100 Tage auf Tour

Türkei

Erzurum (1.950 m)

 

Vor 100 Tagen haben wir Berlin bei Eis und Schnee für 2 Jahre „lebe wohl“ gesagt und unsere Räder gesattelt. Mittlerweile ist es Juli, in der Türkei sind es locker 30 – 40 °C mehr als bei unserem Start und wir sind 2.600 km gen Osten gefahren.

Nicht so viel wie geplant … aber wie heißt es schon auf unserer Homepage „Ja, mach nur einen Plan sei nur ein großes Licht und mach dann noch ‘nen zweiten Plan gehn tun sie beide nich“ (Dreigroschenoper, Bertolt Brecht). Manchmal laufen die Dinge anders als gewünscht. Und so mussten wir mehr Pausen einlegen als gewollt. Bedingt durch die längeren Unterbrechungen ist das Reisen per Rad noch nicht wirklich Alltag geworden. Dennoch hat sich schon ein wenig Routine eingestellt: das Zelt steht abends in wenigen Minuten, in den Taschen suchen wir nicht mehr so lange wie zu Anfang. Die Aufgabenteilung klappt immer besser.

100 Tage auf Tour, 5 Länder, viele Begegnungen – manche nur für einen Augenblick andere intensiver, fast alle nur positiv und bereichernd. Besonders in der Türkei beschenken uns die Menschen mit einer Gastfreundschaft, Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft, die uns sprachlos macht.

Und wieder einmal liegen in diesen Tag Freude und Enttäuschung eng beieinander. Von Malatya hatten wir uns kurz entschlossen per Nachtbus (8 Stunden Fahrt) nach Erzurum bringen lassen. Der Grund: hier sollen Iran-Visa wieder ausgestellt werden. In der Stadt angekommen machen wir uns zunächst auf die Suche nach dem deutschen Honorarkonsul. Unsere Pässe haben wir (mit den Visa für Usbekistan und Tadschikistan) aus Berlin hierher schicken lassen. Da das Büro nicht zu finden ist, spricht Ria einen Herrn an. Er kennt den Konsul. Dieser ist jedoch nicht in der Stadt. Doch “problem yok!” Kein Problem! Während er uns zum Frühstück einlädt macht sich der Bruder des Konsuls mit den Pässen auf den Weg zu uns. Eine halbe Stunde später halten wir unsere Pässe in den Händen.

Auf der Suche nach dem Iranischen Konsulat treffen wir zufällig auf eine französisch-schweizerische Radgruppe. Alle haben gerade ihr Iran-Visum nach 5 Tagen Wartezeit bekommen. Übermüdet machen wir uns direkt auf den Weg ins Konsulat, um keine Zeit zu verlieren. Ria legt schnell ihr Kopftuch um. Wir überreichen unsere eigentlich abgelaufene Referenznummer vom März und Ria’s Passfotos mit Kopfbedeckung (haben wir glücklicherweise noch in Malatya machen lassen) und …. bereits am Nachmittag haben wir ein 30-Tage Visum für den Iran. Wir können es kaum fassen, freuen uns wie Schneekönige. 3 Monate hatten wir vergeblich auf eine Einreise gehofft. Gedanklich waren wir schon auf dem Weg durch den Kaukasus und dann dieses kleine Wunder. Wir können in den Iran und unsere Reise so fortsetzen wie geplant!

Am nächsten Tag bereiten wir unsere Räder für die Weiterfahrt vor und überprüfen alle Teile. Schon die letzten Tage hatte ich (Oliver) beim Lenken ein Rauheit und leichte Schwergängigkeit gespürt. Um der Sache auf den Grund zu gehen, ziehen wir den Vorbau vom Schaft ab und sehen uns die beiden Steuersatzlagerschalen an. Dann der Schock, die obere ist defekt. Der Wälzkörper ist nicht mehr richtig abgedichtet und verschlossen. Auf über 50 % der Lagerschale ist der “Dichtungsring” angehoben. Das Ding hat keine 3.000 km runter. So eine Sch****!

In Erzurum laufen wir von „Pontius zu Pilatus“. Kein Radladen weit und breit der uns weiterhelfen kann. Mit Hilfe des Radforums können wir das obere Steuerlager wieder halbwegs hinbekommen. Dennoch sind wir unsicher, mit diesem Defekt die Fahrt durch den Iran fortzusetzen. Zum Glück ist ein Münchner Paar auf dem Weg nach Erzurum. Hamida und Sebastian haben in Istanbul einen Steuersatz für uns gekauft. Morgen werden sie mit dem Bus da sein. Welch Glück im Unglück!

Dann können wir uns endlich wieder auf unsere Räder schwingen und weiter Richtung Osten fahren.

Bilder zum Artikel folgen morgen, sofern wir noch Zeit finden.

Zum Abschluss ein wenig Statstik:

1. Defekte

Ria:

  • Platte Reifen: noch keinen!
  • Objektiv der DSLR defekt (in Istanbul reparieren lassen)
  • Klapphaarbürste in der Türkei gebrochen (mit Alleskleber leidlich „repariert“)
  • Loch am Knie (geflickt) und diverse Teerklekse (Fahrt auf heißem Asphalt, auch mit Gallseife nicht rauszubekommen) auf langer Hose

Oliver

  • Platte Reifen: 1 x hinten
  • Sportsocken haben ein großes Loch (von Ria genäht)
  • Helm im Bus vergessen (in Istanbul neuen gekauft)
  • Steuerlager defekt (wir warten gerade auf Ersatz)

Darüber hinaus gibt es einige Löcher und Laufmaschen in unseren Merinoklamotten.

2. Erkrankungen/Verletzungen

Ria:

  • Schnupfen in Ungarn
  • Magenverstimmung in Istanbul (der Fisch war wohl schlecht)
  • Schürfwunde am Knie durch Sturz in Rumänien

Oliver:

  • Knieschmerzen in Ungarn, Bulgarien und der Türkei (viel Geduld, Stabi-Übungen [Danke Eva und Nadine] und vorsichtiger Neubeginn haben geholfen)
  • Magenverstimmung in Istanbul (der Fisch war wohl schlecht)

3. Was wir immer wieder mitnehmen würden (Liste wird sicherlich noch ergänzt):

  • Sprach- und Reiseführer (das zusätzliche Gewicht lohnt)
  • Rack-Packs (sind handlicher und schneller aufzumachen als unsere bisherigen Packsäcke)
  • jede Menge verschiedenfarbige Beutel um Ordnung in die Taschen zu bringen
  • Klickboxen für Lebensmittel und empfindliche Elektronik
  • selbstgebastelter „Blasebalg“ aus einer blauen Mülltüte, der aus unseren Leichtluftmatratzen in „Null komma Nix“ Himmelbetten macht
  • Rückspiegel am Lenker, der uns vor rücksichtslosen Truckern warnt
  • Warnwesten, um besser gesehen zu werden (auch bei Tunneldurchfahrten sehr nützlich)
  • Helme auf dem Kopf (man spürt sie kaum; als ich [Oliver] in Istanbul ohne fahren musste war mir nicht wohl)
  • T-Shirts aus Wolle, die auch am 3. Tag fast noch müffelfrei sind

4. Was uns fehlt:

Ria:

  • Gummibärchen und eine knusprige Pizza
  • frischer Salat und Obstsalat am Morgen
  • mein Lümmelsofa
  • der Tatort

Oliver:

  • Nutella und Krustenbrot
  • auch frischer Salat und Obstsalat am Morgen
  • bei einer Tasse Kaffee Inforadio hören
  • Tagespresse, vor allem „Die Zeit“

Am Thron der Götter

Malatya / Türkei turkey

IMGP8072

Staunend stehen wir am Gipfel des Nemrut Dağı (2.150 m) und bewundern die riesigen Köpfe aus Stein. Sie bewachen den gigantischen Grabhügel (Tumulus) des kommagenischen Königs Antiochus I., der 50 m x 150 m misst.

An der Südflanke des Taurusgebirges, nicht weit vom Euphrat entfernt, ließ der sagenumwobene Herrscher über das Reich Kommagene sich hier aus Götterverehrung und wohl auch Selbstvergötterung 34 v. Chr. eine gigantische Grabstätte errichten, die einzigartig in der Welt ist. Um das Plateau zu schaffen, auf dem das Heiligtum steht, mussten über 200.000 m³ Geröll und Felsgestein von Hand abgetragen werden.

Um den größten Grabhügel der Welt zu besichtigen, sind wir um 12 Uhr von Malatya aus zusammen mit 2 Südkoreanern und einem australischen Paar zu einer abenteuerlichen Fahrt durch das Taurus-Gebirge aufgebrochen. Unsere kleine Reisegruppe versteht sich auf Anhieb blendend und die nächsten 22 Stunden haben wir eine Menge Spaß zusammen und unvergessliche Momente auf dem Nemrut Dağı. In einem atemberaubenden Tempo fährt der Dolmus die endlos erscheinende, abschnittsweise extrem steile Serpentinenstraße zum Motel unterhalb des Gipfels hinauf. Teilweise ist die Straße so schmal, dass man beim Blick aus dem Fenster meint, man säße im Flugzeug. Nichts für schwache Nerven und sensible Mägen. Nach 3 Stunden erreichen wir – ordentlich durchgerüttelt – das Motel Gunes (türk. = Sonne).

Am Abend geht es zur Westterrasse, dem heiligsten Platz am Gipfel. Von dort oben haben wir einen fantastischen Blick auf das Taurusgebirge und den Atatürk-Stausee. Während langsam die Sonne über Südostanatolien untergeht, werden die 5 Götter in ein zauberhaftes Farbenspiel getaucht. Die menschengroßen Köpfe wirken im Licht der Abendsonne noch plastischer und eindrucksvoller. Begeistert von diesem Erlebnis sitzt unsere kleine Reisegruppe nach dem Abendessen noch lange zusammen, redet über Götter und die Welt, gutes Essen und unsere kulturellen Eigenheiten.

Die Nacht ist dafür umso kürzer. Bereits um 04:00 Uhr werden wir vom Fahrer geweckt. Müde und etwas benommen steigen wir 15 min. später alle in den Bus. Durch die Nacht geht es erneut zum Gipfel, dieses Mal zur Ostterrasse. Draußen ist es kalt und windig. Zum Glück haben wir unsere Fleece- und Regenjacken dabei. Auf dem Feueraltar – einer großen Plattform gegenüber den Figuren – sitzen schon einige Dutzend „Sonnenhungrige“. Gemeinsam warten wir alle auf das erste Licht des Tages. Was sich dann abspielt ist wohl das faszinierende und bewegendste Erlebnis, dass wir erlebt haben.

Gegen 05:30 beginnt das Naturschauspiel hoch oben auf dem windumtosten Berg Nemrut. Langsam breitet sich das erste Licht der Sonne über die faszinierende Gebirgslandschaft aus. Immer plastischer zeichnen sich die umliegenden Berge ab, während die Täler noch im Dunkel der Nacht liegen. Schließlich fallen die ersten Sonnenstrahlen auch auf die über 2000 Jahre alten steinernen Skulpturen. Der Sitz der Götter taucht aus seinem „Schattenreich“ auf.

Das rot-braune Leuchten der ursprünglich 8 – 9 m hohen Kalkstein-Statuen wird immer intensiver, als die Sonne ganz am Himmel steht und ihre Kraft zu entfalten beginnt. Die Steinhäupter, die einst auf den dahinter sitzenden Figuren thronten, blicken in die umliegende Gebirgslandschaft. Ihr Antlitz gibt einem das Gefühl, dass sie noch immer Anspruch auf den Berg als Sitz der Götter erheben. Dieser Ort hat etwas Magisches.

„Eisheilige“ im Anatolischen Hochland

Malatya (1.080 m.ü.M.) / Türkei turkey
94
. Reisetag
2.592 km / 19.221 hm

Daglari GebirgeMühsam quälen wir uns den x-ten Pass des Tages hinauf. Unter den Reifen schmatzt der flüssig-klebrige Teer. Der Asphalt ist grob und bremst zusätzlich unser Vorankommen. Es ist unglaublich heiß. Kein Baum am Straßenrand, der für einen Moment Schatten spendet. Ziemlich erschöpft und mit trockenen Kehlen erreichen wir nach einer gefühlten Ewigkeit wieder eine Trinkwasserquelle. Für Ria ein schwacher Trost, hatte sie sich doch schon seit Stunden ein kühles Eis gewünscht. Da es weit und breit keine Tankstelle oder ein Dorf gibt, ein unerfüllbarer Wunsch…

Während wir unsere Wasserflaschen auffüllen kommt ein Pkw die Straße entlang, auf dem Dach dröhnen Lautsprecher. Wir denken: Vielleicht Wahlwerbung oder die Bekanntgabe örtlicher Nachrichten? Nicht weit von uns hält der Wagen an. Hakan, der Fahrer, winkt uns zu sich. Fröhlich gestikulierend und plaudernd versucht er uns etwas mitzuteilen. Während wir noch zu enträtseln versuchen, worum es geht, hantiert sein Beifahrer hinten am Wagen und …. Unglaublich aber wahr: Bringt uns zwei Maras Eis (türkisches Eis)! Wir sind baff! Diese beiden „Eisheiligen“ hat uns der Himmel geschickt. Ehe wir so recht begreifen, was gerade passiert ist, brausen Hakan und sein Beifahrer schon wieder davon, um Ihr Eis im nächsten Dorf anzupreisen. Und wir genießen mitten in der einsamen Hochebene Zentralanatoliens ein erfrischendes Eis.

Diese Geschichte ist nur eine von zahlreichen wunderbaren Begegnungen, Einladungen und Hilfsangeboten, die wir in den letzten Tagen erlebt haben. Unmöglich alle hier zu beschreiben. Halten wir an einer Tankstelle, werden wir zum Tee eingeladen. Kaufen wir ein paar Kleinigkeiten im Mini Markt werden uns draußen Stühle zum Erholen angeboten. Fragen wir nach einem Schlafplatz, können wir 5 min. später unser Zelt aufstellen und bekommen Wasser und Tee gereicht. Man schenkt uns Brot, Obst, Gemüse, Wasser ein Lächeln, drückt lange unsere Hand und verabschiedet uns mit Küssen auf die Wange. Es ist unglaublich mit welcher Herzlichkeit uns die Menschen hier begegnen. Die Einladungen zum Cay haben wir mittlerweile aufgehört zu zählen. Würden wir alle annehmen, kämen wir keine 20 km am Tag voran. Als wir in Gürün eine Lokal suchen spricht uns Koca an. Er hat 17 Jahre in Deutschland gearbeitet und gelebt. Koca gibt uns einen Tip, wo man gut essen kann und leistet uns beim Essen Gesellschaft. Als wir uns bei ihm für seine Hilfe bedanken sagt er, „Wenn ich jemanden etwas Gutes tun kann, dann geht es auch mir gut.“ Vielleicht ist das eine Erklärung für die wunderbare Gastfreundschaft der Türken.

Nach solchen Erlebnissen sind die Anstrengungen des Tages schnell vergessen. In den letzten 5 Tagen haben wir über 4.000 Höhenmeter bewältigt, zahlreiche Pässe erklommen, drei davon über 1.800 m und einen mit 1.900 m. Freude und Erschöpfung liegen nah beieinander. Ob angekommen genießen wir die fantastischen Ausblicke, den kühlenden Wind und das Gefühl es „gepackt“ zu haben. Die Abfahrten sind dann leider genauso steil wie die Anstiege. So können wir es auch bergab nicht rollen lassen. Stattdessen bremsen wir permanent. Die Felgen quietschen ohrenbetäubend, unsere Hände schmerzen. Dazu kommt oft ein unerwartet starker Gegen- oder Seitenwind.

Seit Kappadokien bewegen wir uns auf der D300, eine der beiden transanatolischen Fernstraßen, die sich über 1.800 km von Izmir an der Ägäisküste über Konya, Kayseri und Malatya zum Van-See im äußersten Südosten der Türkei zieht. Meist ist die D300 ein 3- oder 4-spuriger Highway, abschnittsweise jedoch auch staubtrockene Baustelle oder einspuriges Nadelöhr. Weite, karge Ebenen, die in der Sonne glühen, schneebedeckte Gipfel und grüne Bänder entlang mäandernder Flüsse prägen die Region. Die Menschen, die hier leben, ringen dem Boden in harter Arbeit das Wenige ab, was er hergibt. Je weiter wir nach Osten fahren, desto größer sind die Entfernungen zwischen den Ortschaften. Auch der Verkehr nimmt spürbar ab. Nur um die größeren Orte sind die Straßen wieder voll. Wenn uns Fahrzeuge begegnen, wird fast immer freundlich gehupt oder man winkt uns zu. Auch in den Orten werden wir stets willkommen geheißen. Kinder, Händler, Bauern, Erntehelfer; stets heißt es „Merhaba“ oder „Hello“ und fast immer bedeutet man uns mit einer Handbewegung doch auf einen Çay anzuhalten.

In Malatya, das wir heute erreicht haben, bleiben wir nun einen Tag. Die gleichnamige Provinz wird im Volksmund „Aprikosengarten der Türkei“ genannt. In der fruchtbaren Ebene, die die Stadt umgibt werden bis zu 300.000 t Aprikosen geerntet und als Dörrfrüchte in die ganze Welt exportiert. Wir bekommen die leckeren Früchte am Straßenrand frisch gepflückt immer wieder in die Hosentaschen gestopft und haben so stets etwas zum Naschen.

Zauberhaftes Kappadokien

Göreme (1100 m.ü.M.) / Türkei turkey
88
. Reisetag
2.171 km / 14.703 hm

Göreme - wie Tausend und eine NachtDie letzten Tage waren landschaftlich die bisher schönsten unserer Reise. Von Aksaray aus fuhren wir vorbei an erloschenen Vulkanen, nackten Felslandschaften und in Schluchten gepressten ländlich-verschlafenen Bilderbuchdörfern. Das einfache Leben hier ist noch ganz dem Rhythmus der Natur angepasst. Noch vor Sonnenaufgang ziehen die Bauern mit ihrem Vieh auf die Weiden, Familien bearbeiten mit Haken das trockene Ackerland. In den Mittagsstunden suchen alle ein schattiges Plätzchen. In den engen Gassen der Dörfer spielen alte Herren in den Lokantas stundenlang Tavla, dunkel gekleidete Bäuerinnen sitzen vor ihren Häusern und halten ein Schwätzchen.

In Ihlara lassen wir 1 Tag die Räder stehen und erkunden die Umgebung zu Fuß. Besonders die Wanderung durch die bis zu 150 m hohe Ihlara-Schlucht, vorbei an mittelalterlichen Höhlenkirchen, ist wunderschön. Bereits um 8 Uhr sind wir am Eingang und so früh am Morgen noch die einzigen Besucher. Begleitet vom Quaken der Frösche und Vogelgezwitscher laufen wir durch das Tal entlang des Melendiz-Flusses, der dafür sorgt, dass hier eine üppige Vegetation wächst. Die Schlucht mit ihren schroff aufsteigenden Felswänden war während der Christenverfolgung Rückzugsgebiet byzantinischer Mönche. Der Platz war sicher gut gewählt. Selbst wir konnten am Tag zuvor bei unserer Ankunft nicht erkennen, dass sich hier zwischen Getreidefeldern und Wildwiesen urplötzlich eine solch imposante 15 km lange Schlucht auftut. Die Kapellen und Kirchen links und rechts des Flusses sind mit Fresken im Inneren geschmückt, viele davon haben durch Vandalismus jedoch arg gelitten. Sehr viel ist über die Lebens- und Überlebensweise der Christen Kappadokiens leider nicht bekannt. Auch die Namen der Kirchen entstammen aus späteren Zeiten, als die hier ansässigen türkischen Bauern den Gotteshäusern simple Namen zur Unterscheidung gaben. So besichtigen wir u.a. die „Kirche unter dem Baum“, die „Hyazinthenkirche“ und die „Schlangenkirche“, in der 4 nackte Sünderinnen zu sehen sind, die von Schlangen umzingelt werden.

Die weitere Strecke nach Göreme hat es in sich. Steigungen von 10 % und mehr verlangen uns einiges ab. Ab 13 % geht es schließlich nur noch schiebend voran. Auf der Kuppe angekommen geht es ebenso steil wieder runter. Permanent haben wir die Hände an den Bremshebeln, die Felgen quietschen ohrenbetäubend. Doch die Mühen lohnen. Über malerische Hochebenen auf 1.600 m und vorbei an Relikten der einst reichen Kirchen- und Klosterkultur erreichen wir schließlich Göreme, das im Herzen der surrealen Tuffsteinlandschaft Kappadokiens liegt. Der Ort selber ist ein großes Touristendorf. Das Kirchental (UNESCO-Weltkulturerbe) lockt jährlich 2 Millionen Besucher und ist nur einen Steinwurf entfernt. Fast jeder Bewohner Göremes partizipiert in irgend einer Weise von den Besuchern aus aller Welt, ob als Teppichverkäufer, Restaurantbetreiber oder „Touri-Guide“. Wir sind abseits des Trubels in einer netten Pension oberhalb Göremes untergekommen und genießen am Abend den fabelhaften Blick über die Dächer Stadt und die Feenkamine.

Vor über 10 Millionen Jahren schleuderten die bis zu 4.000 m hohen Vulkane Tuffasche in die Umgebung und legten so den Grundstein für diese einzigartige Landschaft. Im Laufe der Zeiten wurde durch Witterungseinflüsse das verschiedenartige Tuffmaterial aufgespalten und durch Regen Stück für Stück ausgewaschen. In jahrtausendelangen Prozessen bildeten sich so die heute sichtbaren Feenkamine heraus.

Gestern besuchen wir schließlich das Open-Air-Museum von Göreme und streifen anschließend abseits der Touristenströme durch das Wunderland aus Tuff mit bizarren Gebilden. Die von den Gezeiten erschaffene Felsenarchitektur zieht uns in ihren Bann. Immer wieder „finden“ wir neue Formationen, bestaunen Burgfelsen, steigen in verlassene Höhlenräume und lassen unsere Fantasie spielen. Wie mag hier wohl das Leben der Menschen zwischen dem 8. und 13. Jahrhundert ausgesehen haben? Nach 5 Stunden haben wir uns satt gesehen und „fliehen“ vor der erbarmungslosen Mittagssonne in unser kühles Pensionszimmer.

Zum Abend laufen wir auf die Tuffsteinfelsen im Westen Göremes und genießen zum Abschluss dieses unvergesslichen Tages den fantastischen Ausblick auf die Stadt und den Sonnenuntergang über der märchenhaften Landschaft Kappadokiens.

Heiße Tage in Westanatolien

Aksaray (900 m.ü.M.) / Türkei turkey
83
. Reisetag
2.000 km / 12.741 hm

P1080603 Schweißperlen laufen über unsere Stirn, wir schwitzen aus allen Poren. Die Sonne scheint unaufhörlich, keine Wolke trübt den Himmel. In den letzten Tagen ist das Profil anspruchsvoller geworden und auch die Temperaturen sind noch einmal deutlich gestiegen. Wir sind in Westanatolien unterwegs. Gegen 09:00 Uhr sind es bereits 34 °C, um die Mittagszeit zeigt das Thermometer 41 °C in der Sonne an. Unser Wasserverbrauch ist auf 7 – 8 Liter pro Tag gestiegen.

Istanbul haben wir vor 8 Tagen verlassen. Mit der Fähre ging es nach Yalova ans Ostufer des Marmarameeres. Eine gute Stunde Zeit, um auf die Stadt am Bosporus zurückzublicken und uns auf die Fortsetzung unserer Reise zu freuen. Der Kontrast auf den ersten Radkilometern könnte kaum größer sein. Eben noch mitten im geschäftigen Leben der Metropole fahren wir nun durch eine landwirtschaftlich geprägte Region. Grüne, kultivierte Täler wechseln sich mit graubraunen Hochlandsteppen und türkisfarbenen Seen ab. Vielfach säumen Olivenhaine unseren Weg. In der fruchtbaren Region gedeihen außerdem Pfirsiche, Tabak, Wein und Zucchinis. Bereits in den frühen Morgenstunden fahren die Bauern mit ihren Traktoren zu den Feldern. In gebückter Haltung und mit Kopftüchern gegen die sengende Sonne geschützt, bearbeiten die Frauen die Äcker.

Am Ostufer des Iznik-Sees bewundern wir im gleichnamigen Ort die fast 5 km lange Wehrmauer, die einst von den Römern errichtet wurde. Berühmt ist Iznik jedoch für seine Fayencen. Die bunten Kacheln zieren zahlreiche osmanische Prachtbauten (z.B. die Blaue Moschee in Istanbul). Im Berlin-Hotel verbringen wir eine ruhige Nacht. Der Name hat uns gelockt. Außerdem spricht die Inhaberin Deutsch, da sie viele Jahre in Berlin-Charlottenburg gelebt hat. Als wir sie auf die Demonstrationen im Land ansprechen macht sie ihrer Wut Luft: Tayyip Erdogan und seine Bande sind Verbrecher, die davon gejagt gehören! Und mit Ihrer Meinung ist sie nicht allein. Jeden Abend ziehen die Einwohner Izniks mit Löffeln und Kochtöpfen „bewaffnet“ durch die Straßen und demonstrieren lautstark gegen die Politik der autoritären Regierung, die das Land durch immer neue Gesetze Stück für Stück islamisiert. Darüber hinaus betreibt die seit 2002 regierende AKP eine radikal neoliberale Wirtschaftspolitik und privatisiert ungebremst Staatseigentum. Junge Türken, mit denen wir offen über die Situation im Land sprechen können, beklagen den Ausverkauf des Landes und die fortwährende Gängelung durch die Regierung. Individuelle Freiheiten werden zunehmend beschnitten. Deshalb gehen sie Abend für Abend auf die Straßen, unerschrocken und unüberhörbar. Die Stimmung ist kämpferisch, alle wollen weitermachen, aber keiner glaubt, dass es schon bald eine Wende geben wird.

So spannungsgeladen derzeit die Auseinandersetzungen auf der Straße sind, das alltägliche Leben scheint seinen gewohnten Gang zu gehen – und das wesentlich entspannter als in Deutschland. Immer wieder mal werden wir „von der Straße weg“ spontan zum Tee oder sogar zum Essen eingeladen. Interessiert fragt man uns nach dem Woher und Wohin und wie uns die Türkei gefällt. Die Verabschiedung ist ebenso herzlich wie die Begrüßung. Mit traditionellen türkischen Küssen auf die Wange oder einem langen Händedruck wünscht man uns eine gute Reise. Obwohl die Verständigung sich mit älteren Türken meist nur auf wenige Worte oder Sätze beschränkt (da kaum jemand Englisch spricht), ist der Umgang mit uns Fremden unverkrampfter und zwangloser als in unserer stärker durchorganisierten Gesellschaft. Die Zuneigung und Gastfreundschaft der Türken machen uns immer wieder sprachlos und erzeugen einen Wärmestrom, der noch schöner ist, als das hochsommerliche Wetter. Stellvertretend für viele Erlebnisse wollen wir von 2 berichten:

So fragen wir z.B. am Iznik-See einen alten Bauern, ob wir eine Nacht auf seinem Feld zelten können. Mit einer einladenden Geste deutet er uns, ihm auf seinem Traktor zu folgen. Nicht weit vom See wohnt er in einfachsten Verhältnissen. Seine Frau ist vor 7 Jahren gestorben, die 3 Kinder sind längst ausgezogen. Nur 2 kleine Hunde leisten ihm noch Gesellschaft. Am Tisch vor seinem Haus trinken wir gemeinsam Çay. Anschließend zeigt er uns einen Zeltplatz direkt am See. Während wir unser Nachtlager aufbauen fährt er noch einmal ins Dorf und holt Ekmek (Brot). Anschließend bekommen wir sein Abendbrot – 2 frisch gefangene Fische in einer leckeren Panade knusprig braun gebraten. Der beste Fisch seit langem. Dazu gibt es Gemüse und Käse. Er selber begnügt sich mit einer Brotscheibe. Wir wollen den Fisch mit ihm teilen, vergebens. Wichtig ist, dass wir satt werden.

Einige Tage später lädt uns in Bözüyük Ender zu sich und seinen Eltern ein. Herzlich werden wir von allen empfangen. Das Wohnzimmer ist für heute unser „Reich“. Natürlich gibt es zunächst wieder reichlich Çay, dieses Mal mit Zitronenstücken – sehr lecker und erfrischend. Wir fühlen uns vom ersten Augenblick an wohl. Nach einer Dusche geht es mit Ender und seinem Freund Onur in ein Gartenlokal außerhalb der Stadt. An einem Fluss sitzen wir in einer parkähnlichen Anlage, essen lecker und verbringen einen ausgelassenen Abend. Bezahlen tut Ender – wir sind schließlich seine Gäste. Uns erstaunt diese uneingeschränkte Großzügigkeit auch nach 2 Wochen Türkei immer noch. Als wir weit nach Mitternacht wieder nach Hause kommen, sind für uns die Betten gemacht, auf dem Tisch stehen Kirschen und Aprikosen zum Naschen. Unsere dreckige Wäsche wurde auch gewaschen. Am nächsten Morgen frühstücken wir alle gemeinsam und schauen uns Bilder der Familien an. Bewegt von soviel Herzlichkeit fällt uns die Weiterfahrt nach Eskişehir schwer. Den Abschied versüßt uns Enders Mutter mit getrockneten Pflaumen und Aprikosen und leckeren Kirschen.

Um dem Knie nicht zuviel zuzumuten, nutzen wir wieder einmal Fern- und Schnellstraße. Die Fahrt auf den „Highways“ ist zwar landschaftlich nicht die schönste, aber die Steigungen sind moderater und auf der Standspur rollt es sich ganz gut.

In Eskişehir legen wir einen Ruhetag ein und kommen bei in einer entspannten 4er WG unter. Wie immer wohnen unsere Gastgeber im obersten Stockwerk – dieses Mal im 5. Aber die Schlepperei lohnt sich. Auch hier haben wir ein riesiges Zimmer ganz für uns. Die Jungs sind aufgeschlossen und bei einem gemeinsamen Efes und netten Gesprächen vergehen die abendlichen Stunden wieder mal viel zu schnell.

Eskişehir, die „alte Stadt“ ist in Wirklichkeit jung und stylisch. Die boomende Universitäts- und Industriestadt hat viele junge Gesichter, große Einkaufscenter und unzählige Läden. An der hübschen Uferpromenade des Porsuk-Flusses schauen wir dem Treiben eine Weile zu und lassen uns anschließend eine große Portion Çig Börek schmecken, knusprig frittierte Teigtaschen, die ein Spezialität Eskişehirs sind. Im Busbahnhof besorgen wir uns in „Nullkommanix“ für 6,50 €/Person ein Ticket nach Ankara. Der Transfer am nächsten Tag verläuft reibungslos. Wir bekommen (wie üblich in türkischen Bussen) Tee, Wasser, Saft und Kekse serviert. Ria darf neben dem Fahrer Platz nehmen und filmen. Die Fahrt führt vorbei an goldgelben Weizenfeldern und kargen Hochebenen, die man aufzuforsten versucht. Ankara selber sehen wir nur vom Bus aus, denn wir wollen noch weiter nach Aksaray. Die Hauptstadt der Türkei macht auf uns den Eindruck einer wild wuchernden Stadt ohne Ausstrahlung. Lange, sechsspurige Straßen führen ins Zentrum, sterile Neubauten prägen das Bild. Jährlich wächst die Stadt um 100.000 Zuwanderer, für die allerorten Wohnblöcke mit 20 und mehr Stockwerken hochgezogen werden.

Der Busbahnhof Ankaras ist riesig. Auf 3 Stockwerken verteilen sich Terminals, größer als die in Tegel. Wir kämpfen uns mit unseren Rädern durch die Menschenmassen auf der Suche nach dem richtigen Ticketschalter. Zwischen all’ den eilenden Reisenden und lautstark ihre Zielankünfte ausrufenden Busfahrern ein ganz anderes Bild: Auf dem Boden sitzen hunderte Männer, die Köpfe nach Mekka geneigt, versunken im Gebet.

Keine halbe Stunde nach unserer Ankunft in Ankara sitzen wir im nächsten Bus. Die Fahrt ins zentralanatolische Hochland führt überwiegend durch weite Eintönigkeit. Nahezu baumlose Steppe trocknet in der Sonne braungebrannt vor sich hin. Auf den goldgelben Feldern gedeiht anspruchsloser Weizen. Die Höhenzüge im Norden und Süden Inneranatoliens sorgen dafür, dass das Herzland der Türkei nur wenig Regen abbekommt. Trotzdem fasziniert uns die Landschaft durch ihre Weite – eine gigantische Ebene auf 800 – 1.200 m, die gelegentlich durch Gebirgsrücken unterbrochen wird. Das Highlight des Tages ist jedoch der Tuz Gölü, mit über 2.000 km² einst der zweitgrößte See der Türkei. In der Sonne schimmert der am Boden mit einer dicken Salzschicht bedeckte, nur 2 m tiefe See in verschiedenen Farbschattierungen. Doch das Farbenspiel täuscht über seinen erbärmlichen Zustand hinweg. Der Tuz Gölu steht durch extensiven Wasserraub für die Landwirtschaft kurz vor dem Exodus und hat heute nur noch ca. 15 % seiner einstigen Ausdehnung.

Am Ortseingang von Aksaray springen wir kurz entschlossen aus dem Bus, um die erste Campingplatz-Nacht auf der Reise zu verbringen. Leider eine „beschissene Idee“, was den Zustand der Sanitäranlagen und die Qualität des Platzes angeht. Zum Glück verbringen wir hier nur eine Nacht.

Morgen steigen wir dann wieder auf unsere Räder, um in die wundersame Welt Kappadokiens zu fahren.

Istanbuler Impressionen – 2. Teil

Eine unvergessliche Woche in Istanbul geht zu Ende. Vieles haben wir gesehen, aber längst nicht alles. Da ein Bild mehr sagt als tausend Worte, hier noch ein paar Eindrücke aus der Stadt zwischen Orient und Okzident.

Außerdem gibt es “bewegte Bilder” von unserer Einfahrt ins Zentrum Istanbuls. Die Stadt ist nicht wirklich “fahrradtauglich” oder gar “-freundlich”. Oberstes Gebot auf Istanbuls Straßen: Immer in Bewegung bleiben und ,In schā’a llāh’ (,So Gott will’) kommt man unversehrt an sein Ziel …

 

 

Einfahrt in die Millionenmetropole Istanbul

Vielen Dank für Eure Kommentare, über die wir uns immer freuen. Allen Mitlesern und Besuchern ein schönes Wochende und Saygilar!

Ria & Oliver

Türkiye’ye Hoşgeldiniz – Herzlich Willkommen in der Türkei!

Istanbul / Türkei turkey
74. Reisetag
1.745 km / 10.478 hm

Hagia SofiaMit diesen Worten und einem Stempel in unserem Pass ist unsere Einreise in die Türkei offiziell besiegelt. Herzlich Willkommen zu sein – dieses Gefühl haben wir vom ersten Tag an. Doch der Reihe nach:

Die letzten 100 km in Bulgarien sind ziemlich schweißtreibend. Auf einer schmalen, mit Schlaglöchern übersäten Straße geht es vom Schwarzen Meer auf 700 m Höhe durch das dicht bewaldete Strandza-Gebirge. Durch die Regenfälle der letzten Tage ist es schwül-warm. Ziemlich verschwitzt erreichen wir die Grenze. 3 Mal müssen wir unsere Pässe vorzeigen. Nachdem das obligatorische Grenzfoto geschossen ist, geht es auf feinstem türkischen Asphalt und breiter Straße durch Ostthrakien. Als wir am Abend unser Zelt auf einem Feld aufstellen, hören wir zum ersten Mal den Ruf des Muezzin (ezan), der alle Gläubigen zum gemeinsamen Gebet versammelt.

Thrakien, das einstige Kernland des Osmanischen Reiches ist heute türkische Peripherie. Die hügelige Landschaft ist geprägt von Getreidefeldern. Beständig geht es auf und ab. Auf einem der zahlreichen Anstiege überholt uns Paul aus Kanada, der auf Europa-Tour ist. Am Straßenrand plaudern wir über „Gott und die Welt“ und bemerken gar nicht, dass sich der Himmel bedrohlich verdunkelt. Als wir uns schließlich eine gute Weiterreise wünschen, ist das Unwetter nicht mehr fern. Kurz vor Kirklareli ist es soweit: sinnflutartiger Regen ergießt sich über uns, dazu Sturm, Hagel und Blitzeinschläge in unmittelbarer Nähe. Wir suchen unter dem Vordach eines Ladens Schutz. Prompt lädt uns der Besitzer zu sich ein und bringt Çay. Ein Fernfahrer kauft uns spontan Schokoriegel. Nachdem sich 2 Stunden später das Wetter beruhigt hat, lotst uns der Ladenbesitzer mit seinem Auto ins Zentrum von Kirklareli zu Burak, unserem Gastgeber. 2 Tage verbringen wir in der Stadt, genießen Buraks Gastfreundschaft, bekommen einen ersten Einblick in den türkischen Alltag und kosten uns durch einige Köstlichkeiten des Landes. Besonders gegrillte köfte (frikadellenähnliche Hackfleischbällchen), merçi-mek çorbasi (herzhafte Linsensuppe) und die Kalorienbomben baklava und türkischer Brownie haben es uns angetan.

Auf der E 80 geht es von Kirklareli weiter nach Istanbul. Der Transitverkehr rauscht vierspurig in die Metropole am Bosporus. Landschaftlich gibt es keine großen Highlights. Die Fahrt in die pulsierende Millionenmetropole zwischen Orient und Okzident ist aber auf andere Weise ein „Erlebnis der besonderen Art“. Scheinbar endlos erstrecken sich die Vororte. Gigantische Wohnkomplexe ragen links und rechts der Autobahn in den Himmel. Stoßstange an Stoßstange quält sich der Verkehr über den Asphalt. Rund 15 Millionen Menschen leben hier und wahrscheinlich gibt es fast ebenso viele Autos. Wer über den Verkehr in Berlin klagt, sollte einmal in Istanbul Auto fahren. Danach dürften einem Deutschlands Straßen wie eine Oase vorkommen. Zwischen all’ den Fahrzeugen schlängeln wir uns mit unseren Rädern, zunächst noch auf einem Seitenstreifen, schließlich mitten in der Blechlawine. Voll konzentriert, mit Herzklopfen und jeder Menge Adrenalin im Blut müssen wir mehrmals die Spur wechseln, um in den Stadtteil Sirkeci zu gelangen. Als wir gegen Abend schließlich unser Hotel in der Altstadt erreichen machen wir innerlich 3 Kreuze.

Istanbul ist eine faszinierende Stadt, anstrengend und anziehend zugleich. Das Leben findet bis spät in den Abend auf der Straße statt. Unzählige Geschäfte säumen die schmalen Gassen. Lautstark werden auf der Straße die Produkte angepriesen. Jeder macht irgendwie „Business“, sprichwörtlich vom Wasserträger bis zum Geschäftsmann im Seidensakko. Genauso kontrastreich wie das Leben ist die Architektur Istanbuls. Osmanische Prachtbauten prägen ebenso die Skyline wie moderne (hässliche) Glastempel. Die Mega-City am Bosporus ist ein Schmelztiegel, in dem Kommerz und Koran scheinbar problemlos nebeneinander existieren. Von Kopf bis Fuß verschleierte Frauen stehen neben Highheels tragenden Schönheiten. Istanbul hat viele Gesichter.

Unser Hotel liegt am Goldenen Horn (auf europäischer Seite) im Herzen der historischen Altstadt, nicht weit entfernt von der Galatabrücke. Über 2.000 Jahre Geschichte trifft hier auf jede Menge Tourismus. Um den Menschenmassen zu entgehen, besuchen wir kurz nach Sonnenaufgang die „Hot Spots“. Die gewaltigen Silhouetten von Hagia Sophia und Blauer Moschee erstrahlen im ersten Licht des Tages. Im Inneren der Blauen Moschee herrscht zu dieser Stunde fast noch andächtige Stille. Nur einige Gläubige beten bereits. Die Wände des Sakralbaus sind mit blau-grünen Fayencen verkleidet. Der Blick hinauf zur mächtigen Hauptkuppel mit ihren Kalligraphien und Arabesken ist faszinierend. Die Hagia Sophia („Heilige Weisheit“) ist nicht weniger beeindruckend nur leider viel voller. Erst Kirche, dann Moschee ist sie heute ein Museum, dass einen schon mit seiner schieren Größe überwältigt. Allein das Hauptschiff hat gewaltige Ausmaße: 80 m lang und 56 m hoch, die Kuppel mit einem Durchmesser von 33 m.

Anschließend streifen wir durch den Großen Basar (Kapalı Çarşı) – eine kleine Stadt für sich. Über 25.000 Menschen arbeiten hier in mehr als 3.600 Geschäften. In dem Labyrinth aus Gassen wird so ziemlich alles angeboten – von Edel bis Nippes: Teppiche, Keramik, Schmuck, Antikes aber auch imitierte Label-Marken und jede Menge Touristenkram. Dennoch vermittelt uns der Spaziergang durch die überdachten, farbenprächtigen Gassen einen Hauch von Orient.

Bei einer Fahrt auf dem Bosporus lassen wir das laute Treiben schließlich für ein paar Stunden hinter uns, genießen entspannt den Blick auf Istanbuls Sehenswürdigkeiten vom Wasser aus und fahren mit dem Dampfer bis zur Mündung am Schwarzen Meer.

Als wir am Montag im Stadtteil Taksim den gleichnamigen Platz besuchen ist die Stimmung friedlich, fast eine Mischung aus Protest und Party. Überall hängen Plakate mit Parolen und Wünschen. Auf einem ist zu lesen: “Die Bevölkerung der Türkei hat gesprochen, wir werden uns nicht unterdrücken lassen”. Der Gezi-Park gleicht einer riesigen Zeltstadt. Jung und Alt diskutieren in kleinen Gruppen, es wird gesungen, Essen an die Demonstranten verteilt. Die Spuren der heftigen Straßenkämpfe sind unübersehbar. Barrikaden versperren die Zufahrt zum Taksim-Platz, ausgebrannte Polizeiautos wirken wie Trophäen, bunt bemalt und mit Regenbogenfahnen geschmückt. Überlebensgroße Bilder der getöteten Protestierer schmücken den Taksim-Platz. Wir sind beeindruckt und berührt vom Mut der Menschen, die Schlagstock und Tränengas mit Kreativität und Entschlossenheit begegnen. Keine 24 Stunden später bestätigen sich die Gerüchte einer bevorstehenden Polizeioffensive. Man kann den Menschen nur wünschen, dass die autoritäre Regierung am Ende keinen Erfolg hat und nicht nur das umstrittene Bauprojekt gestoppt wird …

Gestrandet

Lozenec / Bulgarien
60. Reisetag
1.554 km / 7.703 hm

Gerne hätten wir an dieser Stelle aus Istanbul, der Stadt am Goldenen Horn, berichtet … aber das Knie hat die Belastungen nicht vertragen. Und so sind wir noch immer am Schwarzen Meer.

In dem 500-Seelenörtchen Lozenec im äußersten Südosten Bulgariens haben wir für 15 € pro Nacht ein günstiges Hotel gefunden. Im „Old House“ „residieren“ wir in der obersten Etage und sind an den meisten Tagen die einzigen Gäste. Wir genießen Sonne, Sand und Meer und vom Balkon aus den Blick auf’s Wasser und die morgendlichen Sonnenaufgänge. Auf den umliegenden Dächern ziehen Möwen und Stare gerade ihren Nachwuchs auf. Durch die Straßen streifen allerlei Katzen und jeder Morgen wird von 2 heiseren Hähnen im Gesangs-Wettstreit und einer Schar aufgeregter Hühner begrüßt. In diese fast ländliche Atmosphäre mischen sich die letzten Tage ganz andere Töne. Die Einwohner Lozenecs rüsten sich für die bevorstehende Sommersaison. Überall wird eifrig gestrichen, gebohrt, gehämmert, neu verputzt und aufgehübscht. Zahlreiche Bars, Lounges und Hotels prägen das Bild in den Straßen. Nicht von ungefähr wurde Lozenec der Beiname „Die Nachbarstadt von Sofija“ verliehen. Wie Pilze schießen Verkaufsstände mit allem Nötigen und Unnötigen für das Strandleben aus dem Boden. Bald wird es hier trubelig und sich die „Einwohnerzahl“ verdreifachen. Dann aalt sich am schönen Stadtstrand die Jeunesse dorée Bulgariens und schaut den Surfern zu, die in der Bucht wegen des beständigen Windes hervorragende Bedingungen vorfinden. Noch sind aber nur sehr wenige Touristen im Ort, so dass wir bei 36 °C in der Sonne den Strand für uns haben. Bei diesen hochsommerlichen Temperaturen ist ein Bad im kühlen Meer eine wahre Wohltat. So schön die unfreiwillige Auszeit vom Rad auch ist, in Gedanken sind wir schon in der Türkei und brennen darauf Neues zu sehen.

Um die Knie langsam wieder an die kommenden Belastungen zu gewöhnen, fahren wir mit den Rädern die Küstenstraße nach Norden und Süden ab und erkunden die Umgebung. Die Straße ist recht schmal aber in gutem Zustand. Leider sind einige Pkw-Fahrer alles andere als rücksichtsvoll und überholen an den unmöglichsten Stellen, so dass die Ausflüge nur bedingten Fahrspaß bringen. Zahlreiche Kreuze am Straßenrand bezeugen, dass viele ihr Können überschätzen.

Die Schwarzmeerküste im Südosten Bulgariens ist oft recht felsig, ständig geht es Auf und Ab. Zwischen den steilen Küstenabschnitten finden sich immer wieder wunderbare Sandbuchten. Das ist natürlich auch der Tourismusindustrie nicht entgangen. Und so ist an vielen Stellen ein Konvolut aus Campingplätzen, Bungalows, Hotelburgen und Ressorts in allen nur erdenklichen Stadien des Fertigstellungs- oder Erhaltungszustands zu „bewundern“. Nicht selten scheint den Bauherren das Geld ausgegangen zu sein. Vielfach „zieren“ halbfertige Betongerippe die Landschaft. Trotz des Baubooms gibt es aber noch einige ursprüngliche Küstenstreifen und menschenleere Buchten.

Im Gegensatz zur Küste ist ein Großteil des Hinterlandes Naturschutzgebiet und noch weitgehend unberührt. Wir machen einen Ausflug zum Reservat Ropotamo, das nach dem gleichnamigen Fluss benannt ist. Insgesamt umfasst das Schutzgebiet über 1000 ha. Zu kommunistischen Zeiten war Ropotamo das Jagdgebiet der politischen Klasse. Und auch heute noch geht man hier auf die Pirsch. Wir wollen lieber mit unseren Augen Erinnerungen „schießen“. Direkt an der Schnellstraße von Sozopol nach Carevo nehmen Ausflugsboote Touristen zu einer Tour auf dem Fluss mit. Da die Saison erst Anfang Juni beginnt sind wir die einzigen Bootsgäste und genießen die Fahrt durch einen Korridor smaragdgrüner, lianenumrankter Bäume. Vom Wasser aus können wir Schildkröten, Libellen und Rotwild beobachten und dem vielstimmigen Gesang der Vögel lauschen. Über 200 Arten nisten in der Marsch im Hinterland.

Außerdem fahren wir nach Athopol, dass 430 v. Chr. als Agatopolis – „Stadt des Glücks“ – von den Griechen gegründet wurde. Ein Besuch kann nicht schaden, denn Glück können wir auf dieser Reise gut gebrauchen. Am Hafen schauen wir den Fischern zu, wie sie ihre kleinen Boote flott machen. Athopol wirkt zu dieser Jahreszeit noch etwas verschlafener als die nördlicheren Küstenorte. Kein Wunder, der Ort ist der letzte größere vor der Grenze, die hier jedoch „dicht“ ist.

5 km südlich von Lozenec liegt Tsarevo – mit 5.000 Einwohnern schon vergleichsweise groß. Die Stadt liegt auf einem Hochufer. Vom Stadtpark oberhalb der felsigen Bucht hat man einen schönen Blick auf’s Meer. Rund um die Stadt sind 16 Buchten mit feinem Sand zu finden. Der Hafen ist ganz hübsch anzusehen und soll der größte südlich von Burgas sein. Das war’s dann aber an Attraktionen … bzw. noch nicht ganz: Tsarevo verfügt auch über einen kleinen Friseurladen. 12 Wochen nach dem letzten Besuch in Berlin kommt uns der sehr gelegen. Für insgesamt 10 € bekommen wir beide einen neuen Haarschnitt und passen gleichzeitig noch den ersten Regenschauer seit Wochen im Trockenen ab. Mit neuen Look und wie immer bei Sonnenschein feiern wir tags darauf Ria’s Geburtstag. Vielen Dank für die Glückwünsche. Zur Feier des Tages gehen wir bulgarisch Essen. Als typische Vorspeise gibt es Šopska-Salat aus Tomaten, Paprika, Gurken, Zwiebeln und Petersilie und obendrauf Sirene – geriebener Weißkäse aus Schafsmilch. Sehr lecker! Die Hauptgerichte der Bulgaren sind sehr fleischlastig. Wir entscheiden uns für Huhn in Sahnesauce und gegrilltes Schwein mit Speck und Zwiebeln und je eine große Portion selbstgemachte Pommes frites. Am Ende sind wir satt und zufrieden.

Um die vielen Kalorien wieder loszuwerden fahren wir gestern auf der nur notdürftig unterhaltenen Hauptstraße ins Landesinnere Richtung Malko Tărnovo. Gleich hinter Tsarevo geht es stetig bergauf. Das dichte Blattwerk im Strandża-Gebirge schützt uns gut vor der Mittagssonne. Die Dörfer sind hier noch weitgehend unentdeckt vom Tourismus. Im Dorf Bălgari machen wir an der Dorfkirche eine Pause. Der Ort ist eines der Zentren des Feuertanzes. Auf Tafeln wird über diesen Brauch informiert. Am 3. Juni, dem Tag der Heiligen Elena und Konstantin, werden bei Anbruch der Dunkelheit auf dem Dorfplatz Feuertänze auf glühenden Kohlen aufgeführt, ein althergebrachter heidnisch-christlicher Ritus. Bis dahin hoffen wir jedoch, dass unsere Füße vom eifrigen Tritt in die Pedalen glühen und wir samt Reisegepäck wieder auf unseren Rädern sitzen….

 

Meeresrauschen im Ohr

Sozopol/ Bulgarien
47. Reisetag
1323 km

Sommer, Sonne, blaues Meer! Als wir uns auf Rumäniens Straßen über so manch üble Schlaglochpiste quälten hatten wir vom Blick aufs Schwarze Meer geträumt.

Und nun liegen war am Strand und schauen entspannt auf die Wasserfläche. In Sozopol haben wir ein schönes Hotel in der malerischen Altstadt gefunden und uns für 2 Nächte einquartiert. Der Ort wurde bereits 610 v. Chr. als erste griechische Siedlung an der Westküste des Schwarzen Meeres gegründet. Davon ist heute allerdings nichts mehr zu sehen. Das Stadtbild wird vor allem durch Häuser aus der sogenannten Wiedergeburtszeit (Mitte 18. – Ende 19. Jh.) bestimmt. Die engen, steilen, kopfsteingepflasterten Gassen auf der felsigen Halbinsel führen vorbei an überwiegend aus Naturstein mit Holzaufbau errichteten zweistöckigen Häusern. Die Neustadt auf dem Festland ist dagegen eher der Standort zahlreicher Hotelburgen. Obwohl es locker 28°C im Schatten sind ist die Saison hier noch nicht eröffnet. Überall wird auf den letzten Drücker noch gebaut und gebohrt. Wir genießen den freien Tag am Meer und nehmen ein erfrischendes Bad. Während wir uns am fast menschenleeren Strand die Sonne auf den Bauch scheinen lassen, wandern die Gedanken schon voraus. Noch gut 450 km sind es bis nach Istanbul, der erste „Fixpunkt“ unserer Reise. Die Strecke bis dorthin hat es aber in sich, sowohl was die Steigungen angeht als auch den Verkehr. Wir werden gute Beine und Nerven brauchen bis wir die 13. Millionen-Metropole erreicht haben.

Besonders bei mir (Oliver) stellen sich derzeit wieder einige Fragezeichen. Auf der letzten Etappe von Rumänien nach Bulgarien haben sich wieder Knieschmerzen eingestellt. Dieses Mal ist das rechte Knie betroffen. Um eine erneute längere Zwangspause möglichst zu vermeiden, hatten wir kurzerhand die Verkehrsmittel auf dem Weg ans Schwarze Meer gewechselt. Von Silistra sind wir mit Zug und Bus bis nach Burgas bzw. Sozopol gefahren. Besonders die Bahnfahrt war ein Erlebnis. Die Zugverbindung Silistra – Burgas fährt nur einmal täglich – um 4:45 Uhr. Für uns hieß das, um 2:00 Uhr aufstehen. Die Fahrt dauerte insgesamt 10 Stunden. Im Zick-Zack-Kurs ging es, teilweise im Schritttempo – durch den Osten Bulgariens. Das Streckennetz des Landes ist recht veraltet, die Züge teilweise museumsreif. Dreimal mussten wir umsteigen. Als wir gegen 15:00 Uhr Burgas endlich erreichten, waren wir erleichtert, wieder auf unseren Rädern sitzen zu können.

Heute geht es bei strahlendem Sonnenschein an der Küstenstraße entlang, bevor wir bei Carevo „abbiegen“ und uns auf einer schmalen und nur notdürftig in Stand gehaltenen Straße rund 700 Höhenmeter zur bulgarisch-türkischen Grenze hochquälen werden.