Bangkok / Thailand
275. Reisetag
9.253 km, 59.550 hm
Die Wiedereinreise nach Thailand ist etwas langwierig. Am Grenzübergang in Poipet herrscht ein chaotisches Durcheinander von Markttreiben, Fernverkerkehr, Grenzhandel und Touriströmen. Hier erfahren wir auch, dass man seit Mitte November bei der Einreise über Land statt bisher 15 Tage nun eine 30-Tage-Aufenthaltsgenehmigung kostenlos bekommt! Danke, dass uns das niemand in der thailändischen Botschaft in Vientiane (Laos) gesagt hat. So sind wir um 50 € ärmer und haben jetzt ein 60-Tage-Visum, das wir gar nicht benötigen. Die Strecke nach Bangkok ist landschaftlich nicht reizvoll und so fahren wir die 400 km in 3 1/2 Tagen zügig durch. “Highlight” ist die letzte Hotel-Übernachtung vor der Stadtgrenze. 450 Baht soll das Zimmer kosten. Wir fragen, ob es nicht auch ein billigeres gibt. Auf der in Thailändisch verfassten Werbetafel sind 450 und 250 Baht angegeben. Klar! Die Dame nickt und zeigt auf 3 Finger ihrer ausgestreckten Hand. Komische Geste, denken wir. Aber nach den ersten 3 Wochen im Land kennt man eben noch nicht jede Geflogenheiten… Erschöpft von den 130 km nehmen wir ein entspanntes Bad und schlummern seelig der Nacht entgegen… bis gegen 21 Uhr das Telefon im Zimmer klingelt. Zögernd nimmt Ria den Höhrer in die Hand: “Time out, Time out!” erschallt es am anderen Ende. Für 250 Baht bekommt man in dem Stundenhotel 3 Schäferstündchen, für 450 die ganze Nacht. Nach einigem Hin- und Her einigen wir uns mit den Besitzern schließlich auf 400 Baht und finden endlich unseren wohlverdienten Schlaf
Wie geplant erreichen wir Bangkok am nächsten Tag (29.12.2013), um hier Silvester zu verbringen. Nach 2,5 Monaten und 3.300 km sind wir wieder am Ausgangspunkt unserer “Nordschleife” in Südostasien angekommen. Die eintägige Fahrt in die Millionenmetropole ist weniger problematisch als gedacht. Während wir Richtung Hauptstadt unterwegs sind staut sich auf den vierspurigen Ausfallstraßen der Verkehr kilometerlang. Wir haben schon die Befürchtung Bangkok menschenleer vorzufinden
Doch die Stadt ist so munter, laut und verkehrsreich wie im Oktober. Ein paar hunderttausend Einwohner weniger machen keinen Unterschied. Überall stehen noch Weihnachtsmänner und Rentierschlitten vor den Shopping-Mals, hängt Lametta in den Schaufenstern. Weihnachten ist in Thailand auch 2 Tage vor Neujahr noch lange nicht vorbei und im World Plaza Center erklingen fröhlich-schmetternd Weihnachtsschlager…
Am Silvestertag strömen die Einwohner Bangkoks in Massen zu den Tempeln der Stadt, um für ein glückliches, erfolgreiches neues Jahr zu sorgen. Der Rubel oder besser Baht rollt und wandert in zahllose Spenden- und Sammelboxen. Ob’s hilft ? ….
Den Silvesterabend und die Neujahrsnacht verbringen wir mit Heidi/Markus (Österreich) und Yvonne/Christian (Schweiz). Zwischendurch sind wir sogar 8 Weltreiseradler, da wir Anja und Peter aus Lautertal/Deutschland “über den Weg” laufen, mit denen wir seit Beginn unserer Reise in Emailkontakt stehen. Tja, die Welt ist klein
Das Mitternachtsfeuerwerk können wir zu meinem (Oliver) Leidwesen leider nicht sehen. Unser Platz am Chao Phraya ist zu weit entfernt. Überhaupt bleibt es um 00:00 Uhr in dieser Megametropole ungewöhnlich ruhig. Pyrotechnisches ist am Bangkoker Himmel kaum zu sehen. Dafür spielen jede Menge Live-Bands in den Straßen. Im Stadtteil Banglampoo bleiben wir schließlich vor einer Bühne “hängen” und lassen uns von den Beats mitreißen. Gemeinsam mit Bangkokern und anderen Touris tanzen wir bis in die Morgenstunden, bringen unser “Kulturgut” ein und zetteln eine “Polonaise Blankenese” nach der anderen an. Den Thailändern gefällts und wir haben unseren Spaß. Gegen 04:30 Uhr fallen wir ziemlich erschöpft in unsere Betten und sind überzeugt, dass Tanzen mindestens genauso anstrengend wie Radfahren ist.
Der Song “One Night in Bangkok” von Murray Head wurde leider nicht gespielt und muss hier einfach mal von mir wieder “aufgelegt” werden. Der Hit war 1984 in den Deutschen Charts 20 Wochen auf Platz 1 und einer meiner Favoriten auf meinem ersten Sampler…
Jetzt wird es Zeit für Sonne, Strand und Meer und etwas Urlaub vom Reisen mit dem Rad.
An dieser Stelle herzlichen Dank an alle, die im vergangenen Jahr unsere Reise mitverfolgt und uns unterstützt haben. Wir hoffen, die Postkarten sind alle bei Euch angekommen. Auch im Neuen Radreise-Jahr erfüllen wir gerne wieder Kartenwünsche. Wer Interesse hat und “mitdrehen” will klickt bitte hier.
Im Reiseführer heißt es: „Angkor gehört zu den weltweit eindrucksvollsten Stätten des Altertums und vereint die epischen Proportionen der Chinesischen Mauer, den kunstvollen Detailreichtum des Tadsch Mahal und die symbolische Symmetrie der Ägyptischen Pyramiden.“
Auch wenn im Zitat sehr viel Superlatives ist, die Größe, Pracht, Schönheit und Faszination dieser Stätte sind in der Tat einmalig.
Während des 9. – 13. Jahrhunderts war Angkor politisches, religiöses und gesellschaftliches Zentrum des Khmer-Reiches, das im 12. Jh. mit der Errichtung Angkor Wats seine kulturelle Blüte und seinen Machthöhepunkt erreichte. Zu dieser Zeit sollen etwa 1 Million Menschen in Angkor gelebt haben. Damals die größte Stadt der Welt!
Hunderte erhaltene Tempel(ruinen) im kambodschanischen Dschungel zeugen noch heute von der einstigen Größe des Khmer-Reiches. Ihre Architektur ist die exakte Nachbildung des Universums, wie es im Hinduismus verstanden wird. Im Mittelpunkt steht der heilige Berg Meru (symbolisiert durch die Türme), auf dem die Götter leben, während die bewohnte Erde von einem Urmeer begrenzt wird (Wassergräben und -becken).
3 Tage lang besuchen wir für 40 $/Person die weit verstreut liegenden monumentalen Bauten. Staunend durchstreifen wir in den halb verfallenen Heiligtümern gewaltige Korridore, lichtdurchflutete Gänge, Galerien und verzierte Hallenkomplexe; bestaunen kunstvoll gearbeitete Flachreliefs und Figuren; klettern auf überdimensionalen Stufen steile Treppen hinauf, stehen Göttern und Dämonen „Auge in Auge“ gegenüber während überlebensgroße Gesichter mal milde, mal kalt lächelnd, aber in jedem Fall Ehrfurcht einflößend auf uns niederblicken.
Im Sonnenlicht schimmern überall Skulpturen und Verzierungen aus Laterit- und Sandstein. Mal anthrazitfarben, mal in rot-braunen Tönen, teilweise vom leuchtendem Grün der Moos- und Kletterpflanzen überzogen. Überwall wuchert Natur über die sakralen Stätten. Farne, Flechten und Büsche wachsen auf Vorsprüngen und Dächern. Wurzeln gigantischer Urwaldriesen zersprengen mit schleichender Gewalt die ohne Mörtel und Zement errichteten Türme und Wände.
Trotz aller Kraft der Natur, noch einmal wird Angkor sicher nicht in der westlichen Welt in Vergessenheit geraten. Dafür sorgen Parkranger, die die Natur im Zaume halten und die tagtäglichen Touristenströme ins „Tempelmekka Asiens“. Angkor ist eine „Goldgrube“. Einheimische, die in Bambushütten zwischen den Ruinen leben, verkaufen an den Eingängen und in den Anlagen allerlei Touri-Kram aber auch Gebrauchsgegenstände aus ihrem Alltag (Khmer-Violine, Mundorgel aus Bambus etc.). Nirgendwo kommt man unbehelligt an den teilweise sehr aufdringlichen VerkäuferInnen vorbei. Während wir zielstrebig den Eingängen zustreben ertönt neben uns gebetsmühlenartig der Spruch „You buy, only one dollaaarrr!“ Leider sind viele der VerkäuferInnen Kinder, die diese Arbeit sicher nicht freiwillig machen…
Am letzten Tag besuchen wir schließlich Angkor Wat. Einst strebten die kambodschanischen Gottkönige danach, ihre Vorgänger in Größe und Pracht bei jedem neuen Tempelbau zu übertreffen. Das Ergebnis ist dieser gewaltige Tempel, das größte sakrale Bauwerk der Erde!
37 Jahre lang dauerte der Bau für dessen Errichtung zehntausende Menschen und hunderte Elefanten schuften mussten.
Während wir von Westen aus das Heiligtum betreten wird uns langsam die ungeheure Größe der Anlage bewusst. Auf einer 150 m langen Sandsteinbrücke überqueren wir zunächst das Urmeer. Ein 1,5 x 1,3 km langer rechteckiger Wassergraben umgibt die riesige Anlage. Anschließend durchschreiten wir das Eingangsportal. Die Tore rechts und links des Haupteingangs passierten einst Elefanten. Jetzt können wir zum ersten mal die ganze Tempelanlage sehen. Vor uns liegt ein 350 m langer Damm aus riesigen Steinplatten mit einer Balustrade in Form eines Schlangenkörpers. Am Ende erhebt sich der zentrale Bau mit den 5 Türmen. Der Anblick ist atemberaubend.
Noch einmal lassen wir uns von der perfekten Geometrie und Schönheit der Architektur verzaubern, bewundern Galerien, Portale und Höfe und das mit 800 m Länge längste zusammenhänge Flachrelief der Welt. Die meisterhaften Schnitzereien erzählen wie auf einer steinernen Wandzeitung vom Alltag im Angkor-Reich und seinen zahlreichen Schlachten.
Zurück auf der anderen Seite des Urmeers essen wir eine Stange unseres heißgeliebten Klebereis (im Bambusrohr) und genießen die Abendsonne in deren letzten Strahlen sich die Silhouette Angkor Wats erhaben abzeichnet. 3 faszinierende Tage im Reich der Götter gehen zu Ende.
Siem Reap / Kambodscha
270. Reisetag
8.822 km, 57.650 hm
Einem roten Feuerball gleich versinkt die Sonne hinter den Palmenkronen am Westufer des Mekong und taucht den größten Fluss Südostasiens in zauberhaftes Licht. Fischer holen ein letztes Mal ihre Netze ein, dann ist das Tagwerk vollbracht. Mit Einsetzen der Dämmerung stimmen Grillen tausendfach ihren Gesang an während die ersten Sterne am Firmament den Strom in silbriges Licht tauchen. Fasziniert schauen wir dem Naturschauspiel von der Uferpromenade in Kratie zu, genießen die entspannte Atmosphäre der Provinzhauptstadt. Morgens und Abends pulsiert das Leben in Straßen der Stadt. Straßenhändler verkaufen die Erzeugnisse der Region. Obst und Früchte türmen sich am Straßenrand. In den kleinen Garküchen gibt es Reissuppen und auf den Rosten brutzelt allerlei Gegrilltes. An der Promenade und in den Seitenstraßen Straßen spielen Männer ausgelassen und gekonnt mit ihren Füßen das beliebte „Federballspiel“.
Angesichts dieser friedlichen heiteren Stimmung mag man kaum glauben, welch unvorstellbaren Grausamkeiten und unmenschlichem Leid die Bevölkerung vor gut 30 Jahren ausgesetzt war. 1975, im letzten Jahr des Vietnamkrieges ergriffen die kommunistischen Roten Khmer die Macht in Kambodscha und zerschlugen brutal die bestehenden Gesellschaftsstrukturen, um eine uniforme und egalitäre Gesellschaft nach maoistischem Vorbild zu schaffen.
Die Hauptstadt Phnom Penh (2. Millionen Einwohner) wurden in 2 Tagen entvölkert. Aus der „Schweiz“ Südostasiens sollte ein Arbeiter- und Bauernstaat werden. In den ersten Monaten der Roten Khmer-Herrschaft verwandelte sich das Land in ein gigantisches Arbeits- und Gefangenenlager. Fast jeder musste um sein Leben fürchten. Viele Menschen starben an Hunger und Krankheiten. Wer der „Bourgeoisie“ (z.B. Lehrer und Ärzte) angehörte, eine Fremdsprache sprach, Mönch war oder einfach nur eine Brille trug …. galt als Feind des „Agrarkommunismus“, wurde gefoltert und hingerichtet oder auf den Feldern erschlagen … Noch heute spült der Regen auf den berüchtigten Killing Fields Knochen und Schädel frei …
Innerhalb von 4 Jahren wurden über 2 Millionen Kambodschaner umgebracht oder kamen bei der Zwangsarbeit auf den Reisfeldern ums Leben (Gesamtbevölkerung damals 7 Millionen). Der Altersdurchschnitt liegt heute bei knapp 22 Jahren (!), nur 5 % der Bevölkerung sind älter als 65 Jahre. Ein junges Land, dessen Jugend einen blutigen Grund hat.
Eine anderes „ explosives Erbe“ dieser dunklen Zeit sind die millionenfach vergrabenen Minen. Noch immer sterben jedes Jahr zahlreiche Menschen durch Landminen oder werden schwer verletzt. Im Straßenbild sind die verstümmelten Menschen unübersehbar …
Die Probleme der Gegenwart sind nicht weniger bedrückend. Illegale, gewaltsame Landnahme mit Hilfe staatlicher Stellen, alltägliche Korruption, knapp 700.000 Waisenkinder… Kambodscha ist nach jahrelangem Bürgerkrieg als sog. „Least Developed Country“ heute eines der ärmsten Länder der Welt. Fast 80 % der Bevölkerung müssen mit weniger als 2 $ pro Tag auskommen. Ein Großteil der Kambodschaner sind mit dem täglichen Überlebenskampf beschäftigt. Und dennoch wirken viele Menschen glücklich. Jung und Alt grüßen uns herzlich lächelnd. „Hello“, Bye, bye“, „Where are you going?“ hören wir jeden Tag und stets gibt es kurze aber einprägsame Begegnungen. Das tropische Land mag ökonomisch arm sein, seine natürlichen, zauberhaften Menschen machen es reich.
Das Radeln auf Kambodschas Straßen ist für uns nicht immer leicht. Der Asphalt häufig von schlechter Qualität. Die ohnehin schon schmalen Nationalstraßen werden durch Wegbröseln der Seitenränder oft noch schmaler. Zwischen Stung Treng und Kratie gibt es fast genauso viel knallharte rote Rüttelpiste wie Asphaltabschnitte. Nach 100 km schmerzen Hände und Arme und wo wir auf dem Sattel noch schmerzfrei sitzen sollen wissen wir auch nicht mehr. Auch wenn der Individualverkehr hier noch weniger als in Laos ist, die wenigen motorisierten Vierräder stressen genug. Völlig überladene Sammeltaxis und Pick-Ups überholen uns haarscharf und mit Vollgas als gäb’s kein Morgen. Gebremst wird grundsätzlich nicht, dafür heftig gehupt, dass Federvieh am Straßenrand auseinanderstobt. Für Minuten fahren wir danach in einer Staubwolke. Bei bis zu 36 °C in der Sonne (nachts sind es angenehme 18 – 22 °C) vermischt sich der feine Sand mit Schweiß und Sonnencreme zu einem unangenehmen Hautpeeling. Am Ende des Tages überziehen Kleidung und Räder eine feine, rote Patina.
Während wir täglich ziemlich verstaubt in die Pedalen treten, feiern die Kambodschaner ausgelassen Hochzeiten. Im Dezember ist Hochsaison. Kein Ort in dem nicht ein Festzelt am Straßenrand steht und ohrenbetäubende Musik das ganze Dorf beschallt. Von der Straße weg werden wir zum Mittagessen eingeladen und können einen Teil der traditionellen Zeremonie verfolgen. Bis zu 1.000 Gäste sind aus dem In- und Ausland angereist. Die Familie ist sichtbar besser gestellt. 2 ½ Tage dauern die Feierlichkeiten und enden oft erst in der Nacht. So lange können wir leider nicht bleiben. In 2 Tagen wollen wir Siem Reap erreichen und uns die beeindruckenden Tempelanlagen von Angkor Wat ansehen.
Schon Kilometer vor dem Zentrum beginnt das heillose Durcheinander von tausenden Rollern, Tuk-Tuks, Kleinbussen und Pkw’s. Verkehrsregeln gibt es keine, doch wir haben unsere Lektion auf dem Weg hierher bereits gelernt. Am Straßenrand sind „Geisterfahrer“ unterwegs, abgebogen wird ohne Blinken, angefahren ebenso. Am spannendsten sind jedoch die per Ampel regulierten Kreuzungen. Sobald Grün erscheint setzen sowohl der Geradeaus- als auch der Abbiegeverkehr ungebremst seine Fahrt fort. In Deutschland würde es unweigerlich krachen! Nicht jedoch in Kambodscha. Ein merkwürdiges „Reisverschluss-System“ entsteht und wie von Geisterhand bleibt alles im Fluss. Geschmeidig, wenn auch ziemlich chaotisch bewegt sich der dichte Verkehr durch Siem Reaps Straßen. Nach 2 Stunden Sucherei finden wir ein einfaches Hotel für 9 $ die Nacht und spülen uns mit einer erfrischenden Dusche den roten Staub von der Haut.
Mühsam arbeiten wir uns eine der zahlreichen Steigungen in Nordlaos hinauf. Neben uns auf dem Asphalt ist das Klatschen dutzender Flip-Flops zu hören. Aufgeweckte, fröhliche Augenpaare schauen uns an. Lachend und schnaufend rennt eine Traube von Kindern mit uns den Berg hinauf.
Wenn Thailand das „Land des Lächelns“ ist dann ist Laos das „Land der Kinder“. In der Demokratischen Volksrepublik Laos, die nahezu die Größe von Großbritannien hat, leben nur 6,5 Millionen Menschen. Gefühlt sind für uns die Hälfte davon aber Kinder. Fahren wir durch eine Ortschaft werden wir stets mit einem strahlenden Lachen und dem langgezogenen „Sabaidee, Sabaidee!“ willkommen geheißen.
Das Leben in den Dörfern ist beschaulich und extrem einfach. Die Zeit scheint manchmal stehen geblieben zu sein. Bambushütten stehen auf Baumpfählen dicht nebeneinander. Oft leben 3 oder mehr Generationen unter einem Dach. 75 % der Laoten verdienen weniger als 2 $ am Tag. Viele Kinder müssen vorzeitig die Grundschule abbrechen, um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Die meisten Laoten sind Bauern und produzieren zum überwiegenden Teil für den Eigenbedarf. Was übrig bleibt wird aus strohgedeckten Hütten am Straßenrand oder auf den regionalen Märkten verkauft. Stets liegt eine „Vitaminbombe“ auf unseren Hinterradtaschen. Eine Bananenstaude kostet 50 – 80 Cent, Pomelo oder Papaya bekommen wir manchmal schon für 50 Cent. Mandarinen sind da mit 1,50 € pro Kilo schon eher eine Delikatesse.
Die laotische Küche ist nicht so vielfältig wie die Thailändische und eher „robust“. Die Laoten lieben Kheuang ping – Gegrilltes. Allerlei Fleischiges landet auf dem Rost: Huhn, Fisch, Schweinebällchen aber auch Fledermäuse, Kröten, Schweineschnauze, Hühnerfüße, Ratten, Kuhzitzen und diverse Innereien… Uns macht der Anblick bereits „satt“ und so essen wir am liebsten gebratenes Gemüse mit Reis. Reis ist das vorherrschende Nahrungsmittel und für viele Mittellose „täglich Brot“. Besonders lecker ist der Khàow niaw, Klebereis, den man zu kleinen Bällchen rollt in Sauce dipt und dann in den Mund stopft. Zusammen mit Papaya, Mandarinen oder Gurke ergibt das für uns eine ideale Zwischenmahlzeit.
Auch sehr lecker sind Khào Pìak (Reissuppe) und Fôe (Reisnudelsuppe) zum Frühstück – zusammen mit allerlei Frischem (Bohnen, Minzblätter, Basilikum, Koriander, Ingwer, Zitronengras) und einem Schuss Limettensaft eine erfrischende Mahlzeit am Morgen.
Und wenn ich anschließend noch einen laotischen Kaffee trinken kann ist der Tagesbeginn perfekt. In Luang Prabang wird das cremige, starke, rabenschwarze Getränk mit gesüßter Kondensmilch und Zucker noch an jeder Ecke verkauft. Die ehemalige königliche Hauptstadt bildet für uns nach einer 2-tägigen Reise mit einem Langboot auf dem Mekong den Ausgangspunkt unserer „Tour de Laos“.
Den „berauschenden Charme“, den Luang Prabang versprühen soll, können wir jedoch kaum spüren. Die Stadt im Kolonialstil ist hübsch und wie eine Halbinsel zwischen Mekong und Namkan eingebettet aber leider voller Touristen. Restaurants und Händler haben sich auf den „westlichen Geschmack“ eingestellt und dementsprechend ist das Angebot. Überall wird für aufregende Trekkingtouren, Elefanten-Reiten Wasserrafting geworben. Abends schallt aus den grell beleuchteten Lokalen und Karaoke-Bars laute Pop-Musik und die morgendliche Almosenprozession der Mönche gerät in der Thao Sakkarin zur „Tierfütterung“ für Touristenhorden. Außerhalb der Stoßzeiten tickt die Stadt jedoch noch im ursprünglichen Rhythmus und wir können erahnen, wie es hier noch vor wenigen Jahren gewesen sein muss, bevor die sozialistische Führung Anfang der 90er Jahre den „Bambusvorhang“ ein Stückchen zur Seite zog und Luang Prabang „entdeckt“ wurde. Abseits der „Hot Spots“ ist Laos von Touristenströmen jedoch noch weitgehend unberührt.
Und so entdecken wir auf unserer Reise ein unaufgeregtes Land, das zu den ärmsten der Welt zählt und zugleich so reich ist. Reich an entspannten, herzlichen Menschen.
Dabei hat dieses wunderbare Land schlimme Zeiten hinter sich. Im Vietnamkrieg warfen die Amerikaner 2,5 Millionen Tonnen Sprengsätze auf Laos ab und machten es damit zum meistbombardierten Land aller Zeiten. Mit den Folgen wird Laos noch lange leben müssen. Fast täglich gibt es Verletzte und Tote durch die Blindgänger im Boden. Deren Entsorgung ist aufwendig und kostspielig. Seit letztem Jahr beteiligen sich endlich auch die USA an der Räumung des explosiven Erbes…
Die Fahrt nach Vientane auf der Route 13, der Lebensader und einzigen durchgängig asphaltierten Straße des Landes, ist spektakulär. Schon kurz nach Luang Prabang windet sich die Straße in luftige Höhen. Wir „sammeln“ in den ersten Tagen ordentlich Höhenmeter und stellen mit 1.750 Hm einen neuen Tagesrekord auf. Doch die Anstrengungen lohnen. Immer wieder werden wir mit Panoramablicken über die gewundenen Täler belohnt. Die kurvenreiche, enge Straße windet sich durch grüne Berglandschaften und eindrucksvolle, zerklüftete Karst-Felsen.
Um wenigstens in den ersten Stunden bei erträglichen Temperaturen fahren zu können, starten wir bereits vor 6 Uhr. Sobald sich die Sonne durch den kühlenden Morgennebel gekämpft hat, wird es schwül-heiß. Auch in den Dörfern erwacht das Leben noch vor Sonnenaufgang. Wenn der erste Hahn kräht, sind viele Laoten schon auf ihren Feldern oder im Wald. Viele tragen zum Schutz gegen die Sonne die typischen konischen Bambushüte. Uns rinnt unter den Radhelmen der brennende Schweiß in der prallen Mittagssonne in Rinnsalen über’s Gesicht. Bei 32 – 38°C wird das Radfahren in diesen Stunden zu einem echten „Sauna-Erlebnis“.
Um noch den letzten Tag des That-Luang-Festes in Vientiane mitzuerleben, „spulen“ wir die 160 km von Vang Vieng in die Hauptstadt an einem Tag runter. Gegen 19 Uhr kommen wir erschöpft und am Ende noch regendurchnässt im Dunkeln an. Die Hauptstadt des Landes ist eher wie ein großes Dorf. Bereits 40 km vor dem Ortsschild reihen sich Wohnhäuser, Lokale und Werkstätten in endloser Abfolge aneinander. Am Straßenrand streifen Hühner, Kühe, Hunde und Schweine auf der Suche nach Fressbarem durch die Gegend. Im immer dichter werdenden Verkehr fällt uns das Atmen schwer. Jede Menge „Blei“ liegt in der Luft und wenn sich das Land weiter so motorisiert wird die Route 13 wohl bald aus allen Nähten platzen.
Am nächsten Tag besuchen wir den Phat That Luang und das Fest. Rund um den Tempel, Symbol des Buddhismus in Laos, ist ein riesiger, brodelnder Jahrmarkt. Zehntausende Besucher drängeln sich über das Gelände des wichtigsten nationalen Gebäudes. Zwischen dampfenden Garküchen, rauchgeschwängerten Grillständen und Volksfestspielen spenden Nonnen gegen einen kleinen Obolus ihren Segen, safran-gekleidete Mönche rufen lautstark und unablässig die Gläubigen zu Geld und anderen Gaben auf. Ihre knarzenden Megafone werden nur noch von den Verkaufsshows der Sponsoren übertönt. Und in all’ dem lauten Getöse laufen still und andächtig Gläubige mit Blumen und anderen Gaben in das Innerste des Heiligtums…
Erstaunt und staunend lassen wir uns durch die Kulisse treiben, lutschen Zuckerrohr, knabbern gegrillte Bananen und laotische Crepes, pulen süßen Klebereis aus Bambusrohren und lassen laotische „Donuts“ aus Kokosnussmilch und Reis im Mund zergehen. Alles sehr lecker!
Am späten Abend findet schließlich mit großem Tam-Tam eine Thai-Box-Veranstaltung statt. Die besten Kämpfer des Landes messen ihre Kampfkünste gegen eine bunte Auswahl ausländischer Kickboxer. Nach einer rituellen Zeremonie „geht es zur Sache“. Der Platz um die Boxarena ist brechend voll und jeder Treffer der laotischen Kämpfer wird lautstark von der Menge bejubelt. Und zur Freude des Publikums verlassen überwiegend die eigenen Landsleute als Sieger den Ring.
Nach 3 Tagen in Vientiane radeln wir weiter und folgen auf der 13 dem Lauf des Mekong gen Süden. Die Szenerie ist zwar nicht so spannend wie noch die Bergwelt im Norden aber auf der Nationalstraße kommen wir zügig voran und fahren täglich 100 km und mehr. Weitläufige Flusslandschaften und Reisfelder wechseln sich ab, wir queren zahlreiche Flüsse und unzählige Dörfer, die an und von der Route 13 leben.
So entspannt das Leben an der Straße verläuft so hektisch geht es auf ihr zu. Die Laoten fahren … na, nennen wir es mal „sehr beherzt“. Nach dem Motto „Vollgas und volles Risiko“ rasen besonders Busfahrer und Pick-Up Besitzer über die einspurige 13 und überholen in unmöglichsten Situationen. Mit „100 Sachen“ geht es durch Ortschaften, gebremst wird nicht, stattdessen hupt man sich den Weg frei …
Vielleicht leben die Laoten auf dem Asphalt die Freiheit aus, die ihnen die Laotisch Revolutionäre Volkspartei (LRVP) im Einparteienstaat seit 1975 versagt. Demokratische Reformen oder Grundrechte wie Rede-, Versammlungs- und Pressefreiheit gibt es in der Volksrepublik nicht. Und seitdem Chinas Einfluss auf das Land durch Großprojekte im Energiesektor und der Infrastruktur wächst, wird es wohl so schnell auch keine politische Wende geben.
Viele Steuereinnahmen, die durch Förderabgaben in die Staatskasse gespült werden, landen in den Taschen korrupter Beamten. Dabei wird das Geld dringend für das marode Bildungs- und Gesundheitswesen benötigt. Es gibt viel zu wenig Schulen und gut ausgebildetes Lehrpersonal, auf einen Arzt kommen über 5.000 Menschen und die durchschnittliche Lebenserwartung liegt gerade mal bei 54 Jahren…
Nachdem wir in Pakxe, Hauptstadt der Provinz Champasak, unseren Muskelkatern 2 Tage Ruhe gegönnt sowie Räder und Ausrüstung auf Vordermann gebracht haben, geht es morgen auf die Höhen des kühlen Bolaven-Plateaus zu Wasserfällen, Bergvölkern, Kaffeeplantagen und einem der meistbombardierten Schauplätze des Vietnamkriegs.
Chiang Khong / Thailand
221. Reisetag
6.718 km, 49.000 hm
(Bericht vom 07.11.2013)
Auf unserer Fahrt durch Nordwest-Thailand ist der Buddhismus überall gegenwärtig:
glänzende Tempel und goldene Buddha-Statuen zieren die ländlich geprägte Gegend um Uttaradit; alte Banyanbäume sind in heilige Tücher gewickelt; Glück bringende Schreine zieren jede Garküche und vor vielen Wohnhäusern stehen kleine „Geisterhäuser“ (San Phra Phum) für die Schutzgeister des Grundstückes.
In den ersten Tagen geht es auf flacher Strecke und feinstem Asphalt durch weite Ebenen vorbei an Reisfeldern, die von kleinen Flüssen gespeist werden. Die Dörfer dazwischen sind schlicht, das Leben beschaulich. Durch den Reisanbau lebt und atmet die Region im landwirtschaftlichen Rhythmus. Noch vor Sonnenaufgang sind die Bewohner auf den Beinen. Die Arbeit auf den Feldern wird noch immer von Hand erledigt. Alles geschieht unaufgeregt.
Auch wenn das Klischee von Thailand als „Land des Lächelns“ eine etwas abgegriffene Redewendung sein mag, so liegt doch viel Zutreffendes darin. Die Menschen begegnen uns stets freundlich und hilfsbereit. Im Straßenverkehr nimmt man auf uns Rücksicht, viele 4- und 2-Radfahrer überholen äußerst umsichtig und mit ausreichend Seitenabstand. Auch wenn wir Farangs (thailänd. Begriff für Ausländer) leider kein Thai sprechen und viele Thais kein Englisch, bei Fragen nach dem Weg oder einer Unterkunft lässt man uns nie im Stich. Und wenn die Wegbeschreibung zu schwierig ist, setzt sich jemand auf seinen Motorroller und begleitet uns bis zur Unterkunft.
Von der Straße weg werden wir zu Familien oder zum Essen eingeladen, mit Glücksbringern, einem spontanen Radtransport und dem vielzitierten Lächeln beschenkt.
Selbst die makellos gekleideten Polizisten grüßen uns lachend – zum ersten Mal auf unserer Reise! In den sogenannten „Police-Boxes“ der Orte können wir die Toiletten benutzen, bekommen Trinkwasser und Kaffee gereicht und wenn wir wollten, könnten wir sogar an den Polizeistation zelten.
In den Geschichtsparks von Sukhotai und Si Satchanalai-Chaliang geht es auf dem Rad 800 Jahre zurück in die Vergangenheit. Wunderschöne buddhistische Sandsteinmonumente liegen inmitten grüner Parklandschaften, umrahmt von Teichen mit unzähligen Lotusblüten – Sinnbild für Reinheit, Kraft und Erleuchtung im Buddhismus. Entspannt erkunden wir im morgendlichen Sonnenschein die verwitterten Tempel, bewundern anmutige Buddha-Statuen und versetzten uns gedanklich ins 13. Jahrhundert zurück, als hier Königreiche aufblühten, die die religiöse Kunst und Architektur Thailands bis heute prägen.
Nach dem Provinzhauptstädchen Tak wird das Gelände hügeliger und die Radtage deutlich anstrengender. Auch wenn die Berge um uns herum nicht gerade imposant sind, stellen wir auf der Strecke nach Mae Sot mit fast 1.600 Höhenmetern einen neuen Tagesrekord auf.
In dem lebhaften Städtchen an der Grenze zu Myanmar verbringen wir 2 Nächte bei Yun, der uns zu sich nach Hause eingeladen hat. In den Straßen Mae Sots herrscht ein bunter ethnischer Mix und auf dem Grenzmarkt „brummt“ der Handel.
Auf der 105 geht es bei heißen Temperaturen nordwärts entlang der Grenze zu Myanmar bis nach Mae Sariang. Die kurvenreiche, gut geteerte Straße führt uns durch viele kleine Dörfer entlang dicht bewaldeter Berghänge. An improvisierten Straßenständen und aus Häusern heraus verkaufen die Einwohner selbstgemachte Snacks, Nudelsuppen und Gebratenes.
Neben diesen idyllischen Eindrücken gibt es aber auch Bedrückendes. In der Grenzregion leben über 150.000 birmanische Flüchtlinge, die vor den Gefechten zwischen den Karen National Liberation Army und birmanischen Regierungstruppen geflohen sind. Die KNLA kämpft seit über 60 Jahren für einen unabhängigen Karen-Staat. Nach einigen Militärsperren passieren wir Mae La – mit über 60.000 Menschen eines der größten Flüchtlingslager Thailands. Bedrückt betrachten wir eng aneinander stehenden Holzhütten. Dazwischen lassen Kinder – scheinbar unbeschwert – bunte Drachen in den diesigen Himmel steigen. Ihre fröhliches Spiel steht in krassem Kontrast zu dem Stacheldrahtzaun, der das Camp umgibt. Die wenigen Eingangstore werden von Wachpersonal kontrolliert. Von außen ist nur schwer zu erahnen unter welchen Bedingungen die Menschen hier leben müssen…
Auf dem weiteren Weg ins Hochland wird die Topographie zerklüfteter, das Gelände rauer und die Straße zunehmend schlechter. Immer wieder sind Teilstücke von starken Regenfällen weggespült, große Löcher klaffen im Asphalt.
Für uns geht es jeden Tag in einer endlosen Abfolge Rauf und Runter… Bei schwül-heißen 30 – 34°C tropft der Schweiß aus jeder Pore. Unsere Hemden kleben klitschnass am Körper. Von der Dauerfeuchte ist die Haut angegriffen und im Rücken piekst es, als hätten wir hunderte kleiner Nadeln im Hemd. Nach einem Dutzend dieser kurzen giftigen Anstiege fühlen sich unsere Beine wie Wackelpudding an. Und wir sind sicher: Thailands Straßenbauer sind keine Radfahrer!
In dem feucht-heißen Klima scheinen Flora und Fauna förmlich zu explodieren. Die gerade endende Regenzeit hat alles in einen saftig-grünen Teppich verwandelt. Der Wald durch den wir fahren scheint dschungelartig, undurchdringlich zu sein. Hier und da ragen Teakbäume aus dem grünen Blätterdach. Durch die starke Abholzung gibt es in der Region nur noch wenige dieser hochwüchsigen Edelhölzer. Alles ist hier riesig: Bäume, Blattwerk, Früchte, Reptilien, Insekten … Um uns tanzen Schmetterlinge so groß wie Meisen. Wenn es still ist können wir ihren Flügelschlag hören. In den Wäldern erklingt der vielstimmige Gesang unbekannter Vögel und am Straßenrand blühen prächtige Orchideen und üppige Gräser. Und an den Fensterscheiben unserer Hotelfenster „kleben“ nachts 35 cm große Tokeh-Geckos.
Oft erreichen wir erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit eine Unterkunft. Für 7 – 12 € bekommen wir meist saubere Unterkünfte mit einer warmen Dusche, Kühlschrank und Klimaanlage. Da die Thais im Vergleich zu uns recht kleinwüchsig sind, ist so manches Zimmer eher knapp bemessen, wovon ich mich schmerzhaft „überzeuge“. Mehrmals laufe ich beim Toilettengang gegen die niedrigen Türrahmen. Angesichts der Beulenlandschaft auf meinem Haupt überlege ich mittlerweile ernsthaft nur noch zum Schlafen den Helm abzunehmen …
In Chiang Mai legen wir eine Verschnaufpause ein. Die dunstige Metropole Nordthailands hat trotz Verkehrsstau, manch schmutziger Ecke und einigen Bausünden Charme und Herz. Die Stadt ist jung und das Leben entspannt. Tradition und Moderne, Hippes und Heiliges stehen ungezwungen nebeneinander. 2 Tage lang streifen wir durch die gewundenen Gassen und Sois der Altstadt. Über den Dächern des alten Chiang Mai ragen golde Chedis zahlloser alt-ehrwürdiger, heiliger Tempel in den Himmel. Mit dem Wat Phra Singh und dem Wat Chedi Luang schauen wir uns zwei der bedeutendsten an.
Abends genießen wir birmanische Currys, taiwanesische Dumplings und nach langer Zeit mal wieder eine Pizza. Einen Tag vor unserer Weiterreise wollen wir es nicht nur unseren Mägen gut gehen lassen und gönnen uns eine Ganzkörper-Thaimassage. Während ich am Ende entspannt von der Liege aufstehe, wird bei Ria aus der geplanten Ent- eine schmerzhafte Verspannung. Nach 2 Stunden Streicheln, Biegen, Kneten und Strecken knackst es bei einer der letzten Bewegungen im Brustwirbelbereich laut und deutlich… Die nächsten Tage kann sich Ria kaum bewegen. An Fahrradfahren ist nicht zu denken. Zum Glück können wir bei Marisa und Gernot, die uns kostenlos ein eigenes Zimmer und Bad in ihrem Haus zur Verfügung gestellt haben, so lange bleiben wie wir wollen. Nach 3 Tagen lassen die Schmerzen etwas nach und wir können weiter Richtung Norden fahren.
Der letzte Abend in Thailand wird ein Südkoreanischer. In Chiang Khong sind wir zu Gast bei Bae und seiner Frau Iljae. Gemeinsam mit den beiden Kindern bereiten wir Kimbab zu – mit Seegras umhüllte Reisrollen, die wir mit Gurke, Möhre, Ei und Wurst füllen. Sehr lecker! Außerdem gibt es Saengchae (süß-saurer Salat, nicht unser Fall) und Seegras Suppe (mild, könnte man wieder essen).
Am nächsten Morgen sitzen wir zum Frühstück auf der Terrasse des Hauses und blicken bei einem fantastischen Sonnenaufgang auf den Mekong. Am anderen Ufer ist bereits Laos, unser 11. Reiseland…
Bangkok / Thailand
204. Reisetag
5.940 km, 43.160 hm
(Bericht vom 21.10.2013)
Was für ein Kontrast! Von den trockenen Hoch- ebenen Zentralasiens in die fruchtbare Flussebene Zentralthailands, vom überschaubaren Bishkek (870.000 Einwohner) in die Megacity Bangkok (8.200.000 Einwohner). Nur 7 Flugstunden sind die beiden Hauptstädte auseinander und doch liegen Welten dazwischen…
Kurz vor der Landung durchbrechen wir die geschlossene Wolkendecke. Aus der Vogelperspektive können wir einen ersten Blick auf das Häusermeer werfen. Die Metropole scheint sich ins Unendliche zu erstrecken … sanft setzt der Airbus auf. Sawadee in Thailand!
Die Millionen-Metropole empfängt uns mit feuchter Hitze, Chaos und … lächelnden, hilfsbereiten Menschen. Im gigantischen Flughafen Suvarnabhumi (51 Gates) „wandeln“ wir durch riesige Hallenkomplexe. Mit unseren ausgefüllten Embarkation Cards und Reisepässen geht es schließlich zum Immigrationschalter. Kurz darauf haben wir ein kostenloses 30-Tage-Visum für Thailand! Wie einfach doch Bürokratie auch sein kann…
Um in die Stadt zu gelangen nutzen wir die hochmoderne, vollklimatisierte Expressline der Airport Rail Line. Auf der 15-minütigen Fahrt rasen wir an Glaspalästen, Slums, goldenen Tempeln, Wolkenkratzern und überdimensionalen Bildern des hochverehrten und hochbetagten Königs Bhumibol vorbei. Dazwischen riesige 4-, 5-, 6-spurige Straßen (in eine Fahrtrichtung!!) voller bunter Fahrzeugschlangen. In der dunstigen Ferne verliert sich der Beton-Dschungel im Ungefähren.
An der Station „Phaya Tai“ steigen wir aus dem Zug. In der drückenden schwül-warmen Nachmittagsluft packen wir unsere unversehrten Räder aus den Kartons, machen sie wieder fahrtauglich und stürzen uns in das abgasgeschwängerte Verkehrschaos Bangkoks. Auf dem Weg zum Hotel sehen wir erst mal nicht viel von der Stadt. Das Straßenwirrwar und der ungewohnte Linksverkehr kosten unsere volle Konzentration. Nach 6 langen Kilometern erreichen wir unsere Unterkunft (Sam Sen Sam Place, http://www.samsensamplace.com/) in der Samsen Road, Soi 3. Ein echtes Kleinod 100 m abseits der lärmenden Hauptstraße, das wir gerne weiterempfehlen.
Die ersten Tage taumeln wir wie staunende Kleinkinder durch die Stadt. In den Straßen und Gassen Alt-Bangkoks (Rattankosin Islands) pulsiert das Leben.
Unsere Augen, Ohren und vor allem Nasen werden mit allen möglichen Sinneseindrücken „bombardiert“. Von unzähligen Handkarren und Eckständen herunter, aus Garküchen und Straßenlokalen heraus wird alles mögliche Essbare verkauft. Kaltes, Heißes, Süßes, Saures, Salziges, Würziges und natürlich: Scharfes! Überall brutzelt, gart, kocht, grillt und dämpft es vor sich hin. Wir betreten ein völlig neues Universum. An jeder Ecke in jeder Straße duftet es anders. Aufgeregt tauchen wir unsere Ess-Stäbchen in Schüsseln köstlich duftender Nudeln, löffeln leckere scharf-saure Suppen (Dom Yam) und kosten an Ständen berühmter Straßenhändler Reis & Curry, Kurzgebratenes, Frühlingsrollen (Po Pee A), würzige Salate und allerlei andere Leckereien. Oft kosten die Gerichte nicht mehr als 1 – 2 €, also 40 – 80 Baht.
Unseren Vitaminhaushalt füllen wir auf den bunten Märkten der Stadt auf. Für wenig Geld lassen wir uns frische Mangos, Durian, Papayas, Jackfruit, Ananas, Longkong, Ur-Guave und Bananen, Drachenfrucht und Tamarinde schmecken.
Und im hektischen Chinatown verirren wir uns in einem Netz aus winzigen Gassen und überfüllten Märkten und bestaunen die Fülle faszinierender Zutaten.
Die Streifzüge durch die Stadt sind dabei alles zugleich: fesselnd und faszinierend, aber auch stressig und ermüdend. An die schwüle Hitze (Bangkok ist eine der heißesten Städte der Welt), den ohrenbetäubenden Lärm und die schlechte Luft in den chronisch verstopften Hauptstraßen können wir uns nur schwer gewöhnen. Lediglich die schweren Gewitter und sintflutartigen Regengüsse sorgen an 2 Tagen für etwas kühlere und frischere Luft in den Morgenstunden.
Auf einer kleinen Tempel-Tour schauen wir uns 3 der schönsten und bedeutendsten Bangkoks an (es gibt über 400 in der Stadt).
Der Wat Phra Kaew ist eine märchenhafte Anlage aber leider auch die Touri-Attraktion. Im Gewühl lautstark, drängelnder Reisegruppen und fotogeiler Schnappschuss-Paparrazis mag nicht so rechte „Tempel-Atmosphäre“ aufkommen. Dennoch beeindrucken uns die bunten Fliesenmosaike, vergoldeten Türme, Fabelwesen und dämonisch aussehenden Tempelwächter. Zwischen den Touristenströmen zollen Bangkoker dem hochverehrten Smaragd-Buddha mit Lotusblüten, Räucherstäbchen und Blattgoldplättchen ihren Respekt. Religiösität und Glücksrituale gehen dabei fließend ineinander über. Ob Geldsorgen oder Kinderwunsch – erste Anlaufstelle bei Wünschen und Bedürfnissen sind die Tempel. Und für das persönliche Glück lässt man schon einige Baht springen. Uns befremdet diese Art des „Ablasshandels“ erst mal. Aber vielleicht dringen wir im Laufe unserer Reise durch Thailand noch etwas tiefer in die Religion ein, die im Land alles durchdringt …
Im Tempelbezirk des Wat Saket ist es da schon deutlich ruhiger. Im Zentrum liegt der „Goldene Berg“ (79 m). 318 Stufen schlängeln sich serpentinenartig zum Goldenen Chedi hinauf (Denkmal in Form einer Bergspitze, die der dauerhaften Stabilität des Buddhismus gewidmet ist). Dichtes Blattwerk knorriger Bäume bietet beim Anstieg angenehmen Schatten. Oben angekommen haben wir ein fantastisches 360-Grad-Panorama. Von hier oben wirkt die lärmende Stadt fast friedlich.
Der „Liegende Buddha“ im Wat Po beeindruckt uns mit seiner schieren Größe. 45 m lang und 16 m hoch ist die Figur, die Buddha in dem Moment zeigt, in dem er ins Nirvana übergeht (Nirvana ist das große Ziel im Theravada-Buddhismus, denn es bedeutet das „Auslöschen“ aller Begierden und damit auch allen Leidens. Wer mehr dazu erfahren möchte: http://de.wikipedia.org/wiki/Nibbana).
Im MBK, einem der vielen gigantischen, vollklimatisierten Konsumtempeln Bangkoks versorgen wir uns mit Sonnencreme und auf dem Wochenendmarkt am Chatuchak Park mit Souvenirs.
Da die Sehenswürdigkeiten oft weit auseinander liegen, die Straßen chronisch verstopft sind und wir die günstigen Busse nutzen (7 – 20 Baht pro Fahrt. Es gibt über 500 Linien aber keinen Fahrplan. Und wenn’s ihn gäbe wäre er ohnehin nicht einzuhalten), endet so mancher Kurztrip fast als Tagesausflug. Wie die Bangkoker diesem Verkehrschaos tagtäglich mit äußerlicher Gelassenheit begegnen, erstaunt uns immer wieder. Wir sind nach 7 Tagen bereits ziemlich erschöpft und stadtmüde. Da kommt das heißersehnte Paket von meinen Eltern aus Deutschland mit Karten und Ersatzteilen gerade recht. Nachdem alles um- und verpackt und die Wintersachen im Hotel eingelagert sind, verlassen wir Bangkok am 21. Oktober mit dem Nachtzug nach Norden, Ziel Uttaradit. Ab jetzt wird wieder in die Pedale getreten …
Bishkek / Kirgisistan
193. Reisetag
5.929 km, 43.160 hm
(Bericht vom 09.10.2013)
Die Einreise nach Kirgisistan verläuft problemlos. Die Grenzer sind mehr mit Backgammon als mit uns beschäftigt. Nach nicht einmal 20 Minuten haben wir die Stempel in unseren Pässen und nehmen das letzte Drittel des offiziellen Pamir-Highways unter die Reifen.
Die Abfahrt nach Sary-Tash, dem ersten Bergdorf auf kirgisischer Seite, ist ein echter Genuss. Locker tretend rollen wir ins Tal, genießen noch einmal die eindrucksvolle Bergkulisse und die Abendsonne. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wir Sary-Tash. Der Ort selber ist leider noch genauso trostlos wie die letzten Ortschaften in Tadschikistan. Abseits der Hauptstraße finden wir ein Guesthouse. Das Werbeschild verspricht viel: moderne Dusche und Toilette, Essen satt und tolle Betten! Leider stimmt davon nichts. Dusche Fehlanzeige, Wasser ebenso… Das Essen macht nicht satt, die Betten sind dünne Matratzen, das Zimmer ist kalt und die Toilette ein Plumpsklo hinter’m Heuhaufen. Für den „Komfort“ möchte die missmutige Hausherrin schlappe 13 $/p.P. Nach einigem Hin und Her gibt sie uns das Zimmer für 10 $/p.P. Das Wasser müssen Christian und ich in der Dunkelheit vom 2 km entfernten Fluss holen. Als wir uns dann etwas erfrischt und ziemlich erschöpft zur Ruhe legen wollen, entdecken wir jede Menge Wanzen im Zimmer. In einem Glas sichern wir 20 Stück als „Corpus Delicti“ und bezahlen am nächsten Morgen noch 7 $ pro Person. Immer noch genug für das Gebotene.
Gleich hinter Sary-Tash geht es wieder in einen langen Anstieg. Wie auch Tadschikistan ist das Land von Bergen dominiert. Über den Pass „40 Jahre Kirgisistan“ (3.550 m) [die 40 Jahre sind uns schleierhaft. Am 31.08. feierte das Land 22 Jahre Unabhängigkeit], den Taldyk-Pass (3.615 m) und den Chrychryk-Pass (2.389 m) radeln wir 200 km auf gutem, chinesischem Asphalt. Die abwechslungsreiche Landschaft mit Hochgebirgen, Seen und weiten Bergwiesen mit frei herumlaufenden Pferden lässt keine Langeweile aufkommen. Unzählige Male passieren wir Schaf- und Kuhherden, die von den Hochweiden auf der Hauptverkehrsachse in die Täler getrieben werden. In den Abfahrten erreichen wir „60 Sachen“ und mehr und können mal wieder richtig „Tempo machen“. Sobald uns Kinder sehen, rennen sie „Hello, hello!“ rufend an den Straßenrand und wollen unsere Hände abklatschen. Nicht immer können wir einschlagen, da der Individualverkehr deutlich stärker ist als noch in Tadschikistan. Vor allem unzählige, völlig überladene Pritschenwagen mit Kohle für den Winter sind unsere ständigen Begleiter. Nicht wenige davon machen in den Steigungen schlapp. In den Minimärkten ist das Angebot noch immer dürftig. Nur die Ecke mit Alkoholika ist deutlich umfangreicher. An Abnehmern mangelt es nicht. Leider haben sich in Kirgistan die sowjetischen Trinkgewohnheiten stärker gehalten, als in seinen Nachbarländern. Schon mittags torkelt so mancher Zeitgenosse mit einer übel riechenden Fahne an uns vorbei.
In Osch ist es dann aber soweit. Endlich gibt es wieder Essen satt und sogar einen türkischen Bäcker. Wir schlagen uns nach Lust und Laune die Mägen voll, verspeisen die besten Schaschlicks der bisherigen Reise und verbringen 2 Nächte im ordentlichen Hotel „De Luxe“. Für die Weiterfahrt nach Bishkek organisieren wir uns mit Hilfe zweier hilfsbereiter, deutsch sprechender, Studentinnen ein Sammeltaxi. Pünktlich um 7 Uhr steht der Kastenwagen am Hotel. Wir sichern Gepäck und Räder im Laderaum mit Riemen und dann geht es auch schon los. 11 Stunden lang kachelt unser Fahrer im Formel 1-Stil über die M41. Wann immer es geht oder auch nicht, wird überholt. Auf selbst eingebauten Sitzen und ohne Gurt läuft uns nicht nur von der Hitze der Schweiß… Beeindruckende Landschaften „fliegen“ an uns vorbei. Nach 670 km erreichen wir müde und erschöpft die Hauptstadt Kirgistans. Bei Gulnara und Talant kommen wir für 10 Tage unter. Jeden Morgen gibt es leckere, selbstgemachte Marmelade mit Omelette und auch nach dem Abendbrot gehen wir nie hungrig ins Bett. Die Völlerei bleibt nicht ohne Folgen. Wir erreichen unser altes Kampfgewicht wieder
Mit der Marschrutka, Bishkeks Minibussen, die man einfach per Handzeichen anhalten kann, fahren wir für 10 Somoni (ca. 23 Cent) ins Zentrum. Die Hauptstraßen sind chronisch verstopft. Und wenn für dunkel getönte Luxuslimousinen hunderte Polizisten alles absperren, liegt der Verkehr minutenlang lahm… Jeden Tag sind die umliegenden Berge nur im Dunst zu sehen. Die Architektur der Innenstadt ist eindeutig sowjetisch und von Beton dominiert. Dennoch ist Bishkek im Gegensatz zu anderen Städten mit ähnlicher Vorgeschichte nicht gesichtslos und trist. Zahllose Alleen und Parks verleihen der Stadt ein grünes Gewandt und im Zentrum laden breite schattige Boulevards zum Flanieren ein. Wir genießen das entspannte Treiben in der Metropole und die hochsommerlichen Temperaturen von 30 °C. Bishkek wirkt auf uns jung und modern. Viele Studenten leben hier. Erstaunlich oft werden wir auf Deutsch angesprochen. Die meisten haben die Sprache in der Schule oder Uni gelernt und fast jeder möchte in Deutschland einmal arbeiten oder studieren.
Waren wir auf dem Pamir-Highway im wahrsten Sinne des Wortes nur einen „Steinwurf“ von China entfernt (manchmal kein 20 m) so bleibt uns unser nächstes geplantes Reiseland dennoch leider verschlossen. Das „Reich der Mitte“ vergibt seit 13. August in Zentralasien keine Visa an Individualreisende mehr.
Gezwungenermaßen verlassen wir am 09. Oktober mit dem Flieger Kirgistan. Einen Tag lang haben wir Verpackungsmaterial für unsere Räder gesucht, alles bestens verpackt und – um ja nicht in Zeitdruck zu geraten – sind wir bereits 4 Stunden vor dem Abflug am Airport. Allerdings haben wir nicht den „verschärften“ Sicherheitscheck in unsere Zeitkalkulation mit eingerechnet. Das Personal will die Räder nicht in den Kartons durch die Scanner schieben und besteht darauf, dass wir alles noch mal auspacken. Geschlagene 90 min. diskutieren wir. Ein Scanner scannt, ob mit oder ohne Karton! … Man versteht uns nicht oder will es nicht. Letztendlich rennt uns die Zeit davon. Wir geben nach. Unter den amüsierten Blicken des Personals packen wir alles wieder aus und ein. Zum Glück haben wir den Rest Folie und Klebeband noch mitgenommen, so dass wir unsere Drahtesel wieder halbwegs gut verpackt kriegen. 5 Minuten vor Ende des Check-Ins sind wir fertig – fix und fertig. Den Abschied aus Zentralasien hatten wir uns entspannter vorgestellt. Nach einem Zwischenstopp in Almaty hebt unser Flieger um 01:00 Uhr nachts Richtung Thailand ab. Prächtig Tempelbauten, lächelnde Menschen, gutes Essen und subtropische Temperaturen. Das sind die ersten Bilder und Vorstellungen, die wir von unserem 10. Reiseland haben. In nicht einmal 7 Stunden werden wir in Bangkok sein. Irgendwie irreal, nach 6 Monaten auf dem Rad gen Osten so beschleunigt zu werden.
Pamir-Highway / Tadschikistan
. 183. Reisetag
5929 km, 43.160 hm
(Bericht vom 29.09.2013)
Auf über dreieinhalbtausend Metern windet sich die Piste über das Hochplateau. Zur Linken und Rechten erheben sich gewaltige Gebirgsmassive. Berauschende Landschaften in einem prächtigen Farbenspiel ziehen an uns vorbei. Hier oben atmet alles Ewigkeit.
Wir sind am südlichsten Zipfel Tadschikistans angelangt, unterwegs auf dem legendären Pamir-Highway. Die zweithöchste Fernstraße der Welt, 1932 fertiggestellt, ist bis heute Lebensader der Region. Das Pamir-Gebirge, dass die Tadschiken “Bam-I-Danja”, das “Dach der Welt”, nennen, verbindet einige der größten Gebirgszüge Asiens: Karakorum (Süden), Tianshan (Norden), Kunlun Shan (Südosten) und Hindukusch (Südwesten). Im Osten des Pamir schließt das Hochland von Tibet an.
Von Chorug aus folgen wir dem Lauf des Gunt. Der Fluss und das enge Tal lassen nur wenig Platz zum Ackerbau. Hockend und in mühsamer Handarbeit bewirtschaften die Menschen auf schmalen Feldern den harten Boden. Das Blätterwerk der Bäume verfärbt sich langsam in herbstliche Farben. Zu Beginn passieren wir noch mehrere Dörfer. Es werden die letzten für längere Zeit sein. Auf den Hochplateaus des Pamir gibt es nur ganz wenige, weit entfernt liegende Orte, der Rest ist pure Einsamkeit. Die Strecke steigt von 2.000 m ü.d.M kontinuierlich an. Gut, um uns an die extreme Höhe zu gewöhnen.
Mit zunehmender Fahrtdauer werden die Berge schroffer und höher. Immer öfter sind die Bergkuppen mit Schnee bedeckt. An den Hängen entdecken wir Gletscher. Kurz vor dem ersten Pass zelten wir auf 3.850 m. Wir schlafen gut. Mit der Höhe haben wir nie ernsthafte Probleme.
Am nächsten Morgen ist es empfindlich kalt. Warm eingepackt steigen wir auf unsere Räder. Nach 5 km endet der Asphalt. Eine grobe Sand- und Schotterpiste führt uns auf den ersten 4.000er Pass. In steilen Spitzkehren geht’s mächtig zur Sache. Auf einigen Passagen müssen wir unsere Räder schieben, so steil ist die Piste in den Hang gebaut. Unser Atem geht schnell und kurz. Zum ersten Mal spüren wir den geringeren Sauerstoffgehalt. Zur dünnen Luft kommt noch der hohe Temperaturunterschied zwischen Sonne und Schatten. Sobald sich der Himmel bewölkt fällt das Thermometer um 10 °C. Quietschend und polternd hüllen uns die großen, chinesischen Sattelschlepper in dicke Staubwolken ein. Gegen 11 Uhr sind wir auf dem Koi Tezek Pass – 4.272 m Seehöhe. Die Vegetation hat deutlich abgenommen. Die Baumgrenze liegt hier bei 3.700 m. An die Stelle enger Schluchten treten weite Hochebenen. Steinadler und riesige Schneegeier kreisen am stahlblauen Himmel, elegant die Thermik nutzend. Scheue Murmeltiere nehmen pfeifend Reißaus vor uns. Gegen den schneidend kalten Wind und die stechende Sonne schützen wir uns mit Mütze und Buff. Gesicht, Hände und Lippen cremen wir mit starken Sonnenschutzmitteln ein. Nach einer ruppigen Abfahrt und etwas Asphalt geht es in den 2. Anstieg zum Tagarkak Pass (4.180 m). Erneut wird die Strecke sandig und schlecht. Die Steigungen sind jedoch moderater und besser zu fahren.
Ein paar Kilometer weiter taucht auf dem Hochplateau der Yashikul-See auf. Smaragdgrün erstreckt er sich in einer Senke, 3.700 m ü.d.M. Das Atmen fällt uns schwer, doch die majestätische Landschaft entschädigt für die Mühsal. Zum ersten Mal sehen wir die weißen Gipfel des Pamirs. Unweit des schön gelegenen Sees zelten wir in der kargen Hochgebirgswüste. Außer kleinem gelben Büschelgras wächst hier nicht viel. Wir genießen die letzten Sonnenstrahlen des Tages, die Einsamkeit und den Zauber der Berge. Gegen Abend peitschten Böen jede Menge Sand in unser Vorzelt. Die Nacht ist dann windstill und sternenklar.
In Alichur, einem kleinen Dorf aus Lehmhütten, versorgen wir uns mit Keksen, Wasser und Instantnudeln. Wie überall gibt es auch hier nur einfachste Läden. Nach dem Ort lässt uns kräftiger Rückenwind förmlich über die Hochebene fliegen.
Immer wieder bleiben wir stehen, um den Blick auf die teilweise vergletscherte Alichur-Kette (5.000 m) zu genießen. In der Ebene liegen weit verstreut Jurten der Pamiris. Yak- und riesige Schafherden ziehen entlang der Hänge und begrasen das karge Grün. Die Sedimentgesteine schimmern in allen möglichen Erdtönen – von Gelb über Ocker ins Braune. Leuchtendes Rot wechselt sich ab mit grauen, teilweise fast schwarzen Gesteinsschichten und steht in scharfem Kontrast zu den in schneeweiß endenden Berggipfeln. Dort, wo Wasser Leben spendet, mäandert ein grünes Band durch wüstenartiges Gelände . Wir nutzen die wenigen Wasserstellen, um unsere Flaschen aufzufüllen. Am Himmel vollziehen sich immer wieder Wetterwechsel von atemberaubender Geschwindigkeit. Sind wir eben noch in gleißendes Sonnenlicht getaucht, lassen kurz darauf drohende Gewitterwolken am Horizont Schlimmeres erwarten, um sich ebenso schnell im Nichts aufzulösen.
Vom Naizatash Pass (4.137 m) sausen wir in einer langen, kurvenreichen Abfahrt ins Tal des Murgab-Flusses. Direkt an der Straße finden wir eine halbwegs windgeschützte Stelle und stellen nach 103 Tageskilometern unser Zelt in einem ausgetrockneten Flußbett auf.
Kurz vor Murgab, dem wichtigsten Ort der Region, wird zum 2. Mal unser GBAO Permit geprüft. Ein sinnloses Stück “Papier”, das Präsident Rahmon ein paar zusätzliche Somoni in die Schatulle spült. Murgab selber strahlt eine eigentümliche Atmosphäre aus. Die geduckten, kleinen weißen Häuser wirken in der weiten Ebene wie ein Hafen ohne Meer. Doch das Panorama ist schön. Im Hintergrund erhebt sich auf chinesischer Seite der Mutztagata (7.509 m) – “Vater der Eisberge” und dritthöchster im Pamir-Gebirge.
Die Haut der Einwohner ist von der Höhensonne gegerbt und dunkel geworden. Kirgisen, die hier die Mehrzahl der 7.000 Einwohner bilden, laufen in ihren typischen Filzhüten durch die staubigen Gassen. Das Klima ist rau und die Stimmung triest. Immerhin gibt es einen kleinen Basar und damit etwas mehr Auswahl an Essbarem als die letzten Tage. In Frachtcontainern werden ein wenig Gemüse, viel Alkoholisches, Süßes und jede Menge Haushaltswaren “Made in China” verkauft. Die Cafés am Markt versprühen einen spröden Charme. Ein Blick in die Küchen lässt für unsere Mägen nichts Gutes erahnen. Doch wir sind zu hungrig, um “Vernunft” walten zu lassen. Mutig bestellen wir Kartoschka, Bortsch und Lagman. Und – oh Wunder – alles bleibt drin. Nur die Fettschwanzschaf-Suppe ist zu fettig und schafig und will nicht runter. Im Pamir-Hotel verbringen wir 2 Nächte und genießen warme Dusche und ordentliches Frühstück in kalten Räumen. Auch die örtlichen Militär- und Milizbonzen fühlen sich hier wohl und lassen sich abends vollaufen…
Der “freie Tag” geht fast vollständig für eine erneute Registrierung drauf. Ein Stück “Absurdistan” as it’s best. Obwohl wir ein 60-Tage Visum haben, müssen wir uns nach 30 Tagen erneut registrieren. Sicher wieder eine “großartige” Geschäftsidee von Mr. Rahmon. Das Ganze kostet 140 Somoni (ca. 24 €)/p.P. und erfolgt auf Formularen, die ausschließlich auf Tadschikisch sind… Nachdem wir diese Hürde nach 2 Std. mit Hilfe Einheimischer genommen haben. folgt der Besuch bei der Registrierungs”behörde”. Auch hier muss wieder jede Menge Papierkram ausgefüllt werden, dieses Mal von der Angestellten. Allerdings sind gerade die Bögen ausgegangen …. Also noch einmal am Nachmittag hin, viel Geduld mitbringen und auf Tiefenentspannung umschalten. Gegen 17 Uhr sind wir endlich – wo auch immer – registriert und halten erleichtert ein kleines Zettelchen in unseren Händen. Unsere Reise kann weitergehen.
Von Murghab fahren wir mit Danjela und Christian (Wien) weiter. Beide hatten wir schon in Dushanbe und Chorug getroffen. Gemeinsam beginnen wir den mühsamsten Anstieg der Hochgebirgsstraße. Es geht auf den Akbaital-Pass. Leider hat der Wind gedreht und bläst uns allen ordentlich ins Gesicht. Und es wird noch einmal kälter. Auch die Zeltplatzsuche wird nun schwieriger. Es gilt, einen halbwegs windgeschützten Platz zu finden. So schieben wir unsere Räder steinige Hänge hinab, um gute Plätze an Wasserläufen zu finden. Nachts sinken die Temperaturen über 4.000 m auf – 10°C. Im Zelt messe ich lauschige – 3°C… Am Morgen sind die Wasserflaschen komplett gefroren. Ausgerechnet in dieser Zeit delaminiert sich eine unserer Matten in der Mitte fast vollständig und bietet nur noch wenig Isolation gegen die Bodenkälte.
Der Akbaital Pass, höchster Punkt des Pamir-Highway, ist eine echte Herausforderung. Jeder Tritt scheint das dreifache an Kraft zu kosten. Alle 100 m müssen wir schwer atmend stehen bleiben, den Puls beruhigen. Reden tun wir kaum noch. Wir brauchen die gesamte Luft zum Gehen oder Pedalen. Gegen 14 Uhr haben wir den Pass endlich bezwungen und stehen auf 4.655 m. Nie waren wir den Sternen näher! Ewigkeit und blauer Himmel um uns herum. Das Gefühl – unbeschreiblich. Schnell machen wir ein Foto und wechseln die nassen Sachen. Ein Snickers und viel Wasser, dann müssen wir auch schon weiter. Im kalten Wind ist man trotz Sonnenschein nach wenigen Minuten ohne Bewegung durchgefroren.
Die anschließende Abfahrt (erst 25 km üble Wellblechpiste dann Asphalt) nach Karakul ist landschaftlich einmalig. Vor Jahrmillionen schuf hier ein Meteoriteneinschlag einen abflusslosen Endsee. Tiefblau schimmert der Karakul auf 4.000 m in der Sonne. In der Ferne glänzen die schneebedeckten Gipfel der Transalai-Kette. Ein gigantisches Panorama!
Der gleichnamige Ort wirkt fast schon surreal. Ein paar Flachbauten liegen verstreut auf einer vegetationsfreien Ebene. Neben einem kleinen Magazin gibt es hier sogenannte Homestays, einfachste Unterkünfte bei Gastfamilien. Wir verbringen 2 Nächte für 7 $ p.P. und Nacht, um uns von den Strapazen zu erholen. Im sogenannten “Simovka”, dem Winterzimmer, schlafen wir mit Matten der Gastgeber auf dem Boden. Das Zimmer ist mit einem kleinen Ofen ausgestattet. Allerdings gibt es nur wenig Heizmaterial. Nach 1 Stunde ist alles verbrannt, die wohlige Wärme verflogen und der Raum wieder 8°C kalt. Der Halbstrauch Teresken, der zum Heizen verwendet wird, ist in der Umgebung ausgerottet. Von weit her wird er aus den Bergen herangeschafft und ist entsprechend teuer. Wir fragen uns, womit die Menschen wohl in 10 Jahren gegen die -40°C im Winter anheizen werden…
Wasser holen sich die Einwohner mit Eiseneimern aus dem Dorfbrunnen. Elektrizität gibt es nicht. Wir haben am Abend immerhin 2 Stunden Licht dank eines Generators. Die Toilette, ein eingemauertes Plumpsklo mit “Himmelsdach”, ist 50 m vom Haus entfernt. Frühstück und Abendbrot nehmen wir im ungeheizten Vorraum ein. Im Schneidersitz hocken wir um eine erhöhte Tafel, löffeln dünne Suppe mit einer Kartoffel und träumen von heimischen Köstlichkeiten…
Gern hätten wir mehr über unsere Gastgeber, ihre Lebensumstände und Wünsche erfahren. Doch die Sprachbarriere lässt keine ausführlichere Kommunikation zu. Was wissen sie von der „Welt da draußen“, den „Segnungen“ unserer Zivilisation? Wie empfinden sie das Leben hier oben?
Auch der letzte Abschnitt zur tadschikisch-kirgischen Grenze hat es noch einmal in sich. Ein weiterer Pass bringt uns wieder auf 4.300 m. Staub wirbelt durch die Luft. Der Wind nimmt mitunter sturmartige Formen an und blässt uns eisig in die Gesichter. Selbst bergab müssen wir teilweise kräftig zutreten, um überhaupt vorwärts zu kommen. Konversation ist nur noch schreiend möglich. Die menschenleere Mondlandschaft wirkt im diffusen Tageslicht fast schon mystisch. Nach einem letzten heftigen Anstieg haben wir den tadschikischen Grenzposten erreicht. Der Empfang durch die Soldaten ist schroff und militärisch, die Verabschiedung dann fast schon herzlich. Mit Bitten und Betteln und viel Freundlichkeit haben wir es sogar noch fertig bekommen, unseren teuren Registrierungszettel als Souvenir zu behalten…
Das schönste “Souvenir” war aber die Fahrt über das “Dach der Welt”. Ein unvergessliches Abenteuer, dessen Bilder und Erlebnisse uns noch lange in Erinnerung bleiben werden.
Wer noch mehr über den Pamir und seine Bewohner erfahren will, sollte sich die nachfolgende Dokumentation ansehen, die Anfang des Jahres auf Phoenix ausgestrahlt wurde.
Khorog/ Tadjikistan
165. Reisetag
5.142 km, 34.769 hm
In scheinbar endlosen Windungen schlängelt sich die Piste an den Hängen der Hasr Etiši Bergkette entlang. Seitdem wir vor 3 Tagen den Fluss Obihingab verlassen haben, steigt die Piste kontinuierlich an. Immer wieder müssen wir auf der Scheitelstrecke kurze Pausen machen, um den Puls zu beruhigen. Die Luft hier oben ist schon spürbar dünner. Die Straße M 41, der wir bis kurz vor Bishkek in Kirgisistan folgen wollen, ist in einem unsagbar schlechtem Zustand. Asphalt gibt es keinen mehr, dafür jede Menge Schlaglöcher, dicke Gesteinsbrocken und Versandungen. Gelegentlich müssen wir unsere Räder durch ausgetrocknete Flussbetten schieben. Ein mühsames Unterfangen. Die marode Infrastruktur wird nur äußerst behelfsmäßig und oft mit unzulänglichen Mitteln gegen die rauen Naturgewalten der eindrucksvollen Gebirgswelt aufrecht erhalten. Allerdings ist die Verkehrserschließung Tadschikistans wegen seiner Oberflächengestalt auch sehr schwierig. 2/3 des Landes sind Hochgebirge.
12 km und 700 Höhenmeter nach unserem heutigen Start kommt die langersehnte Passhöhe in Sicht. Noch einmal kurbeln wir mit aller Kraft, das Ziel endlich vor Augen. Unser Atem geht schnell und schwer. Nach einer letzten Rechtskurve können wir endlich eine „Schutzhütte“ sehen. Auf einer der Seiten steht in großen, roten Lettern: 3.252,8 m. Wir sind auf dem Sagir-Dasht-Pass! Unserem ersten 3.000er. Ein emotionaler Höhepunkt! Erschöpft fallen wir uns in die Arme, schreien unsere Freude ins Tal. Es ist Punkt 12 Uhr.
Kaum angelangt blasen auch schon starke Windböen über die Passhöhe. Auf über 3.000 m sind es nur noch 15 °C. In aller Eile wechseln wir unsere durchgeschwitzten Klamotten und verlegen das Kochen in eine Nische der „Schutzhütte“. Während wir heiße Instantnudeln in der wärmenden Sonne genießen besuchen uns 3 Hirten, die mit ihrer Herde über die Berge nach Kulob ziehen. In den letzten Tagen sind uns immer wieder riesige Schaf- und Ziegenherden begegnet. Bis zu 5.000 Tiere auf einmal werden oft von nur einer Handvoll Männer die Straße hinunter getrieben. Schon aus der Ferne ein beeindruckendes Bild. Vorneweg laufen stets die Esel mit dem Hab und Gut der Männer. Unglaublich, was diese kleinen widerstandsfähigen Tiere alles auf ihren schmalen Rücken schleppen können. Die Begrüßungen der Hirten sind stets herzlich und respektvoll. Den wettergegerbten Gesichter sieht man an, dass ihr Leben entbehrungsreich und hart ist. Während uns ein wogendes Meer aus tierischen Körpern umschließt stehen wir minutenlang in einer riesigen Staubwolke. Die Autofahrer haben weniger Geduld. Unaufhörlich hupend drängeln sie sich durch die Herde.
Nach 1 ½ Stunden Pass-Pause ziehen wir wieder unsere Radkleidung an. Im Schritttempo geht es auf schlechter Piste hüpfend und rutschend 2.000 Höhenmeter hinunter in das Tal des Flusses Panj. Schon nach kurzer Zeit schmerzen die Hände vom vielen Bremsen. Die Felgen werden heiß und brauchen alle paar Kilometer eine Pause, um nicht zu überhitzen. Das Tal wird zunehmend enger. Immer weniger Lichtstrahlen finden den Weg hinein. Kurz vor Kalaikhum wartet noch einmal ein Hindernis auf uns. Vor 10 Tagen brach unter der Last eines Lkw’s eine Flussbrücke zusammen. Die Überreste der Stahlkonstruktion hängen noch in der Strömung. Ersatz gibt es noch nicht. Amur, ein Tadschike, bietet sofort seine Hilfe an und bringt uns samt Rädern und Equipment mit seinem russischen Jeep ans andere Ufer. Die kurze Fahrt ist eine mit Herzschlag. Bis zum Radkasten verschwindet der Jeep in den Fluten, ich stehe auf der Heckklappe und versuche die Räder vor dem Herunterfallen zu bewahren ohne selbst abgeworfen zu werden. Ria hält auf der Beifahrerseite mit aller Kraft an den Lenkern fest. Hüpfend und schnaubend bewegen wir uns durch das Flussbett. Der Motor jault mehrmals bedrohlich auf und versetzt der in die Jahre gekommen „Kiste“ einen heftigen Stoß. Doch alles geht gut und „trockenen Rades“ erreichen wir das andere Ufer. Geld für seine Hilfe möchte Amur keines annehmen. Aber die kasachischen Karamel-Bonbons schmecken ihm und seiner Familie.
In Kalaikhum, Grenzstadt zwischen Tadjikistan und Afghanistan, können wir unsere Vorräte ein wenig auffüllen und finden mit etwas Glück und Suche sogar Äpfel, Kartoffeln, Paprika, Gurke und Brot. Auf den folgenden 300 km hat kein Laden mehr eines der Dinge. Die Menschen versorgen sich weitgehend selbst. Und so ist das „Angebot“ in den Läden stets das Gleiche: Bonbons, verstaubte (offen liegende) Kekse, selbstverpackte Nudeln, Cola (nicht immer), Wasser (noch seltener), Zucker, Salz und Mehl in Säcken und ein paar Hygieneartikel. Ansonsten China-Plaste-Kram… aber der ist nicht essbar. So ist es immer eine Riesenfreude wenn uns Einheimische Äpfel, Tomaten und Gurken in die Taschen stopfen oder wir ein großes Fladenbrot geschenkt bekommen. Auch zum Tee werden wir täglich eingeladen. Nach erneuten gesundheitlichen Problemen in Dushanbe sind wir aber mehr als vorsichtig und lehnen jede Einladung dankend ab. Unsere Abfahrt aus der Hauptstadt hatte sich um einen Tag verschoben, da Ria Fieber und Durchfall bekam. Zum Glück waren wir privat bei Veronique aus Paris untergebracht. Hier konnten wir so lange bleiben wie wir wollen. Veronique arbeitet in Dushanbe für die EU.
Die internationalen (Hilfs-)Organisationen geben sich in der Hauptstadt Tadschikistans die Türklinke in die Hand. UN, UNDP, WFP, OECD, Welthungerhilfe, Internationales Rotes Kreuz u.v.m. sind hier vor Ort tätig. Die Präsens kommt nicht von ungefähr. Tadschikistan ist eines der ärmsten Länder Zentralasiens. Ein großer Teil der bereits in den 90er Jahren wenig entwickelten sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur wurde durch den Bürgerkrieg 1992 – 1997 zerstört. Rund 2/3 der Bevölkerung leben heute unterhalb der Armutsgrenze. Die Arbeitslosenquote liegt um die 40 % … Seit 1994 regiert Emonalii Rahmon das Land. Menschenrechte und Pressefreiheit werden immer wieder verletzt. Zuletzt ließ er sich 2006 wiederwählen. Gegen die Opposition gehtRahmon rigoros und mit harten Bandagen vor. Doch von den Plakaten lächelt der Präsident sanftmütig – wechselweise mal vor wogenden Korn- oder Mohnfeldern – stets vor einem strahlenden Himmel…. Die Realität sieht anders aus.
Da Veronique selber begeisterte Radfahrerin ist, bietet sie Radlern eine kostenlose Unterkunft in Haus und Innenhof an. Nach und nach füllt sich das Haus und Gabriel, ihr 7-jähriger Sohn hält alle auf trapp. Im Garten – einer Oase gleich – steht ein ganzer Fuhrpark an Rädern. Abends wird zusammen gekocht und die neuesten Infos über Visa, Grenzübergänge, Routen etc. machen die Runde. Kaum war Ria genesen erwischte es mich mit den gleichen Symptomen auf der ersten Etappe in den Pamir. Aber das war erst der Anfang ….
Von Kalaikhum führt uns die M 41 knapp 300 km auf tadschikischer Seite nach Khorog entlang der Grenze zu Afghanistan. Der reißende, grau-braune Strom „Panj“ trennt beide Länder voneinander. Oft ist das Flussbett so schmal, dass wir im wahrsten Sinne des Wortes nur einen Steinwurf von Afghanistan entfernt kurbeln. Bereits in Usbekistan waren wir nur noch 100 km von Masar-e Scharif entfernt. Die unmittelbare Nähe Afghanistans macht sich vor allem an den zahlreichen Militär-Checkpoints bemerkbar. Mit Kalaschnikow im Anschlag werden wir alle 100 km gestoppt, um uns zu registrieren. Das Tal des Panj ist anfangs etwas weiter mit einigen kleinen Siedlungen, dann verengt es sich immer mehr. Kurze Schluchtenpassagen und leichte Talweitungen mit teils idyllischen Dörfern wechseln sich ab. Bei jedem Halt versammelt sich blitzschnell eine Horde Kinder um uns. „Photo! Photo!“ wird gerufen. Jeder möchte aufs Bild. Wenn wir dann anschließend das Ergebnis zeigen, recken die Jungen den Daumen, die Mädchen lachen verschämt. Hände abklatschen ist ebenfalls sehr beliebt und selbst die Kleinsten, 3-jährigen, winken uns schon zu und rufen „Hello“. Nur gelegentlich „übertreiben“ es die Kids. Da wird dann schon mal versucht, die Hand festzuhalten oder uns mit einem gespannten Seil am Weiterfahren zu hindern…
Die Fahrt am Grenzfluss ist kaum leichter als zuvor zum Pass. Die Anstiege sind mit 10 % und mehr meist kurz und giftig, der Untergrund Offroad tauglich. Miserable Pistenabschnitte wechseln mit altersschwachem Asphalt, der aber so flickenhaft ist, dass wir meist Slalom auf den Reststücken fahren. Hinzu kommen die zahlreichen Trucks – meist in Kolonne – und mit ihnen jede Menge Staub und Abgase. Besonders auf den Singeltrails wird es für dann mehr als eng und viel Platz zwischen uns und dem Abhang zum Panj ist oft nicht mehr.
Der Blick auf die afghanische Seite ist dafür immer wieder faszinierend. Auf teils abenteuerlichen Saumpfaden laufen die Menschen zu ihren Feldern, die ebenso abenteuerlich in schwindelerregender Höhe oberhalb des Panj an den steilen Hängen „kleben“. Zum Transport schwerer Lasten wird fast überall noch der Esel eingesetzt. Abends begleitet uns deren vielstimmiges Geschrei zusammen mit dem Ruf des Muezzin in den Schlaf. Obwohl das Tal oft sehr schmal ist und außer für die M 41 nicht viel Platz, finden wir immer wieder einen Stellplatz für unser Zelt. Bereits gegen 19 Uhr ist es dunkel und jede Nacht auf’s Neue nimmt uns der Sternenhimmel gefangen.
2 Tage vor Khorog erwischt es mich erneut. Mit Fieber, Durchfall und Erbrechen quäle ich mich irgendwie über die Straße, viele Stunden liege ich im Gras, unfähig aufzustehen. Ria muss in dieser Zeit fast alles alleine machen. Zu allem Überfluss geraten wir auch noch in ein Unwetter. Ein Sturm fegt durch das Tal und in minutenschnelle ist vom aufgewirbelten Sand der Himmel nicht mehr zu sehen. Wir suchen den nächstbesten Zeltplatz. Ria baut in windeseile das Zelt auf, während ich völlig erschöpft auf dem Boden liege. Nach 1 Stunde ist der Sturm vorbei und das Innenzelt voller Sand. Am 04.09. erreichen wir endlich Khorog, die selbsternannte Hauptstadt des Pamir. Gut 30.000 Menschen leben hier. Auf den Straßen herrscht Gedränge und lebhaftes Treiben. Mein Magen-Darm-Leiden erreicht hier seinen „Höhepunkt“. Nach einer schlaflosen, grauenvollen Nacht bin ich völlig entkräftet und dehydriert. In den folgenden Tagen geht es dann langsam bergauf und die Lebensgeister kommen zurück. Währenddessen geht es mit Ria genau in die entgegengesetzte Richtung. Nun hat sie mehrere Tage Fieber und Durchfall, dazu einen hartnäckigen Husten.
Mittlerweile sind wir fast 1 Woche in der Pamir Lodge in Khorog und so langsam beide wieder radtauglich. Neben der anfänglichen „Scheißerei“ sind die Tage hier mit den Generalüberholungen unserer Räder, Vorratseinkäufen, Wäsche waschen, Recherchieren, Lesen, netten Begegnungen mit anderen Reisenden und viel Schlafen ausgefüllt.
So Gott und Montezuma wollen werden wir übermorgen unsere Reise auf dem Pamir-Highway fortsetzen.