standspur rollt es sich ganz gut.

In Eskişehir legen wir einen Ruhetag ein und kommen bei in einer entspannten 4er WG unter. Wie immer wohnen unsere Gastgeber im obersten Stockwerk – dieses Mal im 5. Aber die Schlepperei lohnt sich. Auch hier haben wir ein riesiges Zimmer ganz für uns. Die Jungs sind aufgeschlossen und bei einem gemeinsamen Efes und netten Gesprächen vergehen die abendlichen Stunden wieder mal viel zu schnell.

Eskişehir, die „alte Stadt“ ist in Wirklichkeit jung und stylisch. Die boomende Universitäts- und Industriestadt hat viele junge Gesichter, große Einkaufscenter und unzählige Läden. An der hübschen Uferpromenade des Porsuk-Flusses schauen wir dem Treiben eine Weile zu und lassen uns anschließend eine große Portion Çig Börek schmecken, knusprig frittierte Teigtaschen, die ein Spezialität Eskişehirs sind. Im Busbahnhof besorgen wir uns in „Nullkommanix“ für 6,50 €/Person ein Ticket nach Ankara. Der Transfer am nächsten Tag verläuft reibungslos. Wir bekommen (wie üblich in türkischen Bussen) Tee, Wasser, Saft und Kekse serviert. Ria darf neben dem Fahrer Platz nehmen und filmen. Die Fahrt führt vorbei an goldgelben Weizenfeldern und kargen Hochebenen, die man aufzuforsten versucht. Ankara selber sehen wir nur vom Bus aus, denn wir wollen noch weiter nach Aksaray. Die Hauptstadt der Türkei macht auf uns den Eindruck einer wild wuchernden Stadt ohne Ausstrahlung. Lange, sechsspurige Straßen führen ins Zentrum, sterile Neubauten prägen das Bild. Jährlich wächst die Stadt um 100.000 Zuwanderer, für die allerorten Wohnblöcke mit 20 und mehr Stockwerken hochgezogen werden.

Der Busbahnhof Ankaras ist riesig. Auf 3 Stockwerken verteilen sich Terminals, größer als die in Tegel. Wir kämpfen uns mit unseren Rädern durch die Menschenmassen auf der Suche nach dem richtigen Ticketschalter. Zwischen all’ den eilenden Reisenden und lautstark ihre Zielankünfte ausrufenden Busfahrern ein ganz anderes Bild: Auf dem Boden sitzen hunderte Männer, die Köpfe nach Mekka geneigt, versunken im Gebet.

Keine halbe Stunde nach unserer Ankunft in Ankara sitzen wir im nächsten Bus. Die Fahrt ins zentralanatolische Hochland führt überwiegend durch weite Eintönigkeit. Nahezu baumlose Steppe trocknet in der Sonne braungebrannt vor sich hin. Auf den goldgelben Feldern gedeiht anspruchsloser Weizen. Die Höhenzüge im Norden und Süden Inneranatoliens sorgen dafür, dass das Herzland der Türkei nur wenig Regen abbekommt. Trotzdem fasziniert uns die Landschaft durch ihre Weite – eine gigantische Ebene auf 800 – 1.200 m, die gelegentlich durch Gebirgsrücken unterbrochen wird. Das Highlight des Tages ist jedoch der Tuz Gölü, mit über 2.000 km² einst der zweitgrößte See der Türkei. In der Sonne schimmert der am Boden mit einer dicken Salzschicht bedeckte, nur 2 m tiefe See in verschiedenen Farbschattierungen. Doch das Farbenspiel täuscht über seinen erbärmlichen Zustand hinweg. Der Tuz Gölu steht durch extensiven Wasserraub für die Landwirtschaft kurz vor dem Exodus und hat heute nur noch ca. 15 % seiner einstigen Ausdehnung.

Am Ortseingang von Aksaray springen wir kurz entschlossen aus dem Bus, um die erste Campingplatz-Nacht auf der Reise zu verbringen. Leider eine „beschissene Idee“, was den Zustand der Sanitäranlagen und die Qualität des Platzes angeht. Zum Glück verbringen wir hier nur eine Nacht.

Morgen steigen wir dann wieder auf unsere Räder, um in die wundersame Welt Kappadokiens zu fahren.