„If you are going to San Francisco …“

San Francisco/ USA usa
573. Reisetag
19.000 km / 124.014 hm

IMGP4100Die letzten Etappen waren kräftezehrend. So schön, wild und ungezügelt der Küstenabschnitt in Nordkalifornien ist, so steigungsreich ist er auch. In 3 Tagen überwinden wir fast 3.500 Höhenmeter. Das mussten wir nicht mal in Südamerika absolvieren!

Dass die Region um San Francisco herum ein erdbebengefährdetes Gebiet ist bekommen wir erstmals in Half Moon Bay “zu spüren” (Nach dem Besuch der Stadt). Mitten in der Nacht entlädt sich die geologische Spannung in Form von kleinen Erdbeben. Der Boden unter unserem Zelt vibriert – zweimal für ca. 20 Sekunden innerhalb weniger Minuten. Es sind keine “Big Bangs” – wie die Amerikaner sagen – doch es ist schon ein irritierendes Gefühl, wenn die Erde, die sonst festen Halt bietet in Bewegung gerät.

Die letzte Nacht vor der Einfahrt nach San Francisco verbringen wir bei Doug in Sausalito. Der Ort ist hübsch und nobel. Ein Platz für Besserverdienende mit einer unglaublichen Yachthafenkonzentration. Doug ist begeisterter Radfahrer, ein feiner Mensch und ein fantastischer Gastgeber. Nach allen Regeln der Koch- und Backkunst verwöhnt er uns. Alles ist selber zubereitet: Lasagne, bunter Salat und Saucen Hollandaise, Coffe-Cakes und Apfelmus, Lemon- und Himbeer-Sorbet, Brownies mit Vanille-Eis und Schokosauce und nicht zu vergessen Black Bottom Pie (ein Traum von Eierschaum-Kuchen mit Schokoladenboden). Es ist wie im Schlaraffenland.

Am nächsten Morgen klettern wir ein letztes Mal einen 10%igen Anstieg hinauf, dann liegt sie uns „zu Füßen“: die Golden Gate Bridge. Am Viewpoint (Aussichtsbereich) legen wir einen ersten Stopp ein und genießen den Blick auf das Wahrzeichen der Stadt. Auf der Landzunge zwischen Pazifik und San Francisco Bay erhebt sich die Skyline mit den für amerikanische Städte typischen Hochhäusern. Zwischen all den Skyscrapers unübersehbar das 1972 errichtete pyramidenartige Transamerica Buildung (260 m), noch immer das höchste Gebäude der Stadt.
Dann fahren wir auf die Golden Gate Bridge. Die enge Einfahrt durch das „Goldene Tor“ in die Bucht von San Francisco ist ein bewegendes Erlebnis. Oft haben wir in den vergangenen Tagen diesem Moment entgegengefiebert. Und nun sind wir am Ziel. Wieder geht ein Kapitel unserer Reise damit zu Ende … und wir schlagen ein neues auf.
Sechsspurig fließt der endlose Verkehrsstrom über die sechsspurige Fahrbahn. Daneben der Fuß- und Radweg. Wir fahren ohne Hast. Die Zeit auf diesem filigranen Stahl-Koloss wollen wir in vollen Zügen genießen.
2.373 m ist die Brücke lang. Die Spannweite zwischen den 227 m hohen Pfeilern beträgt 1.280 m. Als wir am Spätnachmittag auf der anderen Seite ankommen taucht die Sonne die Golden Gate Bridge in gleißendes Rot und das umliegende Land erstrahlt in warmen Gelb- und Brauntönen.

San Francisco selber ist kein gutes Pflaster für Radler – zumindest für vollbepackte wie uns mit 35 kg Gepäck. Die hügelige Topographie und die Stadtplaner sind „schuld“. Zahlreiche schnurgerade Straßen mit steilem Gefälle verlaufen achterbahnähnlich auf und ab. Wir umgehen die schlimmsten Steigungen auf einem Stück des „49-Mile Scenic Drive“ und kommen bei Nick im Stadtteil Mission unter. Ein Hotelzimmer ist nicht bezahlbar. San Francisco ist das teuerste Hotelpflaster unter den großen Städten an der Westküste.
Mission dagegen ist das „alte Kreuzberg“ von San Francisco – etwas schmuddelig aber mit Charme und alternativem Leben. Viele skurrile Läden, Szene-Bars und mexikanische Minimärkte reihen sich aneinander. Auf den Bürgersteigen wird offen gedealt und konsumiert. Arme, Obdachlose und Kranke prägen genauso das Straßenbild wie die „bunten Vögel“. Uns schockiert der Anblick so vieler Menschen am sog. „Rand der Gesellschaft“. Obwohl wir aus vielen bereisten Ländern Armut „gewohnt sind“, schockiert uns das Schicksal dieser Menschen und die harte, reale Welt des amerikanischen Alltags fern des „American Dream“. Die „Traumfabrik“ Amerika hat nicht für jeden Happy Ends. „Hire and Fire“ ist gängige Praxis. Wer seinen Job verliert und nicht schnell einen neuen findet, für den ist der amerikanische Traum schnell ausgeträumt. Staatliche Unterstützung europäischer Prägung sind den USA fremd. So landen viele auf der Straße. Ihr aus eigener Kraft zu entkommen gelingt wohl nur im Einzelfall …

Zu Fuß erkunden wir die Stadt. Welch Kontrast am Union Square! Alles ist blitze-blank, fein und edel. Hier ist der Mittelpunkt der Geschäftswelt San Franciscos. Man trägt edlen Zwirn, High Heels und shoppt nach Herzenslust in den Edelboutiquen. Gleich daneben liegt Chinatown. Mehr auf Touris eingestellt als uns lieb ist, aber dennoch sehenswert. Die sagenhaften Angebotssammlungen in den Apotheken und die farbenprächtigen Auslagen faszinieren. Und die exotischen Wohlgerüche aus den Restaurants lassen uns von den heißgeliebten Garküchen in Südostasien träumen …
Unweit der gewaltigen doppelstöckigen San-Francisco-Oakland Bridge (8.300 m!) liegt die Heimstätte der San Francisco Giants. Das Baseball-Team spielt gerade gegen die Kansas City Royals in den World-Series – das Finale der us-amerikanischen Baseball-Profiligen. Tausende Fans pilgern zum Stadion, fantasievoll in den Vereinsfarben gekleidet. Tickets sind heißbegehrt (bis zu 1.000 $) und die Spiele ein echter Straßenfeger. Vor den vollbesetzten Bars der Stadt stehen die Leute auf der Straße und schauen durch die Fensterscheiben gebannt auf die Bildschirme. Wenige Tage später gewinnen die Giants die World-Series und ganz San Francisco trägt schwarz-orange. Wir werfen an diesem Abend nur kurz einen Blick auf dieses amerikanischste Spiel in der Welt des US-Sports und laufen weiter.
Kurz bevor uns unsere Füße den „Dienst versagen“ klettern wir noch zur Hyde Street hinauf. Hier leben die Besserverdienenden. Das Wohnviertel ist gediegen, voller viktorianischer Holzhäuser und Edelappartments. Der Blick auf den Hafen und die Bucht mit „Alcatraz Island“ (ehemaliges Hochsicherheitsgefängnis) ist noch einmal ein Highlight.
Während wir den Ausblick genießen kommt gerade eines der berühmten Cable Cars mit einer Traube Touristen hinaufgefahren. Zwischen all’ den Hochglanzkarossen wirkt die Kabelbahn mit ihrer Großmechanik aus der industriellen Frühzeit wie aus der Zeit gefallen.

Am nächsten Tag fahren wir vollbepackt zum Ferry Building an der Hafenpromenade. Während uns die Fähre schnell und komfortabel wieder nach Sausalito bringt, genießen wir den Blick auf die Skyline. In 14 Tagen werden wir die Stadt ein 2. Mal auf unserem Weg nach L.A. passieren.

Doch zuvor wollen wir den Südwesten Amerikas mit dem Auto erkunden und Doug’s fantastische Kochkünste ein weiteres Mal genießen.

Im Reich der Riesen

Redwood Parks in Kalifornien/ USA usa

Zeltplatz im Humboldt Redwood NationalparkStaunend stehen wir vor „Stout Grove“, dem größten Redwood im Jedediah Redwoods State Park. Um seine Krone sehen zu können müssen wir unsere Köpfe weit in den Nacken legen. Bis zu 100 m hoch werden die größten Exemplare. Die ältesten sind 2.000 Jahre alt. Und wie aus einer anderen Zeit scheinen diese faszinierenden Giganten auch zu stammen. Ihre übergroßen, braun-rot schimmernden Rindenplatten sind tief zerfurcht. Unsere Finger verschwinden darin zur Hälfte. Um sie umfassen zu können, bräuchte es wohl eine Kette von 4 oder 5 Menschen. Wenn sie sprechen könnten, was hätten sie alles zu erzählen, was haben sie alles erlebt …

Unter dem Dach der Baumkronen ist an diesem heißen Oktobertag erstaunlich kühl und wunderbar still. Außer dem Gesang von Vögeln ist nichts zu hören. Der nadelweiche Waldboden dämpft unsere Schritte. Im Licht- und Schattenspiel des Waldes entdecken wir Fabelwesen und wundersame Skulpturen aus Holz. Dunkelgrünes Moos und leuchtende Farne bedeckten entwurzelte Riesen. Alles ist hier noch dem Lauf der Zeit überlassen. Trotz ihrer beeindruckenden Größe wirken die Redwoods filigran, verletzlich. Die Bäume zu berühren, sich an ihre würzig duftende Rinde zu lehnen ist ein berührendes Erlebnis.

Die Fahrt durch das „Reich der Riesen“ ist einer der Höhepunkte unserer Radreise an Nordamerikas Westküste. Ein unvergessliches Erlebnis.

In den kommenden Tagen radeln wir durch mehrere Redwood-Haine und können uns an diesen Giganten nicht satt sehen. Es sind die letzten größeren Bestände Nordamerikas! Auf der „Avenue of the Giants“ säumen Küstenmammutbäume in wechselnder Dichte die Straße. Jede Radumdrehung im Urwald-Korridor ist ein Vergnügen. Mittendrin kreuzt eine Herde Rotwild die Straße. Wir fahren mitten hindurch, keine 5 m Distanz zu den Tieren. Herzklopfen als der Hirsch die Nüstern bläst. Doch das Wild scheut nicht.

Am Eeel River stellen wir unser Zelt an einem riesigen Baumstumpf auf. Dann heißt es Abschied nehmen von der Welt der Redwoods. Es geht wieder an die Küste – zurück zu Sonne, Wind und zahllosen Anstiegen. Bis San Francisco wartet noch viel Muskelarbeit und manche 100′er-Etappe mit 1.000 Höhenmetern und mehr auf uns.  

 

„Up and down“ auf der „One-o-one“ – Entlang Amerikas Westküstenstraße

Crescent City/  USA usa
560. Reisetag
18.295  km / 115.752 hm

 

Twin Rocks bei Rockaway Beach Unter unseren Reifen schnalzt die nasse Fahrbahn. Der Dreck des Randstreifens „ziert“ Rahmen und Taschen. Mit jedem Truck und Off-Road Ungetüm, das uns ohrenbetäubend laut überholt, kommt eine neue Öl-Sand-Wasser Schicht dazu. Vom Blätterdach klatschen dicke Regentropfen auf unsere Helme. Seit Tagen schon fahren wir in voller Regenmontur. Dass die Küstenroute zu dieser Jahreszeit nicht unproblematisch ist, wussten wir. Abrupte Wetterwechsel sind keine Seltenheit. Und so manch verheißungsvoller Herbsttag endet in den ersten beiden Wochen in strömendem Regen.

Doch gevierteltes Leid ist viertel Leid :-) Mit Sabrina & Robert, mit denen wir seit Mitte September gemeinsamen Richtung Süden radeln, trotzen wir Wind und Wetter(kapriolen).

„Keep dry!“ rufen uns die Autofahrer zu. Humor haben sie, die Amis. Und immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Unser Zelt packen wir in dieser Zeit morgens meist klitschenass ein. Die Schlafsäcke riechen nach nasser Katze.

Vielleicht ist das der Grund warum uns Kater Jack auf’s Zelt springt. Unser Staika gleicht danach mehr einem Schweizer Käse denn einer Trutzburg gegen Wind und Wetter… Vom Besitzer bekommen wir 20 $. Ein schwacher Trost für das Katzen-Piercing. Mit SilNet machen wir die Außenhaut unserer Wohnung wieder regendicht.

Dass es im äußersten Nordwesten der USA häufig nass ist, sieht man der Natur an. Mächtige Sitka-Fichten sind von Moosen überwuchert. Riesige Farne bedeckten den Waldboden. Die dichten Feuchtwälder Washingtons und Oregons sind eine eigene Welt, in denen man sich in J.R.R. Tolkiens mythologische Erzählungen versetzt fühlt.

In Port Townsend, einem hübschen Küstenstädtchen mit Klinkerbauten, lesen uns Sheila und Stuart auf der Straße auf. Der örtliche Campground hat nur Plätze für Motorhomes, nicht für Zelter … 2 Nächte können wir bei ihnen bleiben. Sie sorgen sich reizend um uns. Bei Sonnenschein und frisch gebrühtem Kaffee sitzen wir in ihrem Garten und genießen den Blick auf das Admiralty Inlet. Abends gibt es Dinner und Eis satt. „Radlerherz was willste mehr!“

In den Tagen danach hat uns zunächst der Regen wieder. Mal „dissel“ mal „heavy rain“. Nun folgen wir weitgehend der 101. Die Westküstenstraße ist die pazifische Nord-Süd-Achse und wird uns nach Los Angeles bringen. Bis Raymond hat die „One-o-one“ noch nicht viel zu bieten. Überwiegend verläuft sie abseits des Pazifiks. Doch südlich davon zeigt sie sich ab der Willapa Bay von ihrer schönen Seite. Bei Seaview erreichen wir wieder das offene Meer und rollen direkt auf den Strand. Gedankenversunken schauen wir auf den Pazifik und genießen die frisch-feuchte Seeluft. Unablässig stranden beeindruckende Wellen in einer Schaumkrone am Long Beach. Möwen und Kormorane setzen zum Tiefflug über die Wasseroberfläche auf der Suche nach Fischen an. Surfer hinterlassen weiße „Spuren“ beim Ritt auf den Wellenkämmen.

Nun ist auch das Wetter meistens beach-tauglich. In Cape Lookout wagen wir den „Sprung“ in den Pazifik. Danach sind die Lippen tiefblau. Aber die Haut prickelt herrlich. Immer wieder passieren wir traumhafte Strände und zahlreiche Badebuchten mit vorgelagerten Felsinseln. Pittoreske Leuchttürme thronen auf den Kaps.

Das Profil verlangt uns täglich einiges ab. Hügel und Berge sind zwar nicht beeindruckend hoch, dafür aber die Rampen mit 8 – 14 %. Und es geht stets Auf und Ab. Manchmal so schnell, dass wir von „60 Sachen“ bergab auf 5 km/h bergauf in 10 Sekunden ausgebremst werden. Am Ende des Tages stehen dann zwischen 600 und 1.100 Höhenmetern auf dem Tachometer und beim Dehnen wissen wir, was wir getan haben.

Doch die Plackerei wird mit traumhaften Panoramen belohnt. Raue Steilküste wechselt sich mit dichtem Regenwald und langgezogenen Dünenlandschaften munter ab. Schroffe, stark verwitterte Felsen ragen aus der schäumenden See.

Einen Steinwurf von uns entfernt ziehen Grauwale Richtung Norden. Das Schauspiel dieser Giganten der Meere ist etwas ganz Besonderes. Andächtig schauen wir ihrem Spiel zu bis sie sich mit einer Fontäne verabschieden.

Nie zuvor haben wir innerhalb so kurzer Zeit so viele Wildtiere gesehen. Fischotter tummeln sich in Flüssen, Rotwild kreuzt die Straßen, aufdringliche Waschbären versuchen uns allabendlich unsere Vorräte zu klauen, hysterische Eichhörnchen rasen die Bäume rauf und runter und in Newport’s Hafen geben Seelöwen ein vielstimmiges Konzert.

Wir fahren durch manch attraktives Seebad und hübsche Ferienorte mit eleganten Inns, Boutiquen und Kunstgalerien. Gepflegte Rhododendren- und Rosengärten zieren hier die weißgetünchten Holzhäuser im viktorianischen Stil. Für uns sind diese „Sylts“ der USA aber nur „Durchfahrstation“. Das Preisniveau ist enorm. In Cannon Beach will der örtliche RV Campingplatz satte 38 $ pro Zelt! Unverschämt! So fahren wir weiter … in die Nacht und stellen irgendwann unser Zelt nahe der 101 auf. Der State Park ist leider geschlossen. Ansonsten sind die staatlichen Campingplätze aber eine gute Möglichkeit zum Übernachten. Für 10-16 $/Nacht können wir unser Zelt in der Natur aufbauen und am Lagerfeuer den kühlen Abendtemperaturen trotzen.

Das Lichtspiel über dem kalten und bewegten Ozean am Ende des Tages ist immer wieder ein magischer Moment bis das „Goldene Auge“ im Meer versinkt und sich die Nacht über die Küste legt.

 

 

Vancouver

Vancouver/ Kanada canada
539. Reisetag
17.184 km / 106.652 hm

Science World mit dem kreisrunden Geodesic Dome am False Creek Von Bellingham in den USA radeln wir noch einmal ein Stück nach Norden. Es geht erneut nach Kanada. Auf dem „Programm“ steht Vancouver. Mehrere Reiseradler hatten von der Stadt geschwärmt und so wollen wir uns Metropole an der Westküste Kanadas nicht entgehen lassen.

 Und in der Tat: Vancouver ist die bisher attraktivste Großstadt, die wir unter „die Räder genommen“ haben. Die Lage am Ufer des Burrard Inlet ist einmalig. Einige Reiseführer bezeichnen die Skyline sogar als die schönste Nordamerikas. Übertreibung oder nicht, in jedem Fall bildet die „City of Vancouver“ zwischen Coast Mountains, Fraser River und dem Meer eine prächtige Szenerie. Doch die Schönheit hat auch ihren Preis. Einfache Hotel-DZ fangen bei 80 CAD an … für uns nicht finanzierbar. Um so schöner, dass uns Samantha von warmshowers 4 Tage bei sich aufnimmt. Ihr Appartment ist klein, doch klein sind wir ja gewöhnt. Gewöhnlich wohnen wir auf 2,20 x 1,40 m. Da ist das halbe Wohnzimmer schon Luxus.

Die Stadt ist jung, keine 170 Jahre alt. Und in dieser Zeit hat sich Vancouver rasant entwickelt. Dabei war der Anfang wenig erfolgreich. Die erste Siedlung am heutigen Platz gründeten erfolglose Goldsucher während des „Fraser Goldrush“ im Jahr 1858. Doch als Ende des 19. Jahrhunderts die Zugstrecke von der Ost- an die Westküste fertiggestellt wurde, waren die Weichen für den wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt im wahrsten Sinne des Wortes gestellt.

Heute leben im Großraum Vancouver fast 2,5 Millionen Menschen, mehr als 1/3 davon sind Asiaten. Doch großstädtische Hektik spüren wir nicht. Die Leute sind relaxt, freundlich und äußerst hilfsbereit. Wann immer wir zur Orientierung auf unsere Karte schauen werden wir sofort angesprochen, ob man uns helfen könne.

Bei fantastischen, hochsommerlichen 28°C erradeln wir uns 3 Tage lang die Stadt und ihre Umgebung. Auch das ein Novum auf unserer Reise. Während wir in anderen Großstädten in Stau und Abgasen „erstickten“ oder genervt vom Wirrwarr der Straßen und Gassen lieber zu Fuß gingen, können wir uns die City ganz entspannt vom Rad ansehen. Auf perfekt ausgebauten und ausgeschilderten Radwegen geht es durch Grünanlagen und tolle Parks Richtung Downtown. Die Autofahrer sind dermaßen rücksichtsvoll mit uns Zweirädern, dass wir aus dem Staunen nicht mehr rauskommen. So was kannten wir in Südamerika und auch in Alaska nicht.

Gastown, der ursprüngliche Ortskern gefällt nach seiner Restaurierung mit den nostalgischen Fassaden und die „World of Sciene“ mit dem futuristischem Geodesic Dome. Im lebhaften Chinatown fühlen wir uns schließlich ein Stück nach Asien zurückversetzt. Rote Farbenpracht dominiert die Straßen, durch die Wohlgerüche aus Garküchen zieht. Die Auslagen der Lebensmittelläden sind ein Fest für die Augen und in den verwinkelten chinesischen Läden lässt es sich stöbern.

Doch der Höhepunkt – im wahrsten Sinne des Wortes – ist die „City of Glass“. Während man in den Straßenschluchten bei entsprechendem Kleingeld in Einkaufsparadiesen ohne Ende shoppen kann, verändern die 65 türkisfarbenen, gläsernen Hochhäuser mit wechselndem Tageslicht kostenlos ihre Farbe. Kurz vor Sonnenuntergang funkeln die Wolkenkratzer diamanten. Edler Schmuck muss nicht immer teuer sein ;-)

Die Rundtour um den Stanley Park ist ein weiteres Highlight. Die von dichter Regenwaldvegetation bedeckte Landzunge zwischen English Bay und Burrard Inlet ist Naherholungsgebiet und „grüne Lunge“ Vancouvers und war einst von Haida-Indianern besiedelt. Von der Seawall Promenade aus genießen wir radelnd die wunderbaren Ausblicke auf Coal Harbour, City, Coast Mountains über die English Bay. Das Dach des segelähnlich konstruierten Canada Place strahlt glänzend weiß in der Mittagssonne. Am „Third Beach“, einem der schönen Stadtstrände Vancouvers ruhen wir aus und tun es den Kormoranen auf den Uferfelsen gleich – wir halten unsere Nasen in die Sonne, schließen die Augen und genießen die Wärme und das sanfte Rauschen der Brandung.

Vancouver tut gut. Die Atmosphäre, das entspannte aber spannende Leben hat es uns angetan. Hier könnten wir auch sesshaft werden und wären gerne noch länger geblieben. Doch nach 3 Tagen wollen wir weiter. Wir sind mit Sabrina und Robert verabredet. Die beiden hatten wir auf der Columbia kennengelernt und da wir den gleichen Weg Richtung Süden einschlagen, wollen wir ein Stück gemeinsam durch die Staaten reisen. Wir freuen uns auf das Wiedersehen und wollen Roberts Geburtstag gebührend feiern.

Wer „A“ sagt muss auch „B“ sagen

Skagway/ Alaska, USA usa
526. Reisetag
16.770 km / 103.892 hm

Matanuska Gletscher „You are in Bear Country!“ Diesen Satz hören wir immer wieder, wenn wir mit Einheimischen ins Gespräch kommen und vom Zelten erzählen. Aber dazu später mehr ….

Wir stehen auf den Eureka Summit, dem mit 1.013 m höchsten Punkt des Glenn Highway und genießen den großartigen Ausblick über die Unendlichkeit des menschenleeren Landes.
Im Süden schimmert in den schneebedeckten Chugach-Mountains kaltblau der Nelchina Glacier, im Norden erhebt sich das Talkeetna Massiv. Für ein paar Stunden kommt an diesem Tag einmal die Sonne zum Vorschein und taucht die Laubwälder in ein außergewöhnliches Farbenspiel. Die intensiven Rottöne der Ahornbäume und das strahlende Gelb der Eichen, Birken und Espen leuchten wie überdimensionale Farbklekse zwischen dem dunklen Nadelwald Alaskas.

In diesem Moment sind all’ die anstrengenden Stunden und verregneten Tage zuvor, die nasse Kälte und schmerzenden Körper, das ewige Auf und Ab der Topografie, der ständige Gegenwind, vergessen. Jetzt zählt nur der Augenblick. Die unberührte Natur, die Einsamkeit, die schneebedeckten Gebirge aus denen mächtige Gletscher gespeist werden, haben die weite Reise hierher gelohnt. Die Nacht zuvor haben wir am gewaltigen Matanuska Glacier übernachtet und zum ersten Mal seit langem unser Zelt am Morgen wieder trocken einpacken können.
Seit den 50er Jahren hat es nicht mehr so viel geregnet wie in diesem Sommer und Herbst, erzählen uns ältere Alaskans. Toll! Und der Kälteeinbruch kommt auch 3 Wochen früher als normal. Supertoll! Fluchend und fröstelnd fahren wir oft stundenlang durch Strippen-, Sprüh-, Stark-, Tröpfel- oder Pladder-Regen und wenn uns die riesigen Motorhomes oder ps-starken Trucks passieren gibt’s noch ne ordentliche Gischt ins Gesicht.

Um so schöner, wenn wir dann von der Straße weg zu Coffee und Cakes eingeladen werden und in warmen Stuben Füße und Seele wieder auftauen. Die Alaskans sind rau wie die Natur aber ebenso herzlich und hilfsbereit. Das Leben hier ist nicht einfach und die Hilfsbereitschaft groß. In einer alten, aus mächtigen Holzstämmen errichteten, Lodge von 1929 (eine der wenige erhaltenen Rastanlagen aus den „alten“ Zeiten) verwöhnt uns …. mit heißem Kaffee und selbstgemachtem – unglaublich leckerem – Zimtkuchen.
Seine Tochter lebt seit 1 Jahr hier und hat letzten Sommer das Haus gekauft. Wie so viele Alaskans kommt sie aus den „Lower 48“ und versucht hier ihr Glück.

So wie einst die Goldsucher Ende des 19. Jh., deren Relikte wir auf dem Klondike Highway sehen.
Der begann 1897 nachdem die ersten erfolgreichen Goldsucher mit ihrem frisch geschürftem Vermögen in Seattle und San Francisco Furore machten. Über 100.000 Menschen machten sich in den kommenden Jahren in der Hoffnung auf schnellen Reichtum auf den Weg nach Norden. Am Chilkoot Pass kontrollierten kanadische Grenzer, ob jeder den geforderten Einjahres-Vorrat mitbrachte. Die legendäre Ton of Goods bestand aus 700 kg Lebensmitteln und Ausrüstung. Jeder musste sein Zeug selbst über den steilen Pfad mitnehmen. Packtiere kamen wegen der steilen Pfade nicht in Frage …

Für uns sind schon die 40-45 kg Gepäck genug Plackerei. Nie zuvor hatten wir so viele Lebensmittel dabei. Die menschenleeren Gegenden und die gepfefferten Preise in den kleinen Food-Stores machen Hamstereinkäufe notwendig. Außerdem gibt es Großpackungen im Kilogramm-Bereich oft zu günstigeren Preisen als die kleineren. Verrückt! Und fast hätten wir einen Teil unseres kostbaren Gutes verloren …

Zwei Tage bevor wir Skagway erreichen campen wir am Windy Arm in einer kleinen Bucht. Der Platz mit Feuerstelle ist ca. 1 km unterhalb des Highway an einem malerischen See. Während es wieder mal regnet wärmen wir uns am Lagerfeuer auf und lassen den Tag Revue passieren. Schließlich lässt uns der leichte Nieselregen auf dem Zeltdach in den Schlaf hinübergleiten.
Kurz nach 1 Uhr weckt mich ein dumpfes Geräusch. Es regnet stärker, so dass wir angestrengt in die Nacht lauschen. Auf meiner Seite kann ich nichts Ungewöhnliches sehen. Ria leuchtet auf ihrer Seite mit der Stirnlampe in die Dunkelheit … Mit entsezter Stimme raunt sie mir zu „Ein Bär!“
Scheiße!

Keine 30 m von unserem Zelt hat sich ein Bär unsere Vorderradtasche gekrallt. Das Tier ist noch nicht voll ausgewachsen aber mit ca. 100 cm in der Schulterhöhe schon recht stattlich. Die weit auseinander stehenden Augen glänzen weiß im Strahl der Kopfleuchte. Einen Augenblick langt stockt uns der Atem.Dann haben wir uns gefangen. In Windeseile habe ich das Bärenspray in der Hand und wir beide unsere Trillerpfeifen im Mund. Beim ersten „Anpfiff“ macht der Bär keine Anstalten zur Flucht. Erst beim zweiten Mal sucht er das Weite. Mit rasendem Herzen hören wir angestrengt in die Finsternis. Ist er noch da? Kommt er womöglich zurück? Oder ist vielleicht noch ein anderer Bär in der Nähe? Doch außer dem Regen ist nichts zu hören.

Schließlich wagen wir uns lärmend und mit Bärenspray bewaffnet aus dem Zelt. Angestrengt leuchten wir im Regen die Umgebung ab. Doch kein Bär zu sehen. Meine rechte Vorderradtasche ist an der Stirnseite wie mit dem Messer feinsäuberlich aufgeschlitzt. Durch die Nalgenedose hat sich einer der Zähne gebohrt. Ansonsten ist alles unversehrt. Wir haben ihn wohl schnell gestört. Den Rest der Nacht schlafen wir nicht mehr gut und bis es so weit ist vergeht gefühlt eine Ewigkeit ….

Wer “A” wie Alaska sagt, muss wohl auch “B” wie Bär sagen.

Wer sachdienliche Hinweise zu unserem „Problembär“ hat möge sich bitte an die nächstgelegene kanadische Polizeidienststelle oder hilfsweise an uns wenden.
Hier noch mal die Kurzbeschreibung des Täters: Schultergröße ca. 100 cm, kleine Augen, abstehende Ohren und hervorstehende Schnauze. Der Dieb trug dunkelbraunes Fell und war mit 42 Zähnen sowie Krallen bewaffnet.
Zur Belohnung im Falle einer Ergreifung sind 500 g Honig ausgesetzt :-)

Am nächsten Tag haben wir dann unsere 2. Begegnung mit „Meister Petz“ und die ist wesentlich ungefährlicher. Unterwegs auf dem Klondike Highway sehen wir 200 m oberhalb von uns einen ausgewachsenen Black Bear. Das Tier durchstreift auf der Suche nach Beeren die baumlosen Hänge. Tiere im Zoo oder ihrem angestammten Lebensraum zu sehen ist etwas ganz anderes. Fasziniert schauen wir dem Schwarzbären beim Pflücken der Beeren zu. Kurz darauf entdecken wir auch noch eine Schneeziege. Das über 100 kg schwere Männchen mit kräftigem Körper und muskulösen Beinen wärmt sich auf einem Felsvorsprung in den ersten Sonnenstrahlen des Tages auf. Sein weißer Kinnbart weht im Wind. Was für ein Anblick.

Wir stehen ein Stück weiter unten auf dem Rastplatz und genießen den Blick in das tief eingeschnittene Tal kurz hinter dem White Pass (873 m). Der letzte Tag in Alaska bzw. Yukon und British Columbia ist noch einmal ein echtes Glanzlicht in all dem Regen. Vorbei an glasklaren Bächen und Seen geht es auf einer der schönsten Strecken im kanadischen Norden. In Glanz der Sonne leuchtet das Wasser türkisfarben. Die Anfahrt auf Skagway ist dann nur noch Vergnügen pur. Schneller als der Wind sausen wir auf kurvenreicher Strecke durch hochaufragende Berge zum Taiya Inlet und in die Stadt, die während des kurzen Goldrausches einst 20.000 Menschen beherbergte. Heute sind es lediglich noch 700. Doch fast ebensoviele Touristen wie einst Goldsucher lassen das hübsche Örtchen aus allen Nähten platzen.

Im Hafen liegen gigantische Kreuzfahrtschiffe, die die teilweise 100 Jahre alten Häuser um ein Vielfaches überragen. Gegen 20 Uhr heißt es für uns „Leinen los“. Mit der Columbia fahren wir 4 Tage durch die Inside Passage und der Kaltwetter-Front davon. Auch wenn der Service und Komfort nicht überragend sind verleben wir eine einmalig schöne Zeit. Die Fahrt entlang der unberührten Küsten Alaskas und Kanadas wird uns unvergesslich in Erinnerung bleiben. Bei ruhiger See und fantastischem Sommerwetter gleitet die Fähre vorbei an dem unzugänglichen Gebirgsmassiv der Coast Mountains und unzähligen Inseln. Delfine spielen in den Wellen der Columbia. Wale schießen scheinbar in Zeitlupe aus dem Wasser um ebenso majestätisch wieder in den Pazifik einzutauchen.

Die Nächte verbringen wir an Deck (man darf an Bord zelten) und einen Teil davon mit Sabrina & Robert und Gunda & Mattes. Die 4 sind Radkollegen und haben ihre 1mjährigen Touren in Anchorage gestartet. Auf der “Columbia” führen unsere Wege und der einsetzende Winter uns nun zusammen. Wir sind uns auf Anhieb sympathisch und haben als kleine „German Reise-Group“ viel Spaß und fantastische – gemeinsam erkochte – 3-Gänge-Outodoormenüs.

Am 12.09. sind wir wieder an Land und im „Sixpack“ geht es über die amerikanisch-kanadische Grenze Richtung Vancouver. Doch das ist eine andere Geschichte ….

Am grünen Rand der Welt

Anchorage / Alaska/ USA usa
512. Reisetag
16.155 km / 99.412 hm

IMGP2177 „Hey there! What’s up man?“ – „Hallo! Wie geht’s man?“

Völlig unvermittelt spricht mich Bob im Supermarkt an.

„I’m fine, thanks.“ – „Danke, gut.“ antworte ich erstaunt.

Dann plaudern wir locker über Alaska, seine Zeit bei der US Air Force, und unsere Weltreise.

„Wow! That’s cool.“ – „Wow! Ist das cool.“

Bob umarmt mich spontan und herzhaft und dann gibt’s ein laaanges „shake hands“ … und noch ne’ Umarmung. “Safe trip. Man.”

An diese spontane, direkte Art musste ich mich erst ein paar Tage gewöhnen. In Südamerika ist mir das in dieser Form nie passiert. Hier in Anchorage sind wir ständig im Smalltalk. Selbst an der Kasse im Supermarkt wird stets gefragt „How are you?“. Auch wenn die Antwort immer „Fine“ ist – ob das nun stimmt oder nicht – diese lockere, unverfängliche Art tut gut. Mit Schmeicheleien gehen “die” Amerikaner nicht sparsam um. Auch wenn es oft reine Höflichkeit ist und etwas oberflächlich wirkt, so ist dies doch Ausdruck der freundlichen Grundeinstellung. Und das ist angenehm. „Think positive! laut das Motto. Und das ist bei dem “Shit-Wetter” auch dringend nötig. So viel Regen wie in den Tagen hier hatten wir in 5 Monaten Südamerika nicht.

Nun sind wir also in den USA, dem drittgrößten Staat der Erde – sowohl gemessen an der Fläche als auch an der Bevölkerung mit ca. 314 Millionen Einwohnern. Ganze 700.000 (allein 300.000 in Anchorage) davon leben in Alaska, fünfmal so groß wie Deutschland. Es wird also einsam in den kommenden Wochen werden. Von der staubtrockenen Nazca Wüste in die weite, saftig-grüne Wildnis Alaskas. Was für ein Kontrast!

„The last Frontier“ prangt stolz auf jedem Nummernschild der ps- und lautstarken Boliden von nie gekannter Größe und den überdimensionierten Wohnwagenbunkern, die eher rollenden Einfamilienhäusern gleichen. Den Lokalpatriotismus spürt man fast in jedem Gespräch. Auch hier ist man natürlich zuerst US-Amerikaner aber eben auch stolzer Alaskan. Der Rest der USA (ohne Hawaii) wird etwas despektierlich als „the lower 48“ („die unteren 48“) oder sogar „Outside“ („da draußen“) betitelt. An Selbstbewusstsein mangelt es den Alaskans nicht :-)

So manches hat uns schon in den ersten Tagen begeistert, anderes für Kopfschütteln gesorgt. Und eines ist schon jetzt sicher, „kalt lassen“ wird uns das 18. Reiseland mit Sicherheit nicht. Zunächst erleben wir das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ allerdings als „Land der begrenzten Möglichkeiten“ – was die Liefergeschwindigkeit unseres Pakets aus Deutschland angeht.

Schon mit reichlich Verspätung durch DHL erreicht es am 06.08. New York, 3 Tage später Seattle …. und dann dauert es noch einmal 10 Tage bis es per Schiff endlich im Hafen von Anchorage eintrudelt.

Um bei dem regnerischen Wetter nicht völlig einzurosten, fahren wir nach Seward an den Golf von Alaska. Und was wir auf der kleinen Runde sehen macht Lust auf mehr. Die Natur hier hat Wunderbares zu bieten: grandiose Landschaft, wilde Tiere, frische würzige Luft, tolle Lichtspiele. Hoffentlich können wir davon noch vieles sehen. Durch die Verzögerung sind uns 2 Wochen „verloren“ gegangen.

Zur Zeit herrschen in Anchorage zwar noch 15°C. In 3 Wochen können es hier nachts aber schon -10°C werden und eine dicke Schneedecke liegen. In der Regel liegt bis Mitte/Ende September die durchschnittliche Temperatur im positiven Bereich. Durchschnitt heißt aber Statistik. Und Statistik heißt „wahrscheinlich“. Es ist also ebenfalls „wahrscheinlich“ – nur eben weniger – dass es im September auch schon ziemlich kalt werden kann. Wir werden es nehmen (müssen) wie es kommt und uns notfalls Schier unter die Reifen schnallen :-)

Letzte Ausfahrt Lima

Lima / Peru peru
490. Reisetag
15.577 km / 96.212 hm
(Bericht vom 03.08.2014)

Letzte Zeltnacht in der Wüste bei Nasca

Auf dem letzten Abschnitt unserer Reise durch Peru ist noch einmal alles dabei was unsere Radzeit in Südamerika ausgemacht hat: Hitze, Kälte, Sonne, Eis, Schnee, Regen und Gewitter; zerklüftete Täler, hohe Gebirgspässe und knochentrockene Wüste.

Aus Cusco geht es steil hinaus und noch einmal hoch hinauf. Ein letztes Mal fahren wir durch die faszinierende Welt der südamerikanischen Anden. Dabei queren wir die Cordillera Vilcabamba und Occidental – zwei bis zu 6.300 m hohe Gebirgsketten. Für uns bedeutet das jede Menge Schweiß und Treten „bis die Klickis glühen“. In 10 Tagen bewältigen wir 8.500 Höhenmeter. Immer wieder windet sich die in felsige Steilabhänge getriebene Straße in endlosen Serpentinen rauf und wieder runter … und wieder rauf und … Mit dem Hullique (3.715 m), Sorlacca (3.740 m), Rocruzca (4.005 m), Puquio (4.160 m), Huashuccasa (4.550 m) und dem Condorcenca (4.540 m) haben wir 6 beachtliche Pässe. Dazwischen geht es z.T. bis auf 1.800 m talabwärts.

Doch die Anstrengungen werden belohnt.

Aus dem tief eingeschnittenen Tal des Rio Ortesheim geht es in die Sierra – Perus Andenhochland. Je mehr wir an Höhe gewinnen desto karger wird die Vegetation, desto einsamer die Strecke und ärmer die wenigen Ortschaften. Zahllose Vicunaherden zupfen im eisigen, andinen Wind an trockenen Grasbüscheln. Die grazilen, scheuen Kleinkamele faszinieren uns mit ihren wunderschönen, glasperlenartigen Augen. Außer Ichu-Gras und Yareta-Moos wächst nicht mehr viel oberhalb von 3.500 m. Über unseren Köpfen kreisen Anden-Kondore. Der erhabene „König der Anden“ schraubt sich vom Aufwind getragen in schwindelerregende Höhe bis er nur noch ein schwarzer, kleiner Fleck für uns ist.

Nur zu gerne hätten wir auch Flügel an den langen, ermüdenden Anstiegen. Oder zumindest mal Rückenwind. Doch der bleibt aus. Stattdessen bläst er uns kalt ins Gesicht und pfeifend über die karge Hochebene.

Das Leben der andinen Bevölkerung ist hart und entbehrungsreich. Die kleinen Hochlanddörfer sind oft noch aus getrockneten Lehmziegeln errichtet, die Dächer werden mit hartem Ichu-Büschelgras gedeckt. Bis heute haben nur wenige Einwohner Anschluss an Strom- und Wasserversorgung. Nur wenig lässt sich dem Boden abtrotzen. Jedes der zahlreich verstreut liegenden Felder ist gegen die Erosion mit einer Mauer aus den noch zahlreicher herumliegenden Gesteinsbrocken geschützt. Fast sieht es aus als hätten Giganten vor langer Zeit mit Ihnen wie mit Murmeln gespielt.

Ganz anders das Bild in den Tälern. Auch hier ist die Landschaft wild und rau. Doch die Häuser sind bunter, Strom und Wasser fließt fast in jedes Haus. Den Menschen geht es (etwas) besser. Viel Grün wächst links und rechts des Flusses. Es zirpt, quakt und singt. Schmetterlinge tanzen um uns, Kolibris saugen Blütensaft. Auf den fruchtbaren Böden bauen die Menschen Obst und Gemüse an. Bananenplantagen, riesige Kakteen und Aloe Vera säumen die Straße. Fast lotrecht ragen die Felswände empor. Hier ist es schwieriger wild zu zelten. Doch hinter einem Kornfeld finden wir auf einer Art Sandbank eine sichtgeschützte Stelle. Während wir nach einem langen Radtag unsere Nudeln vertilgen, taucht der aufgehende Mond den rauschend vorbeiziehenden Fluss in silbernes Licht.

Tags darauf ist der Abend ungemütlicher. Kurz vor der Ortschaft Abancay verfinstert sich der Himmel bedrohlich. Über dem Tal türmen sich gewaltige Wolkengebirge auf. Ein apokalyptisches Bild. Wir sind auf über 4.000 m und müssen noch 1.700 m bergab. So schnell es geht „stürzen“ wir uns in die kurvenreiche, rasante Abfahrt. Heftiger Wind kommt auf, es beginnt zu regnen. So schnell wie wir könnten lässt es sich gar nicht rollen. Immer wieder attackieren uns Hunde. Als das Zentrum des Gewitters direkt über uns ist flüchten wir in ein offen stehendes Duschhäuschen an einem Gehöft. Äste brechen von den Bäumen, Müll wirbelt durch die Gegend. Nach 40 min. ist der „Spuk“ vorbei.

Am nächsten Tag geht es die gesamten 1.700 m wieder bergauf. Und dieses Mal gibt es keinen Regen, dafür Schneeschauer. Wir sitzen die weiße Wand in einem „Café“ bei 2 Kamillentees aus. Warm wird uns dennoch nicht. Erst nach 1 Stunde im Sattel kehrt in Füße und Hände die Wärme zurück. In den Nächten ist es sternenklar und noch einmal bitterkalt. Oberhalb der 4.000er Marke müssen wir bei -7°C unseren Schlafsack wieder fester zuziehen.

Dann verlassen wir endgültig die Hochebene. In einer letzten Abfahrt geht es Richtung Küste. Und in was für einer! Es ist die geilste unserer ganzen Reise. Ein unvergessliches Erlebnis. 100 km geht es nur bergab. Von 4.500 m auf 600 m, vom kalten Andenhochland in die heiße Wüste. Von +5°C auf +40°C. In einer endlosen Abfolge von Kehren, Kurven und Schleifen rauschen wir Nazca entgegen.

Immer wieder stoppen wir, um die Umgebung auf uns wirken zu lassen. Vor uns ein wüstenhafter Küstenstreifen. Mal eine steinige, mit Geröll bedeckte Einöde, mal eine in allen Farbnuancen von grau über rot bis braun schimmernde Schönheit. Dazwischen riesige Sanddünen, die der Sahara alle Ehre machen. Zum Greifen nah der Pazifische Ozean. Im Dunst sind die weißen Schaumkronen auf den grünblauen Wellen auszumachen, die sich hier an der mächtigen Steilküste brechen.

Gegen Abend erreichen wir auf der Panamericana schließlich die Ebene von Nazca und mit einem Mal gibt es sattes Grün im Wüstensand. Durch künstliche Bewässerung sind riesige Oasen entstanden. Baumwolle, Zuckerrohr, Reis und Mais wächst.

Doch schon am nächsten Tag umgibt uns wieder die Einöde. Die Wüste von Nazca ist eine der trockensten der Welt. Steinige, trockene Ebene, so weit das Auge reicht. Nicht ein Baum, nicht ein Strauch, nicht ein Grashalm. Heiß flimmert die Luft über dem Asphalt der Panamericana. Staubwirbel tanzen und manche Sandwehe macht die Straße eng. Mittags sind es 45°C in der Sonne. Schatten gibt es hier nicht, außer dem eigenen. Doch der ist schlecht zu erreichen… Schnurgerade zieht sich die Fernstraße durch die Wüste und verliert sich irgendwo am Horizont. Der Fernverkehr brettert mit voller Kraft an uns vorbei. Doch wir haben den Seitenstreifen für uns. Allerdings ist der mies asphaltiert und wann immer es geht fahren wir mehr in der Mitte, stets mit Blick in den Rückspiegel. Die vielen Kreuze mahnen zur Vorsicht.

Mehrmals passieren wir „Geisterdörfer“. Namenlose Viertel, ja ganze Ortschaften aus verlassenen Schilfhütten säumen die Panamericana. Hier müssen tausende noch vor kurzem gelebt haben. Überall liegt Müll herum. Strom und Wasser gibt es nicht. Trotzig weht an fast jeder Behausung die Nationalflagge.

Mitten im „Nichts“ dann noch einmal ein Höhepunkt, der nur wenige Zentimeter tief ist. In der Pampa Colorada sehen wir einen Teil der beeindruckenden Linien und geometrische Muster, die das Volk der Nazca hier 800 – 600 v. Chr. schuf. Die wenige Zentimeter tiefen Scharrbilder (Geoglyphen) und Linien sind von immenser Größe. Manche Figur ist 300 m groß, die Linien bis zu 20 km lang. Affen, Spinnen, Walfische, Vögel und Menschenfiguren bedecken auf einer Fläche von 700 qm die Wüstenoberfläche. Auch wenn wir vom wohl größten Zeichenbuch der Welt nur weniges sehen können (ein Flug ist zu teuer) sind wir beeindruckt von den rätselhaften Erdzeichnungen.

Die letzten 300 km zwischen Ica und Lima nehmen wir den Bus. Zum einen ist dieser Abschnitt landschaftlich wenig reizvoll zum anderen liegt die Küste im peruanischen Winter unter einer tiefen Wolkendecke. Außerdem sind die Vororte von Lima nicht ganz ungefährlich für Ausländer. Schon 100 km vor dem Zentrum ziehen sich die Armutssiedlungen entlang der Panamericana weit in die Wüste hinein. In den Pueblo Jóvenes, den „jungen Orten“ wie man beschönigend in Peru sagt, leben über 2 Millionen Menschen. Viele wollten der Arbeitslosigkeit und Armut im Hochland entkommen und sind hier im wahrsten Sinne des Wortes „gestrandet“. Die Hoffnung auf ein besseres Leben erfüllt sich nur für wenige. Der Anblick der Elendsquartiere zwischen all den Müllbergen ist bedrückend. In den Straßen Perus verdingen sich viele als Karrenschieber, Hilskräfte, fliegende Händler, Lastenträger, auf dem Bau oder als Altmüllsammler. Die Landflucht ist eines von Perus dringendsten Problemen. Zählte die Hauptstadt 1940 ca. 600.000 Einwohner sind es heute 11 Millionen! Lima platzt aus allen Nähten. Die Stadt droht an Auspuffgasen, Müll und dem mörderischen Verkehr zu ersticken.

Von alledem bekommen wir nur wenig mit. Unser Hostal liegt im modernen Stadtteil Miraflores. Hier ist die Luft durch das nahe Meer besser. Parks, Shopping-Center, Hotels, Restaurants und Villen prägen diesen Teil Limas. Wieder einmal wird uns bewusst, dass wir auf der „Sonnenseite des Lebens“ stehen.

Viel Zeit bleibt uns nicht, um diese Stadt voller Widersprüche zu erkunden. Den Großteil der 3 Tage hier brauchen wir zur Vorbereitung des Flugs nach Nordamerika. Und sicher werden wir noch viel länger brauchen, um all’ die Eindrücke auf dem südlichen Teil des amerikanischen Doppelkontinents zu verarbeiten.

Machu Picchu

Cusco/Peru peru
474. Reisetag

P1040510 Um 03:30 Uhr klingelt uns unsanft der Wecker aus dem kurzen Schlaf. Ein knappe Stunde später tasten wir uns mit Stirnlampen auf dem Kopf aus der kleinen Touristen-Stadt Aguas Calientes in die Dunkelheit hinein. Wir wollen hinauf zur Inkastadt Machu Picchu, dem sagenumwobenen Ort, der tief im Herzen Perus auf 2.400 m über den Wolken thront. Nur wenige Stunden zuvor sind wir mit dem „Inca Trail“ in Aguas Calientes eingetroffen.

Den Tag zuvor sind wir durch das „Valle Sagrado de los Incas“ (Heiliges Tal der Inka) gefahren, das mit seinen fruchtbaren Böden und dem milden Klima heute wie schon zu Inkazeiten eine wichtige landwirtschaftliche Anbaugegend ist. Dem Lauf des Urubambaflusses folgend fahren wir durch ein tief in die Berge eingeschnittenes Tal und besichtigen die Ruinen von Pisaq und die Festung Ollantaytambo.

Wie eine Schöpfung von Titanen erscheinen uns die mächtigen Mauern und Terrassen der beiden Anlagen. In der Umgebung ziehen sich die Feldbauterrassen aus der Inkazeit die Berghänge bis in 4.500 m Höhe hinauf, um jeden Fleck der ertragreichen Erde zu nutzen.

Von Ollantaytambo geht es am Abend schließlich mit dem Inca Rail nach Aguas Calientes. Die kleine Schmalspurbahn folgt dem Lauf des Rio Urubamba. Mit jeder Windung des Flusses geht es immer weiter hinab in das tropisch-üppige Grün des Bergregenwaldes der von mächtigen schneebedeckten Gipfeln überragt wird. Als wir schließlich in Aguas Calientes eintreffen ist es schon dunkel. Um noch ein paar Stunden Schlaf vor der „Entdeckung Machu Picchus“ zu bekommen, nehmen wir das nächstbeste Hostal … bis um 3:30 Uhr schließlich der Wecker klingelt.

Sternenklar breitet sich in dieser Nacht der Himmel über dem Urubambatal aus. Die steilen Felsformationen links und rechts von unserem Weg ragen wie schwarze Wände empor. Eine Weile begleitet uns das Rauschen des Flusses bis wir diesen schließlich über eine Hängebrücke queren. Nun geht es gut 1 Stunde durch dichten Urwald. Über einen schmalen, steilen Pfad mit oftmals kniehohen Trittstufen geht es 300 m hinauf zur Ruinenstadt. In der Dämmerung erreichen wir schließlich den Eingang zur sagenumwobenen Stadt und sind unter den ersten, der täglich 2.500 Besucher des Weltkulturerbes.

Vom Mirador, einem rekonstruierten Haus oberhalb der Stadt, genießen wir den Ausblick auf den Grundriss von Machu Picchu, das einst bis zu 1.000 Menschen Platz bot. Der Anblick ist beeindruckend. Die Atmosphäre bei Sonnenaufgang lässt sich nur schwer in Worte fassen.

Umgeben von Abgründen, am Ufer des Fluss Urubamba, sticht die Anlage auf einem Bergrücken aus dem dichten Wald heraus. Der gesamte Ort ist von terrassierten Hängen umgeben, die an 3 Seiten von schroffen, steilen, fast senkrecht abfallenden Felsen umgeben sind. Im Hintergrund ragt zuckerhutförmig der Waynapicchu auf. Die unüberwindbar wirkenden Berge der Umgebung sind von üppigem Grün überzogen. Direkt unter unserem Aussichtspunkt liegt die Oberstadt mit dem Palastviertel und dem Sonnentempel, gebaut aus geradlinigen fein polierten Steinen, die sich kissenartig hervorwölben. Dahinter erstrecken sich der „Heilige Platz“ mit weiteren Tempelanlagen, die aus tonnenschweren Steinquadern gebildet werden. Getrennt durch das „Sonnenfeld“ – eine große Grasfläche – liegt gegenüber die Unterstadt mit ihren einfachen Bürgerhäusern.

Wie auf “Bestellung” läuft ein Lama auf der Terrasse unterhalb von uns herum und blickt auf die Inkastadt. Wir haben das “perfekte Postkartenmotiv” bzw. Artikelbild.

Bis heute ist unklar, warum die Inkas 1450 die riesige Steinstadt erbauten. Vieles liegt im Dunkeln, es gibt keine Aufzeichnungen oder Dokumente. Selbst der ursprüngliche Name ist nicht bekannt. Um so zahlreicher sind die Spekulationen und Theorien. Wahrscheinlich diente die Festung mit ihrem milden Klima den Inkaherrschern in den kalten Wintermonaten als Rückzugsort. Fest steht, dass die Inkas die Stadt im 15. Jahrhundert erbauten. Nach ihrer Erbauung nutzten sie die Stadt jedoch nur 100 Jahre lang, bevor sie sie aus ebenfalls ungeklärten Gründen für immer verließen. Jahrhundertelang lag sie danach in den Wäldern Perus versteckt, überwuchert von dichtem Urwald…

Beim Streunen durch die alten Gemäuer und steinernen Außentreppen entdeckt man überall trapezförmige Türen, Steinbolzen und -zapfen an Mauern, mächtige Türsturze, Nischen sowie kissenartig vorgewölbte Granitsteine. Besonders beeindruckend sind die Amanahuasi, 16 aufeinander folgende steinerne Becken, die durch ein ausgefeiltes Wasserleistungssystem miteinander verbunden sind. Noch heute stürzt das Wasser in die Wannen aus Granit. Mit dem imposanten Bewässerungssystem konnten die Inkas selbst in dieser Höhe Mais und Kartoffeln anbauen. Mit Hilfe der Leitungen wurde das Quellwasser zu den an Berghänge gebauten Terrassenfeldern gebracht.

Nach 4 Stunden verlassen wir diese Perle der Inka-Archtitektur während sich die Terrassen und Treppen langsam mit Touristenströmen füllen. Machu Picchu ist längst nicht mehr nur Wahrzeichen, sondern vor allem Wirtschaftsfaktor für Peru geworden. 90 Prozent ihrer Einnahmen schöpft die peruanische Tourismusindustrie aus der Inka-Stadt.

Am Andenmeer – Fahrt entlang des Titicacasees

Puno / Peru peru
466. Reisetag
14.726 km / 87.951 hm

Blick auf Copacabana am Titicacasee

Der Abschied aus La Paz fällt uns nicht ganz leicht. Auch wenn die Hunde einen in der Nacht mit ihrem Dauergebelle immer wieder aus dem Schlaf reißen, die Straßen hoffnungslos verstopft und überall Baustellen sind – La Paz hat uns fasziniert, die Gelassenheit und lockere Stimmung täglich aufs Neue überrascht. In Deutschland würden bei diesem „Chaos“ (das ja auch irgendwie ein System hat) die Menschen wesentlich gestresster reagieren. Die Millionenstadt im tief eingeschnittenen Tal des Rio Choqueyapu ist ein Schmelztiegel Boliviens. Indigenas, Mestizen, Criollos und Nachfahren der spanischen Konquistadoren leben friedlich miteinander. Die Trachten der Cholitas geben der Stadt Farbe, auf den Märkten herrscht ein buntes Durcheinander und wenn in der Dämmerung sich das eindrucksvolle Lichtermeer ausbreitet scheint ganz La Paz auf den Füßen zu sein und zu flanieren.

Die Fahrt entlang des Titicacasees ist noch einmal eine schöne Abschluss-“Etappe“ in dem Land, dessen Menschen uns mit ihrer freundlichen, zurückhaltenden Art gerne hier haben reisen lassen.

Auf der Ruta 2 geht es über eine schöne, aber höhenmeterreiche Strecke entlang des Ufers. Die Straße ist schmal aber gut asphaltiert. Je mehr wir uns von La Paz entfernen, desto geringer wird der Verkehr. Tiefblau schimmern die Fluten, fasst kommt es uns vor als würden wir am Meer entlang fahren. Der Titicacasee ist mehr als 15 x so groß wie der Bodensee.

Auf den Feldern rund um den See trocken die Bauern zur Zeit Chunos – Gefrierkartoffeln. Zur Haltbarkeit werden die Bitterkartoffeln nachts dem Frost ausgesetzt und tagsüber wieder an der Sonne getrocknet. Dadurch verlieren sie stark an Volumen und Gewicht. Zuletzt wird mit den Füßen der letzte „Saft“ aus ihnen gequetscht. Auf diese Weise sind sie bis zu 10 Jahre haltbar und für viele Andenbewohner Hauptnahrungsmittel in der Winterzeit.

In der Ferne grüßen noch einmal die 6.000 m hohen schneebedeckten Gipfel der Cordillera Real. Über die Straße von Tiquina, eine 800 m schmale Stelle, passieren wir den See. Auf zerbrechlich aussehenden Fährbooten aus Holz, in deren Bug das Wasser steht geht es im Schneckentempo auf die andere Uferseite und dort in einem saftigen, langgezogenen Anstieg weiter Richtung Copacabana. Der Wind bläst kräftig von vorne. Dafür bieten sich immer wieder schöne Ausblicke. Durchgeschwitzt und ziemlich fertig erreichen wir am Nachmittag die letzte Anhöhe des Tages und blicken auf Copacabana. Der Blick auf das Hafenstädtchen mit dem Hausberg „Hora del Inca“ ist schon ein besonderer und versöhnt uns mit den unerwarteten Höhenmetern zuvor. In einer rasanten Abfahrt geht es in den beschaulichen Ort. Auf dem Weg kommen uns dutzende blankgeputzte, mit Blumen geschmückte Autos entgegen. Erst denken wir es sei eine Hochzeit. Doch die Fahrzeuge tauchen so verstreut auf der Straße auf, dass uns das „spanisch“ vorkommt. Auf der Plaza sehen wir den wirklichen Grund. Jedes Wochenende kommen Familien aus Bolivien, Peru, Chile und Argentinien um ihre Autos segnen zu lassen. Vor der Basilika im maurischen Stil hat der Padre der Kirche mit Weihwasser und Weihrauch Fahrzeuge aller Größen getauft. Mit so viel himmlischem Beistand scheint für die Besitzer nichts mehr passieren zu können … was dem Fahrstil leider nicht zuträglich ist.

Vielleicht liegt es aber auch an der Art und Weise, wie man seine „Pappe“ in Bolivien erwirbt. Die theoretische Ausbildung dauert 5 Abende inklusive Prüfung. Am 6. Tag gibt es dann eine halbe Stunde bis Stunde Fahrpraxis. Das Ganze kostet 500 Bolivianos (ca. 55 €). Wer Theorie oder Praxis „versemmelt“ legt einfach ein paar Scheine in die Prüfungsblätter oder neben die Kupplung … und schwups hat man die „Lizenz zum Töten“, ähm „linzensierten Autofahren“.

Ach ja, die südamerikanischen Autofahrer sind ein Thema für sich! Ein Fahrzeug kann keine Spiegel, kein Nummernschild, keinen Auspuff, null Profil auf den Reifen haben, keine Kühlerhaube mehr, ja fast ohne Karosserie rollen – es ist immer noch ein voll funktionsfähiges Fahrzeug. Aber hast Du keine funktionierende Hupe mehr bist Du verloren, bist Du ein Nichts, hilflos, wehrlos. Denn gehupt wird immer und überall. Und es kann auch alles heißen: Achtung ich komme! Achtung ich überhole! Runter von der Fahrbahn! Rein ins Taxi! Mach Du doch Platz! Ich mache nicht Platz! Du mich auch! ….

Vom Wallfahrtsort der Autofahrer machen wir per Boot einen Abstecher auf die „Isla del Sol“, die Sonneninsel. Sie ist die heiligste der zahlreichen im 8.000 km² großen Gewässer gelegenen Inseln. Zu Inkazeiten war sie vermutlich spirituelles Zentrum. Die Wanderung über das stille Eiland, das wie versunken im tiefblauen Wasser des Titicacasees liegt, ist eine Wohltat für unsere Seelen. Kein Motorenlärm, keine Abgase, kein Gehupe. Ein schmaler Pfad führt vorbei an aus Adobeziegeln erbauten Häusern. Auf den terrassierten Hängen weiden Lamas, Esel und Schafherden. Zypressen und Eukalyptusbäume bilden grüne Farbtupfer.

Am darauffolgenden Tag wollen wir die Grenze nach Peru passieren und stehen erst mal vor verschlossenen Schlagbäumen. Mit viel Pomp, Pathos und jeder Menge schiefer Töne finden irgendwelche Grenzfeierlichkeiten statt. So ist kurzerhand der offizielle Übergang gesperrt. Aber Bolivien ist ein Land in dem es neben dem offiziellen Weg ja auch immer einen inoffiziellen gibt (s.o.). Und so geht es auf einem kleinen Trampelpfad um die Grenzstationen und völlig problemlos auf die peruanische Seite. Dort knallt nach kurzer Formalität der Stempel in unsere Pässe und berechtigt uns kostenlos zu 90 Tagen Aufenthalt im Land.

Bis Puno ändert sich die Landschaft kaum. Noch immer sind wir auf knapp 4.000 m unterwegs. Die Vegetation ist karg. Nach über 6 Wochen auf dem Altiplano sehnen wir uns nach etwas mehr Grün.

Die Menschen in den kleinen Ortschaften empfangen uns freundlich mit „Gringo“-Rufen. Waren die Bolivianer doch oftmals zurückhaltend bis schüchtern so sind die Peruaner deutlich offensiver im Kontakt. Während unserer Radpausen werden wir häufig angesprochen, interessiert mustert man unsere Räder und hebt anerkennend den Daumen. Irritiert sind wir, als man von uns Geld verlangt als wir eine Dorfszene aufnehmen wollen.

Die Straßen in Peru kommen uns noch einen Tick schmaler vor, die Autofahrer noch ungeduldiger und „wagemutiger“ in ihren Überholmanövern. Den Seitenstreifen aus Bolivien gibt es leider nicht mehr und so müssen wir des Öfteren auf den sandigen Randstreifen ausweichen, der oft von Plastik und Abfall „verziert“ ist. Überhaupt liegt viel mehr Müll in der Gegend rum als noch in Bolivien. Während wir jedes Stück Papier und Plastik bis zum nächsten Mülleimer transportieren schmeißen viele Leute gedankenlos ihren Müll in die Natur. Das betrübt uns, macht traurig und wütend. Wie wird es hier wohl in 10, in 20 Jahren aussehen.

Besteigung des Huayna Potosí (6.088 m)

La Paz / Bolivien bolivia
(Bericht vom 23.06.2014)

imgp0510Den Wunsch einmal eine Bergbesteigung im alpinen Stil zu versuchen hatte ich schon vor unserer Weltreise. Hier in Bolivien ist nun endlich die Chance diesen Traum zu realisieren. Von La Paz lassen sich mehrere Berge in wenigen Autostunden gut erreichen. Zahlreiche Agenturen bieten verschiedene Touren an. Die Ausrüstung ist meist alt, aber überwiegend in ordentlichem Zustand. Dennoch lassen wir uns bei der Auswahl Zeit und entscheiden uns nicht für die günstigsten Anbieter. Schließlich buchen wir unser Abenteuer bei “Altitude 6.000”. Das Equipment ist gut gewartet, von namhaften Herstellern und deutlich neueren Datums als bei manch’ anderer Agentur.

Wir wollen unser Glück am Huayna Potosí versuchen, einem der markantesten Berge der Königskordillere. Der vergletscherte Berggipfel mit einer Höhe von 6.088 m liegt in der Cordillera Real, 25 km nördlich von La Paz in den südamerikanischen Anden. In der Sprache der Aymara bedeutet der Name “junger Berg”.

Ein erfolgreiche Besteigung ist an diesem Berg bei ausreichender Akklimatisation und Kondition auch für ungeübte Alpinisten möglich. Dennoch liegen die Gipfelerfolgszahlen bei einer 2-Tagestour nur bei 20 %. Die vergletscherte Hochgebirgstour wird international mit FR:AD (CH:ZS) bewertet und ist damit einer Besteigung des Mont Blanc auf der Gouter-Route vergleichbar. Vor allem die ungewohnte Höhe und der Gipfelgrat bringen viele zur Umkehr. So entschließen wir uns für eine 3-tägige Tour, um unsere Erfolgschancen zu verbessern und zuvor das Gehen mit Steigeisen und Hantieren mit der Eisaxt zu üben. Außerdem hoffen wir, das die Trekkingtour auf den Chacaltaya uns bei der Akklimatisation geholfen hat.

 Freitag, 20.06.2014, Anfahrt und Gletschertour

Mit dem Micro-Bus fahren wir aus dem tief eingeschnitten Tal des Rio Choqueyapu. Auf holprigen, steilen Schlaglochpisten geht es Richtung Milluni-Zonga Stausee. Immer kleiner werden die roten Backsteinhäuser an den Hängen des Talkessels von La Paz. Die “Cordillera Real” im Blick schrauben wir uns in Serpentinen hoch. Während der Fahrt “wächst” der Huayna Potosi mehr und mehr in den wolkenlosen Himmel. Majestätisch! Ehrfurchteinflößend!

Kräftig durchgerüttelt erreichen wir nach 2 Stunden Fahrt das Basislager am Zongo-Pass. Das Basecamp “Casa Blanca” liegt auf 4.750 m. Kurz zuvor in Milluni musste an einem Militärposten noch Wegzoll gezahlt werden. Unterhalb der “Casa Blanca” schimmert die Laguna Canada in der Mittagssonne milchig blau. In der einfachen Bergsteigerhütte (mit Gemeinschaftsunterkunft) empfängt uns Ismael. Die nächsten 3 Tage wird er unser Guide sein. Ismael ist 26 Jahre, sportlich und leider recht wortkarg. Das mag zum einen an den Sprachproblemen liegen. Unser Castellano reicht nur für Smalltalk, sein Englisch ebenfalls. Es ist aber sicherlich auch Teil seiner Persönlichkeit. Dadurch entstehen im Laufe der späteren Tour manchmal Irritationen und auch Enttäuschungen.

Ivan, unser Koch, ist da schon wesentlich aufgeräumter und die gute Seele in unserer 4-köpfigen Gruppe. Nach einem stärkenden Mittagessen (leckere Spaghetti mit Gemüse, Nachtisch: Bananen mit Schokosauce) machen wir uns auf zum Gletscher. Der Weg dorthin führt über blockiges Gelände und erfordert schon jede Menge Gleichgewichtsinn … der bei uns zunächst mal “gestört” ist. Um uns an unsere Schuhe zu gewöhnen tragen wir die Hartplastikboots bereits jetzt. Das Laufgefühl in diesen schweren Stiefeln ist ungewohnt, ein Abrollen nicht möglich. Doch der hohe, harte Schaft bietet Standsicherheit. Nachdem wir einen Gletscherbach passiert haben stehen wenig später vor der markanten Moräne.

Grau schimmert der „Glaciar Viejo“, der alte Gletscher im Nachmittagslicht. Tiefe Spalten durchziehen ihn im oberen Abschnitt. Mit Hilfe von Ismael legen wir Steigeisen und Geschirr an und verbinden uns über ein Seil. Ohne viel Federlesen geht es dann auch gleich auf den Gletscher. Ismael zeigt uns die wichtigsten Gehtechniken im Eis und wir folgen ihm. Nachdem wir eine halbe Stunde das Auf- und Abgehen und den Seitenwechsel des Seils geübt haben geht es an eine Flanke des Gletschers. Dort soll nun der Aufstieg in der Eiswand geübt werden. Die Wand ist 15 m hoch und bis zu 90° steil. Respekteinflößend! Ich klettere zuerst in die Wand. Erst beide Eisäxte reinrammend, dann die jeweils 4 langen Pickel der Steigeisen arbeite ich mich Stück für Stück hoch. Es geht erstaunlich gut. Bis zum Überhang bei 12 m kletter ich, dann lass ich mich von Ismael abseilen. Auch Ria kommt gut in der Wand zu Recht. Das gibt uns beiden schon mal ein gutes Gefühl.

Im Basecamp wartet Ivan schon mit einer leckeren Hühnchensuppe auf uns. Dazu wieder jede Menge Coca-Tee (gegen die ungewohnte Höhe) und Kekse. Im Laufe des Abends “meldet” sich leider mein Darm wieder, der mich schon am Morgen unserer Abfahrt aus La Paz geplagt hatte. Während die anderen ihre Erlebnisse austauschen versuche ich auf der durchgelegenen Matratze über die Magenkrämpfe einzuschlafen.

 Samstag, 21.06.2014, Aufstieg zum Highcamp

Die Nacht war alles andere als erholsam. Auch am Morgen fühle ich mich noch nicht wesentlich besser. Noch vor Sonnenaufgang ist es mit der Ruhe vorbei. Oberhalb des Basecamps feiern Inidigenas das Wintersonnenwend-Fest. Im mitreißenden Zweivierteltakt schallt die tinya, die kleine Andentrommel, über das Tal. Dazu erklingen – mal melancholisch mal freudig – antaras, aus Schilfrohr hergestellte Panflöten. Frauen und Männer tanzen im Kreis und stampfen dabei heftig mit den Füßen auf. In der Mitte wird Whipala, die Regenbogenflagge der indigenen Bevölkerung, geschwenkt. Ria will sich das Ganze aus der Nähe ansehen und wird prompt zum Tanz aufgefordert. Durch das Fenster des Basecamps sehe ich, wie sie wieder und wieder um die eigene Achse gedreht wird. Mit einem leichten Triesel und gut durchgewärmt kommt sie zurück.

Nach dem Frühstück packen wir alle Sachen zusammen. Heute steht der Aufstieg ins Hochlager auf dem Programm.

Mit unserem 16 kg-Rucksack (darin das gesamte Equipment und Proviant) auf dem Rücken geht es zunächst wieder über das blockige Gelände. Nach 20 Minuten erreichen wir eine kleine Hütte. Dort trägt man seine Namen und Pass-Nr. ein und zahlt die 10 Bolivanos Eintritt für den Huayna Potosi. Anschließend führt der Pfad über den Gletscherbach, dann eine markante Moräne empor, der man einige hundert Meter auf dem Sattel folgt. Den letzten Aufschwung zum Highcamp bildet ein riesiges, steil ansteigendes Geröllfeld, das Kraft und Konzentration kostet. Bedacht jeden Schritt setzend und mit einigen Trinkpausen benötigen wir ca. 2 ½ Std. vom Basislager zum Highcamp. Bei strahlendem Sonnenschein erreichen wir kurz vor 13:00 Uhr das “Rock Camp Campo Alto” auf 5.130 m.

Auch hier steht eine Hütte mit Doppelstockbetten und einem langen Esstisch. An den Wänden haben sich Bergsteiger der vergangenen Jahre verewigt. Der ganze Globus ist vertreten. Außer uns sind zu diesem Zeitpunkt erst Thomas (USA) und Gerd (Thüringen) angekommen. Beide hatten wir bereits im Basecamp kennen gelernt. Bei reichlich Coca-Tee, Hamburgesas und Pommes Frites vergeht die Zeit schnell. Im Laufe des Nachmittags füllt sich das Camp immer mehr. Am Abend hat sich schließlich eine bunte Truppe aus 8 Nationen eingefunden (Australien, Bolivien, Brasilien, Chile, Deutschland, Israel, Niederlande, USA). Die Stimmung ist locker bis aufgekratzt. Alle sind Debütanten. Keiner hat bisher einen 6.000er bestiegen. Da um 0:00 Uhr die Tagwache ansteht gehen heute alle früh zu Bett.

Sonntag, 22.06.2014, Gipfeltag

Unsere bisher höchstgelegene Nacht ist etwas besser als die vorangegangene … bis gegen 22:00 Uhr ein heftiger Schneesturm beginnt. Der Wind rüttelt massiv an den Außenwänden der Hütte. Durch die Spalten dringt Schnee in den Schlafsaal. Viele sind vor der eigentlichen Weckzeit um 0:00 Uhr wach. Ich habe leichte Anzeichen von Höhenkrankheit. Eine Sorojchi Tablette hilft ganz gut. Während die anderen Guides mit ihren Kunden die Lage besprechen schläft unser Ismael in aller Seelenruhe weiter. Eigentlich war verabredet, dass er uns um Mitternacht weckt. Einige Bergführer wollen angesichts der Heftigkeit des Sturms erst gegen 3:00 Uhr den Aufstieg wagen, andere wie geplant um 1:00 Uhr aufbrechen. Unschlüssigkeit und hektische Betriebsamkeit entsteht. Ivan, unser Koch, bedeutet uns wir sollten uns ins Bett legen und bis 3:00 Uhr warten. Gegen 0:30 Uhr bemüht sich schließlich dann Ismael zu uns. “Vamos!” In 30 Minuten sollen wir fertig sein. Unseren Einwand, dass es draußen heftig stürmt wischt er mit einem kurzen “Normal. I am your guide” weg. Das trägt nicht gerade zu unserer Beruhigung bei. Doch wenn wir unseren Gipfelversuch wollen, müssen wir ihm folgen. Wir ziehen uns nach dem Zwiebelprinzip an. Thermowäsche, darüber mehrere Kurz- und Langarm-Shirts, Fleecejacke und schließllich die Hardshelljacke. In die Taschen stopfen wir Müsliriegel und Schokolade. Die Füße schmieren wir dick mit Vaseline ein (gegen Blasen), darüber 2 Paar Socken, dann die Hardshellhose, Hartplastikboots und Steigeisen, 2 Buffs als Schal und Kopfschutz, dick Cold-Creme und Sonnenschutz ins Gesicht, dann die Gesichtsmaske und eine Windstoppermütze, darüber Helm mit Stirnlampe, zum Schluss 2 Paar Handschuhe.

Um 1:20 Uhr sind wir startbereit. Vor der Tür empfängt uns eisiger Wind. Die Windschilltemperatur beträgt zu dieser Zeit -19°C. Mit Steigeisen unter den Füßen und Eisaxt in der Hand geht es in die stockfinstere Nacht. Der Mond ist noch nicht aufgegangen. Am Tag zuvor war die Route noch gut auszumachen. Durch den Neuschnee ist sie jetzt im Kegel der Kopfleuchte nur noch schwer erkennbar. Wir verlassen uns voll und ganz auf die Erfahrung von Ismael. Als insgesamt 4. Seilschaft nehmen wir die rund 8 km und 1.000 Höhenmeter in Angriff – Ismael vorneweg, dann Ria, zum Schluss ich.

Bereits der Einstieg hat es in sich. Links von einem Felsgrat geht es zunächst eine ca. 300 m hohe, steile Flanke hinauf zum “Campamento Argentino” auf 5.450 m. Eisig knarzen die Eiskristalle unter unseren Hardboots. Seitwärts gehend rammen wir unsere Steigeisen in den Gletscher, um sicheren Stand zu haben und Kräfte zu schonen. Von Anfang an versuchen wir einen gleichmäßigen, langsamen Rhythmus zu laufen und bewusst zu atmen. Im Hauruck-Stil ist ein solcher Berg in dieser Höhe nicht zu nehmen. Schnell ist angesichts der Anstrengung die Kälte vergessen. Nicht jedoch der Durchfall. Wir beide müssen uns “ausseilen” und erleichtern.

Nach dem Steilstück traversieren wir in einer langen Rechtsquerung über den Gletscher. Mittlerweile ist der Wind abgeflaut. Der Schneefall hat aufgehört. In der Dunkelheit zieht sich der Weg, stellenweise leicht abschüssig, weiter den Berg hoch. Gelegentlich müssen wir kleinere Gletscherspalten überspringen oder auf Schneebrücken passieren. Langsam gewinnen wir an Höhe. Das Lichtermeer von La Paz/El Alto ist das Einzige, was wir während der ersten Stunden deutlich erkennen.

Schließlich kommen wir zur Steilstufe, der ersten Schlüsselstelle des Aufstiegs. Im Lichtkegel unserer Stirnlampen leuchtet eine 25 m hohe, 70° steile Eiswand auf. Seitlich davor eine tiefe, dunkle Randspalte. Hier gibt es keinen Trittschnee mehr, dafür aber Aussparungen und Vereisungen. Nun müssen wir das Gelernte von gestern umsetzen. Ismael steigt als Erster ein. Dann folgt Ria schließlich ich. Das Eis ist so verdichtet, dass wir nur schwer unsere Eisäxte reinhauen können. Die knifflige Wand kostet viel Kraft und Nerven. Zum ersten Mal spüren wir deutlich die Höhe.

Kurz darauf stehen wir auf der sog. “La Pala”, einem langen Grat, der zum Fuße des Gipfel Ost-Hanges führt. Seit 3 Stunden sind wir nun unterwegs. Es folgt eine lange Querung entlang der Flanke in normaler Steigung. Die Dämmerung hat eingesetzt. Zum ersten Mal können wir die Umrisse der Gebirge und des Gipfels wahrnehmen. Wie klein und demütig man sich doch in dieser riesigen Bergwelt fühlt. Zunehmend macht sich die Höhe bemerkbar. Alle 30 min. legen wir eine kurze Verschnaufpause ein, trinken heißen Tee.

Nach 4 ½ Stunden tauchen endlich einige Felsen auf. Sie markieren den Beginn des Gipfelgrats. Der Anblick lässt uns das Herz in die Hose rutschen. Der Schlussgrat ist extrem schmal und ausgesetzt. Die letzten 150 Höhenmeter geht es im 50°-Gelände bergauf.

Doch lange Zeit zum Überlegen bleibt nicht. Ismael treibt uns an “Come on!”

Vor der Flanke, dem Einstieg zum Grat, sitzt Rick aus Bayern. Schwindelgefühle haben ihn bei 6.020 m zum Abstieg gezwungen. 2 weitere Seilschaften unterhalb von uns kehren ebenfalls um. Mit Hilfe der Eisaxt steigen wir in die Flanke ein. Bitterkalt bläst mit einem Mal der Wind. Wie gut das wir unsere Gesichtsmasken tragen. Die felsdurchsetzte, teilweise vereiste Trittfläche ist stellenweise so schmal, dass kaum 2 Füße nebeneinander passen. Jetzt braucht es sauberes Steigeisengehen in großer Höhe. Links und rechts geht es mehrere hundert Meter in die Tiefe. Ein Ausrutscher würde die gesamte Seilschaft gefährden.

Konzentriert und vorsichtig setzen wir jeden Schritt. Für die letzten 150 Höhenmeter brauchen wir noch einmal 45 Minuten. Aber irgendwann ist auch diese Schlüsselstelle geschafft. Der Grat knickt nach rechts ab und die letzten Höhenmeter können wir wieder auf Trittschnee bewältigen. Schon vor dem Gipfel überwältigen uns Emotionen. Nie hätten wir heute Morgen gedacht, dass wir 5 ½ Stunden später so kurz vor dem Ziel sein würden.

Und dann ist es vollbracht: Wir stehen auf dem Gipfel des Huayna Potosi! 6.088 m über dem Meeresspiegel. Überglücklich nehmen wir uns in die Arme. Tränen fließen. Was für ein Gefühl!

Wir genießen den Sonnenaufgang und die einmalige Sicht auf Boliviens Bergwelt. Im Westen erstreckt sich der Titicaca-See, im Südwesten ist der gezuckerte Vulkankegel des Sajama, mit 6.542 m höchster Berg Boliviens, auszumachen. Im Osten erheben sich die 3 schneebedeckten Gipfel des Illimani (6.439 m) und um uns herum unzählige Berge der Königskordillere. Condoriri, Illampu und Ancohuma sind zum Greifen nah. Von hier oben ist sogar die Erdkrümmung zu erkennen.

Für das Gipfelfoto holen wir unser vorbereitetes Schild und die Berliner Flagge aus dem Rucksack. Auch wenn wir die Überhandschuhe nur kurz ausziehen, die Hände werden sofort eiskalt und taub. Die Fläche auf dem Huayna Potosi ist kaum 2 x 2 m groß. Als eine weitere Gruppe 10 min. später den Gipfel erreicht machen wir uns an den Abstieg.

Der direkte Abstieg wäre sicher möglich (ein Seilschaft vor uns wählt diesen Weg), aus Sicherheitsgründen entscheidet sich Ismael aber für den Aufstiegsweg. Also müssen wir noch einmal über den Gipfelgrat. Dieses Mal übernehme ich unsere Seilschaft. Die Anstrengung des Aufstiegs macht sich zunehmend bemerkbar. Die Oberschenkel brennen. Unser Flüssigkeitsvorrat ist fast aufgebraucht. Bis zum Highcamp benötigen wir weitere 3 Stunden. Eine ganze Weile müssen wir vor der steilen Eiswand warten. Eine Seilschaft vor uns. hat große Probleme beim Abstieg. Wir meistern das “Nadelöhr” dagegen recht gut und zügig. Gleißend steht die Sonne am wolkenlosen Himmel. Wie gut, dass wir uns dick mit Sonnencreme eingeschmiert haben. Der Schnee ist jetzt weicher und macht das Schneewandern zunehmend anstrengender. Kurz vor 11 Uhr erreichen wir wieder das Highcamp. 1 Stunde bleibt uns zum Verschnaufen und Krafttanken dann steigen wir weiter ab.

Im oberen Teil des Hüttenwegs liegt noch immer Schnee der vergangenen Nacht. Nur langsam kommen wir auf dem rutschigen Geröllfeld voran. Zu langsam für Ismael und Ivan. Schließlich nehmen sie uns unsere schweren Rucksäcke ab. Ohne die 16 kg auf dem Rücken geht der Abstieg etwas zügiger. Gegen 13:30 Uhr sind wir endlich am Basecamp und mit den Kräften ziemlich am Ende. Um 16 Uhr spuckt uns unser Micro am Plaza Espaňa in La Paz aus. Seit unserer Abfahrt sind 56 Stunden vergangen. Was wir dazwischen erlebt haben müssen wir in den nächsten Tagen erst mal langsam sacken lassen.

Es war mit Sicherheit das bisher anstrengendste und eines der eindrücklichsten Erlebnisse unserer Reise. Eine unvergessliche Hochgebirgstour auf einen der markantesten Gipfel der Königskordillere.